Meldungen aus der Filmbranche - Berlinale Neuanfang kontrovers diskutiert
Nachdem dutzende Filmschaffende einen "Neuanfang" für die Berlinale forderten, haben sowohl die Filmförderungsanstalt als auch die Filmwirtschaft Berlinale-Chef Dieter Kosslick verteidigt.
Führende deutsche Filmemacher des Regieverbandes (BVR - Bundesverband der Film- und Fernsehregisseure) forderten vor wenigen Tagen einen Neuanfang für die Berlinale.
Anlass für die Erklärung ist die Suche nach einem Nachfolger für den Chef der Internationalen Filmfestspiele, Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft.
Hier die Erklärung exklusiv auf SPIEGEL ONLINE.
Die Erklärung umfasst nur fünf Sätze. Doch die Worte, mit denen sich jetzt 79 Regisseurinnen und Regisseure an die Öffentlichkeit wenden, um auf eine Neuausrichtung der Berlinale zu drängen, dürften noch lange für Nachhall in der deutschen Filmbranche sorgen.
Zum einen ziehen die Filmschaffenden eine klägliche Bilanz der Ära Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft; zum anderen plädieren sie für ein völlig neues Verfahren, um den Nachfolger oder die Nachfolgerin für den noch amtierenden Berlinale-Chef zu finden. Das Fazit der Erklärung: "Es darf so nicht weitergehen!"
Getragen wird die Erklärung von einer neuen Allianz aus etablierten und aufstrebenden Filmschaffenden über die Generationen und Genres hinweg, von Dokumentarfilmern, Kinolegenden und Fernsehpionieren, neuem deutschen Film, Berliner Schule und German Mumblecore - und nicht zuletzt, das dürfte besonders schmerzhaft für die bisherige Festivalleitung sein, von Bären-Gewinnern wie Fatih Akin, Christian Petzold oder Maren Ade.
Ein Name fehlt allerdings: Tom Tykwer ist in der Liste nicht dabei. Er wurde von Dieter Kosslick zum Präsidenten der internationalen Jury bei der Berlinale 2018 berufen. Seine "Babylon Berlin"-Co-Regisseure Achim von Borries und Henk Handloegten haben dagegen die Erklärung unterzeichnet.
Anlass für die Erklärung ist die Suche nach einem Nachfolger für den Berlinale-Chef Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft. Für die Wahl der nächsten Festivalleitung ist die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) verantwortlich.
Studio-Babelsberg-Vorstände brechen Lanze für Dieter Kosslick.
Inzwischen haben aber mehrere Filmemacher wie Dominik Graf, Andreas Dresen und Jeanine Meerapfel, sich gegen den Missbrauch ihrer Petition gewehrt. Und Institutionen wie die Filmförderungsanstalt (FFA) oder auch das Studio Babelsberg, als Vertreter der Filmwirtschaft, haben sich ebenfalls hinter Berlinale-Chef Dieter Kosslick gestellt und ihn verteidigt, denn seine Verdienste um den deutschen Film mit drei Goldenen Bären, 30 Silbernen und fünf Alfred Bauer-Preise in 17 Jahren sprechen eine andere Sprache.
Bernd Neumann, Präsident der Filmförderungsanstalt FFA hält die Kritik für "überzogen und ungerecht."
Auch die 19 Mitgliedsverbände der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) erklären sich mit Kosslick solidarisch. SPIO-Präsident Alfred Holighaus hat unter Kosslick jahrelang und erfolgreich die Berlinale-Sektion »Perspektive Deutsches Kino« geleitet und dort jungen neuen Filmemachern ein Forum gegeben.
Darüber hinaus zeigen die die Studio-Babelsberg-Vorstände Christoph Fisser und Charlie Woebcken in einer Stellungnahme zwar Verständnis für den Wunsch der Filmemacherinnen und Filmemacher nach einer transparenten Debatte um die zukünftige Struktur und Neuausrichtung der Berlinale, erklären aber auch, dass sie die Kritik an Kosslicks Person "in keiner Weise nachvollziehen können".
Auch Kosslick selbst hatte Verständnis für den Wunsch nach einem transparenten Prozess und einer Neugestaltung der Berlinale geäußert. Er werde dem Wunsch des Aufsichtsrats, einen Vorschlag zu einer möglichen Neuausrichtung der Berlinale zu unterbreiten - völlig unabhängig von seiner Person - nachkommen, ließ Kosslick verlauten. Allerdings fürchtet der Berlinale-Chef Kollateralschäden durch die aktuellen Debatte.
