Skip to content

Preisvergaben in Berlin und Potsdam bei den sehsüchten und beim achtung berlin award

Das Internationale Filmfestival der Studierenden in Potsdam sowie der Achtung Berlin Award vergaben ihre Preise.



Das 46. Sehsüchte Festival in Potsdam-Babelsberg, startete am 26. April 2017 sein umfangreiches Programm mit einer bewegenden Rede des Schirmherrn, Regisseur Andreas Dresen, der selbst an der ehemaligen HFF »Konrad Wolf« studiert hatte. Auf die Frage der Moderatorin, was er sich wünsche, antwortete Dresen mit überraschenden Worten, die man eher an der dffb in Berlin, als in Potsdam erwartet hätte:

Er erwarte Anarchie, unangepasste Studenten, welche die Uni besetzen, das Rektorat stürmen und sich um Filme streiten, damit nicht das gefälligste Werk, sondern der revolutionärste Film gewinnt!


Gestern Abend war es soweit und an der Filmuniversität Potsdam, wurden die Gewinner bekannt gegeben, die wir nachfolgend auflisten:

• Best Feature Film - 5.000 Euro
"Hymyilevä Mies / The Happiest Day in the Life of Olli Mäki"
Finland 2016 | Juho Kuosmanen | 93‘; Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:
Olli Mäki (Jarkko Lahti) ist der Bäcker von Kokkola, ein Amateur, der den Europameister-Titel im Boxen gewonnen hat. Flugs wird die nationale Seele übermütig, ein richtiger Kampf soll in Helsinki ausgetragen werden, einer von Weltmeister-Format. Koste es, was es wolle. Der Zuschauer wird auf Olli vorbereitet, als dieser in seinem kleinen Dorf als Besucher an einer Hochzeitsfeier teilnimmt. Hier lernt Olli auch Raija kennen, mit der er zur Kirche geradelt war. Sie saß vorne und er strampelte. Es fallen nicht viele Worte, doch man merkt, dass die beiden nun etwas verbindet. In der Kirche tuscheln die Männer, in welcher Gewichtsklasse er kämpfen würde. Olli Mäki sitzt derweil still auf der Bank, als würde ihn das alles nichts angehen.

Als Olli nach Helsinki zu seinem Trainer Elis (Eero Milonoff) fährt nimmt kurzerhand Raija mit. Raija mischt sich nicht in sein Sportleben ein, bleibt im Hintergrund, während Olli herumgereicht wird, um Sponsoren zu generieren. Wie wichtig ihre Anwesenheit für Olli ist, merkt man trotzdem. Nur der Trainer hält die Anwesenheit einer Frau für die Konzentration auf den bevorstehenden Kampf für nicht so gut, ohne es offen zu sagen, doch er scheint sichtlich erleichtert, als sie abreist.

Die Geschichte von Olli Mäki, der 1962 gegen Davey Moore (John Bosco Jr.) antrat und verlor, ist kein typischer Sportfilm, aber ein gut gemachtes Biopic. Man könnte meinen, es ginge bei all den Erwartungen nur darum, wie Olli scheitert, aber weit gefehlt. Elis war auch einmal Meister, er zeigt Olli die Bilder in seinem Wohnzimmer, Aufnahmen mit berühmten Leuten, er zeigt auf ein Bild und sagt, der Kampf damals, das war sein glücklichster Tag im Leben. Angesichts des Filmtitels, besteht kein Zweifel, dass Glück für Olli Mäki ganz etwas anderes ist. Es ist nicht der sportliche Sieg, und angesichts seiner Demut und seiner Wurzeln in der Arbeiterklasse, kann es auch nicht der Aufstieg sein.

Zahlreiche Fotoevents werden aneinandergereiht, in denen sich Mäki mit Sponsoren und Honoratoren ablichten lassen muss. Sie bedeuten ihm nichts. Eher bedrücken sie ihn. All die Menschen erwarten von ihm etwas, zu dem er vielleicht gar nicht bereit ist. Bis jetzt war er Amateurboxer und nun soll er in die Profiwelt wechseln und ist dafür vielleicht gar nicht geeignet. Aber wer weiß, vielleicht ist es das Liebesleben, das ihn ablenkt und hier genauso zurückgenommen dargestellt wird, wie alles andere in seiner Persönlichkeit auch. Man zeigt uns die Stärken und Schwächen des Boxers nicht, man erfasst sie instinktiv.

