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Unsere Filmkritiken im Dezember 2018, Teil 1

Phantastische Tierwesen sind bei den Blockbustern immer noch beliebt - 25km führt weiter die Arthouse Kino-Charts an.



"ROMA", das von Kritikern als bester Film des Jahres geschätzte Werk des mexikanischen Regisseurs Alfonso Cuarón, läuft nur sehr kurze Zeit in wenigen Kinos, denn der Streaming-Gigant Netflix hat alle Rechte erworben und startet den Film online im Netz bereits am 14. Dezember 2018.

Zu der von uns am 3. Dezember 2018 veröffentlichten Liste der Kinos, die den Film vorab auf der großen Leinwand zeigen dürfen, sind noch einige wenige hinzugekommen u.a. die Astor Filmlounge in Berlin am Kurfürstendamm. Dort läuft der Film noch einmal am Dienstag, 11.12. und Mittwoch, 12.12.2018 jeweils um 17:30 Uhr. Hier nochmals der Trailer:



Wir konnten das Meisterwerk gestern Nachmittag im CineStar in der Kulturbrauerei Berlin sehen und waren ebenfalls begeistert, auch wenn der zweieinhalb Stunden lange Film sehr viel Zeit benötigt, um seine volle Kraft zu entfalten. Allerdings hatten wir vorab Ärger bei der Online-Kartenbestellung. Die Abbuchung des Kartenkaufs über PayPal lief offensichtlich nicht reibungslos ab, denn die Bestätigung über den Erhalt der Karten blieb nach dem erfolgten Kauf aus, sodass wir letztendlich ohne gültige Karten in dem schon am frühen Nachmittag fast ausverkauften Kino standen. Ein Problem, das angeblich häufig auftritt, wie uns im CineStar Kino an der Kasse gesagt wurde. Die Abbuchung wurde aber inzwischen anstandslos storniert.



Andere Buchungssysteme wie DeinKinoticket.de oder Kinoheld.de arbeiten wiederum nicht mit allen Kinos in Deutschland zusammen, sodass der oben erwähnte Film erst gar nicht aufgelistet wird.

Zu unseren heutigen Filmbesprechungen wurden wir diesmal aber bei beiden genannten Buchung-Systemen fündig, die vor allem im Arthouse-Bereich starke Präsens zeigen, während die großen Multiplex-Kinos - wie das erwähnte CineStar - meist ein eigenes Buchungssystem nutzen, zu dem dann umgeleitet wird.

In den Kinocharts führen übrigens immer noch die "PHANTASTISCHEN TIERWESEN - Teil II" die Blockbuster an, dicht gefolgt vom Familien Animationsfilm "DER GRINCH", während in den Arthouse-Kinos seit Ende Oktober die Komödie "25 km/h" weiterhin Erfolge feiert.

Neu im Kino seit 6. Dezember 2018 und gleich mit FBW-Prädikat »besonders wertvoll« versehen, sind Steve McQueens Thriller "WIDOWS - Tödliche Witwen" und das Biopic "ASTRID" über die dramatischen Jugendjahre der Kinderbuchautorin Astrid Lindgreen, das auf der 68. Berlinale im Februar 2018 unter dem Titel "UNGA ASTRID - Becoming Astrid" als Special Screening seine Premiere gefeiert hatte und das wir u.a. heute - zum offiziellen Kinostart - neben drei weiteren Filmen nachfolgend besprechen.

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"ASTRID" Biopic von Pernille Fischer Christensen (Schweden, Deutschland, Dänemark). Mit Alba August, Maria Bonnevie, Trine Dyrholm u.a. seit 6. Dezember 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Eine ältere Dame öffnet ihre Geburtstagspost. Zwischen zahlreichen Glückwunschkarten, selbstgemalten Bildern und Fotos befindet sich auch eine Kassette von einer Schulklasse, in der die Kinder ihr mitteilen, welche grosse Freude sie ihnen mit ihren Büchern bereitet hat und in der sie ihr persönliche Fragen stellen. Es handelt sich um Astrid Ericsson, bekannt auf der ganzen Welt unter dem Namen Astrid Lindgren, der berühmten Kinderbuchautorin.

