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Der Drehbuchgewinner der 74. Berlinale läuft jetzt im Kino

Das dreistündige Familiendrama "STERBEN" von Regisseur Matthias Glasner, das z.T. auf eigenen Erfahrungen mit seiner Familie beruht, ist jetzt im Kino zu sehen: Dazu zwei Filmkritiken von uns, die sich gut ergänzen.



"STERBEN" Familiendrama von Matthias Glasner, Gewinner des Silbernen Bären für sein Drehbuch mit überbordenden Einlassungen. (Deutschland, 2024; 180 Min.) Mit Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Robert Gwisdek, Ronald Zehrfeld, Hans Uwe Bauer, Anne Berderke, Saskia Rosendahl u.a. ab 25. April 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Angelikas Filmkritik:

Das herausragend besetzte Familiendrama ist ein extrem persönliches Werk – bei dem man sich auf einiges gefasst machen sollte.

In dem Familiendrama „Sterben" spielt Lars Eidinger die Hauptfigur „Tom“. Seine Eltern sind altersschwach und krank. Seine ehemalige Freundin bekommt ein Kind — aber leider nicht von ihm. Sein bester Freund und enger Arbeitskollege macht bis zum Ende des Films eine tiefe Krise durch. Tom selbst darf aber keinen Moment der eigenen Schwäche zeigen: Er muss ständig für alle da sein. Er ist nicht nur noch ein müder und erschöpfter junger Mann, sondern auch ein widerwilliger Rettungsanker.

Es ist höchst wahrscheinlich, dass man im mittleren Alter von Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner (* 20. Januar 1965) sowie von Film- und Theater-Schauspieler Lars Eidinger (* 21. Januar 1976), sich bereits mit dem Tod widerwillig befassen muss. Nämlich dann, wenn die eigenen Eltern allmählich abbauen und schließlich sterben.

Dennoch ist ein Film mit diesem simplen aber dennoch schwer erträglichen Titel "Sterben" eine Geschichte, die erzählt werden muss, weil kein Mensch an diesem Geschehen vorbeikommt. Glasners Trauer-Arbeit wurde also extrem persönlich. Nicht nur in seinem Film, sondern auch in seinen Kommentaren wie dieser:

"Der Film wurde geboren in dem Moment, als meine Eltern gestorben sind. Innerhalb kürzester Zeit, aber nach einem langen Prozess von Leiden. — Und meine erste Tochter wurde genau zu dieser Zeit geboren, als ich wahnsinnig übermüdet war und unglücklich."

Es gibt in dem Film „Sterben“ also eigene Erlebnisse, die Glasner selbst durchgestanden hat. Aber dennoch ist der Film keineswegs nur die Arbeit eines einzelnen Betroffenen. Vieles von dem, was er selbst durchlebt hat, fließt in seinen Ensemblefilm ein.

Anderseits ist Einiges auch frei erfunden, oft auch tragikomisch überspitzt. Dann zum Beispiel, wenn Toms Schwester auftritt, gespielt von Lilith Stangenberg. Allerdings wollte Glasner, wie er betont „keinen Film über Verrückte“ machen. Also handelt sein dreistündiges Drama „Sterben“ von einer dysfunktionalen Familie, den Lunies. — Der Nachname erinnert, wenn man ihn nur akustisch wahrnimmt, an den englische Begriff „loony“, der mit „verrückt" übersetzt wird: Tatsächlich ist in dieser Verwandtschaft jeder Mensch eine Belastung für den anderen. Jeder treibt sein Umfeld langsam in den Wahnsinn.

Lissy Lunies ist Mitte 70. Sie wird von Corinna Harfouch sehr anrührend gespielt: Im Film ist sie insgesamt froh darüber, dass ihr Mann, der langsam dahinsiecht, schließlich im Altersheim verschwindet. Denn sie schafft es nicht mehr sich andauernd um ihn zu kümmern. So kann sie es nicht verhindern, dass er immer wieder nur im Oberhemd ohne Unterwäsche im Hausflur herumrennt oder sich einige Male auch so zu einem Spaziergang nach draußen begibt. Meisten wird er von der freundlichen Nachbarin wieder in seine Wohnung zurückgeführt, wo ihn seine Frau natürlich noch gar nicht vermisst hat. Oder er will ihr einen Gefallen tun und will sie, inzwischen ohne Führerschein, vom Einkaufszentrum mit dem Auto abholen.