Dieter Kosslick holte Wieland Speck in sein Programm-Team.
Immerhin hatte Kosslick kürzlich Wieland Speck, den bisherigen langjährigen Leiter der Panorama-Sektion, in sein Wettbewerbsteam geholt, um kleine Veränderungen einzuleiten. Das Panorama wurde von vielen oft als die bessere Festival-Sektion benannt. Grund waren u.a. herausragende Independent Produktionen, die kurz vor der Berlinale beim US-Festival Sundance liefen, aber nicht im offiziellen Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurden.
Tatsächlich erlauben die Statuten eines A-Filmfestivals - wie der Berlinale - dies aber nicht. Dort dürfen nur echte Weltpremieren gezeigt werden. Da schon drei Monate nach der Berlinale das bedeutendere Festival von Cannes startet, ist die Filmauswahl des Weltmarktes für die Berlinale zudem begrenzt. Schon vor zwei Jahren hatte Gilles Jacob, Leiter des Festivals von Cannes, gesagt, dass es auch ihm schwer gefallen war, den Wettbewerb mit guten Filmen zu bestücken.
Was will der Regieverband bezwecken?
Die Kritik der Regisseure ist vielleicht auch deren Eitelkeit geschuldet. Während sich die Produzenten über ihren Verband, der Produzentenallianz, häufiger zu Wort melden und immer wieder Kritik an der deutschen Filmförderung üben, kommen die Regisseure und Regisseurinnen mit ihren Ansichten deutlich weniger in den Medien vor.
Doch was will der Regieverband mit seinen Forderungen wirklich erreichen? Ein zweites Filmfest München? Dann dürfte die Berlinale von Platz drei der A-Filmfestivals bald in der Versenkung verschwinden.
Wie wir gestern unter dem Titel »Kinojahr 2017 erfolgreicher als erwartet« schrieben, überschwemmt der deutsche Film geradezu den Markt und verstopft die Kinoleinwände derzeit mit eher mittelmäßigen Produktionen. Auch viele weniger überzeugende französische Komödien drängen in diesem Jahr vermehrt auf den deutschen Filmmarkt, während US-Produktionen zwar weiterhin die Charts anführen, insgesamt aber weniger Produktionen als in den Vorjahren zeigen.
Deutsche cineastisch interessante Filme wie zuletzt Maren Ades "Toni Erdmann", der in Cannes lief, oder Nicolette Krebitz' "Wild", den Berlinale Chef Dieter Kosslick 2016 gern gezeigt hätte, aber nicht bekam, weil das US-Sundance Film Festival ihn wegschnappte, gehören zu den Minderheiten des hochrangigen Weltfilms. Alles andere was in Deutschland produziert wird, hat nur selten Chancen auf A-Festivals wie Cannes oder Venedig gezeigt zu werden. Warum sollte die Berlinale dann diese Filme spielen? Man würde sich im internationalen Vergleich nur lächerlich machen.
Richtig ist allerdings, dass Nebensektionen wie Kosslicks kulinarische Filmsektion oder die seltsame Sektion der indigenen Filme das Festival ein wenig aufgebläht haben. In dieser Hinsicht könnte man über eine Entschlackungskur nachdenken. Allerdings warten dann schon die Serienfilme auf mehr Berücksichtigung, obwohl es für diese Art der TV- und Streaming-Filme bereits andere internationale Festivals gibt, die sich auf TV-Filme und ähnliches spezialisiert haben.
Was wir brauchen ist weniger Einmischung der Fernsehredaktionen bei der Umsetzung von gut gemeinten Drehbüchern, denn das Ergebnis, das in den Kinos unter der Beteiligung von Fernsehanstalten gezeigt wird, unterscheidet sich kaum von einem mittelmäßigen Tatort-Krimi. Mitte Februar kommt beispielsweise der Thriller "LUNA" von Khaled Kaissar ins Kino, der genau nach diesem Strickmuster gestaltet wurde. Es geht um eine 17-jährige, deren Eltern vor ihren Augen von einer russischen Maffia ermordet werden. Und den Rest des Films über wird nun auch sie sowohl vom BND wie auch von ausländischen Mächten verfolgt. Hier der Trailer:
Was wir brauchen sind künstlerisch anspruchsvolle Werke voller Widersprüche, die sich nicht in eine Schublade pressen lassen. Erst dann würde auch der deutsche Film vielleicht wieder mehr Anerkennung auf dem Weltmarkt finden und ggf. auch die deutsche Mittelschicht wieder ansprechen. Mit deutschen Publikumsrennern wie "Fack Ju Göhte" kommt man auf dem internationalen Markt nicht weiter und verprellt einen Großteil des heimischen Publikums, das mehr kulturelle Highlights sehen will und deshalb derzeit zur Französischen Filmwoche Berlin nicht nur in Komödien, sondern auch in anspruchsvolle Filme aus Belgien, Québec und der Schweiz ins Cinema Paris am Ku'damm massenhaft strömt.
