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Eckpunktevereinbarung zwischen ARD & Produzenten

Was die Branche zu den neuen ARD-Eckpunkten und zu den Arbeitsbedingungen der Filmschaffenden sagt.



Kaum war die ARD-Filmintendantin Karola Wille Anfang Januar turnusmäßig ARD-Vorsitzende geworden, legt sie bereits knapp vier Wochen später ein neues Eckpunktepapier 2.0 vor, das den Produzenten spürbar entgegen kommt und nach zweijährigen Verhandlungen Ende Januar endlich eine Vereinbarung zwischen ARD und Produzentenallianz ermöglicht. Diese regelt die Vertragsbeziehungen zwischen Produzenten und ARD-Landesrundfunkanstalten sowie Degeto und legt fest, wie Verwertungsrechte aufgeteilt werden. Die neuen Eckpunkte enthalten zahlreiche Neuerungen. Mehr Kalkulationsrealismus lautet nun die Devise, die für Mehrausgaben auf ARD-Seite in Höhe von 50 Mio. Euro jährlich sorgen dürfte.

"Bei TV-Movies und -Serien sowie im Doku-Bereich ergeben sich daraus entscheidende Budgetverbesserungen von fünf bis zehn Prozent, die Kosten decken, die bisher von den Produzenten wie selbstverständlich im Alleingang getragen werden mussten. Natürlich muss die KEF diesem Mehrbedarf erst zustimmen. Das beste Programm bekommt die ARD - und ihre Tochter Degeto aber nur von den Top-Produzenten, die ihren Aufwand und ihre Sorgfalt mindestens auch wieder einspielen können. Schließlich wollen sie auch in der diversifizierten Entertainmentzukunft die immer härtere Konkurrenz mit (globalen) Programmplattformen im Internet, die immer stärker um ihre Zuschauer buhlen, mit möglichst sorgfältig entwickelten und publikumswirksamen Filmen und Serien bestehen", so Ulrich Höcherl, Chefredakteur von Blickpunkt:Film.

Bei allem Entgegenkommen z.B. in der Frauenquote, welche die ARD unter den Regisseurinnen auf mehr als 20% erhöhen möchte, zeigen sich die öffentlich-rechtlichen Sender ansonsten weniger einsichtig, wenn es ums faire Verteilen aller anfallenden Rechte geht. Die von Politikern gestärkten Sender erwarten immer noch, dass die Produzenten Programmstunden im Akkord abliefern. Starke, mit ausreichendem Kapital ausgestattete Partner würden aber für eine ganz andere Qualität bei der zukünftigen Programmentwicklung sorgen.

Für Fernsehauftragsproduktion in Deutschland wird ein neuer Abschnitt beginnen.
Durch die neue Selbstverpflichtungserklärung der ARD besteht nun für die teil- und vollfinanzierten Auftragsproduktionen der Genres Fiktion, Unterhaltung und Dokumentation ARD-weit eine einheitliche Grundlage. Mit den neuen Eckpunkten 2.0 werden unter anderem die Themenkomplexe Kalkulation und Rechte umfassend neu geregelt. Erstmals in der Geschichte der Auftragsproduktion in Deutschland erhalten Produzenten bei Teilfinanzierung jetzt in größerem Umfang die Möglichkeit, den Anspruch auf Rechte an ihren Produktionen geltend zu machen, um sie von Anfang an selbst zu verwerten. Ebenfalls erstmals wird darüber hinaus eine systematische Erfolgsprämierung für Produzenten geschaffen.

1. Kalkulation:
In der Vergangenheit wurden Kalkulationsposten wie wichtige Berufsbilder und bestimmte allgemeine Kosten von der ARD nicht anerkannt und mussten von den Produzenten finanziert werden. Künftig werden zahlreiche Berufsbilder wie beispielsweise Producer oder Headautor bei fiktionalen Serien sowie etwa projektbezogene Rechtsberatung und Archivarbeit kalkulationsfähig. Die Mehrkosten für die realistische Kalkulation wurden von der ARD bei der KEF für die nächste Beitragsperiode angemeldet und stehen somit noch unter KEF-Vorbehalt.

