Erste Filme der Berlinale schon jetzt im Kino
Mit dem Bob Dylan Biopic "Like a Complete Unknown" und dem Drama "Heldin" liefen am gestrigen Donnerstag, den 27. Februar 2025, zwei herausragende Werke aus dem Berlinale Special Programm bei uns in den Kinos an. - Aus der Vorwoche zudem noch eine Filmkritik zu "Bird".

Meist beachteter Star auf der 75. Berlinale war wohl Timothée Chalamet, der für die Vorstellung seines Films "Like a Complete Unknown" von Regisseur James Mangold extra nach Berlin kam. 2017 war er das erste Mal auf der 67. Berlinale mit "Call Me by Your Name" in der Sektion Panorama zu sehen gewesen. Für seine Rolle als Bob Dylan in der Sektion Berlinale Special hat der junge kanadische Schauspieler fünf Jahre lang geübt, Gesangsunterricht genommen und sein Gitarrenspiel perfektioniert.
Das Ergebnis kann sich nicht nur sehen und hören lassen, es hat auch die volle Zustimmung des inzwischen 83-jährigen Singer- und Songwriters bekommen, zumal in der Zwischenzeit auch die Dreharbeiten für "DUNE" part one und two anstanden. Timothée Chalamet gelingt es nicht nur die Tonart, sondern auch die Sprechweise von Bob Dylan genau zu treffen und dennoch etwas Eigenständiges mit hineinzulegen, das alle Erwartungen übertrifft.
Natürlich hat sich nicht alles, was im Film gezeigt wird, genauso zugetragen. Manches wurde aus dramaturgischen Gründen verlegt oder hinzugedichtet, aber immer im Spirit von Bob Dylan, der sich Mitte der 1960er Jahre entschließt, von der akustischen zur elektrischen Musik zu wechseln und am Ende nicht nur alles abgesegnet, sondern den jungen kanadischen Schauspieler für seine Leistung lobt.
"LIKE A COMPLETE UNKNOWN" Biopic von James Mangold über die Anfangsjahre des Sängers, Songwriters und Lyrikers Bob Dylan. (USA, 2024, 141 Min.) Mit Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning u.a. seit 27. Februar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
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Ebenfalls im Berlinale Special lief mit der Erstaufführung des Films "Heldin" von Petra Biondina Volpe einer der besten deutschen Koproduktionen, die wir seit langem gesehen haben. Leonie Benesch hat die Abläufe als Krankenschwester in einem Krankenhaus genau studiert und absolut verinnerlicht, sodass bei ihr nicht nur alles natürlich, sondern auch schnell und korrekt von der Hand läuft.
Das Drehbuch ist stimmig und zeigt den alltäglichen Wahnsinn, den das Pflegepersonal auf der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses erlebt und trotz Stress mit Ruhe bewältigen muss.
"HELDIN" Drama von Petra Biondina Volpe über eine Pflegekraft in der chirurgischen Abteilung eines Schweizer Krankenhauses. (Schweiz / Deutschland 2025; 92 Min.) Mit Leonie Benesch, Sonja Riesen, Selma Adin u.a. seit 27. Februar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
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"BIRD" Coming-of-Age-Drama von Andrea Arnold, das letztes Jahr in Cannes seine Premiere feierte. Unter anderem mit dem irischen Darsteller Barry Keoghan, der schon in dem Thriller "Saltburn" überzeugte und dazu hier mit dem Lied "Murder on the Dance Floor" erneut einen musikalischen Bezug herstellt. (Großbritannien / USA / Frankreich / Deutschland, 2024; 119 Min.) Mit Barry Keoghan, Franz Rogowski, Nykiya Adams u.a. seit 20. Februar 2025 im Kino. Hier der Trailer:

Meist beachteter Star auf der 75. Berlinale war wohl Timothée Chalamet, der für die Vorstellung seines Films "Like a Complete Unknown" von Regisseur James Mangold extra nach Berlin kam. 2017 war er das erste Mal auf der 67. Berlinale mit "Call Me by Your Name" in der Sektion Panorama zu sehen gewesen. Für seine Rolle als Bob Dylan in der Sektion Berlinale Special hat der junge kanadische Schauspieler fünf Jahre lang geübt, Gesangsunterricht genommen und sein Gitarrenspiel perfektioniert.