Eine wahre Entdeckung mit der jungen 22-jährigen Daphné Patakia als "DJAM", einem Film von Tony Gatlif, lief dort am Sonntagabend. Das Publikum hat begeistert die Hauptdarstellerin bejubelt. Der Film kommt Ende April 2018 in unsere Kinos. Hier der Trailer:
Ein weiterer Höhepunkt ist Valérie Massadians Langfilmdebut "Milla", der auf dem Filmfest Locarno den Spezialpreis der Jury bekam. Das in bedächtigem Tempo geschnittene und wunderschön fotografierte Jugenddrama erzählt von einer 17-jährige Ausreißerin, die mit ihrem Freund in einem verlassenen kleinen Haus an der Küste Unterschlupf findet. Hier der Trailer:
Auch Verleiherverband hält die Kritik für unfair und unangebracht.
Rückendeckung für Kosslick kommt jetzt auch vom Verband der Filmverleiher (VdF). In einer vom VdF-Geschäftsführer Johannes Klingsporn sowie den Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands, Martin Bachmann, Vincent de La Tour, Oliver Koppert und Peter Sundarp unterzeichneten Stellungnahme zeigt man zwar durchaus Verständnis "für den Wunsch nach einer transparenteren Debatte um die zukünftige Struktur und Ausrichtung der Berlinale"; das "derzeitige Bashing und die daraus resultierende vermeintliche Kritik an dem Berlinale-Festivaldirektor Dieter Kosslick" sei jedoch nicht nur unfair, sondern auch völlig unangebracht. Schließlich sei es Kosslick dank seiner exzellenten internationalen Kontakte gelungen, die Berlinale als eines der vier wichtigsten Filmfestivals der Welt zu etablieren.
Offensichtlich war der offene Brief an Monika Grütters ein lanciertes und lang geplantes, abgekartetes Spiel gewesen, für das einige Regisseure sogar blind unterschrieben hatten und jetzt ihr böses Erwachen erleben. Dazu passt auch eine Meldung, dass nach der Harvey Weinstein-Affaire nun auch Dieter Kosslick angeblich sexistische Annäherungsversuche nachgesagt wurden, die aber wohl unhaltbar sind und ihn nur diskreditieren sollten.
Nachtrag:
Diskussionsrunde zum Thema "Filmfestivals heute".
Gestern Abend, den 4.12.2017, debattierte Kulturstaatsministerin Monika Grütters öffentlich im Haus der Kulturen der Welt (HKW) mit Regisseuren, Filmschaffenden und der Tagesspiegel-Kulturchefin Christiane Peitz über die Zukunft der Berlinale.
Mehr als 400 Filme aus aller Welt und knapp eine halbe Million verkaufter Kinotickets sind die Eckwerte über die gesprochen werden sollte. Nach dem Brandbrief der Regisseure zu urteilen, sollte die Berlinale mit der Nachfolge des 2019 scheidenden Dieter Kosslick in der Größe abspecken und dafür die Qualität steigern. Doch im Vergleich nehmen auch andere internationale Filmfestivals eher an Größe zu. Deshalb war das Diskussionsrunde auch ziemlich allgemein gefasst und lief unter dem Thema "Filmfestivals heute".
UPDATE:
Von unserer Korrespondentin, Katharina Dockhorn, haben wir eine kurze Zusammenfassung vom Ergebnis des gestrigen Abends im Laufe des Nachmittags zugeschickt bekommen. Die Diskussion brachte offensichtlich zwei Erkenntnisse. Endlich setzt die amtierende Kulturministerin eine Findungskommission ein, aber nur aus den Reihen des Aufsichtsratsgremiums - plus Rat von außen. Ansonsten ist Einmischung von außen nicht gewünscht. Und zweitens redete man dem Wunsch Dieter Kosslicks zu Munde, eine Doppelspitze aus künstlerischem und wirtschaftlichem Direktor zu bilden. Wie in Cannes, damit das Programm besser wird. Leider sprach aber keiner an, warum die Filme der Kritisierenden es kaum in den Wettbewerb schaffen.
