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8. ALFILM Festival eröffnet im Kino ARSENAL Berlin

Das 8. Arabische Filmfestival Berlin rückt näher. Am 31. März eröffnet ALFILM im Arsenal Kino sowie im Eiszeit, City Kino Wedding und fsk.



ALFILM – Arabisches Filmfestival Berlin ist deutschlandweit das größte Festival, das der vielfältigen Filmszene der arabischen Welt eine Plattform bietet. Der Schwerpunkt des Festivals liegt auf dem inhaltlich und künstlerisch anspruchsvollen arabischen Film. ALFILM ist ein nicht-kommerzielles Filmfestival, dass seit 2009 jährlich von makan – Zentrum für arabische Filmkunst und Kultur e.V. organisiert wird.

Vom 31. März -7. April 2017 geht ALFILM in die achte Runde und zeigt mit Spielfilmen, Dokumentarischem und Kurzfilmen wieder aktuelles Kino aus der arabischen Welt und von arabischen Filmemachern. Nach 3 Jahren umbaubedingter Pause wird ALFILM auch wieder die Leinwände des Kreuzberger Eiszeit Kinos bespielen; außerdem finden Vorführungen im Arsenal, fsk und im City Kino Wedding statt.

Eröffnet wird das 8. ALFILM am 31. März 2017 im Kino Arsenal mit dem libanesischen Spielfilm "TRAMONTANE", der die Suche des blinden Sängers Rabih nach seiner wahren Herkunft thematisiert. Doch auf seiner Reise durch die Peripherien des Libanon stößt er nur auf neue Geheimnisse. Hier der Trailer:


 
Filmkritik zu RABIH/TRAMONTANE von Vatche Boulghourjian, Libanon 2016, 105 Min.:

Ein junger Mann schreitet die Zimmer ab und tritt hinaus in den Hinterhof. Zahlreiche Gäste, ein gedeckter Tisch. Seine Mutter führt seine Hand an seinen Teller. Erst jetzt erkennt man: Rabih ist blind. Vatche Boulghourjian, geboren im Libanon, Filmstudium in den USA, wo er den Kameramann Jimmy Lee Phelan kennen lernte, erzählt jedoch nicht von einer Behinderung. Er nutzt Rabihs Unvermögen mit den Augen zu sehen, um ganz im Sinne von John Hull (dessen Geschichte in "Im Dunkeln sehen - Notizen eines Blinden" letztes Jahr auf arte vorgestellt worden war) das Vermögen einer inneren Sicht zu erkunden.

Rabih ist Musiker, er war auf einer Blindenschule und inzwischen ist er dort angestellt und Mitglied eines Chors. Nun wurde dieser Chor vom Ausland eingeladen. Was Rabih fehlt, ist ein Reisepass. Zu seinem Erstaunen erklärt man ihm in der Amtsstube, sein Personalausweis sei gefälscht. Aus Kulanz würde man ihn nicht verhaften, aber um sich zu legitimieren und einen Ausweis zu erhalten, müsse er seine Identität beweisen oder zumindest eine Geburtsurkunde vorlegen.

Ein nichtiger Anlass ist es also, der seine Suche nach einem Stück Papier, nach seiner Identität und schließlich seinem Bestreben nach Wahrheit und Aufklärung in Gang setzt. Woher komme ich? Wer hat mich der Frau anvertraut, die meine Mutter ist? Und warum? Und wer sind meine Eltern? Seine Mutter hat keine Urkunden. Zuerst heißt es, sie seien im Krieg verloren gegangen. Doch das kann so nicht stimmen. Mit jeder neuen Erkenntnis, ändert sich ihre Darstellung und Rabihs Suche weitet sich immer weiter aus. Boulghourjian hat in der Hauptrolle Barakat Jabbour gecastet, der tatsächlich blind und auch ein versierter Musiker ist. Bei den Dreharbeiten bereitete dieser Umstand keine Probleme. Jabbour, der das Drehbuch natürlich in Braille lesen konnte, konnte zuhören und setzte die Vision eines sensiblen Sohnes, der plötzlich ohne Identität da steht, glaubhaft um. Die Atmosphäre des Films, deren Tonspur besonders ausgefeilt ist, wird auch von der Musik getragen, zu der Jabbour nicht unwesentlich beigetragen hat.