Juho Kuosmanen kennt den Druck, den man aushalten muss, wenn man in eine andere Liga wechselt. Sein Abschlussfilm an der ELO, “The Painting Sellers”, gewann den ersten Preis der Cinéfondation. Teil des Preises ist, dass sein erster Film im offiziellen Programm des Festivals von Cannes gezeigt werden sollte. Die Aussicht, freie Hand zu haben, aber mit dieser Karte auf alles zu setzen und dabei scheitern zu können, lähmte den Regisseur. Bis er auf die Geschichte von Olli Mäki stieß, die ihm Auftrieb gab.

Es mag das finnische Understatement sein, die lakonische Ruhe, die die größte Qualität von “Der glücklichste Tag” ist. Sicherlich, die Dramaturgie hätte mehr auf Spannung setzen können. Kuosmanen macht genau das Gegenteil. Bei ihm sind es die Darsteller, die die Gefühle durch ihre Präsenz übermitteln. Besonders Onna Airola, die hier das erste Mal vor der Kamera steht, gelingt es, vergessen zu machen, dass sie spielt. Die Ruhe und Kraft, die sie ausstrahlt, wird Olli nützlich sein, erkennt auch der Zuschauer, wenn er es denn schafft, sie für sich zu gewinnen. Er legt da fast mehr Ambitionen rein, als in seine Boxkämpfe. Aus ihm strahlen Melancholie und der Wunsch nach Einfachheit. Die Welt des Profisports ist folglich für ihn eine Welt, die er nie verstehen wird. Nur Raija bleibt der Anker in der Brandung

“Der glücklichste Tag” ein poetischer Film von einer Schlichtheit und Aufregungslosigkeit, die allem zuwider läuft, was man bei einem Sportfilm erwartet. Jani-Petteri Passi ist mit der Kamera mittendrin und findet trotzdem die ruhigen Momente. Gedreht wurde mit 16mm und in körnigem Schwarzweiß, dass zum einen die 60er Jahre authentisch transportiert, weil die Atmosphäre diese Ära atmet, aber auch zeitlos wirkt. Der dokumentarische Ansatz dagegen dient der Verdichtung der Handlung. Juho Kuosmanen erzählt in seinem Debüt, das Finnland ins Rennen der Auslandsoscars geschickt hatte, nicht nur von dem Kampf in einer Arena, in der man unter dem Druck von allen Seiten alleine steht, sondern eben von der Selbstfindung, die ihren Platz in der Zweisamkeit findet. Ein leiser Film, ein kluger Film, auf den man sich einlassen muss, der einen eben das schenkt, was Olli Mäki ausmacht, während das Terrain des Boxens mehr dem Zirkus der Filmemacherwelt ähnelt.

Elisabeth Nagy


Heute am 1. Mai 2017 wird der Gewinnerfilm noch einmal im Filmmuseum Potsdam gezeigt. Zuerst bekommen die Kids ab 15:00 Uhr noch einmal die »Future Highlights« aus dem Kinderprogramm zu sehen und anschließend ab 19:00 Uhr werden dort auch die offiziellen Preisträger den Erwachsenen vorgeführt, darunter der am Vortag gekürte Gewinnerfilm der Sektion Spielfilm sowie der Gewinner des Kurzfilmwettbewerbs. Die ausgezeichneten Werke mutiger Nachwuchsfilmemacher/-innen sollte man nicht verpassen.

• Best Documentary - 5.000 Euro
"Hinter dem Schneesturm / Beyond the Snowstorm"
Germany 2016 | Levin Peter | 92‘ Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:
Manche Bilder sind nur noch Schatten in Korn und Unschärfe. Der Jenaer Filmabsolvent der Filmakademie Baden-Württemberg fand bei seinem bereits dementen Großvater ein Album mit Aufnahmen aus dessen Zeit als Wehrmachtsoldat in der Ukraine. Levin Peter stellt seinem Diplomfilm ein Zitat über das Erinnern voran. Lautlos dirigiert eine Figur in der ersten Einstellung die Stille, die die Erinnerungen fest umschlossen hält. Aus den Fotografien lassen sich Gefühlswelten ableiten, je nachdem, wer sie betrachtet.

Der Enkel will die Vergangenheit des Großvaters ins Jetzt herüberretten und wird zur Brücke zu den Erinnerungen anderer Überlebenden. Die Kamera baut er im Zimmer im Altersheim des Großvaters auf. Er fragt und er fordert. Zuvor hatte Peter die Hilfe der Ärzte gesucht, um dem alten Herrn keinen Schaden zuzufügen. Es dauert, bis aus dessen “nichts” an Gefühl ein “beschissen” wird.

