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Asteroid City: Das beginnende Atomzeitalter der 50er Jahre in Bonbonfarben ... und mehr

Der neue Wes Anderson Spielfilm: Premiere vor einem Monat in Cannes, schon jetzt in den Berliner Kinos. Außerdem der Hofer Filmpreis in Gold '2022.



Wes Andersons Filme sind überspitzt und fiktional, aber immer mit einem Körnchen Wahrheit versehen. Zugegeben: Sein vorletzter Film "The French Dispatch" vom Oktober 2021, eine Mischung aus schwarz-weiß und verblassten Farben über Geschichten einer verblichenen Zeitung, hat uns besser gefallen als das Bonbonfarbige "Asteroid City" mit seinen teils schwer verständlichen, weil viel zu schnell gesprochenen Texten und - wohl gewollt - etwas ruckelnden Schwenks, von links nach rechts oder umgekehrt. Wie immer aber mit hochkarätiger Besetzung.

Auch auf den Filmfestspielen von Cannes im Mai 2023 gab es eher kritische Töne. Andere, zum Teil ausgezeichnete Werke aus Cannes erleben ihre Deutschlandpremiere erst in wenigen Tagen beim Filmfest München, bevor sie peu à peu in den Berliner Kinos zu sehen sein werden.

"ASTEROID CITY" Tragikomödie von Wes Anderson über erste Atomtests der 1950er Jahre in der Wüste Nevadas. (USA, 2023; 106 Min.) Mit Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Tilda Swinton u.a. seit 15. Juni 2023 bundesweit in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

„Astroid City“ ist der 11. Film des etwas schrulligen aber auch liebenswerten Filmemachers Wes Anderson. Dieses Mal nimmt er uns mit in einen verschlafenen Wüstenort im Südwesten der Vereinigten Staaten in den Fünfzigern. Er ruft die Stars und sie kommen. Weltstars in der Einöde: Tom Hanks, Scarlett Johannson, William Defoe, Steve Carell, Adrien Brody, Matt Dillon, Edward Norton, Tilda Swinton, Margot Robbie Jeffrey Right, Liev Schreiber, Jeff Goldblum, Jason Schwartzman. Dabei sein, ist alles, auch wenn einige von ihnen nur vier oder fünf Sätze zu sagen haben.

Asteroid City kommt im Retro-Look daher. Es schaut aus wie eine gemalte pastellfarbengetönte Theaterkulisse.

Eine Gruppe von Schülern und Eltern treffen sich zur „Junior Stargazer Convention“. Hochbegabte Schüler stellen ihre Erfindungen vor. Im Hintergrund finden Atombombentests statt. Die Schülerin oder der Schüler mit der am meisten beeindruckenden Erfindung, soll am Asteroid Day einen Preis bekommen. Seinen Namen hat der Ort von einem Asteroiden, der hier vor etwa 3000 Jahren eingeschlagen ist und einen riesigen Krater hinterließ. Die US-Regierung baute dicht daneben ein Observatorium, dessen wissenschaftliche Betreuung von der Astronomin (Tilda Swinton) gemanagt wird.

Augie Steebeck (Jason Schwartzman) ein Kriegsfotograf ist mit seinen 4 Kindern angereist und irgendwann kommt auch noch der Opa (Tom Hanks) dazu. Mit dabei, die Asche der vor kurzem verstorbenen Mutter in einer Tupperdose. Von Fenster zu Fenster bändelt Steebeck mit der Schauspielerin Midge Cambell (Scarlett Johannson) an, die ihre intelligente Tochter in die Wüste begleitet.

Es gibt einen, in schwarz-weiß gehaltenen erzählerischen Rahmen, denn eigentlich ist Wes Andersons Film ein Theaterspiel. In der Rolle des Erzählers fungiert Bryan Cranston, der von der Entstehung berichtet. Der Autor wird von Edward Norton gespielt und der Regisseur von Adrien Brody. Die Kinder erinnern eher an kleine Akademiker als normal verspielte Kinder. Eine wirkliche Handlung gibt es nicht. Ein Außerirdischer (Jeff Goldblum) erscheint und nimmt den Rest – Asteroiden mit. Das hat zur Folge, dass der ganze Ort unter Quarantäne gestellt wird. Anderson hat ein Händchen dafür, aus einzelnen Szenen eine surreale Atmosphäre zu schaffen. „Asteroid City“ ist voller skurriler Einfälle, hat witzige Dialoge und eine unverkennbare bonbonfarbene Optik.

