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Schönes Frühlingswetter aber weniger Kinobesucher

Diesmal sieben neue Filmbesprechungen auf einen Streich.



Das letzte sehr sonnige Kinowochenende bescherte den deutschen Filmtheatern die geringsten Umsätze seit 2006. An den Filmen allein kann es nicht gelegen haben, denn Arthouse-Titel wie Christian Petzolds "Transit" konnte sich noch relativ wacker halten und Greta Gerwigs „Lady Bird“, die hochgelobte Dramödie über das Erwachsenwerden, kam als Neueinsteiger mit großem Abstand direkt auf den Spitzenplatz.

Dafür lockte der plötzliche Wetterumschwung mit fast hochsommerlichen Temperaturen und viel Sonnenschein - nach den endlos langen und sehr kalten Frühlingstagen - das Volk ins Freie und auf die Terrassen der Gaststätten, nicht aber in die dunklen Kinos. Kein Film kam deshalb auf über 65.000 Besucher oder spielte mehr als 700.000 Euro ein. Die beiden Spitzenreiter des Mainstream-Kinos waren noch einmal Steven Spielbergs "Ready Player One" gefolgt von "A Quiet Place" mit 48,000 Kinogängern und 425.000 Euro Boxoffice.

Nur einige Filmfestivals schienen gegen den Trend vom Publikumsschwund gefeit zu sein. Doch dass Erstaufführungen bei Festivals ein ganz anderes Publikum anziehen, als der normale Kinoalltag, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein. Natürlich macht auch eine Studie klar, dass der nachgelagerte Home-Entertainment-Markt deutlich mehr erwirtschaftet als das Kino.

Dennoch wollen wir auf unsere Filmempfehlungen und Filmbesprechungen zu den Kinostarts nicht ganz verzichten, auch wenn wir uns diesmal dazu etwas mehr Zeit gelassen haben, denn andere Themen wie Veranstaltungen, Festivals und Preisverleihungen hatten Vorrang. Zudem ist es wieder kälter geworden, sodass ein Kinobesuch lohnt.

Die schlechten Zahlen hat am Donnerstag, den 26. April 2018 der Disney Film "Avengers: Infinity War" wieder wett gemacht, der den bisher besten Starttag des Jahres hinlegte und für etwa 75 Prozent des Gesamtgeschäfts sorgte: In 658 Kinos kam der dritte "Avengers"-Film auf 225.000 Besucher und 2,6 Mio. Euro Umsatz, obwohl das Werk von Brutalität nur so strotzt und für eine Jugendfreigabe unserer Meinung nach kaum geeignet ist. Dank eines guten Casts und einiger witziger Querverweise gab es wenigstens ein paar Lacher. Die überbordende CGI-Technik lässt aber für Fantasy-Gedanken leider keinen Raum mehr aufkommen. Wir verzichten deshalb auf eine ausführliche Kritik.

"LADY BIRD" Dramödie von Greta Gerwig (USA). Mit Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts u.a. seit 19. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

„Ich hasse Kalifornien. Ich will an die Ostküste. Ich will dahin, wo Kultur ist. Mein Name ist Lady Bird“.

Bisher hat die grossartige Greta Gerwig mit ihrem Lebensgefährten, dem Autor und Regisseur Noah Baumann zusammen gearbeitet. Entstanden sind die Tragikkomödien „Greenberg“ und „Francis Ha“. Mit „Ladybird“ diesem kleinen aber durchaus feinem Film ist sie Autorin und Regisseurin in einer Person.

Belohnt dafür wurde sie mit der Nominierung für mehrere Oscars, unter anderem für die beste Regie und das beste Drehbuch.

Die rebellische, trotzige und selbstbewusste 17-jährige Christine (Saoirse Ronan) will unbedingt aufs College nach New York. Sie nennt sich Lady Bird, da der Name Christine ihr zu banal klingt. Die Kleinstadt Sacramento, in der sie auf der falschen Seite der Gleise mit ihrer Mutter, die im Krankenhaus Doppelschichten schiebt und ihrem gutmütigem, arbeitslosen, depressiven Vater lebt, hat ihr nichts zu bieten.