Rabih braucht für seine Suche, die ihn übers Land führt, immer einen Begleiter und doch merkt man ihm die Eigenständigkeit an. Mit einer ernsten Bestimmtheit forscht er und lässt sich nicht abschütteln. Boulghourjian, der zuerst über einen Artikel von Oliver Sacks an das Thema Blindheit herangeführt worden war, stieg tiefer in die Materie des Sehens ein, in dem er die Schriften von John Hull selbst las, der erst im Alter langsam erblindete und den Prozess akribisch festhielt. Hull stellte die Bedeutung des Sehens für Sehende auf den Kopf. Ihn interessierte, was das Sehen und die Blindheit für die Aneingung von Erinnerungen bedeutete. Inspiriert von Hulls Überlegungen verfasste Boulghourjian eine Geschichte eines Blinden, der selbst keine Erinnerungen an seine Herkunft haben kann und keinerlei visuelle Anhaltspunkte hat, um all die Variationen, die man ihm erzählt, belegen oder verwerfen zu können.

"Rabih", der internationale Titel lautet "Tramontane", nutzt die Suche nach Identität als Metapher. Immer wieder ändern sich die Geschichten, die man Rabih, der in Zeiten des Krieges geboren worden war, erzählt, immer wieder gibt man vor, sich nicht zu erinnern. Weil man sich nicht erinnern will, weil es schmerzhaft ist, weil es Schuld bedeutet. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Immer wieder stößt Rabih an Grenzen, kehrt mit leeren Händen zurück, immer wieder muss er neu ansetzen. Wie durch ein Labyrinth muss er sich bewegen, doch Wortwahl und Zwischentöne fallen bei ihm auf fruchtbaren Boden, er kann die Essenz mit dem inneren Auge wahrnehmen.

"Rabih", der letztes Jahr in Cannes in der Reihe »Woche der Kritik« und auch auf dem Filmfest München gezeigt worden war, ist ein ruhiger, kluger Film, mitnichten perfekt, wobei das Talent des Erstlingsregisseurs klar durchscheint. Einige Gedanken über Identität, einige weise Worte, die traurig stimmen und doch so viel Weitsicht bedeuten, wird man mitnehmen aus diesem Film. Die Identität, die man mit dem Herzen wahrnimmt, wird für die Sehenden dann auch gar nicht unbedingt visuell vermittelt, sondern über die Musik.

Elisabeth Nagy

ALFILM präsentiert Spielfilme sowie Dokumentar- und Kurzfilme aus den arabischen Ländern an verschiedenen Spielstätten in Berlin – viele davon als Deutschland- oder Europapremieren. In der OFFICIAL SELECTION werden ausgewählte Neuerscheinungen (Spiel-, Dokumentar-, und Kurzfilme) aus den letzten drei Jahren gezeigt. Die Nebenreihe SPOTLIGHT, die in den Jahren 2009-2014 anhand zeitgenössischer und historischer arabischer Filme genreübergreifend gesellschaftlich relevante Themen aufgriff, wird diesmal nicht offiziell erwähnt.

Statt dessen widmet sich das Festival in einer Hommage dem Werk des bedeutenden Filmemachers, Bühnenbildners und Kostümdesigners Shadi Abdel Salam (1930-1986) in der diesjährigen Retrospektive. Der Regisseur hat in seiner Laufbahn mit namhaften Regisseuren wie Youssef Chahine, Henri Barakat, Joseph Mankiewicz und Roberto Rossellini zusammengearbeitet. Trotz seines vergleichsweise überschaubaren Werks als Regisseur ging Abdel Salam als einer der berühmtesten Namen in die Geschichte des ägyptischen Filmes ein. Sein 1969 gedrehtes Meisterwerk und einziger vollständiger Langspielfilm "The Night of Counting the Years" (Al-Mummia) ist ein Meilenstein des internationalen Kinos, und wird von zahlreichen Filmkritikern als der beste ägyptische Film überhaupt betrachtet. Der visionäre Autorenfilm "Al Mummia - The Mummy" wurde 2009 durch das von Martin Scorsese initiierte „World Cinema Project“ mit seiner expressiven Bild- und Farbgestaltung und dem minimalistischen Soundtrack originalgetreu restauriert.