Darüber hinaus hatte Christiane Peitz, die Kulturchefin des Tagesspiegels, vorab in der heutigen Online-Ausgabe ihrer Zeitung mit Regisseur Christoph Hochhäusler gesprochen, der einer der Unterzeichner des Aufrufs war. Während der Diskussionsrunde soll Peitz aber nicht mehr so verständnisvoll gewesen sein, und den ebenfalls auf dem Podium sitzenden Regisseur Hochhäusler wegen seiner Haltung zu dem Brandbrief verbal wieder angegriffen haben.
Am 5. Dezember 2017 tagt der Berlinale-Aufsichtsrat unter der Leitung der Staatsministerin für Kultur und Medien. Zu diesem Termin ist Dieter Kosslick gebeten worden, seine Ideen für eine mögliche Neustrukturierung vorzustellen.
Am Abend wurde bekannt, dass Kosslick nach 2019 nicht mehr für ein Amt bei der Berlinale zur Verfügung stehen wird. Vermutlich wird es ohne seine Person zukünftig eine Gewaltenteilung geben mit einer Chefin oder Chef für die Filmkunst und wie in Cannes oder Venedig üblich, mit einer weiteren Person fürs Gesellschaftliche und fürs Geschäftliche. Erst im kommenden Jahr soll unter Grütters Leitung, sofern sie ihren Posten nach einer möglichen neuen Regierungskonstellation noch inne hat, eine Entscheidung getroffen werden. Zwei neue Namen aus der internationalen Festivalwelt ohne internationale Findungskommission aufzutreiben, dürfte allerdings schwierig sein.
Quellen: 3sat | Spiegel | Tagesspiegel | Blickpunkt:Film
Führende deutsche Filmemacher des Regieverbandes (BVR - Bundesverband der Film- und Fernsehregisseure) forderten vor wenigen Tagen einen Neuanfang für die Berlinale.
In einer Erklärung, die auf "Spiegel Online" veröffentlicht wurde, verlangen 79 Regisseurinnen und Regisseure, "das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken". Zu den Unterzeichnern gehören Fatih Akin, Dominik Graf, Maren Ade, Volker Schlöndorff, Andreas Dresen, Caroline Link, Simon Verhoeven und Rosa von Praunheim.
Anlass für die Erklärung ist die Suche nach einem Nachfolger für den Chef der Internationalen Filmfestspiele, Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft.
Hier die Erklärung exklusiv auf SPIEGEL ONLINE.
"Die Berlinale ist eines der drei führenden Filmfestivals weltweit. Die Neubesetzung der Leitung bietet die Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken. Wir schlagen vor, eine internationale, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzte Findungskommission einzusetzen, die auch über die grundlegende Ausrichtung des Festivals nachdenkt. Ziel muss es sein, eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen. Wir wünschen uns ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang."
Die Erklärung umfasst nur fünf Sätze. Doch die Worte, mit denen sich jetzt 79 Regisseurinnen und Regisseure an die Öffentlichkeit wenden, um auf eine Neuausrichtung der Berlinale zu drängen, dürften noch lange für Nachhall in der deutschen Filmbranche sorgen.
Zum einen ziehen die Filmschaffenden eine klägliche Bilanz der Ära Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft; zum anderen plädieren sie für ein völlig neues Verfahren, um den Nachfolger oder die Nachfolgerin für den noch amtierenden Berlinale-Chef zu finden. Das Fazit der Erklärung: "Es darf so nicht weitergehen!"
Getragen wird die Erklärung von einer neuen Allianz aus etablierten und aufstrebenden Filmschaffenden über die Generationen und Genres hinweg, von Dokumentarfilmern, Kinolegenden und Fernsehpionieren, neuem deutschen Film, Berliner Schule und German Mumblecore - und nicht zuletzt, das dürfte besonders schmerzhaft für die bisherige Festivalleitung sein, von Bären-Gewinnern wie Fatih Akin, Christian Petzold oder Maren Ade.
Ein Name fehlt allerdings: Tom Tykwer ist in der Liste nicht dabei. Er wurde von Dieter Kosslick zum Präsidenten der internationalen Jury bei der Berlinale 2018 berufen. Seine "Babylon Berlin"-Co-Regisseure Achim von Borries und Henk Handloegten haben dagegen die Erklärung unterzeichnet.