Peter reist in die Ukraine, nach Mariupol, und förderte dort weitere Erinnerungen zu Tage. Langsam ist das Erzähltempo, geduldig, neugierig, man atmet als Zuschauer die Luft, die Erde, den Regen, den Schnee. Aus der Ukraine bringt Peter auch Tonaufnahmen zurück, ein Bellen, Kirchengeläut, alles, was Erinnerungen auf dieser Ebene weckt, ohne diese vollends erklären zu müssen. Peter, der hier durch einen Zufallsfund eine persönliche Geschichte mit der Zeitgeschichte verknüpfen kann, gelingt es Gefühle für das Vergehen der Zeit, dem Altern und dem Erinnerung auch auf den Zuschauer zu übertragen.

Elisabeth Nagy


• Best Short Film - 2.500 Euro
"Ce qui échappe / The Elusive"
Belgium 2016 | Ely Chevillot | 18‘

• Best Genre Film - 5.000 Euro
"Asteria"
Animated Film | France 2016 | Alexandre Arpentinier | 5‘

• Best Production - 3.000 Euro
"Watu Wote / All of us"
Feature Film | Germany 2016 | P: Tobias Rosen | 22‘

• Best Children Film - 2.500 Euro
"Wolkenreiter / Cloud Rider"
Short Film | Switzerland 2017 | Manuela Rüegg | 18‘

• Best Youth Film - 2.500 Euro
"Rocknrollertjes / Rocknrollers"
Documentary | Netherlands 2016 | Daan Bol | 24‘

• Best Music Video - 2.000 Euro
"MeTube 2: August sings Carmina Burana"
Music Video| Austria 2016 | Daniel Moshel | 5‘

• Best Screenplay- 2.000 Euro
"Dornröschen 2.0 – Eine Prinzessin wacht auf!"
Germany 2016 | Gesa Scheibner

• Audience Award - 10.000 Euro sponsored by Basis Berlin
"Watu Wote / All of us"
Feature Film | Germany 2016 | P: Tobias Rosen | 22‘

Weitere Informationen zu den Gewinnern und den Begründungen der Jury, die erst zur Verleihung am Sonntagabend, den 30. April 2017, veröffentlicht wurden, finden Sie auf der Homepage des Festivals.

Als Beispiel eines herausragenden internationalen Kurzfilmes, der ebenfalls im Wettbewerb der Sehsüchte lief, haben wir das polnische Werk "Cipka - Pussy" von Renata Gąsiorowska für unsere Filmbesprechung ausgewählt, weil der Film am 8.4.2017 auf dem Filmfest Dresden mehrfach ausgezeichnet worden war, wie wir hier schrieben.

"Cipka - Pussy" Animation von Renata Gąsiorowska: Der Trailer, kann leider nur direkt auf der Website von Vimeo angesehen werden:



Filmkritik:
Eine junge Frau verbringt den Abend alleine zu Hause. Sie bereitet sich einen Tee zu und macht es sich auf dem Sofa bequem. Sie fühlt sich wohl, sie ist ganz bei sich, sie verwöhnt sich. All das in ganz geordneten Bahnen. Bis sie scheinbar gestört wird.

Dann passiert etwas, das dem auch bis zu dem Zeitpunkt voll Verspieltheit und positiver Freude am eigenen Körper vermittelten Frauenbild, aus der vorhersehbaren Bahn wirft und ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Ihre Vagina hat so ihren eigenen Kopf. Reckt und streckt sich und springt in ein ausgelassenes Spiel und das quer durch die Wohnung. Sie bäumt sich auf und fletscht die Zähne und sie schnurrt sich wie ein Kätzchen zusammen, damit die junge Frau sie liebevoll kraulen kann. Und das ist noch nicht alles.

Renata Gasiorowska, Jahrgang 1991, Studentin der Filmhochschule in Lodz hält ihren Animationsfilm mit dicken roten und blauen Strichen auf weißem Grund fest, die auch mit einfachster Kontur die Gefühle zwischen Wohl- und Missgefallen ausdrücken können. Für dieses herzerfrischende Essay voller Humor hat der polnische Kurzfilm bereits zahllose Auszeichnungen einstreichen können. Auf der DOK Leipzig gab es den Publikumspreis, auf dem AFI Fest in den USA den großen Preis der Jury.

Renata Gasiorowska zeigt uns, was selbstverständlich sein sollte, die Lust und Freude am eigenen Körper, womit sie vor allem junge Frauen ansprechen sollte. Sie zeigt, was viel zu oft verborgen bleibt. Sie zeigt mit welch guten Gefühl und mit wieviel Phantasie Frau sich Lust verschaffen und wieviel Spaß das machen kann. Aus den digital gezeichneten Bildern, die mindestens zum Schmunzeln anregen, bricht auch die einfache Linienführung in den bestimmten Farben irgendwann auf und wandelt das einfache Weiß des Hintergrunds in ein unbändiges Meer an Farbe.