Hier das komplette Werk mit engl. Untertiteln auf YouTube: 



Zum Inhalt:
Ägypten 1881. Seit Jahrzehnten lebt ein Clan davon, Pharaonengräber in der nahe liegenden Nekropole des Totentempels auszurauben und ihre Schätze zu verkaufen. Als das Oberhaupt des Clans stirbt, erfahren seine Söhne vom Geheimnis der Gräber und sollen das Geschäft weiterführen. Doch der junge Wanis weigert sich. Zerrissen zwischen der Loyalität zu seiner Familie und der moralischen Pflicht gegenüber dem kulturellen Erbes seines Landes wird er von seinem Gewissen geplagt. Die Familie gerät ins Visier der Polizei und ein Ermittler-Team wird nach Theben entsendet. Die Brüder verdächtigen Wanis und ein Familienkonflikt bricht aus.

WEITERE HIGHLIGHTS DER OFFICIAL SELECTION

"Haus ohne Dach", Spielfilm von Soleen Yusef, Deutschland/Kurdistan 2016, 117 Min.

Das deutsch-irakische Filmdrama von Soleen Yusef feierte im Juni letzten Jahres beim Filmfest München seine Premiere und wurde beim Montreal World Film Festival mit dem »Special Grand Prix of the jury« ausgezeichnet sowie in Berlin mit dem deutschen Nachwuchspreis »First Steps« prämiert. Hier der Trailer:



Über den Film:
Die Geschwister Liya, Jan und Alan sind in Iraqi Kurdistan geboren und in Deutschland aufgewachsen. Der Tod der Mutter bringt die drei nach langer Zeit getrennter Wege wieder zusammen. Es ist Ihr letzter Wunsch gewesen, neben dem im Krieg gefallenen Vater beerdigt zu werden. Gegen den resoluten Widerstand der Großfamilie in Duhok brechen die drei ungleichen Geschwister auf eine abenteuerliche Odyssee durch Kurdistan auf. Dabei werden sie nicht nur mit einem ungeheuerlichen Familiengeheimnis konfrontiert, sondern auch mit ihren eigenen Dämonen. Je weiter sie kommen, wird die Reise zum Prüfstand nicht nur für die Geschwister selbst. Der Debütfilm der in Duhok geborenen Regisseurin wurde 2016 mit dem First Steps Award ausgezeichnet.

"Clash", Spielfilm von Mohamed Diab, Ägypten.
Kairo im Sommer 2013: Ägypten befindet sich im Chaos. Nach Straßengefechten in einem Transportfahrzeug der Polizei zusammen eingesperrt, müssen sowohl Muslimbrüder als auch Unterstützer des Militärs die gewalttätigen Auseinandersetzungen außen hilflos mitansehen. Doch auch im Inneren des Fahrzeuges prallen die unterschiedlichen Ideologien und Emotionen aufeinander. Allein in der klaustrophobischen Enge des Polizeifahrzeuges inszeniert, entfaltet Regisseur Mohamed Diab ein Panorama Ägyptens unter Hochspannung.

"Ghost Hunting", Doku von Raed Andoni, Palästina.
Für alle, die Ghost Hunting auf der Berlinale verpasst haben (oder ihn nochmal sehen wollen), zeigt ALFILM den mit dem neuen Glashütte Dokumentarfilmpreis ausgezeichneten Film des palästinensischen Regisseurs Raed Andoni. Mit den Geistern der Vergangenheit kämpfend rekonstruiert Andoni zusammen mit ehemaligen Inhaftierten das Verhörzentrum Moskobiya in einer Parkgarage. Die detailgetreu nachgebauten Zellen und Verhörräume fungieren als Bühne, auf der Realität und Re-Inszenierung, Erlebtes und Unterdrücktes aufeinandertreffen und die Protagonisten körperlich und seelisch an ihre Grenzen stoßen.

