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Die ersten interessanten Arthouse Filme seit der Corona-Krise

Gestern, 09.07.2020, ging's im BAF-Blog um Fotokurse und digitale Kameratechnik - heute folgt eine Filmkritik über einen großen Fotografen sowie zwei weitere Rezensionen.



"HELMUT NEWTON - The Bad and the Beautiful" Dokumentation von Gero von Boehm (Deutschland). Seit 9. Juli 2020 im 50 Kinos in Deutschland. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Helmut Newton wurde weltberühmt durch seine Mode – und erotisch provozierenden Aktfotos bildschöner, dominanter Frauen. In der Berliner Jebensstraße 2, im Museum für Fotografie, residiert die Newton-Stiftung. Dort kann man eine Vielzahl seiner beeindruckenden Fotos in Ruhe anschauen.

Am 31. Oktober 2020 wäre der gebürtige Berliner 100 Jahre alt geworden. Er starb bereits 2004 bei einem Verkehrsunfall in Los Angeles. Aus diesem Anlass, beschloss der Regisseur Gero von Boehm einen Film über ihn und sein umfangreiches Werk zu drehen. Als Helmut Neustädter wurde er 1920 in Berlin-Schöneberg geboren. Der Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie erlebte den Siegeszug des Nationalsozialismus in Berlin, machte eine zwei-jährige Fotografenausbildung bei der bekannten Fotografin Yva, die später in einem Konzentrationslager ermordet wurde. Auf der Flucht vor den Nazis verließ er 1938 die Stadt, ging nach Singapur, dann weiter nach Australien, wo er seine spätere Frau June kennenlernte.

Sein Aufstieg zum Starfotografen begann in den 1950er Jahren, als die Zeitschrift Vogue seine Modefotos veröffentlichte. In den wilden 1960zigern revolutionierte er die Darstellung des weiblichen Körpers und machte zahlreiche Models und Künstlerinnen weltberühmt. In seinem Film HELMUT NEWTON – THE BAD AND THE BEAUTIFUL interessiert sich Gero von Boehm besonders über die Aussagen der berühmten Frauen, die vor Newtons Linse posierten. Was haben sie über den Fotografen der „Big Nudes“ gedacht. Es kommen zu Wort Grace Jones, Isabella Rossellini, Marianne Faithful, Nadja Auermann, Charlotte Rampling, Hanna Schygulla, um nur einige zu nennen. Jede der von ihm portraitierten Frauen, antwortet auf ihre ganz persönliche Weise.

So erfährt man viel erhellendes über die Arbeitsweise des Meisters und seine Models. In abwechslungsreichen Archivaufnahmen kommt Newton selbst zu Wort und man erlebt einen Menschen, der nicht nur einen köstlichen Humor besitzt, sondern auch eine bemerkenswerte Selbstironie. Auch kleine Schwächen kommen zum Vorschein. Seine Frau, die er 1948 heiratete, machte unter dem Namen Alice Springs selber eine Karriere als Fotografin. Das strenge Feministinnen, seine Bilder empörend finden, indem sie ihm Frauenfeindlichkeit vorwarfen, damit mussten beide leben. Die US-Schriftstellerin Susan Sontag, die ihm 1979 im französischen Fernsehen genau das vorwarf, gestand, niemals einen so netten Menschen hinter diesen Bildern vermutet zu haben. Herren der Schöpfung kommen hier nicht zu Wort. Männeranekdoten über seinen Freund Helmut habe er nicht gewollt, sagt Gero von Boehm.

Ulrike Schirm


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"EINE GRÖSSERE WELT" / Drama von Fabienne Berthaud (Frankreich, Belgien). Mit Cécile de France, Narantsetseg Dash, Tserendarizav Dashnyam u.a. seit 9. Juli 2020 im Kino. Seine Premiere feierte der Film auf dem letztjährigen Filmfestival von Venedig: Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Der Alltag der Musikwissenschaftlerin Corine Sombrun (Cécile de France) ist von tiefer Trauer durchdrungen. Der Tod ihres Mannes hat ihr das Herz gebrochen. Als sie im Tonstudio vergisst, den Aufnahmeknopf zu drücken, nimmt sie den Vorschlag ihres Kollegen an und reist in die Mongolei, um in einem kleinen Dorf , in einer abgelegenen Steppenregion, eine Schamanin der Tsaatan, bei ihren Ritualen zu beobachten und die fremd klingenden Töne aufzunehmen. Ihnen fehlen noch religiöse Gesänge für Atmo-Tonaufnahmen einer TV-Reihe über Spiritualität. Für Corine eine interessante Ablenkung, je weiter weg, um so besser.

Als sie während des Rituals zum ersten Mal die beindruckenden, akustischen Schwingungen der Trommel der Schamanin hört, fällt sie in eine angstauslösende Trance. Ein Zucken breitet sich in ihrem gesamten Körper aus und endet in einem animalischem Geheul. Die weise Schamanin Oyun erklärt ihr, dass sie zur Schamanin berufen sei und unbedingt eine Ausbildung machen sollte, um diese seltene Gabe zu beherrschen.

Zurück in Frankreich, lassen die außergewöhnlichen Erlebnisse in der Mongolei Corine nicht mehr los. Ihre anfänglichen Ängste sind einer Faszination gewichen. Jedes mal, wenn sie die Aufzeichnung der Trommel hört, gerät sie in Trance. Trotz des Widerstandes ihrer Familie, kehrt sie in die Mongolei zurück, mit der vagen Hoffnung, einen Weg in eine andere Welt zu finden, in der sie mit ihrem verstorbenen Mann Kontakt aufnehmen kann. Sie entschließt sich, die Ausbildung zur Schamanin zu machen. Und so begibt sie sich auf eine spirituelle Reise, die ihr Leben und ihre europäische Sichtweise für immer verändern wird.