Ein Jahr Schule liegt noch vor ihr. Sie weiß, dass sich die Eltern es sich nicht leisten können, die Tochter aufs College zu schicken. Aber träumen, wird man ja wohl noch dürfen. Auf ein Stipendium brauche sie erst gar nicht zu hoffen, haut ihre Mutter Marion (Laurie Metcalf) so nebenbei heraus. Und genau das ist das Herzstück des Films.

Die schwierige Beziehung zwischen Mutter und Tochter, geprägt von Streitigkeiten, in denen es immer wieder darum geht, wie man das Beste aus seinem Leben macht. In den widerborstigen Antworten des Teenagers steckt so etwas humoriges, dass man trotz aller Ernsthaftigkeit schmunzeln muss. Eigentlich ist die Bindung zwischen Mutter und Tochter sehr innig und gerade deswegen auch sehr konfliktreich, was in den schlagfertigen Dialogen zum Ausdruck kommt. Gerwings Humor, ihre Beobachtungsgabe und ihre Liebe zu den einzelnen Figuren spiegeln sich in jeder der einzelnen Szenen wieder. Auch wenn der Ton mal rau ist, dahinter steckt auch immer ein Gefühl von Warmherzigkeit. Es ist wahrlich nicht leicht für einen Teenager in ärmlichen Verhältnissen aufzuwachsen, wo das Geld für ein lumpiges Teenie-Magazin kaum reicht. Die Tochter ist von den alltäglichen Problemen genervt und die Mutter fühlt sich nicht wertgeschätzt. Es ist verständlich, dass Lady Bird gerne mal zu kleinen Schwindeleien greift, um sich ökonomisch ein wenig aufzuwerten. Da kann man schon mal das „Traumhaus“ eines anderen, als sein eigenes ausgeben.

Saoirse Ronan ist brilliant in ihrer Rolle. Hinter der rauen Schale ihres Selbstfindungstrips, schimmert eine versteckte Unsicherheit und Sensibilität durch, die ahnen lässt, wie schwierig der Umgang mit Gefühlen ist, die man vorher noch nicht kannte. Fast mädchenhaft schüchtern tastet sie sich an Lucas (Danny O`Neill) aus der Theatergruppe heran und erwischt ihn knutschend mit einem Klassenkameraden auf der Jungentoilette.

Ihr erstes Mal erlebt sie anders als erträumt. Der Typ heißt Kyle, wohnt auf der richtigen Seite der Gleise, in einem der Traumhäuser der Reichen. Weinend verlässt sie sein Haus. Es ist ihre Mutter, die draußen im Auto wartet. Schützend nimmt sie ihre Tochter in den Arm.

„Verschiedene Dinge können traurig sein. Nicht immer nur Krieg“. Man mag diesen Film, weil man spürt, dass er mit viel Liebe gemacht wurde.

Ulrike Schirm


"ROMAN J. ISRAEL, ESQ. - Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit" Gerichtsdrama von Dan Gilroy (USA). Mit Denzel Washington, Colin Farrell, Carmen Ejogo u.a. seit 19. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Man muss schon 2mal hinschauen, um Denzel Washington in seiner Rolle als Verteidiger Roman J. Israel, Esq. zu erkennen. Er trägt eine riesige Brille, die Haare im Afrolook und Anzüge aus den Siebzigerjahren. So bewegt er sich durch das heutige Los Angeles. Ein Idealist, der sich für die Verteidigung der Bürgerechte einsetzt. Viel Geld kann man mit der Verteidigung der Ärmsten nicht verdienen.