Elisabeth Nagy


Unter den langen Spielfilmen des sehsüchte Wettbewerbs möchten wir aus Deutschland "Meteorstraße" von Aline Fischer sowie "Ein Weg - Paths" von Chris Miera erwähnen, die beide schon in der Sektion »Perspektive Deutsches Kino« der diesjährigen 67. Berlinale liefen, und von denen uns ebenfalls kurze Rezensionen vorliegen.

Das diesjährige Team der sehsüchte hat übrigens - im Gegensatz zu den Vorjahren - kurze und lange Filme nicht in getrennten Sektionen gezeigt, sondern - wie früher im Kino üblich - je einen Kurzfilm mit einem langen Film in den Vorführungen kombiniert. Eine schöne Idee, die auch im Kino wieder zur Regel werden sollte, um den Kurzfilm einen besseren Stellenwert zu geben.

"Meteorstraße" von Aline Fischer:
Mit Hussein Eliraqui, Oktay Inanç Özdemir, Bodo Goldbeck, Sebastian Günter, Murat Akin, Golmé Denis; (Deutschland 2016, 85 Minuten) Hier der Trailer:



Filmkritik:
Die Kamera ist nahe an den Figuren dran, so nahe, dass kein Abstand erlaubt wird. Mohammed und sein älterer Bruder Lakhdar leben zu zweit in der Meteorstraße, die Flugzeuge vom nahe gelegenen Flughafen Tegel sind der einzige Hinweis auf Weite und Freiheit. Die Eltern wurden abgeschoben, der Bruder traumatisiert, aggressiv, unbeständig. Mohammed will ein geregeltes Leben, eine Ausbildungsstelle, aber nicht nur die Eskapaden des Bruders hindern ihn, auch seine Schüchternheit. Er jobbt in einer Werkstatt, wird hingehalten, merkt aber von den Zwängen, denen der Eigentümer ausgeliefert ist, nichts.

Von den Brüdern ist der eine explosiv, der andere fast ausdruckslos. Da sind es die Randfiguren, die das Publikum leiten. Aline Fischer, die bereits in Frankreich Regie im Dokumentarfilmbereich studiert hatte, legte als Studentin an der Konrad Wolf Universität ihren ersten Langspielfilm vor. Ihr ist an Atmosphäre gelegen, viele Nachtaufnahmen, das Fordern und Strafen setzt sich auch in der Bild- und Klangsprache fort, wenn auf Enge und Krach ein Driften durch die Straßen folgt. Fischer hat die Figuren zusammen mit ihren Darstellern entwickelt. Die Suche nach Identität und Familie nimmt bald darauf eine Wendung.

Elisabeth Nagy


"Ein Weg - Paths" von Chris Miera:
Mit Mike Hoffmann, Mathis Reinhardt, Tom Böttcher, Peer Martiny, Anna Katharina Schimrigk, Cai Cohrs, Yvonne Döring, Nadine Heidenreich, Christian Martin Schäfer, Eva Horacek; (Deutschland 2017, 105 Minuten). Hier der Trailer:



Filmkritik:
Chris Miera beschränkt sich in seinem Diplomfilm an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf auf die inneren Abläufe einer langjährigen Beziehung, die auseinanderdriftet. Zwei Menschen sind sich nahe, doch die Nähe hat sich über die Jahre hinweg verändert.

Der Film springt an einem Punkt, in dem alles bereits erstarrt zu sein scheint, zurück, auf das Kennenlernen 13 Jahre zuvor. Auch in dieser Lebensphase ist Mieras Blick, der das Buch zusammen mit Philipp Österle geschrieben und selbst die Kamera geführt hat, ein Suchen, ein zurückgenommenes Warten. Es sind wichtige emotionale Momente die die Kamera einfängt, aber keine lauten. Das Leben ist ein ruhiger Fluss, den Eindruck bekommt der Zuschauer bei dem leisen verhaltenen Spiel von Mike Hoffmann und Mathis Reinhardt. Dass die Zeit vergeht und sich etwas verändert bemerkt man nicht unbedingt an den Sorgen um Lebenserhalt und Arbeit, sondern daran, dass der Sohn des einen aufwächst und schließlich flügge wird. Miera betrachtet eine Liebe in der Retrospektive, bleibt dabei ganz bei dem Paar, das Ertasten des jeweils anderen ist nach all den Jahren ungleich schwerer. Vielleicht fehlen dann doch zu viele Puzzleteile, vielleicht muss man zu viele Wendungen oder ein Einerlei voraussetzen, um das Schwinden der Liebe nachzuvollziehen.