Schon mit ihren Filmen „Barfuß auf Nacktschnecken“ und „Sy: Der Himmel in mir“ hat die Französin Fabienne Berthaud bereits gezeigt, dass sie ein besonderes Gespür für Spiritualität und Sinnsuche hat.

In „Eine größere Welt“ erzählt sie die wahre Geschichte von Corine Sombrun, die mit Neurologen und Gehirnforschern zusammenarbeitet, um die mentalen Mechanismen hinter den Trancezuständen zu verstehen und therapeutisch zu nutzen. Aufmerksam wurde Berthaud durch Corine Sombruns Buch „Mein Leben mit den Schamanen“. Sie selber sagt: „Zum ersten Mal war nicht ich es die das Thema wählte, sondern das Thema wählte mich“.

Der Film nimmt einen mit in ein fernes Land, in dem die Menschen noch an Geister glauben. Die Mongolen sind sehr erdverbundene, spirituelle Menschen, die sich für jede wichtige Entscheidung die Zustimung der Geister und der Natur holen. Wir erhoffen uns Heilung von einem Arzt, die Mongolen von einem Schamanen. Es ist längst bewiesen, dass es neben der klassischen Schulmedizin, noch andere Möglichkeiten der Heilung gibt, wenn man offen genug ist, die eingetretenen Pfade zu verlassen und seine Sinne nach allen Seiten öffnet.

Dieser Film ist ein feinfühliges, sinnliches Werk, mit einer beeindruckenden Kamera, atemberaubenden Landschaften und einer wundersamen Liebesgeschichte, die über den Tod hinaus reicht. Fabienne Berthaud vertraut voll und ganz auf die Authentizität ihrer Hauptfigur und ohne zu werten, zeigt sie den unerschütterlichen Glauben an eine jenseitige Welt der Tsaatan, einem Volk von Rentierhirten. Ebenso hat sie ein offenes Ohr für die Skepsis Corines französischer Familie, besonders ihrer schwangeren Schwester Louise (Ludivine Sagnier).

Ulrike Schirm


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"HARRIET – Der WEG in die Freiheit" Biopic Historien-Drama von Kasi Lemmons (USA) nach einer wahren Begebenheit. Mit Cynthia Erivo, Leslie Odom Jr., Joe Alwyn u.a. seit 9. Juli 2020 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Harriet Tubman hatte Hunderte von Sklaven zur Freiheit verholfen. Eigentlich sollte sie deshalb dieses Jahr mit ihrem Portrait auf einem 20 Dollarschein geehrt werden, angeregt von B. Obama. Doch unter dem gegenwärtigen US-Präsidenten gehe das nicht, meinte sein Finanzminister. (Bekannt wurde sie als Fluchthelferin der Organisation UNDERGROUND RAILROAD)

Maryland, 1849

Araminta Ross, genannt „Minty“ (Cynthia Erivo) und ihre Familie sind als Sklaven an die Besitzer einer Plantage gebunden. Den Traum von einem besseren Leben für sich und ihre Familie hat sie noch nicht aufgegeben. Als ihr Besitzer stirbt, soll sie von ihrer Familie getrennt, in den Süden verkauft werden.

Minty ergreift die Flucht und schlägt sich durch bis Pennsylvania, wo die Sklaverei für unrechtmäßig erklärt wurde. Sie wird Mitglied der Underground Railroad, einer Anti-Slavery-Society, ein aus Sklaverei-Gegnern bestehendes Netzwerk, das sich zur Aufgabe gemacht hat, gefangenen Schwarzen zur Flucht zu verhelfen.

Minty benennt sich um in Harriet Tubman. Nachdem sie sich von den körperlichen Strapazen einigermaßen erholt hat, kehrt sie unter dem Decknamen „Moses“ immer wieder und wieder zurück, um ihre Familie und weitere gefangene Sklaven zu befreien. Besonders traurig, das Geständnis ihres Mannes, der eine andere Frau geheiratet hat, in der Annahme, sie sei tot. Kopfgeldjäger machen Jagd auf sie. Ihr Schutz ist, dass sie „Moses“ für einen Mann halten. Über 70 Menschen führte sie in die Freiheit. Später, während des Amerikanischen Bürgerkriegs, war sie an der Rettung von hunderten Sklaven beteiligt.

Ihre Kraft und ihren Mut hat sie aus ihrem tiefen Christlichen Glauben geschöpft. Deshalb wohl auch die Wahl des Namen Moses, der mit Gottes Hilfe sein Volk in Sicherheit gebracht hat. Sie kämpfte Zeit ihres Lebens gegen die Sklaverei in den USA.

Regisseurin Kasi Lemmons hat mit ihrem Film einer großen Freiheitskämpferin ein glorreiches Denkmal gesetzt. Inszeniert als spannendes Abenteuer, führt ihr Film sein Publikum in die Geschichte der Amerikanischen Sklaverei. Getragen von dem mitreißenden Spiel der großartigen Cynthia Erivo, die dafür prompt für einen Oscar nominiert wurde. Auch ihr Song "STAND UP", den sie mitgeschrieben hat und den sie selbst singt, bekam eine Nominierung. Das Pathos, welches den Film durchweht, ist in diesem Fall durchaus angebracht. Es verstärkt den Zusammenhang von Religion, und Gemeinschaft.

Ulrike Schirm


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