Es ist der Einstieg der dänischen Regisseurin Pernille Fischer Christensen, die in ihrem Biopic "ASTRID" das dramatische und temperamentvolle Leben der jungen Astrid Ericsson erzählt.

Aufgewachsen in einem Pfarrbauernhof, unter der Obhut streng religiöser Eltern, setzte sich das Mädchen über alle Regeln hinweg. Sie machte sich über den Inhalt der Bibel lustig, wenn sie keiner zum Tanzen aufforderte tanzte sie, wie eine Wilde eben alleine und dass sie früher zu Hause sein musste als ihr älterer Bruder, war ihr gar nicht recht. Sie war eine lebenshungrige Rebellin, deren Schreibtalent schon früh erkennbar war. Sie war überglücklich als sie, gerade 18, von dem Chefredakteur einer kleinen Lokalzeitung in ihrem Heimatort Vimmerby, ein Volontariat angeboten bekam. Obwohl sie ungeübt im Schreibmaschine schreiben war und ein Farbbandwechsel ihr noch schwer fiel, machte sie sich freudig an die Arbeit und wurde von ihrem Chef hochgelobt. „Du schreibst glänzend, gib mir etwas ab von deinem Glanz, ich kann es brauchen“, waren seine Worte.

Es dauerte nicht lange und sie verliebte sich in den viel älteren und verheirateten Mann, Vater ihrer besten Freundin. Astrid wurde schwanger, trennte sich von ihren altmodischen Zöpfen, um aller Welt zu zeigen, dass sie nun eine erwachsene Frau ist. Ihre Mutter war außer sich und so gab Astrid das Neugeborene zu einer Pflegemutter (Trine Dyrholm) in Dänemark, wo sie den Namen des Vaters nicht angeben musste, denn es war eine Schande ein Kind zu bekommen, von einem Mann, der in Scheidung lebt und bereits 7 Kinder hat. 1926/27 war das noch ein Riesenskandal in Schweden, ihr Vergehen unmoralisch und in den Geboten der Kirche, eine Ungeheuerlichkeit. Astrid geht nach Stockholm und macht eine Ausbildung zur Sekretärin.

Da sie ihren Sohn Lasse nur sehr selten besucht, ist sie für ihn eine fremde Frau. Als die Pflegemutter todkrank ist, holt Astrid den inzwischen dreijährigen Jungen zu sich, und muss sich nun um ein Kind kümmern, das seine leibliche Mutter kaum kennt.

Es ist eine dramatische Geschichte, geprägt von Scham, Schande und Schuld.

Alba August, die Tochter des Regisseurs Bille August ("Das Geisterhaus", "Fräulein Smillas Gespür für Schnee") ist umwerfend in der Rolle der jungen Astrid Lindgren. Dieses Jahr wurde sie auf der Berlinale als aufstrebender Shootingstar gefeiert.

Es wird vermutet, dass die Weggabe des Kindes bei Lindgren ein Trauma und schwere Schuldgefühle hinterlassen hat und sie deswegen in ihrer Literatur, mit grosser Einfühlungsgabe, den Kindern ganz viel Raum gegeben hat. Sie selbst hat über diese Zeit so gut wie nie gesprochen.

Ulrike Schirm


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"CLIMAX" Ekstatischer Totentanz von Gaspar Noé (Frankreich). Mit Sofia Boutella, Romain Guillermic, Souheila Yacoub u.a. seit 6. Dezember 2018 im Kino. Der Film gewann mit dem Art Cinema Award, den Hauptpreis in der Nebenreihe »Quinzaine des Réalisateurs« von Cannes 2018. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Skandalregisseur Gaspar Noé war offensichtlich mehr als erstaunt, dass bei der Premiere in Cannes die Zuschauer bei seinem neuen Film "CLIMAX" nicht fluchtartig das Kino verlassen haben.

Jeder der seine Filme kennt, wird sich sicherlich noch an die zehnminütige Vergewaltigungsszene in seinem Skandalfilm „IRREVERSIBEL“ erinnern, bei dem die Zuschauer scharenweise den Kinosaal verließen. Seine Film-Themata sind bei all seinen Filmen extrem. In einem seiner Interviews sprach er darüber, dass der Mensch ein tragisches Monster sei.

