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Fünf lange Filmbesprechungen zu aktuellen Kinostarts

Nur mit gemischten Gefühlen veröffentlichen wir u.a. die Kritik zum neuen Nicolas-Cage-Film, denn dieser Egomane hat in letzter Zeit zu viele trashige Filme gemacht.



Mit einer Vorführung der Dokumentation "Loudmouth" über den Prediger und US-Bürgerrechter Al Sharpton ist gestern das Tribeca Film Festival in New York zu Ende gegangen. Wie es hieß basiert der Film auf einem Interview mit dem 67-Jährigen und schildert seinen Kampf für soziale Gerechtigkeit - in Fortsetzung von Martin Luther King Jr., Malcolm X und des Abgeordneten John Lewis.

Der Regisseur Spike Lee, ein langjähriger Freund, lobte den Bürgerrechtler für sein Durchhaltevermögen. Die Regie führte Josh Alexander.

Ganz so politisch geht es bei den aktuellen Kinostarts nicht zu. Wir geben dennoch ein paar Tipps und wünschen gute Unterhaltung im Kino.

Übrigens Gewinner des US Narrative Feature Film Awards wurde das Coming-of-age Drama "GOOD GIRL JANE" von Sarah Elizabeth Mintz (USA). Publikumsgewinner wurde der Debüt-Spielfilm "Our Father, The Devil" von Regisseurin Ellie Foumbi.

Link: www.tribecafilm.com

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"A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe" Romanze von Nicolette Krebitz, die im Wettbewerb der 72. Berlinale 2022 lief (Deutschland / Frankreich). Mit Sophie Rois, Udo Kier, Milan Herms u.a. seit 16. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Auszug aus einem Interview mit Nicolette Krebitz: (Tagesspiegel, 13.6.2022)

„AEIOU- DAS SCHNELLE ALPHABET DER LIEBE ist auch eine Hommage an West-Berlin-mit der Paris Bar als Kulisse. Ich feiere die West-Berliner Grandezza, diesen kaputten Glamour und auch die Unverschämtheit meiner Heimatstadt. Man konnte für wenig Geld ein sehr gutes Leben in West-Berlin führen. Dadurch entstand so etwas Lautes, Polterndes, was bis nachmittags schläft und dann im Café rumsitzt und schrille Kunst erfindet. In Schöneberg, Kreuzberg und Charlottenburg leben diese Leute immer noch in ihren riesigen Altbauwohnungen mit den alten Mietverträgen und man hat das Gefühl, die Mauer wäre nie gefallen“.

Ulrikes Filmkritik:
(Eine Amour fou zwischen einer älteren Schauspielerin und einem Noch-Teenager in einer schrillen Zeit West-Berlins.)

Die sechzigjährige Anna (Sophie Rois), einst erfolgreiche Schauspielerin, wankt aus der Paris-Bar, als ihr ein junger Typ die Tasche wegreißt. Ein junges Mädchen rennt ihm hinterher, so kam die Tasche wieder zu Anna zurück, nur das Portemonnaie fehlt. Sie erzählt die Geschichte ihrem Hausbesitzer und väterlichen Freund Michel (Udo Kier), dem sie noch einige Mieten schuldet.

Ein befreundeter Arzt vermittelt ihr einen jungen Mann, der aus schwierigen, sozialen Verhältnissen stammt und dem sie Sprachunterricht geben soll. Große Lust dazu hat sie nicht, doch dann gibt sie nach. Vor ihrer Wohnungstür steht Adrian (Milan Herms), der Junge, der mit ihrer Tasche weggerannt ist. Sie einigen sich darauf, dass er Dienstag und Donnerstag zum Sprechunterricht kommt. Der Junge, der schon bei verschiedenen Pflegeeltern gelebt hat und bei dem es mit der Schule nicht so richtig geklappt hat, möchte Schauspieler werden.

