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Hilft ein freiwilliger "Code of Conduct" der Filmbrache?

Die Filmförderung des Bundes sieht keine sozialen Standards vor. Ausufernde Überstunden sind seit Jahrzehnten ein bekanntes Problem und dazu kommen auch noch Belästigung und Gewaltexzesse.



Bei Crew United, dem Netzwerk aller Filmschaffenden vor und hinter der Kamera, Produktionsfirmen, Dienstleister*innen sowie Agenturen, wird über Probleme bei gemeinsamen Filmen nichts geschrieben. Es ist eigentlich auch nicht deren Aufgabe, während eine zuständige Ministerin erst aus einem Artikel des Spiegel Magazins hellhörig wurde und vorher angeblich von nichts wusste?

Aktionsplan gegen Belästigung.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth will nun aber konsequenter gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in Kultur und Medien vorgehen. Dazu soll unter Federführung des Deutschen Kulturrates mit Branchenvertretern bis zum Frühsommer ein Verhaltenskodex als freiwillige Selbstverpflichtung erarbeitet werden, so Roth.

Sollte dieser "Code of Conduct" dann innerhalb von zwei bis drei Jahren von den Unternehmen und Verbänden nicht umgesetzt werden, sollten Arbeitsschutzregeln verbindlich in staatliche Förderverträge etwa für Filmproduktionen geschrieben werden, erklärte Roth.


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Auch Überstunden sind an deutschen Filmsets die Regel.

Am Set der zehnteiligen deutsche Krimiserie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Regisseur Dominik Graf aus dem Jahre 2010 brodelte es leise, aber beständig. Jeden Tag fielen etliche Überstunden an. Dominik Graf setzte Szenen an, die nicht im Drehbuch standen.

Nach gut einem Monat hatte die Crew genug vom Stress. Sie wissen, die weiteren Monate, die sie am Set stehen sollen, werden über ihre Kräfte gehen. Sie schalteten das Berliner Amt für Arbeitsschutz ein. Es legt den Dreh für einige Wochen still. Erst nach zähen Verhandlungen über eine Nachfinanzierung und einem neuen Drehplan ging es weiter.

Die Schuld wurde vor 15 Jahren öffentlich beim Produzenten und seiner unerfahrenen Producerin gesucht. In der Branche wussten es die Verantwortlichen besser. Erfahrene Produzenten kümmern sich persönlich um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften bei Dreharbeiten von Regisseuren, bei denen solche Eskapaden bekannt sind.

Die Befürchtung von Crewmitgliedern von „Im Angesicht des Verbrechens“, nach dem Gang zum Amt für Arbeitsschutz künftig nicht mehr beschäftigt zu werden, erwies sich als falsch. Das lässt zumindest eine Stichprobe zu den Head of Departments auf dem Portal Crew United vermuten. Trotzdem scheint sich die Möglichkeit, Gewerkschaften, Interessenvertretungen und vor allem den Arbeitsschutz bei solchen Problemen einzuschalten, nicht herumgesprochen zu haben.

Pranger für Til Schweiger statt Suche nach den Ursachen.

Der Dreh des aktuellen Filmes „Manta Manta – Zwoter Teil“ unter der Regie von Til Schweiger ging ebenfalls immer weiter, die Betroffenen meldeten sich erst Monate später beim Nachrichtenportal „Der Spiegel“. Hoffentlich nicht zu ihrem eigenen Nachteil, denn beim Informantenschutz des Magazins wurde unprofessionell geschludert, weil eine Gesprächspartnerin für Dritte sehr leicht identifizierbar war, nachdem es einen Unfall gab, zu dessen Ursachen und Verantwortlichkeiten jetzt prozessiert wird.

Bei Crew United ist dies zwar nicht erkennbar, um die Mitarbeiter zu schützen. Dafür wachsen aber jetzt Spekulationen ins Kraut.

Claudia Roths Bashing ist inakzeptabel.

Trotz der handwerklichen Mängel erfolgte ein öffentlicher Aufschrei, schon lange ist Til Schweiger für viele eine Hassfigur. Mit einigen Tagen Verzögerung stimmte auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth in den Chor der Kritiker ein:

„Und ich sage ganz deutlich: Auch künstlerische Genies – oder angeblich künstlerische Genies – stehen nicht über Recht und Gesetz“, sagte Roth laut „Spiegel Online“ am 2. Mai 2023 in Berlin.


Die Breitseite sollte sitzen. Geht aber nach hinten los. Die Grünen-Politikerin macht sich durch den persönlichen Angriff auf Regisseur und Produzent Til Schweiger selbst unglaubhaft. Spätestens bei der nächsten Aufzählung von Publikums-Erfolgen des deutschen Films wird sie dankbar sein für die schon jetzt mehr als eine Million Zuschauer des Films von Til Schweiger.