"Zaineb Hates the Snow", Doku von Kaouther Ben Hania, Tunesien, 2016, 94 Min.
Die neunjährige Zaineb hat gerade ihren Vater verloren - und nun möchte Mutter Wided mit den beiden Kindern von Tunesien nach Kanada auswandern, um dort erneut zu heiraten. Die Regisseurin Kaouther Ben Hania beobachtet in ihrer leichtfüßigen Langzeitdoku über eine ganz normalen Patchworkfamilie die widerspenstige Protagonistin beim Erwachsen werden. Eine sensible wie moderne Erzählung über Heimat und Zugehörigkeit. Der Film lief letztes Jahr im offiziellen Wettbewerb von Locarno. Hier der Trailer und unsere Filmempfehlung auch für jüngere Zuschauer:



Filmkritik:
Zaineb ist neun Jahre alt, als ihr Vater bei einem Autounfall ums Leben kommt. Aus dem Off erzählt sie uns ihre Geschichte selbst. Die Regisseurin Kaouther Ben Hania hat sie über einen Zeitraum von sechs Jahren mit der Kamera begleitet. Sie blickt auch selbst zurück auf den Weg, den sie einschlagen musste und der sie zu der gemacht hat, die sie nun ist, eine junge Frau, die in Kanada lebt.

Kaouther Ben Hania, die ihren Film zuerst auf dem Festival von Locarno vorstellen durfte, ist eine Cousine der Mutter, sie wählt mit Bedacht Situationen aus, die uns die Gefühle von Zaineb vermitteln können. Dabei ist Zaineb weder als Kind, noch später, kamerascheu. Schnell hat sie das Publikum an ihrer Seite.

Mit dem Verlust des Vaters endet für sie eine Phase der Kindheit, sie versucht, den geliebten Vater in Erinnerung zu behalten, was besonders schwierig wird, als ein neuer Mann in das Leben ihrer Mutter tritt. Bei ihrem zukünftigen Stiefvater handelt es sich um einen früheren Freund der Mutter, der aber nach Kanada ausgewandert und inzwischen geschieden ist. Das Mädchen würde nun nicht nur einen neuen Vater, sondern auch eine Schwester, die in etwa gleichalt ist, bekommen.

Zaineb hat einen kleinen Bruder, doch der Fokus liegt hier eindeutig auf ihr. Mit 9 Jahren ist sie alt genug, die Veränderung im Leben ihrer Mutter zu bemerken, sie ist alt genug, auch die Bedürfnisse anderer zu spüren und zu beachten. Sie ist aber auch ein Kind und kämpft für das, was sie kennt, für die Sicherheit, die sie bisher umgab, für ein Umfeld, das ihr vertraut ist. Die Emigration nach Kanada führt sie weit weg von der Heimat in Tunesien und ihren Freunden. Es ist ihr herzlich egal, dass sie in Quebec auch mal Schnee erleben kann.

Zaineb hasst den Schnee”, der Titel deutet auf eine kindliche Trotzreaktion, ist ein Dokumentarfilm, und vermittelt sich doch wie ein Spielfilm, der sich auch für Kinder in dieser Altersklasse eignet. Die Kamera wirkt oft ganz beiläufig und die Situationen sind alltäglich. Wenn man sich mit Empathie in Zaineb hineinversetzt, spürt man trotzdem, wie sehr sich ihre Welt immer wieder verändert und beobachtet gespannt, wie sie damit umgeht. Denn mit der Übersiedlung nach Kanada ist noch nicht alles gut.

