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Filmstarts in den Kinos ab der 18. KW 2023

Heute gehts unter anderem um einen Kinderfilm und um ein Werk über Jugendliche und ihre Erzieher. Letzteres ist für sieben Lolas beim Deutschen Filmpreis nominiert.



Am kommenden Freitag, den 12. Mai 2023, wird in Berlin der Deutsche Filmpreis vergeben. Dass sich darunter mit den meisten Nominierungen Edward Bergers Kriegsdrama "IM WESTEN NICHTS NEUES" befindet, der zuvor bei den Oscars ziemlich gut abschnitt, dürfte kaum verwundern. Dass aber Christian Petzolds "ROTER HIMMEL", der immerhin bei der letzten Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, sich nicht unter den Nominierungen befindet, hat bei einigen zur Verstimmung geführt.

Zur Ehrenrettung der Filmakademie kann aber auf İlker Çataks Drama "DAS LEHRERZIMMER" mit sieben Nominierungen verwiesen werden, welches bereits Begeisterungsstürme bei Presse und Publikum auf der Berlinale in der Nebensektion Panorama und anschließend bei einer Kinotour durch Deutschland hervorrief.

"DAS LEHRERZIMMER" Drama von İlker Çatak (Deutschland, 2023; 98 Min.) Mit Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak u.a. seit 4. Mai 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Carla Nowak (Leonie Benesch) ist neu an der Schule. Sie unterrichtet Mathe und Sport an einem Gymnasium. Sie ist jung, ambitioniert, hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ist auf der Seite ihrer Schüler und bevorzugt neue Lehrmethoden. Eine Lehrerin, die man sich nur wünschen kann. Sie kommt gut bei den Schüler*innen an und hat ein offenes Ohr für ihre Probleme.

Als einer ihrer Schüler für eine Anhäufung von Diebstählen verantwortlich gemacht wird, nachdem alle Schüler*innen ihre Geldbeutel auf den Tisch legen mussten, um zu prüfen, ob jemand auffällig viel Geld dabeihat, wird ausgerechnet Ali, ein Junge mit muslimischer Herkunft von der Direktorin und zwei weiteren Lehrkräften vorverurteilt, weil er ziemlich viel Geld dabeihat. Einer der Lehrer hat selbst einen Migrationshintergrund.

Carla ist erbost. Sie glaubt fest an die Unschuld ihres Schülers und geht der Sache auf den Grund und will bei der Aufklärung helfen.

Sie lässt ihre Jacke mit ihrer Geldbörse absichtlich im Lehrerzimmer liegen und lässt heimlich die Kamera ihres Laptops laufen. Das Ergebnis zeigt deutlich, dass Ali unschuldig ist. Die Sache ist aber dennoch äußerst bestürzend, denn sie setzt eine unkontrollierbare Kettenreaktion in Gang. Carla, die sich von ihrem lobenswerten Gerechtigkeitssinn leiten ließ, hat es nun mit Intrigen, Vorverurteilungen und Psychoterror zu tun. Sie versucht standhaft zu vermitteln, sitzt aber längst zwischen allen Stühlen.

Der Berliner Regisseur Ilker Catak („Es gilt das gesprochene Wort“) hat sich des Mikrokosmos Schule angenommen, in dem er unsere Gesellschaft, im Guten wie im Bösen, darin widerspiegelt und einen wendungsreichen Thriller mit Elementen eines Horrorfilms daraus gemacht. Großartig gelungen sind ihm die Szenen mit den vielen Kindern und die Besetzung seiner Hauptdarstellerin, die beste Noten verdient. Absolut sehenswert.

Ulrike Schirm


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"OINK" Lustiger und spannender Stop-Motion-Puppentrickfilm von Mascha Halberstad, liebevoll inszeniert für die kleinen Kinobesucher*innen. (Niederlande / Belgien; 73 Min. Prädikat: Besonders wertvoll) Seit 4. Mai 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die neunjährige Babs hasst Metzger. Sie ist Vegetarierin und fasst es nicht, dass Tiere getötet werden. In dem Ort, in dem sie lebt, findet ein jährlicher Würstchenwettbewerb statt. Wer wird Würstchenkönig? Zwei Metzger wurden disqualifiziert, weil Rattenschwänze in ihren Würsten verarbeitet wurden. Babs hat den Pokal des Fleischers absichtlich heruntergeworfen, der hat daraufhin ihr Skateboard einbehalten. Da taucht auf einmal ihr Großvater Tuitjes vor der Haustür auf und will sich in ihrer Hütte breitmachen, die Babs mit ihrem besten Freund Tijn bewohnt. Er kommt aus Amerika, hat einen riesigen Koffer mitgebracht und will für längere Zeit bleiben. Dreist stellt er sich unter die Dusche und singt ein Lied über Blutwurst und Würstchen, denn er ist überhaupt nicht erbaut, dass es in Babs Familie kein Fleisch gibt. Tjin und Babs hoffen, dass er schnell wieder verschwindet. Sie empfinden ihn als Eindringling. Er ist der Vater ihrer Mutter, der damals einfach verschwand.

Babs hat bald Geburtstag. Vielleicht ist in dem großen Koffer ein Geschenk für sie?

