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Unsere Filmkritiken im März 2019, Teil 1

Vorgestern, dem Starttag von "Captain Marvel", erreichte der erste Film aus dem Marvel Cinematic Universe mit einer Superheldin in der Hauptrolle, gleich sechsstellige Besucherzahlen.



Es ist kaum zu glauben, dass nach einem dramatisch schlechten Kino Jahr in 2018, es doch wieder möglich ist, sechsstellige Besucherzahlen an einem Starttag zu erreichen.

Doch dies gelang nicht etwa dem von uns als neuer Meilenstein empfundenen Sci-Fi-Action-Abenteuer "Alita: Battle Angel", das mit Rosa Salazar, Christoph Waltz und Jennifer Connelly bereits am 14. Februar 2019 gestartet war, sondern dem lieblos zusammengeschusterten "Captain Marvel", dem ersten Film aus dem Marvel Cinematic Universe ebenfalls mit einer Superheldin in der Hauptrolle.

Hier der Trailer zu "Alita: Battle Angel" von Robert Rodriguez:



Während "Alita: Battle Angel", das auf Basis eines Manga-Comics, mit Unterstützung durch James Cameron („Terminator“, „Titanic“, „Avatar“) überzeugend realistisch umgesetzt wurde und mit anspruchsvollen technischen Neuerungen aufwartete, fehlt in dem abstrusen "Captain Marvel" ein gut durchdachtes Drehbuch, sodass die stark übertriebenen Szenen, kaum Raum für Innovationen übrig lassen.

Hier der Trailer zu "Captain Marvel":



Erschrocken aber sind wir, wie unreflektiert das meist jüngere Kinopublikum, das im letzten Jahr dem Kino oft ferngeblieben war, auf einmal wieder in Neuankündigungen rennt. Gleichwohl sind es eigentlich jene Zuschauer, die immer seltener in Kino gehen, weil sie ein Netflix-Abo haben und täglich vor der Glotze an ihren Serien kleben.

Gar nicht passen mag dazu die gestrige Meldung, dass mehr als 45% der Deutschen ein Netflix-Abo von mehr als 5,- Euro schon heute für zu teuer empfinden. Bei einem durchschnittlichen Kino-Ticketpreis von zuletzt 8,54 Euro sind die Preise für Streaming-Abos fast preiswert. Allerdings müsste man gleich mehrere Streaming-Portale wie Amazon, Maxdome, Netflix, Videociety u.a. abonnieren, um genau das sehen zu können, was einem die Kinos bieten. Das ist letztendlich aber zusammengenommen deutlich teurer.

Der Hype an der Kinokasse dürfte aber schnell wieder verschwinden, wenn sich herumspricht, wie erschreckend lieblos das Fantasy-Marvel-Abenteuer von Anna Boden und Ryan Fleck trotz der Stars Brie Larson, Samuel L. Jackson und Jude Law umgesetzt wurde. Wir hoffen, dass sich die wahrscheinlich bald wieder einpendelnde Besucherzahlen, nicht auf die Statistiken der Arthouse-Kino-Zahlen durchschlagen. Jene waren bisher immer relativ stabil geblieben, wenn leider auch auf deutlich niederem Niveau.

Insgesamt 11 Neustarts gibt es in dieser Woche, die wir aber nicht alle besprechen können. Neben den nachfolgenden beiden Rezensionen von "Helmut Berger, Meine Mutter und Ich" sowie "If Beale Street Could Talk", für den Regina King einen Oscar als beste Nebendarstellerin gewann, sind außerdem noch besonders erwähnenswert: "White Boy Rick", "Mid90s", der seine Premiere im Panorama der Berlinale hatte, sowie "The Sister Brothers", "Die Berufung" und der Dokumentarfilm "Hi AI".

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"BEALE STREET" Drama von Barry Jenkins (USA). Mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King u.a. seit 7. März 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

James Baldwin (1924 – 1987), in New York geboren, war einer der bedeutendsten US-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Seine Maxime: „Schreib über das, was du kennst“.

Susanne Kippenberger (Tagesspiegel 24.02.2019): „Seinen Texten wohnt eine seltene Wucht und Klarheit inne. Vielleicht erfährt James Baldwin deswegen ein Revival.“

Berry Jenkins („Moonlight“) hat mit „If Beale Street Could Talk“ (so der Original Titel) einen Film gemacht, der tief unter die Haut geht und mitten ins Herz trifft.

„Ich wünsche Niemandem einen Menschen, den er liebt, durch Glas zu sehen.“ Es sind die bitteren Worte, die die 19-jährige Tish (Kiki Layne) spricht, als sie ihren Geliebten Fonny (Steven James) im Gefängnis besucht. Alonzo, genannt Fonny, sitzt wegen einer Vergewaltigung, die er nicht begangen hat, im Knast.

Zögernd erzählt ihm Tish als ersten, dass sie ein Baby erwartet. Die romantische Liebesgeschichte dieses jungen schwarzen Paares, wird vor dem Hintergrund des herrschenden Rassismus, in Rückblenden mit den Worten Baldwins, erzählt.

Harlem in den Siebzigern und leider auch noch heute aktuell.

