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Filmbranche braucht Neustart - filmwirtschaftliche Infrastruktur in Not

Dramatische Shutdown-Folgen: Weitere sechs Monate überlebt laut Ifo-Umfrage jede zweite Firma nicht.



Wochenlang geschlossene Kinos, die Produktion auf Sparflamme: Für viele Unternehmen ist die Corona-Pandemie existenzgefährdend. Geld alleine reicht nicht länger, um den deutschen Film wettbewerbsfähig zu machen, meint auch unsere Kollegin Katharina Dockhorn in einem weiter unten nachfolgenden Kommentar.

"Rettet die Filmkultur!"

Doch zuvor ein Aufruf von neun Interessenverbänden zur FFG Novelle und zur Unterstützung der Filmschaffenden in der Corona-Krise, der am Donnerstag, den 30. April 2020, unter dem Titel "Rettet die Filmkultur!" der Kulturstaatsministerin Monika Grütters zugestellt wurde.

In dem Papier fordern die neun Verbände die Verlängerung des aktuellen Filmförderungsgesetzes (FFG) auf ein Jahr zu begrenzen, und den geplanten Novellierungsprozess möglichst schnell wieder aufzunehmen, denn die derzeitigen Einschränkungen treffen den Kino- und Filmbereich mit voller Wucht, die Politik ist aber noch viel zu zögerlich bei Entscheidungen zur Unterstützung der Branche, so der Hauptverband Cinephilie.

Außerdem wird eine Solidaritätsabgabe der Streaming-Anbieter gefordert, da sie zum Teil auch wirtschaftlich von der Corona-Krise profitieren.

Parallel dazu werden Gespräche mit weiteren Verbänden über eine gemeinsame konzertierte Aktion geführt, mit der Forderung, die Lebenshaltungskosten von Freischaffenden zu ersetzen bzw. zu bezuschussen - entweder durch direkte Zuschüsse oder durch Umwidmung von bestehenden Hilfen.

Der volle Wortlaut des Aufrufs kann hier abgerufen werden.

Die Unterzeichnenden Verbände sind:

AG DOK
AG Filmfestival
AG Kurzfilm
Bundesverband kommunale Filmarbeit
Bundesverband Regie
Crew United
Hauptverband Cinephilie
Verband der deutschen Filmkritik
Zukunft deutscher Film

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Filmbranche braucht Neustart wie Automobilindustrie

Kommentar von Katharina Dockhorn.

Das deutsche Arthouse-Kino ist im Dornröschenschlaf. Die Filmtheater sind geschlossen, die wenigen Autokinos zeigen Blockbuster. Festivals sind weltweit bis Mitte/Ende August abgesagt – zuletzt traf es Locarno.

So bleiben dem Kino-Junkie nur Streaming Dienste, wo "Die Känguru-Chroniken" seit Wochen erfolgreich die Lachmuskeln reizen. Am 8. Mai 2020 startet die Constantin-Film ihren potentiellen Hit „Berlin, Berlin“ online. Und auf die erfolgreiche Premiere von „Trolls World Tour“ folgt ab 5. Mai 2020 die Filmperle „Königin“ auf mehreren Plattformen, der dänische Oscar-Beitrag von May el-Toukhy mit der herausragenden Darstellerin Trine Dyrholm sowie mit Gustav Lindh und Magnus Krepper.

Hier der Trailer:



Synopsis:
Der Film handelt von der Liebesbeziehung zwischen einer Stiefmutter und ihrem anfänglich störrischen 16-jährigen Stiefsohn, die sich zu einer handfesten Affäre entwickelt.


Die Verleiher von „Berlin Alexanderplatz“ oder „Undine“ legten ihre Starts für unbestimmte Zeit auf Eis, obwohl sie sich von der Lola-Gala einen Marketingeffekt versprachen. Zurückziehen wollten sie auch nicht – die Produzenten brauchen die mit Nominierung bzw. Gewinn verbundenen Prämien dringend. Eine Öffnung der Kinos ist nicht in Sicht. Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben zwar vergangene Woche einen Masterplan zum Ausstieg aus dem Corona-Lockdown vorgelegt, der die Öffnung der Kinos Ende Mai vorsah. Er ist wohl schon wieder Makulatur.

In diese Notsituation platzen AG DOK, die AG Filmfestival AG Kurzfilm, der Bundesverband kommunale Filmarbeit, der Bundesverband Regie, Crew United, der Hauptverband Cinephilie, der Verband der deutschen Filmkritik und Zukunft deutscher Film mit der Forderung an Monika Grütters, den Vorsitzenden des Kulturausschusses sowie drei Abgeordnete von CDU/CSU und einen aus der SPD mit der Forderung, die Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) nicht wie von der Kulturstaatsministerin angekündigt um ein Jahr zu verschieben. Die Novellierungsdiskussion solle sofort fortgesetzt werden, um im Zeitplan zu bleiben.

Nur die Verfasser wissen, warum sie keinen Vertreter der anderen vier im Bundestag vertretenen Parteien anschrieben, wobei auch die Verfasserin bei einer Partei erhebliche Bauchschmerzen hätte. Auf den ersten Blick ist ihre Forderung auch plausibel.