Und sie verharmlost das Problem, wenn sie weiter ausführt:

„Die Zeiten patriarchalischer Macker, die ihre Machtposition in übelster Form ausnutzen, sollten wirklich vorbei sein. Auch wenn das offenkundig noch nicht alle verstanden haben.“

Um nicht missverstanden zu werden, Alkoholmissbrauch oder verbale Übergriffe sind nicht zu tolerieren. Bei zahlreichen Set-Visits, vor Jahren auch bei Til Schweiger, habe ich (die Autorin des Textes, die Red.) beides bei ihm nie und insgesamt selten erlebt.


Nachtrag der BAF-Redaktion:
Am Freitag, den 5. Mai 2023, gibt Martin Moszkowic, Chef der Produktionsfirma Constantin Film, zu, dass Til Schweiger wirklich auf dem Set gewalttätig wurde und einen seiner Mitarbeiter tatsächlich angegriffen hat, wie die Berliner Zeitung hier schrieb. Auch Schauspielerin Nora Tschirner widerspricht Behauptungen des Constantin-Chefs, sie habe sich in den vergangenen Jahren gegen untragbare Zustände bei Constatin Film nicht gewehrt, wie auf Spiegel Kultur am 6. Mai 2023 berichtet wird.

Auch der Regieverband (BVR) kritisiert den Constantin-Chef scharf, wie der Spiegel am 10. Mai 2023 hier nachlegte.


Missstände mit System.

Doch es gab immer cholerische Regisseure, die wie kleine Diktatoren am Set wüteten. Und es gab vor allem Frauen, die nein sagten und gingen. Die anderen Missstände, die der Artikel schildert, sind bis auf wenige Ausnahme Alltag in Deutschland, wie auch Schauspielerin Caroline Peters über Zustände an Filmsets auf der Kulturseite des Spiegels gestern schilderte. Produzentin Nina Maag spricht in der „Süddeutschen Zeitung“ sogar von der Spitze eines Eisbergs.

So war ein mittlerweile verstorbener Produzent dafür bekannt, dass er mit unfertigen Drehbüchern den Startschuss gab. Regisseur, Autor oder befreundete Filmschaffende saßen dann in der Nacht und schrieben. Ebenso sind Veränderungen an den Büchern an der Tagesordnung. Last but not least gab es immer wieder schwere Unfälle – nicht nur von unerfahrenen Assistenten. Erinnert sei nur an den Sturz von Josef Vilsmaier am ersten Drehtag von „Der letzte Zug“. 14 Tage standen die Dreharbeiten still, dann übernahm seine Frau Dana Vavrova.

Schwammige gesetzliche Vorgaben im Filmfördergesetz.

Eine Filmförderung des Bundes sei damit verbunden, dass geltende Arbeitszeit- und Arbeitsschutzrichtlinieneingehalten werden müssten, so Claudia Roth jetzt, nachdem der Spiegel am 29.04.2023 darübergeschrieben hatte. Die entsprechende Paragraf 67 ist indes butterweich formuliert und lässt ein riesiges Schlupfloch zu:

„Der Hersteller des Films muss die FFA darüber informieren, ob auf das für die Produktionsdauer des Films beschäftigte Personal ein Branchentarifvertrag anwendbar ist oder auf anderem Weg die Einhaltung sozialer Standards vereinbart wurde.“

Dies gilt ausdrücklich nur für die Projektförderung. Ob die Regel auch für die Referenzfilmförderung gilt, auf die Til Schweiger vornehmlich zurückgreifen kann, ist im FFG nicht geregelt.

Aber vor allem, es wird nicht kontrolliert. Geschweige denn die Nichteinhaltung sanktioniert. Die Statistik im Geschäftsbericht der FFA 2021 spricht für sich. Von 193 von 2017 bis 2021 geförderten Filmen in der Projektförderung rechneten nur 113 überhaupt ab, ob sie die Regeln anwenden. Nur bei 62 Projekten, also einem Drittel, gaben die Produzenten an, dass sie Tarifverträge einhielten.

Sinkende und gleichbleibende Budgets führen zu Stress.

Ver.di und die Verbände der Filmschaffenden hatten seinerzeit den Rückenwind nach den publik gewordenen Auswüchsen am Set von „Im Angesicht des Verbrechens“ genutzt, um ein Regelwerk mit der Begrenzung von Arbeitsstunden am Tag, Bezahlung von Überstunden und Ruhezeiten auszuhandeln.

