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Unsere Filmkritiken und Film-Empfehlungen im November 2021, Teil 3

Mit gebührendem Abstand, der leider nicht überall eingehalten wird, sind Kinovorführungen für doppelt Geimpfte vielerorts sowie in Berlin auch in Pandemie-Zeiten derzeit noch möglich.



Sachsen sowie Bayern machen wegen der dramatisch steigenden Corona-Zahlen große Teile des öffentlichen Lebens jedoch dicht.

Alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Diskotheken, Klubs und Bars werden geschlossen, auch die Weihnachtsmärkte werden landesweit abgesagt. Auch in Berlin wurden bereits einige geplante Weihnachtsmärkte wieder abgebaut, während die Kinovorstellungen für doppelt Geimpfte derzeit noch weiter laufen. Allerdings gibt es tatsächlich auch Filmtheater, die weitere individuelle Einschränkungen wie tagesaktuelle Testnachweise, vergrößerter Sicherheitsabstand auch für Pärchen, oder Maskenzwang am Platz während der gesamten Filmvorführung verlangen.

Um dennoch gutes, aktuelles Kino sehen zu können, empfehlen wir für ängstliche oder vorerkrankte Personen, die jegliches Risiko in Hotspots scheuen, sich den digitalen Streaming-Portalen der Filmfestivals in Mannheim-Heidelberg und in Wiesbaden vom exground Festival zu zuwenden, die beide noch bis Sonntag, den 21. November 2021 online sind. Auch das Interfilm Kurzfilmfestival ist bis in den Dezember hinein auf der Arthouse Streaming Plattform SOONER als Nachlese zu sehen.

Natürlich ist das Kinoerlebnis auf der großen Leinwand ungleich größer, weshalb sowohl die 72. Berlinale, die nur für Geimpfte im Februar 2022 physisch stattfinden soll, wie auch das Berliner Weltkinofestival »Around the World in 14 Films«, das am 2. Dezember 2021 im CineStar in der Kulturbrauerei startet, sich gegen Online-Ausgaben ihrer Festivals stellen.

Nur derzeit im Kino sind auch die von uns nachfolgend besprochenen beiden sehenswerten Filme zu sehen.



"GROSSE FREIHEIT" Biopic-Drama von Sebastian Meise (Österreich, Deutschland) über die Situation von Homosexuellen zur Zeit des unmenschlichen Paragraphen 175. Mit Franz Rogowski, Georg Friedrich, Anton von Lucke u.a. seit 18. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Hans Hoffmann (Franz Rogwski) liebt Männer. Er gehört zu den Schwulen, die von den Alliierten aus dem KZ befreit wurden, von dort aber direkt ins Gefängnis überstellt wurden, um ihre Reststrafe nach §175 (der vom 1. Januar 1872 bis zum 11. Juni 1994 existierte) abzusitzen.

In wiederkehrenden Zeitsprüngen erzählt Regisseur Sebastian Meise die erschütternde Geschichte Hoffmanns fast ausschließlich im Mikrokosmos eines Gefängnisses. Kaum ist er in Freiheit, wird er auch schon wieder verfolgt. Da die Liebe zwischen Männern kriminalisiert war, traf man sich in sogenannten „Klappen“, öffentliche Toiletten, die von der Sittenpolizei kontrolliert wurden und in denen mit Hilfe von Spion-Spiegeln heimliche Filmaufnahmen gemacht wurden, und vor Gericht als Beweismittel für erneute Verhaftungen sorgten. Und so landeten immer wieder unschuldige Menschen in Gefängnissen.

Im Gefängnis teilt sich Hans die Zelle mit Victor (Georg Friedrich) dem es gar nicht gefällt, dass man ihm einen Schwulen in die enge Zelle setzt. Mit so jemandem will Victor, der wegen Mordes eine lebenslange Haftstrafe verbüßen muss, nichts zu tun haben.

Die Arbeit der Gefangenen besteht darin, Hakenkreuze von Uniformen zu reißen. Das änderte sich, als im deutschen Wirtschaftswunder die Gefängnisse modernisiert wurden und das Nazi-Personal durch strenge dienstgläubige Wächter ausgetauscht wurde. Was sich nicht änderte: Hans und Victor treffen sich wieder und wieder. Hans rebellisches Auftreten gegen die Willkür der Wärter, das für ihn tagelange Dunkelhaft zur Folge hat, flößt Victor Respekt vor ihm ein.

Trotz der Härte im Knast, findet Hans Wege, seine Sehnsucht nach Zärtlichkeit zu stillen und Momente des Glücks zu spüren, auch wenn sie noch so kurz sind. Einem Mitgefangenen, in den er sich verliebt hat und den er nicht gefährden will, verhilft er mit einer Falschaussage vor Gericht zur Freilassung. Seine eigene Strafe wird erhöht.