Tish und Fonny kennen sich seit Kindheitstagen und verlieben sich ineinander. Eine der zärtlichsten visuellen Beschreibung ihres „ersten Mals“, die man je auf der Leinwand gesehen hat. Starken Rückhalt findet das afroamerikanische Paar in Tishs Familie. Es sind die äußeren Umstände, die ihren Start in ein gemeinsames Leben, erschweren. Eine diskriminierende Auseinandersetzung mit einem weißen Polizisten, bei der sich Fonny nicht unterkriegen lässt und durch dessen hasserfüllten Racheakt er hinter Gefängnismauern verschwindet.

In einer ergreifenden Szene, sitzt Fonnys entlassener Jugendfreund (Brian Tyree Henry) bei ihnen am Küchentisch und erzählt von seinem Gefängnisaufenthalt. „Im Knast machen sie mit dir was sie wollen. In diesem Land mögen sie einfach keine Nigger. Im Knast wurde mir klar, was Malcolm mit seinem Ausspruch der weiße Mann muss der Teufel sein, meinte“.

Dank eines mitleidvollen New Yorker Juden (Dave Franco) hat das Paar seine Wohnung gefunden. Das Geld für den Anwalt, schafft Tishs und Fonnys Vater gemeinsam mit illegalen Geschäften an. Mrs. Rogers, die Hauptzeugin des Vergewaltigungsprozesses, hat sich nach Puerto Rico abgesetzt. Tishs Mutter (Regina King), die als einzige, einen Oscar für die beste Nebendarstellerin bekommen hat, sucht sie dort auf, um die junge Frau zu bewegen, die Wahrheit zu sagen. Ergebnislos.

Jenkins Bilder sind in warme Farbtöne getaucht. Jenkins versteht es, eine herzergreifende Nähe zu seinen Darstellern aufzubauen, deren einziges „Verbrechen“ darin besteht, mit schwarzer Hautfarbe geboren zu sein. Eine sinnlich betörende Lovestory, die man sich mehr als einmal ansehen kann und die trotz aller Zartheit und der Kraft der Liebe, ein Gefühl der Wut hinterlässt. Noch heute gehört es zum amerikanischen Alltag, dass Schwarze ohne fairen Prozess im Gefängnis landen.

Ulrike Schirm


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"HELMUT BERGER, Meine Mutter und Ich" Doku von Valesca Peters (Deutschland). Mit Helmut Berger und Valesca Peters seit 7. März 2019 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filkritik:

Diesen Film hätte es nicht gegeben, wäre da nicht die resolute Bettina Vorndamme, eine Finanzkontrollerin aus Niedersachsen. Als sie im Netz den Namen Helmut Berger eingibt und jede Menge hässliche Berichte über ihn findet, beschließt sie das zu ändern. Sie will ihn, im positiven Sinne, wieder zurück in die Öffentlichkeit bringen, indem sie einen Spielfilm mit ihm drehen möchte. Ihre Tochter, Valesca Peters, kann ihr die Idee mit dem Spielfilm ausreden. So einigen sich die beiden Frauen darauf, mit dem ehemals „schönstem Mann der Welt“ eine Dokumentation zu drehen. Berger sagt nicht nein und zieht bei Bettina Vorndamme, wohnhaft in Nordsehl, ein.

Berühmt wurde Berger, der nie eine Schauspielschule besucht hat, mit Luchino Viscontis Film „Die Verdammten“. 12 Jahre waren die beiden ein Paar. Sein Tod war für Berger äußerst schmerzhaft. Mit ihm hat er eine starke Stütze verloren.

Berger fühlt sich sichtlich wohl in Bettinas Bauernhaus, umgeben von einem großen Garten. Auch genießt er die Zuwendung von Mutter und Tochter. Als Oma ihr schönstes Geschirr rausholt und zum Kaffee einlädt, blüht er regelrecht auf.

„Im Alter haben Erinnerungen denselben Stellenwert wie in der Jugend die Träume“. Und zu erzählen hat er viel. Für ihn gibt es keine wohligere Wärme als das Rampenlicht.

Es ist eine Freude mit anzusehen, wie die Filmemacherin Valesca Peters nicht nur das Kennenlernen zwischen Helmut und ihrer Mutter dokumentiert, sondern der Diva Berger viel Spielraum gibt und dem teilweise verbitternden und gebrechlichen alten Mann ein Stück Würde zurückgibt.

Höhepunkt ist das Angebot in der Berliner Volksbühne in dem Stück "LIBERTÈ", Regie Albert Serra, aufzutreten.

Mit Sack und Pack machen sich Mutter und Tochter mitsamt Helmut auf den Weg nach Berlin. Im Leben des Dreiundsiebzigjährigen ist es der erste Bühnenauftritt. „Ich weiß nicht, ob die Bühne Freund oder Feind ist“ bemerkt er skeptisch. Ziemlich fragil betritt er die Bretter, die die Welt bedeuten. Der Applaus tat ihm gut.

Bettine Vorndamme war längst abgereist. Es gab einen Streit. Das wochenlange Zusammenleben war nicht nur eitel Sonnenschein. Die Charaktere zu unterschiedlich. Eine kapriziöse Diva bleibt eine solche. Und als er in Berlin wieder zu trinken anfing, war es zu viel für Frau Vorndamme. Dennoch, Bettina wurde für den besten italienischen Schauspieler aus Österreich, zur ersten deutschen Freundin.

Ulrike Schirm



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