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Die Gewinnerfilme des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg

Der International Newcomer Award der Jubiläumsausgabe des 70. IFFMH geht an ›Il Buco‹ von Michelangelo Frammartino.



Das nach der Berlinale zweitälteste Filmfestival Deutschlands versuchte vom 11. - 21. November 2021 mit seiner 70. Jubiläumsausgabe an alte Hochglanzzeiten anzuknüpfen und präsentierte sowohl physisch im Kino, als auch digital im Online-Stream ein unglaublich interessantes Programm.

Durch die Corona-Pandemie hatte sich das Festivalgefüge ziemlich verschoben, sodass die 70. Ausgabe des IFFMH seine Streams leider gleichzeitig mit jenen des exground Filmfest in Wiesbaden verbreitete.

Wir haben dennoch versucht möglich vieles zu sehen, was zum Teil aber daran scheiterte, dass besonders interessante Werke erst zum Festivalende - jeweils nach der Kinopremiere - nur für kurze Zeit freigeschaltet wurden.

Neugierig machte uns die Ankündigung der Deutschlandpremiere von "IL BUCO" (Die Höhle) eines italienischen Filmdramas von Michelangelo Frammartino, das im September 2021 bei den Internationalen Festspielen von Venedig seine Premiere feierte, und beim 70. IFFMH den mit 30.000 Euro dotierten International Newcomer Award gewann.

Trotz relativ großem 55" OLED Flachbildschirm, auf dem wir über eine Laptop-Verbindung den Stream in HD-Auflösung sehen konnten, wirken die grandiosen Landschaftsaufnahmen eher wie ein Blick durch ein Fernglas und erreichen leider nicht ganz die Authentizität eines Kinoerlebnisses auf einer großen Leinwand.

Hier der Trailer: (für den Vollbildmodus bitte nach Start unten rechts auf das Quadrat clicken)



Synopsis:
1961 machte sich ein italienisches Team von Höhlenforschern nach Süditalien auf, um in einer mehrtägigen Expedition eine der tiefsten Höhlen der Welt zu erkunden. Regisseur Michelangelo Frammartino hat dieses historische Projekt nun nachgestellt und steigt, irgendwo zwischen dokumentarischer Beobachtung und fiktiver Inszenierung, hinab in ein Reich voller Sinnlichkeit. Dort braucht es keine Dialoge. Die Hauptrolle übernehmen die Höhle und die erhabene Landschaft Kalabriens. Wenn sich das Licht der Stirnlampen im richtigen Moment in die Dunkelheit fräst, sehen wir in der Tiefe die feuchten, blutroten Wände der Höhle. Oben durchmessen die Rufe eines Hirten die endlose Weite. Unten wird eine hell leuchtende Fackel ganz langsam zu einem schwachen Schimmer. ›Il buco‹ ist eines der größten Leinwand-Ereignisse dieser Saison.

Die Jury schreibt:
“Dieser Film hat uns durch seine einzigartige Stimme, die Empfindungen und Konturen der Erkundung und seine verführerische filmische Nachdenklichkeit beeindruckt – eine visuelle Entdeckungsreise, ein Thriller der physischen wie emotionalen Empfindungen”.


Ebenfalls von der International Jury vergeben: Der Rainer Werner Fassbinder-Award für das beste Drehbuch, der in diesem Jahr an ›Zero Fucks Given‹ von Julie Lecoustre und Emmanuel Marre verliehen wird.

Hier ein Ausschnitt: (der Stream des kompletten Films lag uns im Gegensatz zur Kinofassung nur in der Originalfassung ohne deutsche Untertitel vor, was an manchen Stellen leider durch den starken französischen Akzent ein wenig zu Verständnisschwierigkeiten führte.)



Synopsis:
Wenn Cassandra (26), Stewardess einer Billigairline, die Uniform ablegt, fällt ihre Maske. Zwischen Flügen auf Lanzarote stationiert, betäubt sie ihre innere Leere mit Alkohol, Parties und Tinder-Sex-Dates. Als Cassandra trotz ihrer gehobener Position den Job verliert, kehrt sie in ihr Elternhaus zurück, wo sie sich einem traumatischen Familienereignis stellen muss. Dem Regie-Duo gelingt eine Berufs- und Charakterstudie von fast dokumentarischer Authentizität und Unmittelbarkeit. Unnachgiebig fixiert die Kamera Adèle Exarchopoulos, wenn sie zwischen tatsächlichen Airline-Mitarbeiter*innen agiert, beinahe jede Einstellung gehört ihr, sie ist das Herzstück des Films. Mit entwaffnender Verletzlichkeit spielt sie die tragikomische Version eines Millennials, die in einer Welt des Hyperkapitalismus und Digitalismus wie eine Nomadin zwischen unwirtlichen Transit-Orten hin und her hetzt – entwurzelt, rastlos, auf der Suche nach sich selbst.

Jurybegründung:
Beeindruckt hat das Jury-Trio die Drehbuchentwicklung vor Ort, der spielerische Umgang der Autor*innen mit dem globalen Prekariat, die bestrafende Reaktion auf das Zeigen menschlicher Gefühle und die Katz-und-Maus-Spiele bei Vorstellungsgesprächen und in der Kundenbetreuung, wo man ständig Leistung bringen muss.