Durch die Bundestagwahl 2021 wird die Zeit für Diskussionen und Überarbeitungen des jetzt vorliegenden Entwurfs knapp. Im Sommer kommenden Jahres endet die Legislaturperiode, frühestens im Dezember 2021 ist der Kulturausschuss nach der Wahl arbeitsfähig. Und keiner weiß, ob die Abgeordneten bleiben oder sich die Erfahrung von 2017 wiederholt. Die Experten für Film schieden damals unisono aus dem Kulturausschuss aus oder wurden nicht wiedergewählt. Ihre Nachfolger brauchten Zeit, sich einzuarbeiten. Wenn das vermieden werden sollte, müsste das parlamentarische Prozedere mit Expertenanhörungen und drei Lesungen im Bundestag nach der parlamentarischen Sommerpause oder spätestens im Herbst beginnen. Dann hätten die Verbände gefordert, was eh geplant war.

Als Lösung böte sich eher an, auf Grundlage des vorliegenden Entwurfes eine kleine Novellierung durchzuziehen, die nur für zwei oder drei Jahre gültig ist. Das wäre vor allem zum Vorteil der Produzenten. Sie sollen nach dem ersten Entwurf des novellierten Gesetzes einen Anreiz erhalten, kommerzieller zu denken. Bislang war die Verwertungskette so ausgerichtet, dass sie am Ende standen und selten auch nur ein Cent bei ihnen ankam. Nach dem vorliegenden Entwurf sollen sie in jeder Verwertungsphase von den Einnahmen an Kinokasse, beim DVD-Verkauf oder VoD-Abruf oder Auslandsverkäufen profitieren.

Das soll die Eigenkapitalbasis stärken, was zuletzt eines der Ziele bei der Einführung des Deutschen Filmförderfonds war. Funktioniert hat es bislang nie, was sich jetzt in der Krise zeigt. Ohne Drehs stehen die Produktionsfirmen mit dem Rücken zur Wand. Vielen droht die Pleite, auch wenn Kurzarbeit die eigenen Mitarbeiter teilweise absichert.

Andererseits droht bei den Kinos eine Schließungswelle, selbst bei den Ketten. Kieft & Kieft Filmtheater GmbH schloss gerade das Haus in Eisenhüttenstadt. Die Aufstockung der Kinoprogrammprämien ist bei fehlenden Umsätzen durch Bund und Länder letztlich auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Jede Woche verlieren die Kinos 20 Millionen Euro.

Die im VTFF organisierten technischen Betriebe fordern knapp 350 Millionen Euro Soforthilfe, um zu überleben. Dazu kommt die Not der Einmannbetriebe gerade im Dokumentarfilmbereich, die die Bundesregierung ins Hartz- IV-System schickt. Auch die Filmkritik ist quasi arbeitslos, allerdings fiel dem VdFK im Gegensatz zum Berufsverband deutscher Medienjournalisten nichts ein, um die eigenen Mitglieder zu vertreten. Er schweigt angesichts deren Corona-Not.

In der Krise rächen sich die Verkrustungen in der Filmförderung. In der Schweiz leitete die Branche unmittelbar nach Kinoschließung die Vertriebswege ins Digitale um. In Deutschland muss eine Verkürzung des sogenannten Kinofensters, das den zeitlichen Abstand zwischen Kino- und digitaler Auswertung regelt, bei Filmförderung und/oder Landesförderern mühevoll beantragt werden. Das Kinofenster selbst haben andere Länder längst flexibilisiert. In GB können Filme bereits zwei Wochen nach Kinostart im Pantoffelkino ausgewertet werden. Das hat den schönen Nebeneffekt für kleine Anbieter, Marketingkosten gezielter auszurichten.

Der DFFF hat zudem eine Tendenz verstärkt, sie sich seit Mitte der 90er Jahre andeutete. Das Land produziert Masse statt Klasse, aus rund 50 Filmen deutscher Herkunft Mitte der 90-er Jahre wurden inzwischen knapp 250. Die Zahl der Einladungen in den Wettbewerb von Cannes, Venedig oder Toronto wuchs nicht im selben Maß. Andererseits werden die Filme von vielen kleinen, sicher engagierten Verleihern auf den Markt gebracht. Deren Eigenkapitaldecke ist zu dünn, um ordentlich in Werbung zu investieren. Verstärkt wurde diese Unterfinanzierung durch die zunehmende Zurückhaltung der regionalen Filmförderungen bei der Herausbringung von in der Produktion unterstützter Filme.

Ein weiteres Manko ist die internationale Sonderweg. Wer über den Filmmarkt der Berlinale ging, konnte dem Werben um die sogenannten vagabundierenden Film- und Streaming Produktionen kaum entkommen. 120 Milliarden $ geben alleine die neuen Marktteilnehmer für fiktionale Produktionen aus, die irgendwo gedreht werden müssen. In Deutschland kommt so gut wie nichts von diesem Kuchen an – es hält am bürokratischen Antragsprozedere und einer Deckelung des Förderungsbeitrages des DFFF2 für technische Dienstleister und internationale Koproduktionen fest, während automatisch Rabatte bis zu 30% des Budgets international längst Standard sind.