Er überrascht Anna mit zwei Wellensittichen, die er ihr mitbringt. Dann schenkt er ihr eine neue Tasche aber nur, wenn sie die alte wegwirft. Magisch fühlen sich die beiden Außenseiter zueinander hingezogen. Dank ihrer Hilfe hat Adrian es geschafft, auf der Bühne zu stehen. Adrian hat sich längst in die 30 Jahre ältere Anna verliebt und beide sind in einer unkonventionellen Beziehung gelandet, wobei Anna es mit gesellschaftlichen Vorurteilen zu tun hat. Eigentlich hatte sie mit der Liebe abgeschlossen. Anna und Adrian reisen nach Frankreich. Anna fühlt sich frei, wie noch nie und legt die gesellschaftlichen Benimmregeln ab. Adrian entwickelt eine lässige Kleinkriminalität, an der beide Spaß haben. Am Roulette-Tisch wird sie festgenommen. Sie denkt nicht dran, Adrian bei der Polizei zu verraten. Einen Anruf hat sie. Sie ruft Michel an, der lacht.

Morgens werden die Obdachlosen vom Strand gejagt. So auch Adrian.

Dass Nicolette Krebitz sich was traut, hat sie schon mit ihrem Film „Wild“ bewiesen. Hier schildert sie eine Amour fou zwischen einer älteren Frau und einem Teenager, die sich ihre außergewöhnliche Romanze nicht kaputt machen lassen. Das kann man gut finden oder aber mit dem Kopf schütteln. Wer auf Verrücktheit steht, wird für diese Liebe Verständnis haben. Nicht ohne Grund hat Krebitz ihre Geschichte ins alte West-Berlin gepackt. Lieber mal etwas Verrücktes tun, als zu versauern.

Ulrike Schirm


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"ZWISCHEN UNS" Familiendrama von Max Fey um den 13-jährigen, autistischen Felix (Deutschland 2020er Jahre). Mit Liv Lisa Fries, Jona Eisenblätter, Thure Lindhardt u.a. seit 16. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Erzählt wird eine Geschichte von einer starken Frau und ihrem Sohn. Das Publikum wird mitten hinein geworfen in ein Drama, in dem eine junge, alleinerziehende Mutter, sie heißt Eva Meukow und wird gespielt von Liv Lisa Fries, alles daran setzt, dass ihr autistischer Sohn Felix, ca. 13 Jahre alt, ihn spielt Jona Eisenblätter, möglichst normal aufwachsen kann. Wobei dieses Normal das Normal der Regel-Gesellschaft ist. Und die ist auf Felix nicht ausgerichtet. In der Schule kann der Lehrkörper nicht auf ihn und seine Bedürfnisse entsprechend eingehen und die Mitschüler und Mitschülerinnen, nun Kinder können grausam sein. Immer wieder muss Eva ihren Arbeitsplatz verlassen, um zur Schule zu eilen. Eva wird irgendwann gekündigt. Es wundert kein Stück. Was verwundert, ist, warum sie keine Hilfe bekommt, warum sie nicht um Hilfe bittet. Das heißt, vielleicht hat sie das getan. Für die Schule bekommt Felix eine Begleitung gestellt. Die Sozialarbeiterin Elena Winkler (Lena Urzendowsky) ist offen und engagiert, Felix eine Hilfe und für die anderen eine Vermittlerin zu sein. Das Drehbuch fasst ihre Hilfe jedoch zu kurz, schiebt ihre Möglichkeiten ins Abseits und bringt vielmehr den coolen Nachbarn Pelle (Thure Lindhardt) ins Spiel.

So weit die Prämisse des Dramas des Langspielfilmdebütanten Max Fey, der zuvor viel im Schnitt gearbeitet hatte. "Zwischen uns" ist ein gut gemeinter Film, der allerdings die Hürden, denen er zwangsläufig begegnet, nicht meistern kann. Regie und Drehbuch, hier zusammen mit Michael Gutmann, erzählen die Geschichte aus einer männlichen Perspektive. Das wäre legitim, wenn wir zahlreiche Geschichten über Mutterschaft eines autistischen Kindes aus weiblicher Sicht kennen würden. Das tun wir nicht. Ja und wenn jetzt jemand den Vergleich zu "Systemsprenger" einbringt. Nein. "Zwischen uns" ähnelt "Systemsprenger" nur in so fern, dass ein Kind für die Gesellschaft ein Problem ist. Mal davon ab, das eigentlich die "Gesellschaft" für Felix das Problem ist und das Drehbuch nicht einmal ansatzweise nach Lösungen sucht. Weil das auch schwierig wäre, weil unsere Welt ganz tief drinnen eben jemanden wie Felix ausgrenzt. Aber "Zwischen uns" handelt gar nicht so sehr von Felix, sondern von Eva.