Hier die Liste der Unterzeichner:
Maren Ade, Fatih Akin, Irene von Alberti, Thomas Arslan, Anne Zohra Berrached, Bettina Böhler, Hermann Bohlen, Jan Bonny, Jutta Brückner, Dietrich Brüggemann, Florian Cossen, Ebbo Demant, Doris Dörrie, Andreas Dresen, Maximilian Erlenwein, Katrin Gebbe, Stephan Geene, Hans W. Geißendörfer, Almut Getto, Ulrich Gerhardt, Hans-Dieter Grabe, Dominik Graf, Valeska Grisebach, Henk Handloegten, Thomas Heise, Sonja Heiss, Benjamin Heisenberg, Christoph Hochhäusler, Barbara Junge, Winfried Junge, RP Kahl, Fred Kelemen, Barbara Klemm, Ulrich Köhler, Nicolette Krebitz, Lars Kraume, Michael Krummenacher, Jakob Lass, Tom Lass, Aron Lehmann, Caroline Link, Max Linz, Pia Marais, Jeanine Meerapfel, Elfi Mikesch, Franz Müller, Peter Nestler, Asli Özge, Christian Petzold, Hans Helmut Prinzler, Lola Randl, Axel Ranisch, Edgar Reitz, Michael Ruetz, Helke Sander, Thomas Schadt, Sebastian Schipper, Volker Schlöndorff, Hans-Christian Schmid, Jan Schomburg, Maria Schrader, Robert Schwentke, Christian Schwochow, Jan Soldat, Hans Steinbichler, Oliver Sturm, Isabel ŠSuba, Sven Taddicken, Tamara Trampe, Georg Stefan Troller, Simon Verhoeven, Achim von Borries, Julia von Heinz, Rosa von Praunheim, Margarethe von Trotta, Nicolas Wackerbarth, Christian Wagner, Henner Winckler, David Wnendt
Anlass für die Erklärung ist die Suche nach einem Nachfolger für den Berlinale-Chef Dieter Kosslick, dessen Vertrag 2019 ausläuft. Für die Wahl der nächsten Festivalleitung ist die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) verantwortlich.
Unterstützung aus dem politischen Raum signalisierten die Grünen:
Der Berliner Abgeordnete Daniel Wesener, bis zum letzten Jahr Landesvorsitzender, erinnerte an das Beispiel Volksbühne. "Jüngste Berliner Erfahrungen deuten darauf hin, dass man sich mit etwas mehr Transparenz und Partizipation bei der Neubesetzung von Intendanzen und künstlerischen Leitungen eine Menge Ärger ersparen kann", schrieb er bei Twitter. Um die Berufung von Chris Dercon als Nachfolger des langjährigen Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf hatte es monatelang Streit gegeben.
Studio-Babelsberg-Vorstände brechen Lanze für Dieter Kosslick.
Inzwischen haben aber mehrere Filmemacher wie Dominik Graf, Andreas Dresen und Jeanine Meerapfel, sich gegen den Missbrauch ihrer Petition gewehrt. Und Institutionen wie die Filmförderungsanstalt (FFA) oder auch das Studio Babelsberg, als Vertreter der Filmwirtschaft, haben sich ebenfalls hinter Berlinale-Chef Dieter Kosslick gestellt und ihn verteidigt, denn seine Verdienste um den deutschen Film mit drei Goldenen Bären, 30 Silbernen und fünf Alfred Bauer-Preise in 17 Jahren sprechen eine andere Sprache.
Bernd Neumann, Präsident der Filmförderungsanstalt FFA hält die Kritik für "überzogen und ungerecht."
"Dieter Kosslick hat die Berlinale zu dem gemacht hat, was sie heute ist: eines der bedeutendsten Filmfestivals weltweit mit exzellentem Ruf und von hoher Anziehungskraft! Sie ist das größte Publikumsfestival der Welt mit rund 350.000 zahlenden Kinobesuchern und 18.000 akkreditierten Fachbesuchern - und somit auch ein enormer Wirtschaftsfaktor für die Hauptstadt und Deutschland. Kosslick hat die Berlinale zu einem Festival entwickelt, das für internationale aber insbesondere auch deutsche Filme als hervorragendes Sprungbrett gilt", so Neumann weiter.
Auch die 19 Mitgliedsverbände der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) erklären sich mit Kosslick solidarisch. SPIO-Präsident Alfred Holighaus hat unter Kosslick jahrelang und erfolgreich die Berlinale-Sektion »Perspektive Deutsches Kino« geleitet und dort jungen neuen Filmemachern ein Forum gegeben.
Darüber hinaus zeigen die die Studio-Babelsberg-Vorstände Christoph Fisser und Charlie Woebcken in einer Stellungnahme zwar Verständnis für den Wunsch der Filmemacherinnen und Filmemacher nach einer transparenten Debatte um die zukünftige Struktur und Neuausrichtung der Berlinale, erklären aber auch, dass sie die Kritik an Kosslicks Person "in keiner Weise nachvollziehen können".