Elisabeth Nagy


SEHSÜCHTE
Ein von Studierenden der Filmuniversität Potsdam selbst organisiertes Internationales Filmfestival
Marlene-Dietrich-Allee 11
14482 Potsdam-Babelsberg

Link: www.sehsuechte.de




++++++++++++



Der achtung berlin - new berlin film award hatte seine Gewinner schon am 26. April 2017 verkündet.

Die wichtigsten Preise von »Achtung Berlin« hatten wir zusammen mit unserer Filmkritik zum besten Dokumentarfilm bereits am 27.04.2017 genannt. Die vollständige Preisliste wollen wir heute ergänzen und mit zwei weiteren Filmkritiken anreichern. Die Preise des 13. achtung berlin – new berlin film award wurden in den einzelnen Kategorien wie folgt vergeben:

Der new berlin film award in der Kategorie »Bester Spielfilm«, dotiert mit einem Preisgeld von 3000 Euro, gestiftet von Audi City Berlin ging an:
"DIE HANNAS"
Regie: Julia C. Kaiser

Der new berlin film award in der Kategorie »Bester Dokumentarfilm«, dotiert mit einem Sachgutschein für die Nutzung des digitalen Gradings inkl. Personal im Wert von 5.000 Euro, gestiftet von ARRI Media, ging an:
"SCHULTERSIEG"
Regie: Anna Koch

Eine Lobende Erwähnung erhielt:
"ER SIE ICH"
Regie: Carlotta Kittel

Der new berlin film award in der Kategorie »Bestes Drehbuch«, dotiert mit einem Preisgeld von 2000 Euro in bar, gestiftet von Hahn Film ging an:
"DIE HANNAS"
Drehbuch: Julia C. Kaiser; Regie: Julia C. Kaiser

Eine Lobende Erwähnung erhielt:
"KÖNIGIN VON NIENDORF"
Drehbuch: Joya Thome, Philipp Wunderlich, Regie: Joya Thome

Der new berlin film award in der Kategorie »Beste Produktion«, dotiert mit einem Sachpreis im Wert von 3.000 Euro für die Postproduktion, gestiftet von wave-line ging an:
"FREDDY / EDDY"
Produktion: Tini Tüllmann, Regie: Tini Tüllmann

Eine Lobende Erwähnung erhielt:
"MANDY – DAS SOZIALDRAMA"
Produktion: Aron Craemer, Mandy Rudski, Oliver Kolb, Regie: Aron Craemer

Der new berlin film award in der Kategorie »Beste Regie«, ein Technikgutschein für die Anmietung von digitaler Kameratechnik mit einem Volumen bis 2.000 Euro, gestiftet von SEE YOU RENT, ging an:
"FREDDY / EDDY"
Regie: Tini Tüllmann

Der new berlin film award in der Kategorie »Beste Kamera«, die Realisierung einer hochwertigen Kameraeinstellung (‚One Good Shot’) im Wert von bis zu 3.000 Euro, gestiftet von und einzulösen bei ARRI Rental Berlin, ging an:
"SCHULTERSIEG"
Kamera: Julia Lemke, Regie: Anna Koch

Der new berlin film award in der Kategorie "Beste Schauspielerin", dotiert mit 750 Euro in bar, gestiftet von Darling Berlin (daredo media), ging an:
Anna König für ihre Leistung in: "DIE HANNAS"

Der new berlin film award in der Kategorie »Bester Schauspieler«, dotiert mit 750 Euro in bar, gestiftet von Darling Berlin (daredo media), ging an:
Till Butterbach für seine Leistung in: "DIE HANNAS"

Der new berlin film award in der Kategorie »Bester Mittellanger Film«, dotiert mit einer Unterstützung für Luftaufnahmen inkl. Aufstiegsgenehmigung für einen Tag (1 Drehort) im Wert von 2.000 Euro, gestiftet von Evolair, ging an:
"KÖNIGIN VON NIENDORF"
Regie: Joya Thome

Eine Lobende Erwähnung erhielt:
"OBST UND GEMÜSE"
Regie: Duc Ngo Ngoc

Der new berlin film award in der Kategorie »Bester Kurzfilm«, dotiert mit 1.000 Euro in bar sowie mit einem Gutschein für eine Woche Kamera-, Licht-und Tonequipment für eine HDTV-Produktion, gestiftet von ALEX Offener Kanal Berlin, ging an:
"PANDA III"
Regie: Max Villwock