Als Victor die KZ-Nummer am Arm von Hans entdeckt, tätowiert er sie über mit vielen groben Stichen. Es ist auch der Moment, wo sich der anfänglich grob und brutal erscheinende Victor sich langsam öffnet und seine zerbrechliche und einsame Seite zeigt. Im Laufe der Jahre bilden die beiden ungleichen Männer eine Schicksalsgemeinschaft und trotzen der Gewalt im Knast, Freiräume und kleine Zufluchten ab. In ihrer Ausweglosigkeit fassen sie stilles Vertrauen zueinander. Letztendlich verbindet sie die Sehnsucht nach menschlicher Nähe, Zuneigung und Zärtlichkeit.

Das berührende Drama „Große Freiheit“ wird von dem Österreicher Sebastian Meise ernst und zugleich mit einer zärtlichen Leichtigkeit erzählt, was auch an den beiden herausragenden Hauptdarstellern Franz Rogowski und Georg Friedrich und ihrem sensationellen Spiel liegt.

Eine Liebesgeschichte ohne große Worte, die schon ganz viele Preise gewonnen hat und noch gewinnen wird.

Ulrike Schirm


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"PLATZSPITZBABY - Meine Mutter, ihre Drogen und ich" Biopic-Drama von Pierre Monnard (Schweiz), das auf dem gleichnamigen autobiographischen Buch von Michelle Halbheer basiert. Mit Luna Mwezi, Sarah Spale, Anouk Petri u.a. seit 18. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Die wahre Geschichte einer elfjährigen Schweizerin, deren Mutter drogenabhängig ist)

Mia, ein junges Mädchen, irrt auf einem überfüllten Drogenumschlageplatz umher und sucht ihre Mutter Sandrine. Sie findet sie und sieht mit an, wie sie sich mit ihrem Vater prügelt.

Ende der 1980er Jahre wurde ein kleiner Park beim Züricher Hauptbahnhof zum berühmt-berüchtigten Treffpunkt von Dealern und Drogensüchtigen: Der Platzspitz. Täglich hielten sich bis zu 3000 Menschen beim Platzspitz auf. Unter schlimmsten Bedingungen hausten sie dort, verkauften und konsumierten Drogen. Auf Druck der Öffentlichkeit und der Politik wurde der Platz 1992 geräumt. Die Süchtigen wurden in ihre Gemeinden abgeschoben, aus denen sie ursprünglich kommen.

Eine von ihnen ist die Drogenabhängige Sandrine, die sich mit ihrer elfjährigen Tochter Mia durchs Leben schlägt.

Mia und ihre Mutter räumen ihre neue Wohnung ein. 34 Tage war Sandrine clean, es scheint endlich alles gut zu werden. Doch dann trifft Sandrine einen alten Bekannten aus der Drogenszene, Serge, wieder, der in der Nähe wohnt.

Mia ahnt Schreckliches. Nach Schulschluss sieht Mia ihre Mutter, wie sie ausgelassen mit Serge in dessen Wohnung geht. Sie folgt den beiden und sieht, dass das Haus von Drogensüchtigen bewohnt wird. Sandrine gerät wieder in den Teufelskreis von Versprechungen aufzuhören und der Jagd nach dem nächsten Schuss. Bei der Scheidung ihrer Eltern hat Mia angegeben bei Sandrine zu bleiben, um sich um sie zu kümmern. Einmal im Monat sieht sie ihren Vater, den sie anschwindelt, es sei alles gut.

Nicht nur zuhause geht nicht alles gut, auch in der Schule schaut man auf Mia herab und nennt sie „Junkiebaby“. Mias größter Wunsch ist, mit ihrer Mutter auf die Malediven zu reisen, um sie aus dem Drogensumpf herauszuholen. Von dem Geld, das ihr Vater ihr bei den Treffen zusteckt, kauft sie Unmengen von Rubbellosen, um 10.000 Franken zu gewinnen, denn so viel Geld braucht sie für die Reise.

Ihr Schmerz ist unerträglich, wenn sie wieder kein Glück hat. Die ständigen Stimmungswechsel ihrer Mutter zehren an dem Mädchen. Fast täglich kommt sie übermüdet zur Schule. Um das alles zu ertragen, flüchtet sie in Tagträume mit ihrem imaginären Freund Buddy, der ihr Nähe und Wärme gibt und ihrer Liebe zur Musik entspringt. Sie muss nicht nur auf sich, sondern auch auf ihre Mutter aufpassen.

Herzzerreißende Szenen spielen sich zuhause ab. Tränenüberströmt verspricht Sandrine endlich aufzuhören mit dem Heroin und im nächsten Augenblick schreit sie ihre Tochter an und schickt sie los, Drogen für sie zu besorgen. „Baby, du bist das Wunderbarste auf dieser Welt. Ich verspreche dir aufzuhören“.

