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Unsere Filmkritiken zu drei Kinostarts in der 32. Woche 2022

Trotz großer Hitze und Urlaubszeit, starteten letzte Woche drei Filme in den Kinos, die wir nachträglich noch besprechen wollen, denn Jordan Peeles "NOPE" muss man auf der großen Leinwand sehen.



"Nope", der verzweifelte Slang-Ausruf eines amerikanischen Farmers heißt soviel wie "Nö", oder nein, um Gottes Willen, bitte nicht. Regisseur Jordan Peele verwendet ihn erst recht spät in seinem epischen Werk, das von vielen als Horror Film bezeichnet wird, jedoch gespickt ist mit Science-Fiction Elementen, womit sein Film auf eine Stufe mit Werken von Christopher Nolan liegt.

Tatsächlich gibt es Parallelen. Beide drehen ihre Werke fast nur auf besten 65 mm Filmmaterialien, nicht mal digital, und teilweise sogar im noch größeren IMAX-Format. Filme also, die sich nicht genau klassifizieren lassen und allein von Ihrer gewaltigen Wucht, mit der das Material auf überdimensionale Leinwände geworfen wird, durchaus auch Cineasten ansprechen können.

Wir sehen in dem Film sogar ein Gleichnis mit den Unbilden von Naturgewalten, die durch den Klimawandel stetig zunehmen und vermehrt furchtbare Katastrophen mit Taifunen und Tornados auslösen. Letztere können unverhofft aus Wolkengebilden herab zur Erde dringen, sich wahnsinnig schnell fortbewegen und mit ihrem Rüssel alles aufsaugen was sich am Boden befindet. Für die Beteiligten wahrhaftig ein Horror, dem kaum jemand ungeschoren entgehen kann.

Früher konnte man solche Naturphänomene nicht erklären und glaubte an außerirdische Kräfte. Davon handelt der Film, obwohl alles einen natürlichen Ursprung hat, der aber nur schwer zu besiegen ist.

"NOPE" Thriller von Jordan Peele (USA). Mit Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Steven Yeun u.a. seit 11. August 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Hier Ulrikes Sicht der Dinge in ihrer Filmkritik:

Ort der Handlung dieses Horrorspektakels ist ein Tal irgendwo im Westen der USA. Hier betreiben die Geschwister OJ und Emerald Haywood eine Pferderanch auf der sie seit mehreren Generationen diese hochsensiblen Tiere für Filmaufnahmen trainieren.

Am Anfang des Films kommt ihr Vater Otis (Keith David ) bei einem merkwürdigen Unfall ums Leben. Er wird von einem Geldstück, das vom Himmel fällt, tödlich getroffen.

Für OJ ist es nicht leicht, die Pferdefarm alleine weiter zu führen. Seine Schwester Emerald (Keke Palmer) ist ihm keine besonders große Hilfe. Hinzu kommt, dass durch die fortschreitende Digitaltechnik echte Tiere durch Trickaufnahmen ersetzt werden können.

OJ (Daniel Kaluuya) hofft auf Hilfe seines Nachbarn Ricky (Stephen Yeun), der in der Nähe einen kleinen Vergnügungspark, aufgebaut wie eine Westernstadt, betreibt. Über ihnen braut sich in Form einer Wolke, die nicht mehr verschwinden will, etwas Mysteriöses zusammen. Da Pferde ein weiteres Blickfeld als Menschen haben, auch einen leistungsfähigeren Gehör- und Geruchssinn, sind sie als Fluchttiere darauf programmiert, Gefahr frühzeitig zu erkennen. Sie galoppieren fluchtartig davon, im Gegensatz zu OJ und den anderen, die als Showbusiness erprobte Menschen, eine neue Geldquelle wittern. Dieses merkwürdige, an einen Ufo erinnerndes, Metallstücke fallen lassendes Gebilde muss gefilmt werden.

Emerald, OJ und der junge Videoüberwachungsspezialist Angel (Brandon Perea) installieren auf den Dächern der Ranch Kameras, die gen Himmel gerichtet sind. Eines ist klar, seit diese Wolke über der Hollywood-Ranch nördlich von Los Angeles steht, geht nichts mehr mit rechten Dingen zu. Die Elektrik im Haus funktioniert nicht mehr so, wie sie sollte.