Der new berlin film award in der Kategorie »Mutigster Kurzfilm«, dotiert mit einem Gutschein für die Teilnahme an dem Seminar „Drehbuch schreiben“ im Wert von 1000 Euro, gestiftet und einzulösen bei Filmgeist, ging an:
"MILCH KAPUTT 3 PAPIER"
Regie: Tim Kochs

Der new berlin film award in der Kategorie »Bester Dokumentarfilm Mittellang/Kurz«, dotiert mit einer kostenlosen AG DOK Mitgliedschaft für ein Jahr sowie der Teilnahme an zwei Seminaren der AG DOK Akademie im Wert von 750 Euro, gestiftet von der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) ging an:
"GARTEN DER STERNE"
Regie: Stéphane Riethauser, Pasquale Plastino

»Der Preis der Ökumenischen Jury«, dotiert mit 1.000 Euro in bar, gestiftet von Radio Paradiso. Er wird sektionsübergeifend verliehen und ging an:
"ER SIE ICH"
Regie: Carlotta Kittel

Eine lobende Erwähnung erhielt:
"ALS PAUL ÜBER DAS MEER KAM - Tagebuch einer Begegnung".
Regie Jakob Preuss; mit Paul Réné Nkamani (Deutschland 2017, 97 Minuten): Ab 31. August 2017 im Kino. Hier der Trailer.



Filmkritik:
Ursprünglich wollte der Berliner Regisseur Jakob Preuss (“The Other Chelsea”) einen Dokumentarfilm über die Europäische Außengrenze und deren Grenz- und Küstenwache “Frontex” drehen. Er fuhr deshalb nach Melilla, einer Exklave Spaniens an der Mittelmeerküste von Marokko. Die Bilder von Flüchtlingen, die auf dem dortigen Grenzzaun saßen und ausharrten, gingen um die Welt.

Im Umland gab es kleine Zeltlager, in denen sich Flüchtlinge unterschiedlicher Nationalität zu gleichgesinnten Clans zusammengezogen hatten, um auf ihre Chance, doch über den Zaun zu kommen, zu warten. Der Regisseur weiß selbst nicht mehr so genau, ob er sich Paul oder ob Paul ihn ausgesucht hatte. Paul zeigte ihm das Lager, führte ihn herum, beantwortete Fragen. Am Ende von “Als Paul über das Meer kam” ist man sich sicher, dass nicht nur Paul eine Reise zurückgelegt hat, sondern auch Jacob Preuss, auch wenn der Weg des Kameruners weiter und gefährlicher war, als der des Filmemachers und eigentlich nicht als abgeschlossen gelten kann. Doch auch für den Regisseur gab es Grenzen zu erkennen, zu überwinden oder aufrechtzuerhalten. Nicht von ungefähr heißt der Untertitel “Tagebuch einer Begegnung”.

Die Gründe, warum Menschen sich in Bewegung setzen und migrieren, sind vielfältig. Krieg und Armut, Politik und Wirtschaft, sind wohl die häufigsten Auslöser. Jakob Preuss stellt zwei Zitate aus zwei Jahrhunderten an den Anfang: Nämlich von Frederick Douglass und von Paul Collier, die das Recht der Migration bestärken bzw. ablehnen. Aber es ist nun einmal Fakt, dass der Kameruner Paul nicht einfach über diese Mauer springen und Ländergrenzen überqueren darf, während Jakob sich mit seinem deutschen Pass frei bewegen kann.

Dabei kennt Jakob Preuss aus seiner Kindheit auch eine Grenze. Die Berliner Mauer war für ihn etwas Selbstverständliches. Das Wissen um den Fall der Mauer bestärkt ihn nun sicherlich darin, nichts für unumstößlich zu halten. Wie werden zukünftige Generationen auf die Migrationsbewegungen des 21. Jahrhunderts zurückblicken? Die Gründe reißen Paul und seine Landsleute im Camp an, sie sollen aber nicht Gegenstand der Dokumentation sein. Dabei kann sich jeder vom politischen Engagement des Regisseurs, der in Paris an der Sorbonne Jura studiert hatte, selbst ein Bild machen. Er drückt sich nicht darum. Dennoch sind diese Gründe eher unwichtig, wenn es darum geht, dem Publikum zu vermitteln, wie diese Lebenswege und die Flüchtlingsrouten aussehen und was die Menschen, die bei uns ankommen, bereits durchgemacht haben. Jakob Preuss engagiert sich im Global Diplomacy Lab, hat die Initiative Geht-auch-anders gegründet und gilt inzwischen als Kundiger in Sachen Migration. In wie fern diese Langszeitdokumentation ihn verändert hat, ist ebenfalls nicht Gegenstand, man kann es aber erahnen.