Elisabeth Nagy

"Beit El Baher - The Beach House", Spielfilm von Roy Dib, Libanon 2016
Ein Abend, vier Freunde und zahllose Verwicklungen: Jede Woche lädt die enigmatische Rayya eine Gruppe ausgewählter Gäste zu einem privaten Konzert in das Haus ihrer Familie am Meer ein. Auch Youssef und Rawad, zwei alte Studienfreunde, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat, wohnen diesmal ihrer nächtlichen Performance bei. Rayya bittet die beiden Männer zum Essen zu bleiben, während ihre ältere Schwester Laila ein raffiniertes Spiel einleitet. Im Laufe des Abends fallen die Masken der Spieler und ihre ideologischen, emotionalen und intellektuellen Sicherheiten werden infrage gestellt.

Das fsk-Kino in Kreuzberg gestaltet die zweite Hälfte des Festivals.

Mit 3 Spiel- und 4 Dokumentarfilmen sowie einem weiteren Kurzfilmprogramm gestaltet das fsk Kino in Kreuzberg die zweite Hälfte des 8. ALFilm-Festivals. Alle Filme laufen im Original mit engl. Untertiteln. Die Dokumentarfilme aus Algerien ("Samir in the Dust") und Libanon ("Asphalt") werfen einen unverstellten Blick auf die Poesie des Alltags und den Kampf um den täglichen Lebensunterhalt, während Filmemacher Alex aus den Niederlanden in "Bezness as Usual" mehr über sich und seine Familie in Tunesien erfährt, als er möchte. Gezeigt wird auch nochmals der oben genannte Spielfilm "Beit El Baher - The Beach House" von Roy Dib aus dem Libanon am 5.4.2017 um 20:00 Uhr.

"Bezness as Usual", Doku von Alex Pitstra, Tunesien.
→ Mo., 3.4.2017 um 20:00 Uhr im fsk
Filmemacher Alex hat seinen tunesischen Vater seit seiner frühen Kindheit nicht mehr gesehen. Er wuchs allein mit Mutter Anneke in Holland auf, die den Vater aus dem Urlaub mit nach Hause nahm. Als Vater Mohsen schließlich nach Jahren den Kontakt zu seinem Sohn wieder sucht, reist Alex nach Tunesien, wo er nicht nur seine arabische Familie kennen lernt, sondern auch seine Halbschwester Jasmin aus Basel. In den folgenden 10 Jahren dokumentiert Alex dabei mit seiner Kamera die kulturellen und sozialen Fangstricke des „Bezness“ – dem Geschäft um Exotik und Wohlstand, das mit dem Touristen-Boom der 70er Jahre einsetzte. Feinfühlig und ehrlich, aber nicht ohne Humor, setzt er sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinander – mit enttäuschten Hoffnungen und handfesten Ansprüchen, aber auch den interkulturellen Herausforderungen, denen sich Kinder gemischter Herkunft stellen müssen.

Der jordanische Spielfilm "Blessed Benefit" betont eher die komödiantischen Aspekte des täglichen Broterwerbes, während die palästinensischen "Speed Sisters" mit Witz und Geschwindigkeit gegen konservative Vorurteile und die anhaltende Besatzung kämpfen.

"Speed Sisters", Doku von Amber Fares, Palästina, 80 Min.
→ Mo., 3.4.2017 um 22:00 Uhr
Die Speed Sisters in Palästina sind das erste komplett weibliche Rennteam der arabischen Welt. Die 19-jährige Marah aus Jenin ist der aktuelle Champion – ihr Vater ist ihr größter Fan und glühender Unterstützer der ersten Stunde. Herausgefordert wird Marah von der ambitionierten Betty aus Betlehem, dem Covergirl der palästinensischen Rennszene. Auch für Noor, die Athletin, und Mona, die Veteranin, ist der Platz hinterm Lenkrad der Himmel auf Erden. Zusammen mit Kapitänin Maysoon kämpft das Team nicht nur um die besten Startplätze und Ersatzteile, sondern auch gegen konservative Vorurteile und die eingeschränkte Bewegungsfreiheit in der besetzten West Bank. Selbstbewusst und voller Energie rasen die Speed Sisters durch ein Leben zwischen Checkpoints und Rennstrecken, mit dem Traum vom großen Sieg und dem kleinen Glück. Hier der Trailer und unsere Filmkritik.



