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Kritische Äußerung eines Medienexperten (update)

»Gamer sind keine Amokläufer« ex SPD-Medien-Experte kritisiert »populistischen Unfug«

Nach dem Beschluss zum Verbot so genannter ”ºKillerspiele”¹ Anfang Juni und möglicher weiterer Verschärfung der online Überwachung nach der Bundestagswahl im Herbst, melden sich nun vermehrt Stimmen aus Gesellschaft und Politik, die den Sinn des politischen Manövers in Frage stellen. Nach dem Deutschen Kulturrat äußerte sich jetzt auch ex SPD-Experte Jörg Tauss und der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, zu dem Thema. Als ehemaliger Medienbeauftragter der SPD-Bundestagsfraktion (1998 – 2002), Sprecher der Fraktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung (2000 – 2009) und Obmann der SPD-Fraktion im Unterausschuss Neue Medien des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien (2002 – 2009) ist Tauss der wohl kompetenteste Politiker, der sich bisher in die laufende Debatte eingeschaltet hat.

In einem offenen Brief forderte er von den Innenministern aller Parteien »endlich eine Sachdebatte statt der Herstellung und Verbreitung populistischen Unfugs«. Er wies in dem Schreiben noch einmal darauf hin, dass trotz zahlreicher Untersuchungen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger Computerspiele und realen Gewalttaten nicht nachzuweisen sei. Der aktuelle Beschluss ignoriere dabei nicht nur »fundierte Ergebnisse wissenschaftlicher Studien«, sondern blende »geradezu fahrlässig auch die geltende Rechtslage aus und diskreditiere und kriminalisiere Jugendliche und einen höchst innovativen Wirtschaftszweig.«

Für neue Gesetze sieht der Experte keinen Bedarf, seien die aktuellen Regelungen doch völlig ausreichend:
Bereits jetzt ist gemäß Â§ 131 StGB ein Verbot von Medien vorgesehen, die Gewalt verherrlichen, verharmlosen oder die Menschenwürde verletzen - dies auch im Hinblick auf ”ºmenschenähnliche Wesen”¹. Für diese Medien gilt ein generelles Verbreitungs- und Herstellungsverbot, sodass Computerspiele, wenn sie die genannten Voraussetzungen erfüllen, bereits heute unter § 131 StGB fallen und verboten werden können[...] Wohl wissend, dass das Strafgesetzbuch im § 131 ein generelles Verbreitungs- und Herstellungsverbot von Medien unter den beschriebenen Prämissen vorsieht, wird jetzt wieder so getan, als ob es Handlungsbedarf gebe. [...] Gleichzeitig werden in geradezu verantwortungsloser Weise junge Menschen diskreditiert. Gamer sind keine Amokläufer.“
Der Polemik der Innenministerkonferenz erteilte Tauss damit eine klare Absage und kritisierte zudem Aktionen gegen eSport-Veranstaltungen wie kürzlich in Karlsruhe und Stuttgart. Anstatt der fehlgeleiteten Debatte forderte der Abgeordnete eine Diskussion um die eigentliche Kernprobleme, darunter die Einhaltung des Jugendschutzes durch den Handel, der Durchsetzung des bestehenden § 131 StGB sowie eine Verbesserung der Medienkompetenz in der Bevölkerung.

Den vollständigen Brief an die Innenminister in PDF-Form finden Sie hier. Quelle: MSN/PC Welt

(Nachtrag)
Aufgrund seiner scharfen Kritik ist Jörg Tauss inzwischen selbst ins Visier des Bundeskriminalamtes (BKA) gekommen, angeblich ungerechtfertigt, wie im heutigen Tagesspiegel vom 17.06.09 nachzulesen ist. Dennoch wurde seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben, um Ermittlungen gegen ihn anstellen zu können. Sollten diese im Sande verlaufen und vor Gericht seine Unschuld bewiesen, dass er nicht selbst in der Kinderpornoszene verstrickt war, sondern nur auf eigene Faust darin recherchierte, wäre dies allerdings ein Indiz dafür, dass inzwischen auch bei uns Kritiker mundtot gemacht werden sollen. Übrigens ist Tauss nach der Europawahl zur Piratenpartei gewechselt.