In seiner kleinen Kanzlei kleben überall Notizzettel. Von modernem Equipment, Rechner, Drucker, Scanner und so weiter, keine Spur. Er hört mit Vorliebe alte Vinylplatten und was seine Manieren anbelangt, gehört er noch zur alten Schule. Man könnte ihn auch einen merkwürdigen Kauz nennen. Sein Verhalten ähnelt einem Autisten. Er hat ein grosses Herz für Gerechtigkeit. Sein Chef ist ein anerkannter Bürgerrechtler, William Henry Jackson, für den er 26 Jahre gearbeitet hat. Als Jackson unerwartet an einem Schlaganfall verstirbt, ändert sich Romans Leben schlagartig.

George Pierce (Colin Farell) ein geschniegelter Karriereanwalt, ehemaliger Student des Verstorbenen, bietet Roman, eher aus Mitleid, einen Job in seiner renommierten Anwaltskanzlei an.

Zwischen den aalglatten Anwälten ist Roman ein Fremdkörper. Sein Starrsinn und seine juristische Penibilität passen hier nicht hin. Völlig unerwartet schlägt er eine Richtung ein, die man ihm charakterlich nicht abnimmt. Er verändert sein Äußeres, indem er sich die Haare glättet, sich einen hochmodischen Designeranzug kauft, seine moralischen und ethischen Prinzipien über Bord wirft und durch nicht nachvollziehbaren Eigennutz, auf die schiefe Bahn gerät. Regisseur und Drehbuchautor Dan Gilroy ("Nightcrawler") macht ihn zu einer tragischen Figur.

Es ist Washingtons Performance, die das Drama so sehenswert macht. Sein wortgewaltiger Einsatz für die Besitzlosen, sein Mienenspiel, seine körperliche Veränderung, haben ihm zu Recht eine 8. Oscarnominierung eingebracht. So kann man über die dramaturgische Schwäche des Drehbuchs hinwegsehen.

Ulrike Schirm


"SOLANGE ICH ATME" Romanzen-Drama von Andy Serkis (Großbritannien). Mit Andrew Garfield, Claire Foy, Tom Hollander u.a. seit 19. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

In seinem Debütfilm (nach einer wahren Begebenheit) erzählt Andy Serkis die schier unglaubliche Geschichte des Paares Robin Cavendish (Andrew Garfield) und Diana Blacker (Claire Foy).

Robin lernt die bildhübsche , als Herzensbrecherin berüchtigte Diana während eines Cricket-Matches kennen. Mehr oder weniger unauffällig verfolgt sie amüsiert sein Spiel. Robin, ein lässiger Typ mit einem gewinnenden Lächeln, ist nicht abgeneigt die „Dame aus der Upper Class“ näher kennen zu lernen. Beide verlieben sich ineinander.

Robin, der sich eine Zukunft als Tee-Broker in Afrika aufbauen will, ist überglücklich, dass Diana das Abenteuer mit ihm wagt. Sie heiraten. Als sie schwanger ist, steht ihrem Glück nichts mehr im Wege. Beide genießen ihr Leben in Kenia, ein Leben was so ganz anders ist, als im fernen England.

1958. Aus der Traum. Nach einem Tennisspiel bricht Robin plötzlich zusammen. Die Diagnose ist niederschmetternd. Der 28-Jährige leidet an Kinderlähmung. Er ist vom Hals abwärts gelähmt, wird nie mehr gehen können und ein Weiterleben ist nur noch mit einem Beatmungsgerät möglich. Das Ehepaar kehrt nach England zurück. Von nun an ist Robin im Krankenhaus ans Bett gefesselt. Laut Auskunft der Ärzte, hat er nur noch einige Monate zu leben. Er fällt in eine tiefe Depression. In seiner Verzweiflung hat er nur noch einen Wunsch: Das Gerät abzustellen.