Ihre Stellungnahme im Wortlaut:
"Wir verstehen den Wunsch der Filmemacherinnen und Filmemacher nach einer transparenten Debatte um die zukünftige Struktur und Neuausrichtung der Berlinale. Jedoch können wir die vorherrschende Kritik an Festivaldirektor Dieter Kosslick in keiner Weise nachvollziehen.
Dieter Kosslick hat es in den vergangenen 16 Jahren mit viel Energie und Engagement geschafft, die Berlinale zu einem weltweit angesehen A-Festival zu etablieren. Wir befinden uns im stetigen Austausch mit Filmemachern auf der ganzen Welt. Aus internationaler Perspektive hat die Berlinale insbesondere durch die Person Dieter Kosslick einen immens hohen Stellenwert erlangt und den Filmstandort Berlin-Brandenburg und insgesamt Deutschland außerordentlich aufgewertet. Aus persönlicher Erfahrung wissen wir um das hervorragende Netzwerk, das sich Dieter Kosslick in der internationalen Filmbranche aufgebaut hat.
Einmal im Jahr treffen sich die wichtigsten Akteure der internationalen Filmindustrie in Berlin. Hervorzuheben ist dabei der European Film Market der Berlinale, der mittlerweile als einer der wichtigsten Treffpunkte für Filmemacher hinsichtlich der Präsentation und Entwicklung zukünftiger Projekte gilt. Die Initiative Berlinale Talents, die wir seit Jahren unterstützen, ist zudem eine wichtige Plattform für den Filmnachwuchs, die das Know-how im Bereich zukünftiger digitaler Filmtechniken stark voranbringt.
Der Grund, warum US-Filme, die als Oscar-Kandidaten eingestuft werden, selten auf der Berlinale ihre Weltpremieren feiern, ist aus unserer Sicht vorwiegend der Februar-Terminierung geschuldet, da die Filme bis zum 31. Dezember in den US-Kinos veröffentlicht werden müssen, um den Nominierungsregularien der Academy of Motion Picture Arts and Sciences zu entsprechen.
Wir sind Dieter Kosslick sehr dankbar für seine Arbeit, seine Leidenschaft und sein Herzblut für den Film."
Auch Kosslick selbst hatte Verständnis für den Wunsch nach einem transparenten Prozess und einer Neugestaltung der Berlinale geäußert. Er werde dem Wunsch des Aufsichtsrats, einen Vorschlag zu einer möglichen Neuausrichtung der Berlinale zu unterbreiten - völlig unabhängig von seiner Person - nachkommen, ließ Kosslick verlauten. Allerdings fürchtet der Berlinale-Chef Kollateralschäden durch die aktuellen Debatte.
Dieter Kosslick holte Wieland Speck in sein Programm-Team.
Immerhin hatte Kosslick kürzlich Wieland Speck, den bisherigen langjährigen Leiter der Panorama-Sektion, in sein Wettbewerbsteam geholt, um kleine Veränderungen einzuleiten. Das Panorama wurde von vielen oft als die bessere Festival-Sektion benannt. Grund waren u.a. herausragende Independent Produktionen, die kurz vor der Berlinale beim US-Festival Sundance liefen, aber nicht im offiziellen Wettbewerb der Berlinale gezeigt wurden.
Tatsächlich erlauben die Statuten eines A-Filmfestivals - wie der Berlinale - dies aber nicht. Dort dürfen nur echte Weltpremieren gezeigt werden. Da schon drei Monate nach der Berlinale das bedeutendere Festival von Cannes startet, ist die Filmauswahl des Weltmarktes für die Berlinale zudem begrenzt. Schon vor zwei Jahren hatte Gilles Jacob, Leiter des Festivals von Cannes, gesagt, dass es auch ihm schwer gefallen war, den Wettbewerb mit guten Filmen zu bestücken.
Was will der Regieverband bezwecken?
Die Kritik der Regisseure ist vielleicht auch deren Eitelkeit geschuldet. Während sich die Produzenten über ihren Verband, der Produzentenallianz, häufiger zu Wort melden und immer wieder Kritik an der deutschen Filmförderung üben, kommen die Regisseure und Regisseurinnen mit ihren Ansichten deutlich weniger in den Medien vor.
Doch was will der Regieverband mit seinen Forderungen wirklich erreichen? Ein zweites Filmfest München? Dann dürfte die Berlinale von Platz drei der A-Filmfestivals bald in der Versenkung verschwinden.