Geändert hat sich nicht viel, auch weil immer knapper werdende Budgets die Hetze am Set verstärken. Ein durchschnittlicher „Tatort“ hat heute zwei bis drei Drehtage weniger als noch vor 15 Jahren. Und es gibt eine weitere Regelung, die Gewerkschaften und Produzentenverbände beschlossen, die das Interesse an Überstunden anheizt:

Für die Sozialversicherungen werden Überstunden auf Drehtage umgerechnet. Diese Regelungen wurden vor knapp 20 Jahren eingeführt, als die Bundesregierung den Zugang von Filmschaffenden zum Arbeitslosengeld im Zuge der Hartz-IV-Reformen massiv erschwerte. Sie brauchten plötzlich mehr Drehtage, um Leistungen zu erhalten. Gleichzeitig sind sie als Angestellte während des Drehs verpflichtet, Beiträge zu entrichten.

Die Vereinbarung knüpft an die Sonderregelung ALG-1 für Künstler und Publizisten an. mit der die damalige CDU/CSU/SPD- Bundesregierung ein kompliziertes Regelwerk geschaffen, dass Gewerkschaften und Verbände seit Jahren kritisieren. Die versprochene Evaluierung bleibt seit Jahren aus. Unter Claudia Roth ist sie vollkommen in Vergessenheit geraten.

Mentalitätswechsel dringend erforderlich.

Dass es auch anders geht, beweist seit Jahren Christian Petzold und sein Produzent Florian Koerner von Gustdorf. Schauspieler haben auszuschlafen, so der Regisseur. Mit ihnen zieht er sich am Vormittag zu Proben zurück, dann wird konzentriert gedreht. Am frühen Abend ist der Arbeitstag meist beendet.

Es braucht fundamentale Veränderungen, um dies zum Standard zu machen und die Mentalität zu ändern. Die Idee von Claudia Roth, die Zahl der Filmproduktionen einzudämmen und die verbleibenden Filme mit höheren Budgets auszustatten, gehört zu den ersten Schritten. Sie lindert nebenbei auch das Problem fehlender Fachkräfte an deutschen Filmsets. Der Zuschauer wird es nicht merken, die Kinos werden aufatmen, wenn weniger Filme entstehen.

Nur Regisseure und Produzenten, von denen Deutschland in den vergangenen Jahren viel zu viele ausgebildet hat, werden sich mit diesem Vorschlag nur schwer anfreunden können.

von Katharina Dockhorn

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Am 02.05.2023, haben Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutsche Kulturrates im Beisein von Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes und der Vorstandsvorsitzenden der Themis, der unabhängigen Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche, Eva Hubert, im Bundeskanzleramt den Aktionsplan "Respektvoll Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien" vorgestellt.

Der Aktionsplan ist vor der Causa Til Schweiger erarbeitet worden, hat aber durch die jüngsten Veröffentlichungen noch einmal an Aktualität gewonnen.

„Wir müssen deswegen im Kultur- und Medienbereich mit besonders wachen Augen auf die Strukturen schauen und auf eine Kultur hinarbeiten, in der sich alle ohne Angst vor sexualisierter Gewalt und Belästigung künstlerisch entfalten und ihre Arbeit machen können“, so Claudia Roth.

Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, sagte:

„Wir werden mit einem breiten Bündnis aus Verbänden und Organisationen einen Verhaltenskodex für die Kultur- und Medienbranche erarbeiten. Dafür werden wir einen Verständigungsprozess innerhalb der Branchen anstoßen und moderieren. Dabei sollen Handlungsanleitungen für ein respektvolles Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien entwickelt werden."


„Je konkreter so ein Kodex formuliert ist und je klarer die Konsequenzen bei Verstößen sind, desto besser“, sagte Ferda Ataman dazu.


An diesem Dialogprozess sollen Verbände aus dem Kultur- und Mediensektor, angefangen von den Verbänden der Künstlerinnen und Künstler, der Beschäftigten der Kultureinrichtungen, der Kultur- und Kreativwirtschaftsunternehmen, der Kultureinrichtungen, der kulturellen Bildung und Ausbildung für Kulturberufe bis zu den Kulturvereinen, teilnehmen. Alle künstlerischen Bereiche werden erfasst von der Musik, der darstellenden Kunst und des Tanzes, der Literatur, der bildenden Kunst, der Baukultur und Denkmalkultur, des Designs, des Films und der audiovisuellen Medien sowie der Soziokultur und kulturellen Bildung.

Es soll insbesondere erörtert werden, welche Spezifika des Kultur- und Mediensektors ggf. einen möglichen Machtmissbrauch begünstigen und wie dem gezielt entgegengewirkt werden kann.

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, wird den Prozess moderieren, regelmäßig darüber informieren, die Ergebnisse bündeln und zusammenführen sowie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

Der Auftakt ist Anfang Juni geplant. Die Ergebnisse werden vor dem Sommer 2024 vorgelegt werden.

Link: www.kulturrat.de

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