Das lässt Diana nicht zu. Sie will unbedingt das Robin seinen Sohn aufwachsen sieht. Hochschwanger lässt sie sich zur Pflegerin ausbilden. Je schwächer und mutloser Robin wird, desto stärker wird Diana. Mit Hilfe von Freunden und Familie entwickeln sie zusammen ein Beatmungsgerät, um Robin nach Hause zu holen. Gegen den entschiedenen Protest der Ärzte verlassen sie mit Robin das Krankenhaus. Als ihr Hund den Stecker zieht, ist ihrem Ideenreichtum kein Ende gesetzt. Sie bauen ihm eine Klingel, die, er mit dem Kopf bedienen kann. Dann bekommt Robin einen komfortablen Rollstuhl. Und da sie alle gemeinsam eine Reise machen wollen, bauen die fleißigen Helfer ein Auto so um, dass der große Rollstuhl hineinpasst. Auf geht's nach Spanien.

Erzählt wird die Geschichte mit trockenem Humor und sehr viel Einfallsreichtum. Es ist berührend wie sich Robin mit der aufopferungsvollen Hilfe seiner Frau ins Leben zurückkämpft. Produziert wurde die mutmachende Geschichte von Jonathan Cavendish, dem Sohn der beiden Protagonisten.

Vielleicht ist das der Grund, dass das fast romantische Drama so konfliktlos herüber kommt. Es gibt nicht einen Moment der Verzweiflung oder ein Anflug eines nervlichen Zusammenbruchs bei Diana, wenn man überlegt über welchen Zeitraum sie mit der Krankheit ihres Mannes beschäftigt war.

Die Erfindung des mobilen Beatmungsgeräts und die damit verbundene Überlebensdauer des Robin Cavendish hat die Bedingungen unter denen die Schwerbehinderten leiden mussten, erheblich verbessert. Die traumhaften sonnenduchflutenden Bilder sind sehr schön anzusehen aber unterm Strich doch etwas sehr bunt und süßlich.

Ulrike Schirm


"STRONGER" Biopic-Drama von David Gordon Green (USA). Mit Jake Gyllenhaal, Tatiana Maslany, Miranda Richardson u.a. seit 19. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

15. April 2013. Tausende von Menschen sind unterwegs, um die Läufer des Boston-Marathons anzu-feuern. Unter ihnen der 27-jährige Arbeitersohn Jeff Baumann (Jake Gyllenhaal). Er hat extra ein Plakat gemalt und steht nun hoffnungsvoll an der Zielgerade, um seine Ex-Freundin Erin (Tatiana Maslany) zurückzugewinnen. Ein Mann mit einem Kapuzenpullover rempelt ihn an.Einige Minuten später detonieren zwei Bomben. Es starben damals drei Zuschauer, 264 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Als Baumann wieder zu sich kommt, liegt er blutüberströmt am Boden. Um ihn herum, wimmelt es von aufgeregten und verstörten Menschen. Irgendjemand zerrt ihn zu einem Krankenwagen. Als er nach einer Narkose in der Klinik aufwacht, erfährt er, dass ihm bei dem heimtückischen Anschlag sein rechter Unterschenkel weggerissen wurde und das linke Bein amputiert werden musste. Zwischen seiner aufgeregten Familie, steht Erin an seinem Bett und strahlt besonnene Ruhe aus.

Da er den Ermittlern eine Täterbeschreibung liefern kann, wird er Widerwillen zum Helden der Solidaritätsbewegung „Boston Strong“ hochstilisiert.

Das Drama basiert auf dem autobiografischen Roman „Stronger“ in dem der wahre Bauman beschreibt, wie sich sein Leben durch das Attentat verändert hat und seinem mühevollen Kampf zurück ins Leben. Unterstützt dabei wurde er von Erin, mit der er eine Familie gegründet hat. Es ist dem Regisseur David Gordon Green hoch anzurechnen, dass er seinen Film auf komplett unsentimentale Weise umgesetzt hat. Green bleibt ganz nah dran an seinem Helden-Wider-Willen und konzentriert sich auf Jeffs Kampf ins normale Leben zurückzukehren und wie die Menschen in seinem familiären Umfeld damit umgehen.