Die Begegnung mit Paul war für Jakob mitunter schwierig. Bereits Pauls Landsleute fragten, ob Paul dafür Geld bekäme vor der Kamera zu posieren, und ob Jakob ihnen, wenn sie ihm seine Fragen beantworten, ebenfalls helfen kann nach Europa zu kommen. Es grenzt an Fügung, dass Jakob Paul irgendwann wiederfindet, nachdem Pauls “Weg über das Meer” tatsächlich nur knapp nach einer Seerettung - in der der schwarze Afrikaner recht bleich und abgekämpft aussah - in Europa fortgesetzt werden konnte. Jakob ändert nun seine Pläne und folgt dem Kameruner quer durch Europa. Doch Paul hat auch Erwartungen an Jakob. Es ist ein Geben und Nehmen und irgendwann verschmelzen sich die beiden Lebenswege und damit ändert sich auch die Natur des Films. Jakob kommen langsam Gewissensbisse und er muss sich entscheiden, ob er in den Ablauf überhaupt eingreifen darf und ab wann er sich zurückziehen muss, um die Dokumentation nicht zu verfälschen. Immer wieder lässt uns der Regisseur an seinen Überlegungen teilhaben, in wie fern er Paul überhaupt helfen darf.

Das ist aber nur ein Aspekt von “Als Paul übers Meer kam”, denn es soll auch der Weg der Migration aufgezeigt werden. Hier kommen mehr als einmal Animationsbilder zum Einsatz, zumal die Ereignisse und die zurückgelegten Distanzen nicht anders zu visualisieren sind. Allerdings kann der Zuschauer dadurch den beschwerlichen Weg nicht mehr erfühlen, die lebensbedrohlichen Gefahren nicht mehr real erfahren. Der Regisseur vermeidet, zum Glück, die bereits so oft gesehenen Bilder von Rettungen und Schleusungen. Er findet andere Bilder.

Doch am Ende ist der Wechsel vom spanischen Melilla zum Kreuzberger Treppenhaus so erstaunlich und fast unglaublich, dass der Regisseur es selbst zur Sprache bringt. Ohne ein bisschen Unterstützung seinerseits und zum Schluss auch seiner Eltern, hätte es wohl nicht geklappt. Den Dschungel durch die deutschen Behörden kann die Kamera nur noch in Auszügen folgen, was eine gewisse Distanz aufbaut, den Zuschauer aber langsam auch ermüden lässt. Immerhin dauert die Reise von Paul übers Meer - ab dem Zeitpunkt des Zusammentreffens mit Jakob bis zum Abspann - mehr als zwei Jahre. Der Regisseur vermeidet dabei einen Spannungsaufbau um der Spannung halber und unterteilt den Film deshalb in tagebuchartige Kapitel. Zwischendrin stellt Jakob Preuss immer wieder Fragen, die den Zuschauer zum nachdenken anregen sollen.

Elisabeth Nagy

PS post scriptum:
Paul musste Berlin wieder verlassen und wurde in ein weit entferntes Asylantenheim verwiesen. Der Premiere im Kino Babylon konnte er dennoch beiwohnen und wurde wie ein Filmstar gefeiert.


Der undotierte Preis des »Verbands der deutschen Filmkritik« (VdFK) wurde in der Kategorie »Bester Spielfilm« vergeben und ging an:
"VANATOARE" von Alexandra Balteanu
Mit Corina Moise, Iulia Lumí¢nare, Iulia Ciochină, Sergiu Costache, DragoŁŸ Olaru; (Deutschland, Rumänien 2016, 75 Min.)
Hier der Trailer und unsere Filmrezension:



Filmkritik:
Drei Frauen mit drei unterschiedlichen Schicksalen stehen unter einer Autobahnbrücke und warten auf Freier. Der Verkehr rauscht vorüber. Stetig, unablässig, der Lärm bohrt sich in die Gehörgänge, die Luft drückt auf den Brustkorb. Es ist trist und grau, ganz offensichtlich kalt. Für die drei Frauen Lidia, Denisa und Vanessa ist dieser Spot die einzige Möglichkeit sich und ihre Familie irgendwie über die Runden zu bringen.