Sie ist überglücklich, dass der Opa ihr ein echtes Ferkel schenkt. Eigentlich hätte sie gerne einen Welpen, aber weil das nicht geht, da ihr Vater eine Hundehaar-Allergie hat, freut sie sich über das rosige Ferkel und nennt es OINK. Noch ahnt sie nicht, was ihr Großvater, der vor Jahren bei dem Wurstwettbewerb disqualifiziert wurde, im Schilde führt. Sie darf Oink behalten, wenn einige Regeln eingeführt werden, die ihre Mutter bestimmt. Ihr Opa meint, dass Oink viel fressen, spielen und schlafen soll. Er ist sehr darauf bedacht, Oink ständig zu wiegen. Im Gegensatz zu Tijn, mag Babs ihren Großvater plötzlich sehr. Ihr Freund hingegen beäugt ihn mit Misstrauen. Heimlich öffnet er den Koffer und entdeckt eine Fleischwolfmaschine. Als er Tuitjes zur Rede stellt, faselt der irgendetwas von seinem Hobby, Würste aus Lakritze und Erdnüssen herzustellen.

Der Junge glaubt ihm nicht.

Als der Opa plötzlich abreist und das süße Ferkel einfach mitnimmt, erzählt Babs Mutter ihrer Tochter die Geschichte von Opa, wie er so einfach aus ihrem Leben verschwunden ist, nachdem er nach einem Streit mit einem Fleischer vom Wurstwettbewerb ausgeschlossen wurde. Da schon wieder ein Wurstwettbewerb von der „Gesellschaft für Fleischerzeugnisse von frischen Schweinen“ ansteht, ahnt Babs Familie Böses. Sie setzen alles Mögliche in Bewegung, um das Schlimmste zu verhindern. Der Marktschreier verkündet einen neuen Wettbewerb. Der Opa ist mit Oink unter dem Arm auf der Flucht. Was sich Opa dann leistet, „schlägt dem Fass den Boden aus“.

Babs ist schlau genug, sich zu rächen. Dieser Stop-Motion-Puppentrickfilm ist lustig und spannend zugleich. Und nicht nur das, sondern auch mit ganz viel Liebe in Szene gesetzt. Ein Erlebnis für die jungen Kinobesucher*innen, das ohne erhobenen Zeigefinger erzählt wird.

"OINK" hat mit Recht das Prädikat: Besonders wertvoll erhalten.

Ulrike Schirm


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"PIAFFE" Erotisches Experimentaldrama der israelischen Künstlerin Ann Oren über die animalische Verwandlung ihrer Protagonistin bei der Vertonung eines Werbespots. (Deutschland, 2022; 86 Min.) Mit Simone Bucio, Sebastian Rudolph, Simon(é) Jaikiriuma Paetau und als Gast der Videokünstler Bjørn Melhus. Nach der Weltpremiere auf dem A-Filmfestival von Locarno jetzt bei uns seit dem 4. Mai 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Eva (Simone Bucio) ist für ihre psychisch erkrankte große Schwester Zara (Simon(é) Jaikiriuma Paetau) bei einer Filmproduktion als Geräuschemacherin eingesprungen. Sie vertont mit verschiedenen Dingen, wie Sand, Steinen und Stiefeln einen Werbefilm für Antidepressiva. Darin sieht man einen Film mit einer Dressurreiterin auf einem Pferd, bei einer sogenannten Piaffe, einer Trabbewegung auf der Stelle. Ihr Kunde (der Berliner Videokünstler Bjørn Melhus) ist nicht zufrieden mit der Arbeit der introvertierten Eva und so stürzt sie sich immer stärker in die Verhaltensweise eines Pferdes und dessen Geräusche, um es so authentisch wie möglich nachzuahmen und wird ihm dabei immer ähnlicher, bis ihr sogar ein Pferdeschweif aus ihrem Steißbein wächst.

In ihrem Debütfilm „Piaffe“ spielt die israelische Künstlerin Ann Oren (wohnhaft in Berlin) mit den Begriffen Körper und Identität. Sie ist Künstlerin und Filmemacherin und lebt in ihren Filmen und Videoinstallationen oft die Grenze zwischen Pflanze, Tier und Mensch aus.

In diesem Fantasy-Drama handelt es sich um eine Geräuschemacherin mit einem Pferdeschweif, den das sexuelle Verlangen des Botanikers und Farnfetischisten Nowak (Sebastian Rudolph) weckt: „Farne haben eine komplexe Sexualität. Mit Eiern und Sporen könnten sie sich selbst befruchten“, erklärt er ihr. Man zählt die rätselhaften Pflanzen zu sogenannten „Hermaphroditen“. Wir werden zum Zuschauer von bizarren Fesselspielen zwischen Eva und dem Botaniker. Es geht um Lust und Wahnsinn, ausstaffiert mit surrealen bis hin zu märchenhaften Elementen. Außerdem nimmt uns dieser außergewöhnliche “Kunstfilm“ mit seinen absichtlich grobkörnigen Bildern und Unschärfen mit in den Botanischen Garten, in die Hufeisensiedlung, in den KitKatClub und eine Nervenheilanstalt in Berlin.

„Selten hat man im Kino eine so freie, undefinierte Erotik gesehen“. Ein surrealistischer Einblick in das Anderssein. In Locarno gefeiert als sinnliches Meisterwerk gefeiert und mit dem Preis der Jugendjury ausgezeichnet. Sinnlich und rätselhaft zugleich. Aber auch ein Film, der polarisiert und verstört.

Ulrike Schirm


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