Jeffs Mutter Patty (Miranda Richardson), die gerne mal ein Glas zu viel trinkt und eine Zigarette nach der anderen raucht, nutzt die Gunst der Stunde, um an der Seite ihres Sohnes ein bisschen von dem Ruhm abzubekommen, den er widerwillig über sich ergehen lassen muss. Für sie ist es eine willkommene Abwechslung, um aus ihrem trostlosen Alltag für einen kurzen Moment entfliehen zu können.

Jeff, der in den amerikanischen Talkshows plötzlich ein gerngesehener Gast ist, Jeff, der bei einem Eishockeyspiel der Boston Bruins die Fahne schwenken darf und ganz andere Sorgen hat, ist mit dem Rummel um seine Person total überfordert. „Bin ich ein Held, weil mir die Beine weggerissen wurden?“

Dass er daran nicht zerbricht, hat er Erin zu verdanken. Sie könnte man als Heldin feiern. Sie zieht bei ihm ein, muss sich mit der eifersüchtigen Mutter auseinandersetzen, sich den schwankenden Launen ihres Freundes stellen. Obwohl sie zum Zeitpunkt des Anschlags nicht mehr seine Geliebte war, bewegt sie sich nicht auf der Mitleidsschiene, sondern packt einfach ohne wenn und aber zu.

Gyllenhall zeigt mal wieder, welch grosses schauspielerisches Talent in ihm steckt. Wie er es meistert, die innere Zerrissenheit, in der er sich befindet, seine Verzweiflung und das Unbehagen darüber, plötzlich ein unfreiwilliger Held zu sein, ist absolut sehenswert. Die für die Amerikaner typische, vor Patriotismus triefende Heldenverehrung, nimmt man wiederholt kopfschüttelnd in Kauf.

Ulrike Schirm


"THE KING - Mit Elvis durch Amerika" Doku von Eugene Jarecki (USA, Deutschland, Frankreich). Mit Eugene Jarecki, Alec Baldwin, Ethan Hawke u.a. seit 19. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

ELVIS PRESLEY, sein Name ist noch immer eng verbunden mit der Erfüllung des amerikanischen Traums: Mit viel Fleiß und Gottvertrauen, kann es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, jeder schaffen.

Elvis, ein Kind der weißen Unterschicht, aufgewachsen im Schwarzenviertel in Ost-Tuepolo, lernte schon früh das Singen im Kirchenchor. Heimlich besuchte er die Clubs der Schwarzen, deren Musik ihn faszinierte. Seine erste Platte nahm er im Studio von Sam Phillips in Memphis auf. Als „That's Allright Mama“ im Radio lief, konnten es die Hörer kaum glauben, dass diese Stimme einem Weißen gehörte.

Jetzt, 60 Jahre nach seinem Tod hat sich Regisseur Eugene Jarecki Elvis' alten Rolls Royce geschnappt und sich auf die Spurensuche des „King of Rock'n Roll“ begeben. Sein Roadtrip führte ihn von Tuepolo über Memphis, Nashville, New York nach Las Vegas. Es ist das Wahljahr 2016. Elvis verkörpert sinnbildlich den Aufstieg und den Niedergang des amerikanischen Traums.

„Was nützt dir aller Reichtum, wenn du kein innerliches Glück verspürst“, sagt er gleich am Anfang dieser interessanten Doku. Elvis, the white man with a negro sound, scheffelte Millionen. Jarecki lud ehemalige Weggefährten des „King“ ein, in der stilvollen „Karre“ Platz zu nehmen und fuhr mit ihnen übers Land und ließ sie erzählen. Nicht jeder von ihnen hat eine gute Meinung über den Weltstar. Man wirft ihm vor, sich während seines Aufstiegs, nicht mit den politischen Rassenkonflikten auseinandergesetzt zu haben. In kritischen Interviews antwortete er lapidar, dass er ja nur ein Entertainer sei und seine politische Meinung lieber für sich behalten wolle.