Filmkritik:
Wer würde nicht gerne in die Pedale treten, wenn man mal wieder im Stadtverkehr steckenbleibt? Es gibt zig Gründe, Rennen fahren zu wollen. Der Motorsport ist ein Traum und viele Männer erfüllen sich den selbstverständlich. Erst knattert es, der Wagen springt nicht an, dann drehen sich die Räder doch und der Wagen nimmt sich die Piste. Am Steuer eine Frau. Das allein ist nicht ungewöhnlich. Auch in Hollywood-Blockbuster dürfen Frauen hinter das Steuer. Und im Mittleren Osten?

Die “Speed Sisters” heißt es selbstbewusst. Der Einspann der Dokumentation, die nicht nur von Sundance und weiteren Organisationen wie das Doha Film Institute Unterstützung bekam, sondern auch vom Crowdfunding profitierte, präsentiert die Rennfrauen, als wären sie die Besetzung des neuen “Fast and Furious”-Teams. Es ist ein Team von fünf Frauen, das erste seiner Art in der arabischen Welt, ihre Heimat ist Palästina. Amber Fares hat libanesische Wurzeln, wurde aber in Kanada geboren und ist Kanadierin. Über ihre Herkunft hat sie sich lange keine Gedanken gemacht, bis sich mit 9/11 alles änderte. Das Bild, das sie von ihrer Familie hatte, deckte sich so gar nicht mit den Klischees, die die Medien zeichneten und auch heute noch verbreiten. Daran wollte sie etwas ändern. Ihr Interesse für den Mittleren Osten, für soziale Themen, für menschliche Schicksale, brachte sie dazu, den Job zu wechseln, Filmemacherin zu werden und sogar eine Produktionsfirma zu gründen.

Eher zufällig wurde sie zu einem Rennen in Bethlehem eingeladen, das war 2009. Und so kam sie schließlich auf die Rennfahrerinnen Marah Zahalka, Betty Saadeh, Maysson Jayyusi, Noor Daoud und Mona Ennab. Sie treten fast selbstverständlich in einer männlichen Domäne gegen Männer an und übrigens auch gegeneinander.

Über weite Strecken lernen wir ihr Leben zwischen den Rennen kennen. Ihr Umfeld kommt zu Wort. Die Dramaturgie ist dabei zielführend. Der Takt ist hoch, die Energie, welche die Frauen in ihrem Alltag versprühen, überträgt sich über die Leinwand auf das Publikum. Fares zeigt zwar die Schwierigkeiten, die sie angehen müssen und mit denen man ihnen begegnet, sie klammert die politisch-geografische Lage dabei auch nicht aus, doch sie legt darauf Wert, die Normalität zu zeigen. Die Frauen leben ihren Traum, ihre Eltern unterstützen sie, die Männer jubeln ihnen zu. Der Wettbewerb, auch untereinander, ist hier selbstverständlich. Gewissermaßen geht es hier eben doch nicht nur um Sport, sondern um eine Normalität, die nicht nur Sportlerinnen in einem von anderen Ländern aus unzugänglichem Land zeigen, sondern um Frauen, die sich selbstbewusst ihr Recht auf die Erfüllung ihrer Berufung nehmen.

Elisabeth Nagy

"Blessed Benefit", Spielfilm von Mahmoud Al Massad, Jordanien.
→ Di., 4.4.2017 um 20:00 Uhr im fsk
Der Bauarbeiter Ahmad hat einfach Pech. Er veruntreut Geld, um seinem Cousin einen Deal mit 10 Laptops zu ermöglichen, die dummerweise im Zoll festhängen. Da er weder zahlen noch die Ware liefern kann, landet er im Gefängnis. Statt eine Kaution zu hinterlegen und Ahmad auszulösen, ist der Cousin jedoch damit beschäftigt, ein Schaf für das Fest aufzutreiben. Als der Betrüger Ibrahim ihm auch noch die letzte Möglichkeit nimmt, schnell wieder entlassen zu werden, hängt Ahmad fest. Resigniert richtet er es sich also in Gefangenschaft ein und entdeckt, dass das Leben ohne weitere Verpflichtungen durchaus seinen Reiz hat. Die Gaunerkomödie ist - nach einigen preisgekrönten Dokumentarfilmen - Massads erster Langspielfilm.