Eva ist eine Mutter, die sich stark macht, die engelsgleiche Geduld aufbringt, die immer wieder in die Ecke getrieben wird, die trotzdem kämpft. Eine Vorgeschichte gibt es nicht. Es gibt keinen Vater, keine Angehörigen, keine Freunde. Eva hat scheinbar niemand. Warum? Wie kam es dazu? Wie oft ist sie verzweifelt? Wie oft hat sie die Welt zusammengebrüllt, wie oft wollte sie einfach nicht mehr? Das erzählt der Film nicht. Eva ist keine fühlbare Persönlichkeit, sie hat keinerlei Interessen, Hobbies, Vorlieben, das Publikum wird sich nicht mit ihr identifizieren, denn es kann nicht mit ihr mitfühlen. Eva ist so, wie das Patriarchat Frauen haben will. Das wäre ein Ideal, mit der die Realität bekanntlich nicht mithalten kann. Noch einmal: Warum bekommt sie keine Hilfe? Warum verfolgt das Drehbuch nicht die Option, zu zeigen, was eine Sozialhelferin einbringen kann? Warum fällt dem Drehbuch nichts anderes ein, als einen Nachbarn aus dem Hut zu zaubern, der ganz ohne Bemühungen Eindruck auf Felix macht und Eva, wenn es darauf ankommt, retten kann?

"Zwischen uns" hinterlässt Bedauern um die verschenkte Möglichkeit, eine Frau, keine starke Frau, keine heilige Frau, sondern eine Frau mit Bedürfnissen und Gefühlen, in der Falle der Gesellschaft zu zeigen und vielleicht dabei auf den Grund zu gehen, was in unserer Gesellschaft falsch läuft. Das wäre dann allerdings ein anderer Film.

Elisabeth Nagy


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"MASSIVE TALENT" Action-Komödie von Tom Gormican (USA). Mit Nicolas Cage, Pedro Pascal, Neil Patrick Harris u.a. seit 16. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Der exzentrische Schauspieler Nicolas Cage in einer Selbstironie über seinen Charakter.)

Schauspieler Nicolas Cage startete seine Karriere einst mit ziemlich guten Rollen. In letzter Zeit dann nur noch Trash, um seine Schulden zu bezahlen. Und dann wurde es still um ihn.

In der spaßigen Action-Komödie „Massive Talent“ und Hollywood-Satire macht sich der Schauspieler mit viel Selbstironie über seinen Charakter lustig und das macht er meisterhaft, indem er die Tragik seiner eigenen Vita thematisiert.

Eigentlich hat Nick (Cage) gehofft eine neue Rolle zu bekommen, damit seine Frau und Tochter endlich wieder stolz auf ihn sein können. Teure Rechnungen müssen bezahlt werden und die Alimente für seine Ex sind auch überfällig. Doch beim Casting hat man ihn übergangen. Seine Vorsprechperformance hat den Regisseur abgeschreckt. Enttäuscht überlegt er, mit der Schauspielerei aufzuhören. Um die Schulden endlich zu bezahlen, nimmt er das Angebot, auf Mallorca als Stargast bei dem Millionär Javi Gutierrez (Pedro Pascal), der seinen Geburtstag feiert und ein Fan von ihm ist, aufzutreten. Eigentlich ein Job unter seiner Würde aber die Kohle stimmt. Er freundet sich mit dem reichen Geschäftsmann an, der mit ihm einen Film drehen will. Doch dann wird er widerwillig von der CIA zum Informanten rekrutiert, denn hinter Javis charmanter Gastgeberfassade soll ein skrupelloser Waffenhändler stecken, der in seiner Villa die entführte Tochter eines Politikers versteckt. Die beiden CIA-Agenten reden ihm ein, dass nur er ihnen helfen könne. Und wie gehabt, landet er in einem typischen B-Movie.

Es macht Spaß, Javi und Nick zuzuhören, wie sie über ihre Lieblingsfilme reden und Zitate zum besten geben. Es entbrennt ein Wortgefecht über den Kinderfilm „Paddington 2“, das damit endet, dass beide heulend vor dem Fernseher sitzen. In dieser Fiktion seiner selbst, taucht zwischendrin der digital verjüngte Nick aus seiner gefeierten Hollywood-Phase auf und redet ihm ins Gewissen: „Du bist kein Schauspieler, du bist ein verdammter Filmstar“.