Wie wir gestern unter dem Titel »Kinojahr 2017 erfolgreicher als erwartet« schrieben, überschwemmt der deutsche Film geradezu den Markt und verstopft die Kinoleinwände derzeit mit eher mittelmäßigen Produktionen. Auch viele weniger überzeugende französische Komödien drängen in diesem Jahr vermehrt auf den deutschen Filmmarkt, während US-Produktionen zwar weiterhin die Charts anführen, insgesamt aber weniger Produktionen als in den Vorjahren zeigen.
Deutsche cineastisch interessante Filme wie zuletzt Maren Ades "Toni Erdmann", der in Cannes lief, oder Nicolette Krebitz' "Wild", den Berlinale Chef Dieter Kosslick 2016 gern gezeigt hätte, aber nicht bekam, weil das US-Sundance Film Festival ihn wegschnappte, gehören zu den Minderheiten des hochrangigen Weltfilms. Alles andere was in Deutschland produziert wird, hat nur selten Chancen auf A-Festivals wie Cannes oder Venedig gezeigt zu werden. Warum sollte die Berlinale dann diese Filme spielen? Man würde sich im internationalen Vergleich nur lächerlich machen.
Richtig ist allerdings, dass Nebensektionen wie Kosslicks kulinarische Filmsektion oder die seltsame Sektion der indigenen Filme das Festival ein wenig aufgebläht haben. In dieser Hinsicht könnte man über eine Entschlackungskur nachdenken. Allerdings warten dann schon die Serienfilme auf mehr Berücksichtigung, obwohl es für diese Art der TV- und Streaming-Filme bereits andere internationale Festivals gibt, die sich auf TV-Filme und ähnliches spezialisiert haben.
Was wir brauchen ist weniger Einmischung der Fernsehredaktionen bei der Umsetzung von gut gemeinten Drehbüchern, denn das Ergebnis, das in den Kinos unter der Beteiligung von Fernsehanstalten gezeigt wird, unterscheidet sich kaum von einem mittelmäßigen Tatort-Krimi. Mitte Februar kommt beispielsweise der Thriller "LUNA" von Khaled Kaissar ins Kino, der genau nach diesem Strickmuster gestaltet wurde. Es geht um eine 17-jährige, deren Eltern vor ihren Augen von einer russischen Maffia ermordet werden. Und den Rest des Films über wird nun auch sie sowohl vom BND wie auch von ausländischen Mächten verfolgt. Hier der Trailer:
Was wir brauchen sind künstlerisch anspruchsvolle Werke voller Widersprüche, die sich nicht in eine Schublade pressen lassen. Erst dann würde auch der deutsche Film vielleicht wieder mehr Anerkennung auf dem Weltmarkt finden und ggf. auch die deutsche Mittelschicht wieder ansprechen. Mit deutschen Publikumsrennern wie "Fack Ju Göhte" kommt man auf dem internationalen Markt nicht weiter und verprellt einen Großteil des heimischen Publikums, das mehr kulturelle Highlights sehen will und deshalb derzeit zur Französischen Filmwoche Berlin nicht nur in Komödien, sondern auch in anspruchsvolle Filme aus Belgien, Québec und der Schweiz ins Cinema Paris am Ku'damm massenhaft strömt.
Eine wahre Entdeckung mit der jungen 22-jährigen Daphné Patakia als "DJAM", einem Film von Tony Gatlif, lief dort am Sonntagabend. Das Publikum hat begeistert die Hauptdarstellerin bejubelt. Der Film kommt Ende April 2018 in unsere Kinos. Hier der Trailer:
Ein weiterer Höhepunkt ist Valérie Massadians Langfilmdebut "Milla", der auf dem Filmfest Locarno den Spezialpreis der Jury bekam. Das in bedächtigem Tempo geschnittene und wunderschön fotografierte Jugenddrama erzählt von einer 17-jährige Ausreißerin, die mit ihrem Freund in einem verlassenen kleinen Haus an der Küste Unterschlupf findet. Hier der Trailer:
Auch Verleiherverband hält die Kritik für unfair und unangebracht.