Strahlender hellblauer Himmel und gelb-ocker getönte Farbmischung der Wüste und vielen wunderbaren Details, die einen locken, sich den Film ein zweites Mal anzuschauen. Allerdings ist er auch verkopft.

Ulrike Schirm


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"DIE GESCHICHTE EINER FAMILIE" Ein sich nach und nach entblätterndes Drama von Karsten Dahlem, Gewinner der Hofer Filmtage '22. (Deutschland, 2022; 87 Min.) Mit Anna Maria Mühe, Michael Wittenborn, Anton Spieker seit 15. Juni 2023 bundesweit in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

So einige Jahre hat sich Christina, genannt Chrissi (Anna Maria Mühe) im Ausland bewiesen, dass sie als Stuntfahrerin Autos beherrscht. Doch dann kehrt sie nach einem schweren Unfall nach Nußdorf, dem Ort ihrer Kindheit zwangsweise im Rollstuhl zurück.

Da sie keine entsprechende Versicherung hat und ziemlich mittellos ist und es einige Zeit dauert, bis man ihr eine barrierefreie Wohnung anbieten kann, muss sie wieder zu ihrem Vater Werner (Michael Wittenborn) ziehen. Niemals hätte sie das freiwillig getan. Ihr Vater, ein ehemaliger Polizist und inzwischen ein zurückgezogener Einzelgänger, ist genauso überfordert von dieser unvorhergesehenen Situation wie seine Tochter. Beide sind mit einer unverarbeiteten Vergangenheit konfrontiert, die jetzt wie eine vernarbte Wunde wieder aufreißt und Vater und Tochter an den Zeitpunkt erinnern, als Chrissi eines nachts mit ihrer Clique und ihrem jüngeren Bruder Jochen (Casper von Bülow) zu einer Diskothek fuhr, wo der Abend mit dem Unfalltod ihres Bruders endete.

Sie, die Schwester saß am Steuer. Die Erinnerungen sind nicht nur schmerzhaft, sondern auch mit schrecklichen Schuldgefühlen vermischt. Christina möchte unbedingt wieder weg. Der verdammte Rollstuhl kettet sie fest. Vehemente Vorwürfe, verdrängte Trauer und die Schuld, die sie aus jener Nacht mit sich rumschleppt, stehen einer Aussöhnung im Wege. Christina schwankt zwischen Wut und Verzweiflung. Ihr Freund (Anton Spieker) machte Schluss mit ihr und ihre Mutter Karin (Therese Hämer) verlässt die Familie. Werner überlegt, wie er seiner Tochter Geld geben kann, damit sie verschwindet. Doch der Bausparvertrag wurde auch von seiner Frau unterschrieben und ohne ihre Einwilligung, bekommt er das Geld nicht ausgezahlt.

Theaterregisseur Karsten Dahlem erzählt die Geschichte in einzelnen Szenen, zwischen Gegenwartsgeschehen und Rückblenden, weniger chronologisch, aber sehr assoziativ. Trotz aller belastenden Gefühlen, blitzen die liebevollen, mehr und mehr durch. Besonders als die Mutter, nach langem Hin- und Her aus Afrika zurückkommt, wo sie Wohltätigkeitsarbeiten verrichtet, glätten sich die Wogen und man nähert sich einander an. Alle waren damals in ihrem Schmerz so gefangen und mit sich selbst beschäftigt, dass sie unfähig waren aufeinander einzugehen und sich auszutauschen. Gelingt es ihnen sich den zerstörerischen Dämonen der Vergangenheit zu stellen?

Die schauspielerische Chemie zwischen Wittenborn und Anna Maria Mühe ist einzigartig und macht den Film absolut sehenswert. Eine Familientragödie, die den Zuschauer an einen Ort verschwiegener Schuldgefühle führt, ein Drama, das sich Stück für Stück entblättert.

Ulrike Schirm


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