Um ganz sicher zu gehen, holen sie noch den legendären Kameramann Antlers Holst (Michael Wincott), der für ein gutes Bild sogar sein Leben aufs Spiel setzen würde, dazu.

"NOPE" balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Horror und Comedy.

Zunächst wirkt Jordan Peeles neuer Film wie eines von vielen Science-Fiction Abenteuern. Menschen müssen sich irgendwelchen Monstern oder außerirdischen Invasionen stellen, ein immer wiederkehrendes Dauerthema seit „Alien“, „Der weisse Hai“ u.v.m. Die Protagonisten in diesem Spektakel wollen nur eines: Gelungene Videos des merkwürdigen Ufos drehen, um mit dem Erlös ihre Pferderanch zu sanieren. Doch das ist für Jordan Peele zu wenig.

Er liefert eine Mischung aus Science-Fiction, Western-Feeling und Satire. Er sucht nach Gründen für unsere Gier am Spektakel, für unsere Bildersucht. Als Symbol wählt er die schrecklichen Air-Dancer, diese bunten aufblasbaren Winke-Winke-Figuren, die am Straßenrand stehen und Kunden in Ricks Vergnügungspark locken sollen, Gummigestalten, die für inhaltsloses Entertainment stehen.

Diese 70 Millionen-Dollarproduktion ist mehr als ein Horrorfilm. In "NOPE", was so viel wie „Nö“ heißt, geht es auch um Respekt.

Oscar-Gewinner Daniel Kaluuyas und Peeles zweite filmische Zusammenarbeit, hat mich zum Fan dieses Schauspielers gemacht. Mir fällt niemand ein, der so cool und so lässig, fast phlegmatisch und mit einer bewundernswerten Trägheit sich in seine Rolle fügt, egal, was um ihn herum passiert. Auf dem Rücken seiner Pferde, ist davon dann nichts mehr übrig. Wenn man ihm ins Gesicht schaut, verrät sein unterschiedlicher Blick, weitaus mehr als seine Körperhaltung. Dafür ist Palmers Präsenz das genaue Gegenteil von Kaluuya, was für unvorhersehbare komische Momente sorgt. Ein Film, der Grenzen sprengt und zum Denken anregt. Auch für Spielberg-Fans unterhaltsam.

Ulrike Schirm


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"GRAND JETÉ" verstörendes Drama von Isabelle Stever um eine geschundene Balletttänzerin und ihre inzestuöse Beziehung zum eigenen Sohn (Deutschland). Mit Sarah Grether, Emil von Schönfels, Susanne Bredehöft u.a. seit 11. August 2022 im Kino. Der Film feierte seine Premiere auf der 72. Berlinale 2022 in der Sektion Panorama. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Nadja (Sarah Grether), die Protagonistin des Films ist Ballerina. Jahrelang hat sie im Ballett ihre Erfüllung gefunden. Gnadenlos hat sie ihren Körper malträtiert. Ihr Körper ist kaputt, die Zehen bluten, am Hals hat sie Ekzeme. Sie selber tanzt nicht mehr, sondern gibt nur noch Ballettunterricht. Ihr Körper ist nur noch ein schmerzhaftes Hemmnis und ihr Leben füllt sich leer an, nach Jahren der Aufopferung der Karriere wegen.

Um sich voll und ganz dem Tanz zu widmen, hat sie ihren Sohn Mario, den sie als junger Teenager bekommen hat, zu ihrer Mutter (Susanne Bredhöft) gegeben und sich kaum um ihn gekümmert. Das Ballett war ihr ein und alles.