Nach jedem Versprechen folgt ein Rückfall. Ablenkung findet Mia bei der frühreifen Lola und deren Clique, eine Art Ersatzfamilie. Auch Lola scheint es nicht gut zu gehen. Einmal sagt sie: „Ich wünschte mein Vater sei endlich tot“. Als Mia wieder einmal nicht weiter weiß und immer mehr die Kraft verliert sich gegen ihre alles beherrschende Mutter aufzulehnen, schlägt sie Lola vor, gemeinsam abzuhauen. Lola wartet draußen mit gepackter Tasche. Mia kommt nicht. Sie musste die Sanitäter holen…

„Platzspitzbaby – Meine Mutter ihre Drogen und ich“ ist angelehnt an den gleichnamigen autobiographischen Bestseller von Michelle Halbheer und Franziska K. Müller.

Eine unglaubliche Geschichte, angesiedelt mitten im Züricher Drogenmilieu aus der Sicht eines 11jährigen Mädchens, grandios gespielt von Luna Mwezi, eine Neuentdeckung mit einer enormen Leinwandpräsenz. Der Kraft dieser außergewöhnlichen Coming-of-Age-Story kann man sich kaum entziehen. Die eindrücklichen Bilder, treffen einen mit voller Wucht mitten ins Herz.

Regisseur Pierre Monnard gibt seinen beiden Hauptdarstellerinnen, Luna Mwezi und Sarah Spale, sehr viel Raum in ihren Rollen aufzugehen. Besonders Sarah Spale verschafft ihrer Rolle eine unglaubliche Authentizität. Eine Geschichte zwischen brutaler Realität und poetischer Fantasiewelt, in die sich Mia immer wieder rettet , um sich vor dem Horror des Alltags zu schützen.

Der Film ist allen Kindern gewidmet, die vergessen gingen. Am Ende singt Mia: „Ich gebe nicht auf…“

Ulrike Schirm


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"PARIS, KEIN TAG OHNE DICH" Dokumentarfilm aus Deutschland von Ulrike Schaz im ACUD Kino in Berlin in Kooperation mit AG DOK Berlin/Brandenburg. Jeweils am 20, 22, 24. November 2021! Am 24.11.2021 zu Gast: Regisseurin Ulrike Schaz. Hier der Trailer:



Unsere Kinoempfehlung:

In ihrer für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominierten Dokumentation "Paris - Kein Tag ohne dich" erzählt die in Süddeutschland geborene, aber in Hamburg lebende Regisseurin Ulrike Schaz von einer zufälligen Begegnung mit Terroristen in Paris im Jahr 1975.

Filminhalt:
Zur falschen Zeit am falschen Ort. Genau dieser Umstand stellt das Leben einer jungen Frau auf den Kopf, die nichtsahnend mit ihrem damaligen Freund Jean Marie in Frankreich auf eine Party geht.

Niemand nimmt zu diesem Zeitpunkt an, dass dort der international gesuchte Terrorist Carlos, der „Schakal“, noch in derselben Nacht zwei französische Polizisten erschießen würde. Die deutsche Filmemacherin und Protagonistin Ulrike Schaz gerät somit in den Verdacht des französischen Geheimdienstes, der sie als „Terroristin“ und „Freundin von Carlos“ in ihrer Datenbank aufnimmt und sie daraufhin des Landes verweist.

Fast 40 Jahre später trifft sie ihren damaligen Freund in einem Pariser Café zum ersten Mal wieder. Den Blick gerichtet auf eine kleine Schwarzweiß-Fotografie aus dem Portemonnaie ihres alten Freundes und zwei Leben, die damals auseinanderdrifteten und nie wieder ganz zusammenfanden, reflektieren sie die damaligen Ereignisse, die sich zu einem Albtraum entwickelten.

Die Konsequenzen einer einzigen Nacht treten, ähnlich zufällig wie die Liebe, mit einem Donnerschlag in das Leben von Ulrike Schaz, die einen künstlerisch-einfühlsamen und gleichsam kritischen Essay über ihre unglaubliche deutsch-französische Geschichte zu Zeiten der RAF im deutschen Herbst verfasst hat.

Manchmal reichen der Vorname und die Nationalität aus, um in die Fänge staatlicher Geheimdienste zu geraten: „Ich glaube, dich hatten sie viel mehr im Visier, weil du deutsch warst und Ulrike heißt“, meint Jean Marie.


Termine im ACUD Kino Berlin:
Samstag, 20. November 2021 17:00 Uhr
Montag, 22. November 2021 18:00 Uhr
Mittwoch, 24. November 2021 19:00 Uhr

Am 24.11.21 in Anwesenheit der Regisseurin Ulrike Schaz

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