Eine junge Tanztruppe von 21 Tänzerinnen und Tänzern feiert in einem abgelegenen Haus den Start ihrer bevorstehenden Tournee. Bevor es ans Feiern geht, probt die Leiterin Selva (Sofia Boutella) noch eine ausgeklügelte Choreografie. Den House-und Techno-Beat dazu, liefert DJ Daddy, gespielt von Frankreichs Star DJ Kiddy Smile.

In den Pausen kreisen ihre Gespräche um Beziehungen und Sex, wer mit wem und wem nicht und Sex überhaupt.

Irgendjemand muss sich den „Scherz“ erlaubt haben und Acid in die Sangria geschüttet haben. Die Situation eskaliert. Nach und nach fallen die Ensemblemitglieder in einen kollektiven Drogenrausch voller Sex und Gewalt. Die schon vorher angedeuteten Spannungen zwischen den unterschiedlichen Leuten, verstärken sich nun unter diesem Trip. (Acid ist ein anderes Wort für LSD).

Gedreht werden die Ausschweifungen mit einer ruhelosen Steadycam, die auf einzelnen Personen verweilt, um dann wieder die horrorähnlichen Interaktionen der Protagonisten auffängt. Spielerische Tanzimprovisationen, dargeboten von leichtbekleideten, trainierten Körpern schöner Menschen, unter dem hämmerndem Beat in voller Lautstärke, begleitet von Stroboskopeffekten, gedreht fast ohne Schnitt, treibt jeden Einzelnen von ihnen in seine ganz persönliche Ekstase in dieser Nacht des Grauens, bestückt mit Ängsten und Paranoia. Es entwickelt sich ein Sog, dem man sich kaum entziehen kann, ausgelöst durch die brillanten Tanzszenen, die Noé immer wieder dazwischen streut.

Wer hier eine zusammenhängende Geschichte erwartet, wird enttäuscht. Noé liefert eine Zustandsbeschreibung und das macht er genial, indem er die gewöhnlichen Grenzen des Kinos absichtlich überschreitet. Ein wahrhaft schrecklich schöner Tanz in den Vorhof zur Hölle.

Ulrike Schirm


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"DAS ENTSCHWINDEN" Drama von Boudewijn Koole (Niederlande, Norwegen). Mit Rifka Lodeizen, Elsie de Brauw, Jakob Oftebro u.a. seit 6. Dezember 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:

Filme, die auf dem Toronto Filmfestival (tiff) gezeigt wurden, gelangen leider nur selten bei uns in die Kinos. Es sei denn, sie liefen mit Nachhaltigkeit und starker Presseresonanz auch bei einem anderen bedeutenden Filmfestival in Deutschland, wie z.B. bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck.

Das war bei "Verdwijnen - Disappearance", so der Originaltitel, der Fall. Der Film wurde 2017 mit dem Kirchlichen Filmpreis Interfilm ausgezeichnet. Aber erst jetzt war es dem kleinen Berliner Verleih Sabcat Media, einem gewerkschaftlichen Kollektivbetrieb in Kooperation mit dem Lichtblick-Kino in Berlin, ein Anliegen, den Film einem deutschsprachigen Publikum zugänglich machen.

Es ist ein ruhiger Film, wenn auch zum Schluss sehr trauriger Film über Familienbanden und deren Probleme. Die niederländisch-norwegische Produktion erinnert an die filmischen Kammerspiele Ingmar Bergmans, entfaltet seine emotionale Wucht jedoch weniger mit Worten als durch grandiose Bilder und Töne. Eine wundervoll, warmherzige Geschichte über das Leben – und das Entschwinden als Mensch.

Jedes Jahr macht sich die Niederländerin Roos (Rifka Lodeizen) auf den Weg nach Norwegen, um dort ihre Familie zu besuchen. Doch dieses Jahr ist ihr Motiv ein anderes: Roos ist mittlerweile schwer krank und will deswegen endlich Frieden mit ihrer Mutter Louise (Elsie de Brauw) schließen.