Mit entwaffnender Ehrlichkeit karikiert sich Cage selbst, in dem von Tom Gormican tragisch-komisch gedrehten Mix aus Wahrheit und Fiktion.

Ulrike Schirm


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"PRESS PLAY AND LOVE AGAIN" Musik-Zeitreise-Drama von Greg Björkman (USA). Mit Clara Rugaard, Lewis Pullman, Lyrica Okano u.a. seit 16. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Kann Musik wie eine Zeitmaschine funktionieren?)

Laura (Clara Rugaard) und Harrison (Lewis Pullman) sind frisch verliebt und verbringen einen zauberhaften Sommer miteinander. Sie haben große Freude daran, sich ein ganz persönliches Mixtape mit Liedern, die sie miteinander verbinden, zusammenzustellen und sich immer wieder daran zu erinnern. Doch dann erleidet Harrison einen furchtbaren Verkehrsunfall.

Es dauert vier Jahre bis Laura nach seinem plötzlichen Tod, das Mixtape erneut wieder abzuspielen, als sie entdeckt, dass ihre gemeinsamen Lieblingssongs, sie tatsächlich in die Vergangenheit reisen lassen können. Plötzlich landet sie wieder in Harris Armen.

„Es klingt verrückt, ich kann durch die Zeit reisen. Meine Zeitmaschine ist unser Mixtape. Ich bin immer da, wo das Lied auf dem Tape gerade spielt. Und wenn ich zurückspule, können wir die Ereignisse vielleicht verändern, eventuell auch deinen Tod.“

Das etwas märchenhafte Drama, mit seinen charmanten Hauptdarstellern, wird von der Frage bestimmt: „Ist die Zukunft unausweichlich oder haben wir ein Mitspracherecht?“. Die Songauswahl auf dem Tape ist gut getroffen.

Thank you for the music.

Ulrike Schirm


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"EINE DEUTSCHE PARTEI" Dokumentation von Simon Brückner über die Entwicklung der Partei „Alternative für Deutschland“ (Deutschland, Berlinale Special Programm 2022). Seit 16. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Hinter den Kulissen der AfD)

Drei Jahre lang hat der Regisseur Simon Brückner (Buch, Regie und Kamera) die AfD begleitet.

„Ich möchte euch kennenlernen wie ihr seid und möchte mehr über euch erfahren, denn ihr seid mir ein Rätsel“. Unzählige Stunden hat er zwischen 2019 und 2021 seine Kamera mitlaufen lassen.

Er ist bei den nicht öffentlichen Fraktionssitzungen dabei, auf Parteitagen, im Bundestag , der Neuköllner AfD Fraktion und geht mit ihnen auf Reisen.

Er kehrt nicht den Journalisten heraus sondern bleibt ein respektvoller Beobachter, obwohl er sich Dinge anhören muss, die einen sprachlos machen. Bei dem Blick hinter die Kulissen, sehen und hören wir eine zutiefst zersplitterte Partei. Ein Sammelbecken unterschiedlichster Menschen.

Demagogen und Taktierer begegnen gekränkten Konservativen und ihr Aufbegehren gegen ein „dekadentes Establishment“. In manchen Sitzungen begegnet ihm eine lähmende Ratlosigkeit und auch gegenseitiges Misstrauen, als der Berliner AfD-Politiker Frank Christian Hansel, der übrigens der Meinung ist, dass ein Dokumentarfilm der Partei nicht schaden kann, vermutet sein Gegenkandidat auf dem Parteitag, hat sich dafür bezahlen lassen, um ihn „platt zu machen“.

Pressetext: „Simon Brückner kam als Regisseur und Kameramann seinen Protagonisten während der Dreharbeiten so nah, wie es Journalisten in der alltäglichen Berichterstattung nicht möglich ist. Das Außergewöhnliche an diesem Film ist der exklusive Zugang zu zahlreichen Politikern und Gremien auf allen Ebenen der AfD. Dabei arbeitet der Film ohne Interviews und Kommentare und fordert somit das Publikum heraus, sich selbst ein Bild zu machen. Er bietet eine komplexe Erfahrung in einer sonst verschlossenen Welt.“

Die Bilder sprechen für sich.

Ulrike Schirm


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