Als sie ihren fast volljährigen Teenager-Sohn nach Jahren auf einer Familienfeier wieder sieht, stehen die beiden sich wie Fremde gegenüber. Sie wird ihm nun öfter begegnen, denn sie ist erst einmal zurück an den Ort ihrer Herkunft gekehrt, zu Hanne ihrer Mutter, die sich nicht zurückhält und ihr sagt, dass sie keine Ahnung von Muttergefühlen hat. Es dauert nicht lange und es entwickelt sich eine Zuneigung zu Mario, die weit über mütterliche Gefühle hinausgeht. Beide fühlen sich körperlich zueinander hingezogen. Auch Mario trainiert seinen Körper täglich intensiv in einem Fitness-Club. Es wird wenig gesprochen, fast alles passiert mit Blicken und körperlichen Berührungen. Sie geht mit ihm tanzen in einen total abgefahrenen Szene-Club. Sechs junge Männer trainieren, schwere Kugeln am Penis zu tragen, sie verstecken ihr Gesicht hinter Masken, wer am längsten durchhält hat gewonnen. Gewonnen hat ihr Sohn Mario. Sie küssen sich in der Öffentlichkeit.

Zuhause beobachtet Nadja ihren Sohn im Bad und bittet ihn, seinen nackten Körper anzufassen. Sie schlafen miteinander. Sie entwickeln ein immer stärkeres leidenschaftliches Verhältnis, fern von jeglichen moralischen Konventionen. Sie erkunden einander ihre Körper mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was passiert, wenn sie entdeckt werden. Kompromisslos und radikal fängt die Kamera ihre nackten Körper ein. Nadja scheint sich immer mehr zu entspannen. Sie trägt ihr Haar wieder offen, nimmt Abschied von der typischen Knotenfrisur der Balletttänzerinnen, die Schmerzen lassen nach und sie fängt auch wieder an, normal zu essen. Ihren Sohn nennt sie eine kleine Katze und ich bin deine Mäusekönigin. Wir beobachten zwei Menschen, die sich auf irritierende Weise versuchen, sich selbst und den Anderen wiederzuentdecken.

In der Rolle der Nadja sehen wir Sarah Grether, die als ehemaliges Mitglied des international renommierten Stuttgarter Balletts und durch eine Tanzausbildung bei John Neumeier Chef-Choreograph an der Hamburger Staatsoper, prädestiniert ist für die Rolle. Ihr Sohn Mario wird von Newcomer Emil von Schönfels gespielt, der bereits mit Andreas Dresen und Tom Tykwer gedreht hat.

Regisseurin Isabelle Stever hat ihren Film, der den Zuschauern keine Antworten gibt sondern es ihnen überlässt, sich eigene Gedanken zu machen, nach der Buchvorlage „Fürsorge“ von Anke Stelling, die 2019 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse dafür ausgezeichnet wurde, gedreht. Still und melancholisch begleitet sie das Geschehen, stellt keine Fragen und bemüht sich nicht um Erklärungen. Sie urteilt nicht und lässt den Zuschauer mit dem unerwarteten Ende allein, beim Ordnen seiner Gedanken.

Ulrike Schirm


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REPUBLIC OF SILENCE dreistündige enthüllende Dokumentation von Diana El Jeiroudi über das Leben in und mit Syrien. Lobende Erwähnung beim Festival DOK Leipzig. (Deutschland, Frankreich, Syrien, Katar, Italien, 2021). Seit 11. August 2022 im Kino. Hier der Trailer.



Ulrikes Filmkritik:

Vor elf Jahren begann der Krieg in Syrien. Die Hälfte der Bevölkerung verlor ihre Heimat. An der Seite von Machthaber Assad zerbombte die russische Luftwaffe Städte wie Aleppo und Homs.

Inzwischen hat Präsident Baschar al-Assad den Großteil Syriens wieder unter seine Kontrolle gebracht. Doch noch immer gibt es keinen Frieden und Sicherheit für die Bürger. Vor allem leiden die Schwächsten unter der unerträglichen Situation. Zivilisten, Frauen und Kinder.

In ihrem 183 Minutenfilm „Republic of Silence“ lässt Filmemacherin Diana El Jeiroudi den Zuschauer an ihren Erinnerungen Eindrücken und Emotionen vom syrischen Bürgerkrieg teilhaben. Ihr Leben in Damaskus war von Diktatur, Angst und Krieg geprägt.