Alexandra Balteanu, geboren in Rumänien, stellte ihr Regiedebüt als Studentin der Deutschen Film und Fernsehakademie Berlin (dffb) zuerst in San Sebastián vor und wurde daraufhin auch zum Max Ophüls Preis nach Saarbrücken eingeladen. Dort gab es den Preis der Ökumenischen Jury, bevor sie nun auf dem achtung berlin - new berlin film award vom Verband der deutschen Filmkritik mit dem Preis des besten Spielfilms ausgezeichnet wurde, obwohl “Vanatoare” vom Ansatz her eher dokumentarisch wirkt.

Viel Persönliches erfährt das Publikum zudem über die drei Protagonistinnen mit ihren unterschiedlichen Schicksalen nicht. Die Handlung fängt zwar mit einer der drei Frauen an, aber Rückschlüsse auf ihren Lebensweg kann man daraus noch nicht ableiten. Nur Geld ist ein Problem, sonst würden die Frauen sich nicht prostituieren, irgendwo in der freien Wildbahn an einer Zubringerstraße nach Bukarest.

Warum sie das tun und dass sie ganz selbstbewusst sich das Recht nehmen, ihren Körper feilzubieten, kommt erst dann zur Sprache, als die Polizei die drei Frauen aufgreift und ihnen das letzte Geld wegen angeblicher Steuerhinterziehung abknöpft. Der Titel, der sowohl mit Jagd als auch mit Herumstreunen übersetzt werden kann, deutet wohl auf eine gesellschaftliche Problematik hin, bei dem der Streifenwagen nur als Sinnbild einer korrupten Gesellschaft steht. Vielleicht ist die Prostitution aber auch nur ein extremes Beispiel, um auf die Rolle der Frauen in der rumänischen Gesellschaft näher eingehen zu können.

Von Anfang an ist der Graben, der diese Frauen von den Männern in ihrem Umfeld trennt, kaum zu überwinden. Von Gleichstellung kann in Rumänien offenbar keine Rede sein. Nicht einmal mit Frechheit und Wagemut können sie zur Ebene der Männer aufschließen. Sie werden vielmehr mit einer bodenlosen Unverfrorenheit wie selbstverständlich ausgenutzt.

Das merkt auch der Zuschauer ziemlich schnell und darum kommt “Vanatoare” irgendwann nicht mehr von der Stelle. Die bedrückende Atmosphäre, die nicht einen Schimmer von Sonne und Glückseligkeit in dem scheinen lässt, zehrt am Gemüt. Alexandra Balteanu steht eindeutig zwar auf der Seite der Frauen, gibt ihnen jedoch keinen Ausweg. Ganz im Gegenteil. Nachdem man ihnen kaum eine Chance im Leben gegönnt hat, werden ihnen auch noch die Würde und ihr Geld genommen und man weiß nicht, was am Ende schwerer wiegt.

Elisabeth Nagy


Eine Lobende Erwähnung erhielt:
"LASS DEN SOMMER NIE WIEDER KOMMEN"
Regie: Alexandre Koberidze

»The Exberliner Film Award«, dotiert mit einem Gutschein für einen Tag im SMALLVILLE.BERLIN Studio im Wert von 1.000 Euro, gestiftet von Art-on-the-Run Film School Berlin, wird sektionsübergreifend an einen herausragenden Film verliehen, der die Interkulturalität Berlins fördert oder von einer Filmemacherin / einem Filmemacher mit internationalem Hintergrund realisiert wurde und ging an:
"CLUB EUROPA"
Regie: Franziska M. Hoenisch

Eine Lobende Erwähnung erhielt:
"MEIN VATER UND ICH"
Regie: Ali Tamim

achtung berlin – new berlin film award präsentierte vom 19. bis zum 26. April 2017 in den bekannten Spielstätten Kino International, Babylon, Filmtheater am Friedrichshain, Tilsiter Lichtspiele, Volksbühne, Neue Kammerspiele Kleinmachnow sowie erstmals in den Kinos Eiszeit, Lichtblick, Wolf und City Kino Wedding insgesamt rund 80 Filme.

Made in Berlin-Brandenburg, der Wettbewerb des Festivals, versammelt eine Auswahl abendfüllender Spiel- und Dokumentarfilme sowie mittellange Filme und Kurzfilme, darunter Uraufführungen und zahlreiche Deutschland- und Berlinpremieren, allesamt in Anwesenheit der Regisseure und Schauspieler.

achtung berlin – new berlin film award wird veranstaltet von achtung berlin e.V. und gefördert von der Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH.

Link: www.achtungberlin.de.



Anzeige