Auch Stars aus der Filmbranche äußern sich kritisch über das Showgeschäft. Ethan Hawke, Ashton Kutcher zeigen auf, was Ruhm und der enorme Bekanntheitsgrad mit einem macht. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Presley nur noch die Marionette seines Managers Tom Parker, genannt The Colonel, dessen Verträge von Experten bitterböse als Pakt mit dem Teufel bezeichnet wurden.

Um der Welt zu zeigen, was er doch für ein guter Junge sei, schickte das Militär ihn nach Deutschland. Man munkelt, dass er zu der Zeit mit Drogen in Kontakt kam, denn der Pseudodienst in der Kaserne war mehr als langweilig.

Parallel werden ganz normale Leute nach dem Zustand der Nation im Jahr 2016 befragt. Er ist erschütternd, in welchem „Zerfall“ sich das Land befindet und die Schere zwischen Arm und Reich auseinanderklafft. Anhand der Person Presleys, seinem Aufstieg und Fall, hat Jarecki in seiner intelligenten und pointierten Montage aufgedeckt, was für ein Irrsinn es sei, noch immer zu glauben, dass „The American Dream“ für jeden erfüllbar ist oder anders ausgedrückt: Jeder ist seines Glückes Schmied. „Der Blues entsteht, wenn ein guter Mann sich schlecht fühlt“.

Ulrike Schirm


"A BEAUTIFUL DAY" Thriller von Lynne Ramsay ( Großbritannien, Frankreich, USA). Mit Joaquin Phoenix, Ekaterina Samsonov, John Doman u.a. seit 26. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

THE TIMES vergleicht Joaquin Phoenix in seiner Rolle als Joe in „A Beautiful Day“ mit Travis Bickle in „Taxi Driver“. In Martin Scorseses Kultfilm aus dem Jahre 1976 spielt Robert De Niro einen vom Krieg traumatisierten Typen, der dem Wahn erlegen ist, New Yorks Straßen, von menschlichem Abschaum säubern zu müssen.

Phoenix als Joe ist „Der Taxi Driver des 21. Jahrhunderts“.

Der ehemalige FBI Agent und frühere Kriegsveteran Joe lebt mit seiner Mutter (Judith Roberts) in New York. Schwer traumatisiert, von grausamen Flashbacks gequält, bewegt er sich am Rande des Wahnsinns. Sein Körper ist von Narben übersät. Immer wieder zieht er sich eine Plastiktüte über den Kopf, fast bis zum Ersticken.

Einer regulären Arbeit geht Joe nicht nach. Er arbeitet als Auftragskiller. Dabei konzentriert er sich auf die Opfer des kriminalisierten Sexhandels und befreit sie aus den Fängen von Kinderschändern. Auf Wunsch einiger Kunden, quält er die Täter mit einem Hammer zu Tode.

Wenn er nachts nach Hause kommt, ist er wie umgewandelt. Fast zärtlich bringt er seine gehbehinderte Mutter ins Bett. Sie weiß nicht, womit ihr Sohn sein Geld verdient. Auch sonst wirkt er in ihrer Gegenwart sehr entspannt. Bis zu dem Augenblick, wo ihn die Erinnerung an seinen Vater wieder einholt. Aus den schmerzvollen Bildern, die ihn verfolgen, erkennt man, dass er als Kind von seinem gewalttätigen Vater offensichtlich missbraucht wurde. Der Vater bleibt unsichtbar. Es ist seine Stimme, die man hört und die ihm droht, nicht gut genug zu sein, um weiterzuleben.

Ein neuer Auftrag wartet auf ihn. Es geht um die Tochter des Senators Votto (Alex Manette), die 13-jährige Nina (Ekaterina Samsonov), die entführt wurde. Sie wird in einem Luxusbordell festgehalten, indem minderjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen werden. Da der Senator unmittelbar vor den Wahlen einen Skandal vermeiden will, bittet er Joe, so unauffällig wie möglich vorzugehen. Gleichzeitig fordert er, die Entführer nach der bewährten Hammer-Methode leiden zu lassen.