Dazu erklärt Alexander Thies, Vorsitzender des Produzentenallianz: „Die ARD steht mit der neuen Kalkulationsrealität nun ganz an der Spitze der Fernsehsender in Deutschland. Diese muss in den einzelnen Häusern freilich auch gelebt und praktiziert werden. Es kann dadurch gelingen, in Zukunft auskömmlichere Fernsehproduktionen herzustellen, die dem Zuschauer, aber eben auch allen Filmschaffenden, zu Gute kommen.“

2. Rechte:
Die Produzentenallianz begrüßt, dass die ARD am Prinzip der vollfinanzierten Auftragsproduktionen festhält, künftig aber verstärkt auch teilfinanzierte Produktionen ermöglichen wird. Erstmals in der Geschichte der Auftragsproduktion in Deutschland kann der Produzent durchsetzen, durch Mitfinanzierung Rechte zu erwerben, die er selbst verwerten kann. Dafür wurde ein „Schichtenmodell“ entwickelt, mit dem Sender und Produzenten anhand eines einheitlichen Katalogs eine faire Aufteilung von Verwertungsrechten an der konkreten Produktion herstellen können.

Alexander Thies: „Indem sie künftig Rechte selbst verwerten können, kommen die deutschen Produzenten in eine dynamische, unternehmende und verwertende Rolle, die sich unserer Überzeugung nach einem ‚Lizenzmodell‘ nach britischem Vorbild schon sehr annähert. Jetzt muss sich zeigen, wie die Rechteteilung und Verwertung in der Praxis umgesetzt wird.“

3. Erfolgsprämierung:
Ebenfalls erstmals in der Geschichte der Auftragsproduktion in Deutschland können die Produzenten künftig am Erfolg ihrer Werke teilhaben. Dafür enthalten die neuen Eckpunkte ein systematisches Leistungsmodell, das einerseits herausragende und prestigeträchtige Auszeichnungen und Nominierungen honoriert und gleichzeitig die programmliche Nutzung (Wiederholungen) auf den verschiedenen ARD-Plattformen berücksichtigt. Für die jeweils genrespezifisch besten zehn Produktionen eines Jahres wird es einen neuen zweckgebundenen Entwicklungsvertrag für ein neues ARD-Projekt geben.

Weitere Regelungen der neuen Eckpunkte betreffen u.a. die Erlösbeteiligung der Produzenten, die Verwertung nicht genutzter Rechte durch den Produzenten, die Einrichtung einer Schiedsstelle und verbindliche Regeln für Ausschreibungen und Pitches.

Man kann die ARD zu ihrem Weitblick, dem Mut und der Innovationsbereitschaft beglückwünschen. In der Fernsehauftragsproduktion in Deutschland wird ein neuer Abschnitt beginnen“, betonte Alexander Thies anlässlich einer Pressekonferenz. „In der digitalen Medienwelt mit ihrer weiter zunehmenden Internationalisierung wird eine erhebliche Verwertungsdynamik durch VoD und neue Vertriebsformen entstehen, an der die Produzenten durch die neuen Eckpunkte leichter partizipieren können. Davon – und von den anderen Verbesserungen durch die Eckpunkte 2.0 – werden die Programme und damit die Zuschauer profitieren. Sie sind es, für die wir produzieren.“

Die Vorabfassung steht hier zum Download bereit: www.produzentenallianz.de/Eckpunkte_2-0

Die Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen ist die maßgebliche Interessenvertretung der deutschen Produzenten von Film-, Fernseh- und anderen audiovisuellen Werken. Sie vereint über 230 Produktionsunternehmen aus den Bereichen Animation, Dokumentation, Kinofilm, TV-Entertainment, TV-Fiktion und Werbung.

Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e.V.
Kronenstraße 3
10117 Berlin
Web: www.produzentenallianz.de



Deutliche Kritik an den Produzenten übt dagegen weiterhin die vereinte Dienstleistungsgesellschaft ver.di. Die dritte Verhandlungsrunde um den Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (TVFFS) am 1. März 2016 soll endlich den Mauerkurs der Produzentenallianz brechen. Damit möglichst viele sich beteiligen können, wird connexx.av, das Netzwerk in ver.di FilmUnion, den gesamten Februar über Filmsets in ganz Deutschland besuchen, um über Knackpunkte im Alltag und die Tarifforderungen zu reden, damit am Ende bessere Arbeitsbedingungen für alle Filmschaffenden herausspringen. Auch die Berlinale wird Gelegenheit geben, sich zu treffen, über die Situation in der Branche zu diskutieren und sich über gemeinsame Aktionen zu verständigen.

Filmschaffende demonstrierten im Januar in München.
Keine Bewegung gab es in der zweiten Verhandlungsrunde um den Tarifvertrag Film- und Fernsehschaffende (TVFFS) am 21. Januar 2016 in München. Vor dem Verhandlungslokal demonstrierten mehr als 60 Filmschaffende unter dem Motto "Kreativität braucht keine 13 Stunden!". Ein Kollege brachte es in seinem Post auf Facebook auf den Punkt:

"Wir reden hier von einer 60 Stunden Woche!!! Die IG Metall möchte immer noch die 35 Stunden Woche haben. Meint Ihr nicht mal langsam in die Wirklichkeit kommen zu müssen? Legale Ausbeutung bei Film und TV finden so nie ein Ende."

Die ver.di-FilmUnion fordert für die rund 25.000 Film- und Fernsehschaffenden, die für die Dauer von einzelnen Filmproduktionen angestellt werden, neben höheren Gagen eine Begrenzung der überlangen täglichen Arbeitszeiten von 13 auf maximal zwölf Stunden, eine Erhöhung der Wochengagen um mindestens 50 Euro, die Aufnahme der Gewerke Beleuchtung und Kamerabühne mit Wochengagen von 1600 für den Oberbeleuchter (OB) bzw. 1550 € für die Kamerabühne in die Gagentabelle, die Reaktivierung des Zeitkontos 50-40-Plus und die Anrechnung der Shuttle-Zeiten vom Hotel zum Dreh als Arbeitszeiten.

Darüber hinaus soll die Anwendung des Tarifvertrags gewährleistet werden. Die Produzentenallianz hat in den bisherigen Verhandlungen eine weitere Reduzierung von Arbeitszeiten allerdings strikt abgelehnt und nur bei den Gagen ein Angebot gemacht: Erhöhungen um 1,3 Prozent ab April 2016 und 1,5 Prozent im Jahr.

"Die Arbeitstage sind zu lang und damit zu gefährlich. Bei Fernsehfilmen darf eigentlich nur an zwei von fünf Tagen, bei Kinofilmen an vier von fünf Tagen bis zu 13 Stunden gearbeitet werden, die Regel heißt: Nach zwölf Stunden ist Schluss. Doch das wird oft nicht eingehalten. Bei den mobilen Arbeitsorten, den technischen Auf- und Umbauten muss alles passen. Durch Müdigkeit oder Unkonzentriertheit passieren Fehler, die gesundheitlich schwere Folgen haben können. Die Produktionen brauchen weniger Budget- und Zeitdruck", erklärte ver.di-Verhandlungsführer Matthias von Fintel. Er verwies auf Umfrage unter rund 900 Filmschaffenden. Darin hatten etwa zwei Drittel der Befragten angegeben, dass die Höchstarbeitszeitregeln von maximal zwölf Stunden nicht eigehalten werden.

Setbesuche im Februar: "Grußbotschaften" an die Produzenten.
Nachdem auch die zweite Verhandlungsrunde um den TV FFS noch ohne Ergebnis blieb, soll der Protest nun stärker werden. Damit sich viele hinter die Forderungen nach maximal zwölf Stunden Arbeitszeit und höheren Gagen stellen können, wird die ver.di FilmUnion den gesamten Februar über Filmsets in ganz Deutschland besuchen und Postkarten mit dem Motto: "Kreativität braucht keine 13 Stunden" verteilen, die von den Filmschaffenden ausgefüllt und dann vor dem nächsten Verhandlungstermin an die Produzentenallianz übergeben werden sollen.

ver.di FilmUnion
Links: filmunion.verdi.de | www.facebook.com/connexx.av

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