"Asphalt", Doku von Ali Hammoud, Libanon.
→ Mi., 5.4.2017 um 22:00 Uhr im fsk
Unterwegs sein – für die Lastwagenfahrer in „Asphalt“ bedeutet das endlose Stunden hinter dem Steuer, durch karges Nirgendland und über immer unsichere Ländergrenzen hinweg. Um ihre Waren zu transportieren, durchqueren sie die arabische Welt: der Libanese Derar fährt durch Syrien und Jordanien, den Ägypter Mohamed führt es bis an die sudanesische Grenze. Die Einsamkeit in der Kabine vertreiben sie sich durch Musik und Telefonate mit der Familie. Gesellschaft gibt es an den seltenen Raststätten, wo sie auf Kollegen und alte Bekannte treffen. Zwischen Ausfuhrgenehmigungen und der schwankenden Sicherheitslage philosophieren sie über das Leben und die Liebe und gewähren Einblick in ihren Alltag on the road und unter Männern.

"Samir in the Dust", Doku von Mohamed Ouzine, Algerien, 2015, 61 Min.
→ Do., 6.4.2017 um 20:00 Uhr im fsk
Samir verdient seinen Lebensunterhalt damit, Benzin über enge Bergpässe an die marokkanische Grenze zu schmuggeln. Der beißende Geruch des Treibstoffs hängt über der grandiosen Landschaft, und die Maultiere sind oft tagelang seine einzige Gesellschaft. Mit der Faszination des Filmemachers für die beindruckenden Panoramen kann Samir nichts anfangen. Die Berge sind ihm nur ein weiteres Erschwernis seiner Existenz. Samir träumt von einem besseren Leben, einem richtigen Haus, einer Familie vielleicht. Familienbande verbinden ihn zwar auch mit dem Filmemacher, doch zwischen den beiden liegen Welten. In der zunehmenden Vertrautheit der beiden entspinnt sich ein existentieller Dialog über die conditio humana vor der kargen Landschaft der algerischen Berge. Hier der Trailer:



Filmkritik:
Samir Berka zeigt zuerst in die eine, dann in die andere Richtung. Dort ist die Grenze zu Marokko und in der anderen Richtung liegt Frankreich. Aus Frankreich war der Regisseur Mohamed Ouzine zurückgekehrt, um seinen Neffen in diese felsige windige Wüste zu begleiten. Samir schmuggelt Benzin über die Bergpässe, ein Maultier scheint sein einziger Begleiter. Manchmal knattert er mit dem Motorroller durch das Bild und wirkt genauso einsam.

Samir hat Träume, er möchte eine Familie und ein Haus. Ouzine hört ihm zu, doch seine Kamera richtet sich auf die karge Landschaft und die Wolken, die darüber hinweg ziehen. Die Einsamkeit zieht den Blick der Kamera auf sich, verwandelt das Bild in Poesie. Etwas, für das Samir keine Antenne hat. Für ihn ist das nur Schmutz und Chaos. Und so beginnt zwischen ihm und dem Filmemacher, zwischen zwei Verwandten, die kaum weiter voneinander entfernt sein könnten, ein Dialog, der sich nicht unbedingt auf der Dialogebene, sondern irgendwo dazwischen entwickelt.

”Samir in the Dust” ist ein ruhiger Film, in sich gekehrter Film, der ganz im Einklang mit Samir nur nach und nach Preis gibt, was in ihm steckt. Die Schönheit der Landschaft liegt dabei auch in dem Sinne im Auge des Betrachters, dass er sich sowohl auf die Region, als auch auf deren Geschichte und auch auf Samirs Resignation darin einlassen muss.

Elisabeth Nagy

Link: www.alfilm.de

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