Während sich Joe auf die Rettung des Mädchens vorbereitet, wird er wieder von quälenden Flashbacks malträtiert. Es sind üble Bilder aus seiner Militärzeit, in denen sich Kinder gegenseitig für einen Schokoladenriegel töten.

Auftrag erledigt. Als er am ausgemachten Treffpunkt mit dem total geschwächten Mädchen auf seinem Rücken nachts um 3:00 im Hotel „Caribe“ erscheint, ist der Vater nicht da. In den Nachrichten wird gemeldet, dass Senator Votto angeblich einen Suizid verübt hat. Schnell begreift er, dass hier eine unbarmherzige Verschwörung im Gange ist. Die Tür wird aufgerissen, zwei Cops in Uniform stürzen herein, einer greift sich das Kind und verschwindet, mit dem Anderen liefert er sich einen harten Kampf, erledigt ihn, wohl ahnend, dass sein Leben in höchster Gefahr ist.

Regisseurin Lynne Ramsey, deren Film „What about Kevin“ mir noch in düsterer Erinnerung ist, hat sich den nur 99 seitigen Roman “You were never really here“ von Jonathan Ames, der 2013 veröffentlicht wurde, für den verstörenden Film als Vorlage genommen.

Phoenix spielt die Rolle mit einer gnadenlosen Wucht, die einem den Atem stocken lässt. Nein, er ist kein Mörder. Er verdient sein Geld, indem er Kinder rettet, um zu verhindern, dass sie schwere seelische Schäden davontragen und es ihnen nicht so geht wie ihm. Auch er war ein traumatisiertes Kind.

Was sagt die kleine Nina, als er sie auf dem Rücken in die Freiheit trägt? „Heute ist ein schöner Tag“.

Phoenix wurde für seine atemberaubende Performance in Cannes als bester Darsteller ausgezeichnet. Für zartbesaitete Gemüter ist dieser Thriller nicht unbedingt empfehlenswert.

Ulrike Schirm


"DRAUSSEN IN MEINEM KOPF" Drama von Eibe Maleen Krebs (Deutschland). Mit Samuel Koch, Nils Hohenhövel, Eva Nürnberg u.a. seit 26. April 2018 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Sven (Samuel Koch) ist aufgrund seiner Leidensgeschichte zutiefst verbittert. Er leidet unter Muskeldystrohhie, einer Krankheit, die die Muskeln schwächt und die durch nichts aufzuhalten ist.

Schon von klein auf lebte er in Heimen. Er hat weder Eltern, die sich um ihn kümmern, noch Freunde, die ihn besuchen. Er ist total auf fremde Hilfe angewiesen, offensichtlich kann er sich nicht einmal mehr, mit einem Rollstuhl bewegen. Seine Hilfslosigkeit wird gleich am Anfang dieses Dramas am Beispiel einer Fliege, die auf seiner Hand sitzt, deutlich. Er versucht sie vergeblich wegzupusten. Er weiß, dass er nicht mehr lange zu Leben hat. In seiner Todessehnsucht hört er Johann Sebastian Bach in voller Lautstärke. Am liebsten das Stück: „Komm süßer Tod“.

Da taucht plötzlich Christoph (Niels Hohenhövel) auf. Er hat sich entschlossen, ein »Freiwilliges Soziales Jahr« in einem Pflegeheim anzunehmen. Seine erste Aufgabe besteht darin, Sven zu füttern. Doch der verweigert die Nahrungsaufnahme. Seine Mimik und seine verbalen Attacken stehen auf Ablehnung. Lauernden Blickes, beobachtet er, wie der noch unbeholfene Christoph reagiert. „Ich habe eine Krankheit aber ich bin nicht krank“, lässt er ihn wissen.