Während Roos' Job als Fotojournalistin sie um den ganzen Erdball führte, war ihre Mutter Louise einst eine gefeierte Konzertpianistin, die nun in Norwegen Ruhe und Abgeschiedenheit sucht. Obwohl Roos ihre Mutter jedes Jahr aus Pflichtgefühl besucht, sind diese Treffen nie besonders gut verlaufen, da sich die zwei über den Lauf der Jahre zunehmend entfremdeten.

Doch mit Roos' Erkrankung ist nun alles anders. Wo anfangs Schmerz, Beschuldigungen und Vorwürfe eine Aussprache unmöglich machen, geben Roos' erst die Beziehung zu ihrem jüngeren Halbbruder Bengt (Marcus Hanssen) und ihre alte Liebe zu Johnny (Jakob Oftebro) ihr nun die nötige Kraft, den entscheidenden Schritt zu gehen und das Gespräch mit ihrer Mutter Louise zu suchen, um am Ende in der weiten Schneelandschaft für immer zu entschwinden.

Die schönsten Szenen sind die mit ihrem wohl erst ca. 12-jährigen Halbruder, der die große Schwester vergöttert. Doch als sie verrät, eine Chemotherapie gegen den Krebs abzulehnen, um sich stattdessen aufs Sterben vorzubereiten, ist der Knabe verbittert. Nicht weniger schlimm dürfte es für die Mutter gewesen sein, die Wahrheit zu erfahren. Dennoch hilft sie ihr, das Unvermeidliche zu bewerkstelligen.

W.F.


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"100 Dinge" Komödie von Florian David Fitz (Deutschland). Mit Florian David Fitz, Matthias Schweighöfer, Miriam Stein (II) u.a. seit 6. Dezember 2018 im Kino.

Nach "Der geilste Tag" und "Jesus liebt mich" ist dies die dritte Regiearbeit von Fitz und sein zweiter Film in dem er neben Schweighöfer als Hauptdarsteller auftritt. 2010 erhielt er für seine schauspielerische Leistung in "Vincent will Meer" mehrere hochdotierte Auszeichnungen. Hier der Trailer seines neuen Werkes:



Ulrikes Filmkritik:

Fitz und Schweighöfer zeigen dem Kaufrausch ihren nackten Hintern.

Paul (Florian David Fitz) und Toni (Matthias Schweighöfer) sind beste Kumpel. Paul hat einen fetten Coup gelandet. Mit seinem Start-Up-Unternehmen hat er eine App NANa entwickelt, eine künstliche Intelligenz, die jedem Smartphone eine individuelle Stimme, samt Emotionen verleiht.

Ein amerikanischer Internet-Milliardär David Zuckermann greift tief in die Tasche und bietet 4 Millionen Dollar. Da sagt man nicht Nein. Paul hat eher die Freude seiner Kunden im Visier, während Kumpel Toni scharf auf die Kohle ist. Klammheimlich hat er Pauls Handy so programmiert, dass NANA seinen Kaufwahn noch stärkt.

Der Deal wird mit dem gesamten Team ausgiebig gefeiert. Es wird kräftig gesoffen, wobei es zwischen Paul und Toni zu einem Streit kommt. Toni beschimpft Paul als Konsumschlampe, der kontert mit den Worten: „Dein Penis schaut aus wie 'ne Python mit 'nem Rollkragen“. Beide beschließen eine fatale Wette. Sie werden 100 Tage auf allen Besitz verzichten und jeden Tag nur ein einziges Teil aus ihrem Eigentum zurückerhalten.

Das ist streckenweise wirklich komisch und turbulent inszeniert und die konsumkritischen Momente stimmen nachdenklich, besonders wenn man an den bevorstehenden weihnachtlichen Konsumrausch denkt. Für weibliche Gemüter gibt’s es einen Extraschmankerl. Die wohlgeformten Hintern der beiden Hauptdarsteller sind in ihrer Pracht einige Male anzuschauen. Über allem steht die ernsthafte Frage, ob Konsum wirklich glücklich macht.

Wie schon im Film „Der geilste Tag“ (2016) hat Florian David Fitz wieder die Regie übernommen und hier auch das Drehbuch geschrieben. Inspirieren ließ er sich von der finnischen Doku „My Stuff“ von dem finnischen Dokumentarfilmer Petri Luukkainen.

Ulrike Schirm



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