Der japanische Beitrag aus dem Wettbewerb, ›Haruhara-san’s Recorder‹ von Kyoshi Sugita, einer Filmlyrik, inspiriert von einem Kurzgedicht der japanischen Dichterin Naoko Higashi, den wir leider nicht mehr geschafft haben zu sehen, wurde mit einer Lobenden Erwähnung bedacht.

Gewinnerfilm des FIPRESCI Awards ist das US-Indie-Drama ›The Sleeping Negro‹ von Skinner Myers, in dem Wut über das politische System mit politischer Analyse zusammenfallen.

Hier der Teaser in einem radikal nicht-traditionellen Filmstil, um die Gefühle eines schwarzen Mannes in Amerika frei auszudrücken‎:



Synopsis:
‎Konfrontiert mit einer Reihe von rassistisch aufgeladenen Vorfällen, muss ein junger schwarzer Mann Wut, Entfremdung und Hoffnungslosigkeit überwinden, um seine eigene Menschlichkeit zu finden, nachdem sein weißer Chef ihm befohlen hatte, Betrug zu begehen, um dem Unternehmen zu nützen. Aber weder sein schwarzer Kumpel noch seine weiße Freundin wollen den Rassismus erkennen, dem er ständig ausgesetzt ist. Zerrissen zwischen dem Wunsch nach Frieden und der Wut auf das System, kommt der junge Mann dem Wahnsinn immer näher und begegnet bald einem unheimlichen Doppelgänger.

Die FIPRESCI-Jury zur Auswahl: “Mit seiner einzigartigen Filmsprache ist er unverblümt, elegant und zugleich zutiefst menschlich.”


Der Ecumenical Award wird an Antoinette Boulats ›My Night‹ verliehen, den die Jury als magischen Kinomoment bezeichnet. Dem können wir nur zustimmen, der Film ist großartig, was der Ausschnitt leider nicht hergibt!

Hier der Teaser:



Synopsis:
Zarte Blicke, unsichere Bewegungen, um die nächste Ecke biegt die erste Liebe. Die 18-jährige Marion zieht es auf die Straße, sie hat sich mit ihrer Mutter gestritten, Gefühle kochen hoch. Heute ist der Geburtstag ihrer verstorbenen Schwester. Da will sie bei ihren Freundinnen sein, sich frei fühlen, sie selbst sein. Es ist Sommer in Paris, der Kanal St. Martin ruft mit seinen verwunschenen Ufern und Brücken, die Männer flirten, die Frauen auch, Marion lässt sich treiben. Ein kleines Abenteuer folgt auf das nächste, bis ein Mann in ihr Leben tritt, der anders ist.

Regisseurin Antoinette Boulat bringt frischen Wind ins französische Kino. Mit Leichtigkeit und einem Auge für die Details, die Begegnungen so besonders machen, schafft sie einen vollends gegenwärtigen Film über das Verlieben, in den man sich selbst nur allzu gern verliebt.


Die Junge Jury verleiht in diesem Jahr den Award of the Student Jury an den brasilianischen Film ›The First Fallen‹, in dem Regisseur Rodrigo de Oliveira einen wichtigen Teil der LGBTQ-Geschichte aufarbeitet.

Hier der Trailer:



Synopsis:
„Trans“, das bedeutet im zweiten Spielfilm des Brasilianers Rodrigo de Oliveira ganz wörtlich das Überwinden von Grenzen: zwischen Geschlechtern, zwischen Zeiten, zwischen Fantasie und Wirklichkeit. Es steht für den Mut, sich frei zu machen von allem, worauf die Welt und unsere Körper uns festnageln wollen. Sich voran zu trauen, ins Offene – gerade dann, wenn die Zukunft verschlossen scheint. Suzano kehrt für Neujahr 1983 heim nach Brasilien. Mit ihm kommt eine namenlose Krankheit. Oder war sie schon da? Die intime Community um die Drag Queen Rose und den Regisseur Humberto scheint zu ahnen, dass sich die Zeiten verdüstern – und kämpft, tanzt, singt in den Clubs der Stadt umso lustvoller dagegen an.

De Oliveira pfeift auf jedes vermeintliche Tabu und findet eine vollkommen eigene Stimme irgendwo zwischen Derek Jarman, David Lynch, Xavier Dolan und Telenovela.

"Durch formale und inhaltliche Präzision gelingt es dem Film, authentisch und jenseits klassischer Dramaturgie dem Publikum das Leid der Opfer der AIDS-Epidemie näherzubringen", so die Jury.


Gewünscht hätten wir uns noch einen Preis für den rumänischen Film "Întregalde" von Radu Muntean über einen Wohltätigkeitstrip zu Weihnachten, der in einen Alptraum umkippt.

Auch der französische Eröffnungsfilm "You Resemble Me" (Tu me ressembles), das Debut von Dina Amer hat uns begeistert. Der Traum vom selbstbestimmten Leben: Ein Mädchen flieht von zu Hause, wird erwachsen, droht sich zu verlieren. Ein fulminantes Plädoyer gegen Vorurteile.

Ebenso war der bulgarische Film "Women Do Cry" von Mina Mileva & Vesela Kazakova über fünf Frauen, die erst gegeneinander – und dann gegen das bulgarische Patriarchat kämpfen, sehenswert.

Link: www.iffmh.de

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