Offenbar haben Politiker aus der ganzen Welt erkannt, dass sich die heimische Produktion quasi nebenbei durch die Einnahmen aus Hollywood, von Netflix und Amazon finanzieren lassen. In Deutschland setzt man auf den Geldsegen aus dem Bundes- und Länderhaushalten. Kontinuierlich stieg die Geldspritze für die deutsche Filmbranche. Sehenden Auges wurden die dabei entstehenden Verwerfungen in Kauf genommen. Alte, längst überholte Strukturen wurden konserviert und ein nicht überlebensfähiges, auf Selbstausbeutung vieler Beteiligter setzendes System künstlich aufgeblasen.

Die Filmbranche zeigt, was sich auch in der deutschen Autoindustrie zeigt. Durch die Abwrackprämie nach der Finanzkrise fehlte der Druck, sich zu erneuern. Heute stellt sich die Frage, ob der Geldhahn nochmals aufgedreht wird oder die Branche gezwungen wird, sich technologisch für das neue Jahrtausend neu aufzustellen. Die dabei drohenden Einschnitte werden in beiden Branchen sicher schmerzlich sein. Sie können aber mit klugen Rezepten für den Übergang ins 21. Jahrhundert abgemildert werden.

Diese Krise könnte zur Chance werden, die seit Jahrzehnten versprochene große Reform des Filmförderungsgesetzes (FFG) anzugehen, dessen Grundgerüst aus dem Jahre 1967 stammt. Der Wille dazu war bislang gering. Günter Winands, in Grütters Haus für das Kino zuständig, widmet sich momentan der Großbaustelle Hohenzollernerbe. Und die angeschriebenen Abgeordneten fühlten sich von den vielen, sich widersprechenden Forderungen der Lobbyisten der Filmverbände überrollt. Sie forderten von der Branche eine Vision für die Zukunft, auf die sie vergeblich warteten. Ob die Verfasser des Offenen Briefes dies im Sinn hatten, darf zumindest bezweifelt werden.

Um ein zukunftsträchtiges Gesetz endlich vorzulegen, braucht es Zeit. Zeit, die sich Monika Grütters gerade verschafft hat. Von ihrem Vorgänger Bernd Neumann wird immer in Erinnerung bleiben, dass er mit dem DFFF Mitte der Nuller-Jahre ein damals innovatives Fördersystem schaffte und die Klage gegen das FFG klug abwendete. Sie könnte sich ins Geschichtsbuch als große Reformerin des FFG eintragen.

Katharina Dockhorn

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Der Verband Technischer Betriebe für Film & Fernsehen (VTFF) hat (wie oben im Kommentar von Katharina Dockhorn bereits erwähnt) in einem Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Notwendigkeit nach Hilfen für die Produktionsdienstleister unterstrichen und dafür Mittel aus dem DFFF II vorgeschlagen.

In der Corona-Krise "kämpfen diese investitionsintensiven mittelständischen Unternehmen um ihre Existenz", heißt es in einer Mitteilung am letzten Donnerstag.


Um die Bedeutung zu unterstreichen, wie wichtig dieses Gewerk für die Film- und Serienproduktion ist, verwies der Verband auf die erstmalige Auszeichnung für "Beste Visuelle Effekte und Animation" beim Deutschen Filmpreis am Freitag, den 24. April 2020. Der Preis ging an Jan Stoltz und Claudius Urban von VTFF-Mitglied Trixter, welche die VFX und Animation bei dem Film "Die Känguru-Chroniken" verantworteten. Als anderes Beispiel zählte der Verband den achtfachen Gewinnerfilm "Systemsprenger" auf, bei dem VTFF-Mitglied Rotor Film für die Bild und Soundpostproduktion zuständig war. Dafür gab es auch eine Lola, wie wir am Samstag, 25. April 2020 berichteten.

"Hinter den ausgezeichneten Filmen sowie hinter dem gesamten Filmschaffen steht eine hervorragende technisch-kreative Infrastruktur mit zahlreichen Unternehmen, die mit großem Aufwand für Expertise, Geräte, Studios und andere Ausrüstung sorgen und damit die materielle Grundlage der Filmwirtschaft bilden", sagte der VTFF-Vorstandsvorsitzende Stefan Hoff. "Diese ist jetzt in großer Gefahr, da diese Betriebe kaum noch Umsätze, hohe Fixkosten und wenig Rücklagen haben, aber von den bisherigen Hilfsmaßnahmen kaum berührt werden."


Im Schreiben an die Kulturstaatsministerin schlägt der VTFF vor, zur Unterstützung dieses Branchensegments die Mittel des DFFF II in Betracht zu ziehen, die explizit für die Produktionsdienstleister vorgesehen seien. "Da in anderen Bereichen die Umwidmung von Projektmitteln vorgenommen oder erwogen wird, könnte dies in solch ungewöhnlichen Zeiten auch hier möglich sein", heißt es weiter.

Link: www.vtff.de
Quellen: AG DOK | Hauptverband Cinephilie | VTFF | Blickpunkt:Film

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