Christoph versucht es noch einmal ihn zu füttern. Sven isst jetzt. Als Christophs Handy klingelt und er nicht ran geht, will Sven genau wissen, warum nicht rangeht und wer dran sei. Christoph antwortet vage, dass es sein Vater sei. Das Verhältnis zu ihm ist offensichtlich gestört. Der Vater besitzt einen Rapsölbetrieb, den Christoph übernehmen soll, er möchte aber lieber Nautik studieren. Mehr ist aus ihm nicht herauszukriegen.

„Setz dich hin”¦ steh wieder auf”¦ setz dich hin”¦ steh wieder auf”¦ stramm stehen“ befiehlt Sven dem verstörten Christoph und man fragt sich, ob der überhaupt wieder kommt. Er kommt.

Langsam nähern sich die beiden einander an. Christoph verliert seine Scheu und Sven gewinnt langsam Vertrauen in ihn. Als er gefragt wird, wie der Neue denn sei, ist seine Antwort: „Brauchbar“.

Sven möchte Party machen. Er beauftragt Christoph Alkohol zu besorgen. Zwei Mitbewohner gesellen sich dazu. Ein Rollstuhlfahrer und ein HIV-Patient, die mit lockerer Zunge und derben, schwarzhumorigen Sprüchen, für Unterhaltung sorgen. Die Zusammenkunft war eine Schnapsidee. Sven geht es schlecht. Er muss beatmet werden.

Christoph ist niedergeschlagen. Ihn macht die Situation traurig. Er möchte helfen, weiß aber nicht wie. In seiner Hilflosigkeit geht er ans Fenster und beschreibt Sven, was er draußen sieht.

Sven äußert einen merkwürdigen Wunsch. Er bittet Christoph seinen nackten Körper in eine große blaue Plastiktüte zu hüllen, um überhaupt noch etwas auf seiner Haut zu spüren. Ob es sich gut für ihn anfühle, fragt er ihn. Sven nickt.

Es kommt zu einer Situation, in der Sven Christoph regelrecht bloßstellt und ihn damit an seiner empfindlichsten Stelle trifft. Er ist am nächsten Tag regelrecht verstummt. Als Sven beim Röntgen ist, erfährt er, dass Sven nicht mehr lange zu leben hat. Er will ihm etwas Gutes tun und schlägt ihm vor, mit ihm rauszugehen. „Das schaffst du nicht. Das Draußen ist in meinem Kopf“.

Regisseurin Eibe Maleen Krebs lässt die beiden Protagonisten ausschließlich in Svens Zimmer auf wenigen Quadratmetern agieren. Die Kamera geht nah an die beiden heran und wenn man genau hinschaut, erkennt man ab und zu die Tränen in Svens Augen. Die beiden sind zu Freunden geworden. Und wenn man genau hinhört, dann weiß man, welche emotionale Überwindung es Christoph gekostet haben muss, Sven einen letzten Gefallen zu tun. Und genau der, geht einem verdammt unter die Haut.

Im wirklichen Leben führt Samuel Koch nach seinem dramatischen Unfall 2010 bei der danach eingestellten ZDF Sendung „Wetten Dass...?“, ein aktives und selbst bestimmtes Leben im Rollstuhl. Obwohl er auf fremde Hilfe angewiesen ist, gehört er zum festen Ensemble des Darmstädter Theaters und ist mit einer Schauspielerin verheiratet. Er selbst sieht sich absolut nicht als Opfer. Im Gegensatz zu seiner Rolle als Sven, der sich in die Opferrolle geflüchtet hat. Es ist Samuels erste große Filmrolle, die er, mit dem wenigen, was er hat, Stimme und Mimik, eindrucksvoll spielt.

Auch Nils Hohenhövels spielerischer Umgang mit den differenzierten Gefühlsbewegungen, denen er als Christoph ausgesetzt ist, macht seine Sache grandios. Ein Lob an die Kamerafrau Judith Kaufmann, die in der Enge des Raums beeindruckende Einstellungen von Nähe und Distance bildlich eingefangen hat.

Ulrike Schirm



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