Ihr Film beginnt ohne Bild. Wir sehen eine schwarze Leinwand mit weißen Buchstaben.

„Es gibt kein Bild, für das, was ich sah. Heute bin ich 7 Jahre alt. Mein Vater gibt mir eine Kamera, ich weiß nicht, was ich fotografieren soll. Das Böse hat einen furchterregenden, lauten Klang (Sirenen). Unsere Fensterscheiben zerspringen. Jeden Tag fällt der Strom für zwei Stunden aus. Mein erster Tag in der Schule - die Lehrerinnen waren gemein. Es gibt einen netten Jungen. Er heißt Rami“. Es sind ihre persönlichen Erinnerungen als Kind von sieben Jahren.

Berlin: Ein Paar sitzt sich in einer Berliner Wohnung gegenüber und schweigt. Es sind Diana El Jeiroudi und Orwa Nyrabia.

Beide sind Filmschaffende, Begründer des ersten unabhängigen Filmfestival in Syrien, DOX BOX. Beide sind in Berlin gestrandet und leben hier im Exil. Diana ist die Regisseurin und Produzentin. Das Kino bietet ihr einen gewissen Trost, die Musik, die Gewissheit von Träumen und Halt findet sie in der solidarischen Liebesbeziehung mit Orwan. In ihrem Film wirft sie einen persönlichen Blick auf das Leben in Syrien, verdichtet das Material mit Gesprächen und Beobachtungen von Familienangehörigen, Freunden und Filmschaffenden und ihren Arbeitsbedingungen, Archivaufnahmen aus dem syrischen Fernsehen, und immer wieder erweckt sich das Böse für sie und erschlägt das Gefühl von Zuhause.

Es ist gefährlich in Syrien zu filmen, da die Filmemacher ständig damit rechnen müssen, von Scharfschützen erschossen zu werden. Außerdem ist der Geheimdienst überall. Es gilt ein strenges Verbot, rauchende Menschen zu filmen. Leute, die aus dem Ausland ins Land kommen, werden besonders kontrolliert. Zu ihnen gehört auch Rami, der eine großen Karton voller Erinnerungen mit nach Deutschland genommen hat und sich öfter im Rahmen seiner Forschungen auf den gefährlichen Weg nach Syrien macht. Ihn interessiert, wie weit geistige Behinderung in Familien vererbbar ist.

Als Orwa für einige Zeit in der Arrestzelle in Syrien hockte, war die Kampagne „FREE ORWA“ riesengroß. Amerikanische und europäische Filmemacher und Schauspieler forderten seine Freilassung. Orwa wurde aus seinem Haus geworfen. Seine Heimatstadt Homs wurde belagert. Syrische Bürger baten um Hilfe bei allen Nationen. Außer von syrischen Migranten gab es weltweit kaum Demonstrationen und Solidaritätsbekundigungen.

Der Film ist eine vielschichtige Reflektion über all das, was sich in den letzten Jahren politisch und sozial entwickelt hat. Zensierte Bilder, geheime Gedanken, verordnetes Schweigen. Es ist Krieg und Menschen brauchen Hilfe und Solidarität. Doch leider ist die Not der Kriegsflüchtlinge für die breite Masse uninteressant. Man ist ihnen eher feindlich gesonnen.

Ein Kind wird geboren und das Leben geht weiter. Sie feiern Orwas Geburtstag. Freunde, Diana und ihr großer weißer Hund.

Diana: „Von jeder Person, die ich filme nehme ich etwas mit“. Zwischendrin tickt immer mal wieder eine große Uhr, die zeigt, wie die Zeit verrinnt und ein Frieden noch immer nicht in Sicht ist.

Dianas EL Jeiroudis poetisches Filmessay wurde bereits bei den Filmfestspielen in Venedig gefeiert und beim Festival DOK Leipzig mit einer lobenden Erwähnung und dem Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts ausgezeichnet. Die eindringlichen Bilder und Dianas Aussagen wirken noch lange nach. „Gewidmet für Razan“ usw. Und für alle Gefangenen in der Stille. Es ist schwer, nicht zu sprechen und doch bin ich sprachlos.

Ulrike Schirm


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