Datenschutzbeauftragter des Bundes fordert Verschiebung von Internetsperren

Auch Peter Schaar, der Datenschutzbeauftragter des Bundes, erklärte am 15.06.09 gegenüber der Berliner Tageszeitung (TAZ), dass sein Ressort bei Internetsperren kaum Erfahrung besäße und mit dieser Angelegenheit eigentlich nichts zu tun hat, da er gleichzeitig auch Beauftragter für Informationsfreiheit ist.
"Man sollte dieses Gesetzgebungsverfahren, bei dem es auch noch viele andere offene Fragen gibt, nicht überstürzt zu Ende bringen."
Dennoch wolle er pflichtgerecht seinen Aufgaben nachkommen, sagte er bereits einen Tag später der TAZ gegenüber, auch wenn er sich lieber eine Verschiebung der Maßnahme wünsche. Immerhin haben mehr als 130 000 Personen die Petition gegen Internetsperren unterzeichnet.

Die Große Koalition will sich mit diesem Volksbegehren jedoch erst nach der Wahl beschäftigen und das Gesetz bereits am Donnerstag, den 18. Juni 09 durchpeitschen. Derweil hat das Allensbach Institut in einer angeblich repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass 91 Prozent der Deutschen die geplanten Internetsperren begrüßen würden. Doch bei den vielen oben genannten Protesten gegen Internetsperren erscheinen diese Zahlen, nicht ganz seriös zu sein. Die demoskopischen Umfragen entpuppen sich oft als Ammenmärchen für Lieschen Müller, um bei dieser Klientel positive Stimmung für die nächsten Wahlen zu verbreiten.

Auch in Filmen wird geballert und getötet

Im BAF-Blog vom 13. Juni 09 verwiesen wir in diesem Zusammenhang auch auf den aktuellen 3D-Horrorfilm "My Bloody Valentine", der in der Gewaltdarstellung deutlich über alles bisher gesehene in der Spielbranche hinausgeht. Über Verbote im Film-Bereich wird glücklicherweise noch wenig gesprochen, denn dieses sensible Thema anzugehen würde mit dem Verbot sämtlicher Genussmittel - einschließlich Alkohols - vergleichbar sein. Die Filmkultur ist eine heilige Kuh, die mit Fördermitteln massiv unterstützt wird. Einige Ausreißer darunter werden offensichtlich in Kauf genommen und unter den Tisch gekehrt, obwohl die Kontrollen zum Jugendverbot des eben genannten Filmes an den Kinokassen selten ausreichend sind. Bei unserem Test am ZOO Palast in Berlin liefen zur gleichen Zeit zehn weitere Filme im UCI Kinokomplex, die zum Teil ab 12 Jahren freigegeben waren. Bei einem Massenandrang gegen 20:00 Uhr an einem Samstag Abend waren Kasse und Einlass völlig überfordert zusätzlich noch irgendwelche Alterskontrollen durchzuführen. Wer einmal den Zoo Palast oder andere Multiplexkinos betreten hat, kann sich quasi frei zwischen den Sälen bewegen, sofern noch Plätze frei sind und dabei - mehr oder weniger zufällig - in einem anderen, vielleicht nicht immer jugendfreien Film landen.

Dennoch sei vor Überregulierung gewarnt. Die untergegangene DDR war Sinnbild genug für die Bevormundung ihrer Bürger. Zwar würde niemand auf die Idee kommen Shakespeare auf der Bühne zu verbieten, weil in seinen Stücken ebenfalls gemordet wird. Doch wo ist die Grenze zu ziehen? Dann dürften Kinder auch nicht mehr mit Pfeil und Bogen hantieren und Indianerspiele nachahmen. Sogar der Bundesrat hat inzwischen erhebliche Bedenken gegen die geplanten Gesetzesänderungen zur Einführung von Internetsperren, da diese nicht die Kinderpornografie verhindern, dafür aber weit mehr des Bürgers Freiheiten beschränken und leicht weitere Verbote dem Bundeskriminalamt (BKA) ermöglichen könnten. Bevor irgendwelche Maßnahmen ergriffen werden, sollte daher überprüft werden,
„ob die bestehenden Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden tatsächlich unzureichend sind und wie sie effektiver umgesetzt werden können“.
heißt es in einer Meldung vom 12.06.09 bei Golem.

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