Sie bittet ihn darum, dass er sie fahren lässt. Er willigt ein, ohne zu murren. Nur leider kann sie ohne Brille nicht mehr fahren. Also kündigt er ihr jedes Hindernis vorzeitig an. Leider allerdings viel früh, lange bevor sie die angesagte Gefahrenstelle passieren würden. Der Film hat also auch Momente, in denen man zu einem verschmitzten etwas peinlichem Lachen kommt, das der Regisseur Matthias Glasner aber wohl überlegt provoziert — nämlich ohne seine Familie vor dem Zuschauer zu vergrämen.

Der Regisseur Matthias Glasner („Der freie Wille“, 2006) dreht in großen Abständen immer wieder intensive Kinofilme. Trotz unangenehmer Themen wie „Sterben“ bringt er seine Geschichten oder vielleicht besser seine Erfahrungen in eine Form, die ihn zu einem der unterhaltsamsten oder aber auch zu einem der gefürchteten Film-Regisseure in Deutschland machen — und trotzdem habe ich mir seinen Film „Sterben“ dreimal angeguckt.

Angelika Kettelhack


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Ulrikes Filmkritik:

„Du musst auf dein Herz hören und auf deine Natur“.

In diesem berührenden Drama geht es um eine Familie, die im Angesicht des nahen Todes der Eltern schrecklich Trauriges entdeckt. Zwischen Vater und Mutter und den beiden erwachsenen Kindern, Tom (Lars Eidinger) und seiner Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) herrscht totale Beziehungslosigkeit und emotionale Kälte.

Am Anfang sieht man Mutter Lissy (Corinna Harfouch) fast nackt, verschmutzt und hilflos auf dem Fußboden sitzen. Von ihren Kindern ist nichts zu sehen. Ihr Mann Gerd (Hans Uwe Bauer) ist senil und leidet an Parkinson.

Lissy ist total überfordert, sich um ihn zu kümmern. Der Pflegedienst kümmert sich, dass er in ein Pflegeheim kommt. Der Sohn Tom ist sehr hilfsbereit aber nicht, was sein Elternhaus betrifft.

Sein Freund und Komponist Bernard (Robert Gwisdek) hat eine Komposition, quasi „sterbend geschrieben“ und „Sterben“ genannt. Das Orchester soll diese Empfindung musikalisch umsetzen. Tom der Dirigent versucht sein Bestes, um zu retten, was noch zu retten ist, denn Bernard will die Premiere verschieben, wenn es nicht so gespielt wird, wie er es sich vorstellt.

Inzwischen hat Lissy einen Herzinfarkt bekommen, bewegt sich mit Krücken und ist ziemlich mürrisch. Großartig gespielt.

Toms Exfreundin Liv (Anna Bederke) hat ein Kind bekommen. Ihr Wunsch ist es, dass Tom als Ersatzvater einspringt, denn dem Vater traut sie es nicht zu, dass er sich um das Kind kümmert. Tom war auch bei der Geburt dabei. Er willigt ein. Ellen, seine selbstzerstörerische Schwester ist dem Alkohol zugeneigt und hat eine Liebesgeschichte mit einem verheirateten Zahnarzt (Ronald Zehrfeld).

Der Höhepunkt dieser 3-Stunden-Produktion ist eine etwa zwanzigminütige Szene, bei Kaffee und Kuchen, in der Eidinger und seine Film-Mutter Corinna Harfouch eine der heftigsten Dialoge in einem deutschen Film führt, der für sie, die in der Rolle sterbenskrank ist, von befreiender Ehrlichkeit ist und erklärt, warum Tom so ist, wie er ist.

Glasers Film wird getragen von seinen eigenen Erfahrungen und Empfindungen, die er in seiner Familie erlebt hat. Die Geschichte dieser dysfunktionalen Familie zeigt das Drama der Unfreiwilligkeit, in etwas hineingeboren worden zu sein, was man sich niemals freiwillig ausgesucht hätte. Die Unfähigkeit zu lieben, kann so viele unterschiedliche Gründe haben.

Regisseur Matthias Glasner hat jedem seiner Protagonisten eine eigene Geschichte geschrieben und auch für amüsante Momente gesorgt.

Die einhundertachtzig Minuten Länge vergehen wie im Fluge. Für sein Drehbuch erhielt Glasner den Silbernen Bären auf der diesjährigen Berlinale.

Ulrike Schirm


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