Rückendeckung für Kosslick kommt jetzt auch vom Verband der Filmverleiher (VdF). In einer vom VdF-Geschäftsführer Johannes Klingsporn sowie den Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands, Martin Bachmann, Vincent de La Tour, Oliver Koppert und Peter Sundarp unterzeichneten Stellungnahme zeigt man zwar durchaus Verständnis "für den Wunsch nach einer transparenteren Debatte um die zukünftige Struktur und Ausrichtung der Berlinale"; das "derzeitige Bashing und die daraus resultierende vermeintliche Kritik an dem Berlinale-Festivaldirektor Dieter Kosslick" sei jedoch nicht nur unfair, sondern auch völlig unangebracht. Schließlich sei es Kosslick dank seiner exzellenten internationalen Kontakte gelungen, die Berlinale als eines der vier wichtigsten Filmfestivals der Welt zu etablieren.
Offensichtlich war der offene Brief an Monika Grütters ein lanciertes und lang geplantes, abgekartetes Spiel gewesen, für das einige Regisseure sogar blind unterschrieben hatten und jetzt ihr böses Erwachen erleben. Dazu passt auch eine Meldung, dass nach der Harvey Weinstein-Affaire nun auch Dieter Kosslick angeblich sexistische Annäherungsversuche nachgesagt wurden, die aber wohl unhaltbar sind und ihn nur diskreditieren sollten.
Nachtrag:
Diskussionsrunde zum Thema "Filmfestivals heute".
Gestern Abend, den 4.12.2017, debattierte Kulturstaatsministerin Monika Grütters öffentlich im Haus der Kulturen der Welt (HKW) mit Regisseuren, Filmschaffenden und der Tagesspiegel-Kulturchefin Christiane Peitz über die Zukunft der Berlinale.
Mehr als 400 Filme aus aller Welt und knapp eine halbe Million verkaufter Kinotickets sind die Eckwerte über die gesprochen werden sollte. Nach dem Brandbrief der Regisseure zu urteilen, sollte die Berlinale mit der Nachfolge des 2019 scheidenden Dieter Kosslick in der Größe abspecken und dafür die Qualität steigern. Doch im Vergleich nehmen auch andere internationale Filmfestivals eher an Größe zu. Deshalb war das Diskussionsrunde auch ziemlich allgemein gefasst und lief unter dem Thema "Filmfestivals heute".
UPDATE:
Von unserer Korrespondentin, Katharina Dockhorn, haben wir eine kurze Zusammenfassung vom Ergebnis des gestrigen Abends im Laufe des Nachmittags zugeschickt bekommen. Die Diskussion brachte offensichtlich zwei Erkenntnisse. Endlich setzt die amtierende Kulturministerin eine Findungskommission ein, aber nur aus den Reihen des Aufsichtsratsgremiums - plus Rat von außen. Ansonsten ist Einmischung von außen nicht gewünscht. Und zweitens redete man dem Wunsch Dieter Kosslicks zu Munde, eine Doppelspitze aus künstlerischem und wirtschaftlichem Direktor zu bilden. Wie in Cannes, damit das Programm besser wird. Leider sprach aber keiner an, warum die Filme der Kritisierenden es kaum in den Wettbewerb schaffen.
Darüber hinaus hatte Christiane Peitz, die Kulturchefin des Tagesspiegels, vorab in der heutigen Online-Ausgabe ihrer Zeitung mit Regisseur Christoph Hochhäusler gesprochen, der einer der Unterzeichner des Aufrufs war. Während der Diskussionsrunde soll Peitz aber nicht mehr so verständnisvoll gewesen sein, und den ebenfalls auf dem Podium sitzenden Regisseur Hochhäusler wegen seiner Haltung zu dem Brandbrief verbal wieder angegriffen haben.
Am 5. Dezember 2017 tagt der Berlinale-Aufsichtsrat unter der Leitung der Staatsministerin für Kultur und Medien. Zu diesem Termin ist Dieter Kosslick gebeten worden, seine Ideen für eine mögliche Neustrukturierung vorzustellen.
Am Abend wurde bekannt, dass Kosslick nach 2019 nicht mehr für ein Amt bei der Berlinale zur Verfügung stehen wird. Vermutlich wird es ohne seine Person zukünftig eine Gewaltenteilung geben mit einer Chefin oder Chef für die Filmkunst und wie in Cannes oder Venedig üblich, mit einer weiteren Person fürs Gesellschaftliche und fürs Geschäftliche. Erst im kommenden Jahr soll unter Grütters Leitung, sofern sie ihren Posten nach einer möglichen neuen Regierungskonstellation noch inne hat, eine Entscheidung getroffen werden. Zwei neue Namen aus der internationalen Festivalwelt ohne internationale Findungskommission aufzutreiben, dürfte allerdings schwierig sein.
Quellen: 3sat | Spiegel | Tagesspiegel | Blickpunkt:Film
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