Das Ergebnis kann sich nicht nur sehen und hören lassen, es hat auch die volle Zustimmung des inzwischen 83-jährigen Singer- und Songwriters bekommen, zumal in der Zwischenzeit auch die Dreharbeiten für "DUNE" part one und two anstanden. Timothée Chalamet gelingt es nicht nur die Tonart, sondern auch die Sprechweise von Bob Dylan genau zu treffen und dennoch etwas Eigenständiges mit hineinzulegen, das alle Erwartungen übertrifft.
Natürlich hat sich nicht alles, was im Film gezeigt wird, genauso zugetragen. Manches wurde aus dramaturgischen Gründen verlegt oder hinzugedichtet, aber immer im Spirit von Bob Dylan, der sich Mitte der 1960er Jahre entschließt, von der akustischen zur elektrischen Musik zu wechseln und am Ende nicht nur alles abgesegnet, sondern den jungen kanadischen Schauspieler für seine Leistung lobt.
"LIKE A COMPLETE UNKNOWN" Biopic von James Mangold über die Anfangsjahre des Sängers, Songwriters und Lyrikers Bob Dylan. (USA, 2024, 141 Min.) Mit Timothée Chalamet, Edward Norton, Elle Fanning u.a. seit 27. Februar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
Axels Filmkritik:
Als Bob Dylan (Timothée Chalamet) im Januar 1961 in New York ankommt, wartet niemand auf ihn. Er ist nur ein weiterer junger Mann mit einer Gitarre und dem Wunsch als Folk-Musiker Geld zu verdienen.
Wahnsinnig schnell steigt er, mit ein wenig väterlicher Hilfe von Pete Seeger (Edward Norton), den er am Krankenbett von seinem Idol Woody Guthrie trifft, zum Star und zur Stimme einer Generation auf.
Fünf Jahre später wagt er den Bruch mit der Folk-Szene. Er stöpselt seine Gitarre ein – und der Rest ist Rockgeschichte.
James Mangold der Regisseur des Johnny-Cash-Biopics „Walk the Line“, beschäftigt sich in seinem neuesten Film „Like a Complete Unknown“ mit den fünf entscheidenden Jahren in Bob Dylans Karriere. In diesen Jahren legte er das Fundament. Er schrieb viele Songs, die heute immer noch fest im kollektiven Gedächtnis verhaftet sind. Er elektrifizierte, mit einigen begnadeten Begleitmusikern, die Folkmusik zum Folkrock. Es ist auch eine Zeit, die musikhistorisch gut aufgearbeitet ist. Genannt seien hier, neben zahlreichen Büchern und Reportagen, Martin Scorseses vorzüglicher Dokumentarfilm „No Direction Home“, der sich ebenfalls mit diesen Jahren in Bob Dylans Leben beschäftigt, und die vielen CDs in Dylans „The Bootleg Series“, die sich intensiv mit diesen Jahren beschäftigen und bei Fans immer wieder für Erstaunen sorgen. Denn gerade wenn man glaubt, auch wirklich den allerletzten Alternate Take eines Songs gehört zu haben, veröffentlicht Dylan einen weiteren Alternate Take.
Über Dylans Privatleben ist weniger bekannt, was auch daran liegt, dass in Musikzeitschriften, LP-Kritiken und Dokumentarfilmen sich auf das Werk und damit zusammenhängende Äußerungen des Künstlers konzentriert wird. In einem Spielfilm ist das dann anders. Entsprechend großen Raum nehmen Dylans Beziehung zur Folk-Ikone Joan Baez (Monica Barbaro) und zu Suze Rotolo ein. Im Film heißt die politische Aktivistin und Friedenskämpferin Sylvie Russo (Elle Fanning). Beide animierten Dylan zu mehr politischen Liedern. Ein klassischer Polit-Sänger wurde er nie und er benimmt sich ihnen gegenüber immer wieder, wie Mangold in seinem Biopic zeigt, wie ein Arschloch. Seine erste Ehefrau, Sara Lownds, die er 1965 heiratete, wird im Film nicht erwähnt.
James Mangold stellt diese Zeit detailgetrau nach. Bei den Fakten nimmt er sich Freiheiten, die Dylan-Fans teilweise die Wände hochlaufen lassen. Salopp gesagt: Die Gitarre stimmt, die Frisur stimmt, die Kleider stimmen, wahrscheinlich stimmt sogar Dylans Unterhose, die Lampe im Hintergrund sowieso, aber dann singt Dylan sein großes Liebeslied vor der falschen Frau oder zum falschen Zeitpunkt. „Like a complete unknown“ ist wahrlich kein verfilmter Wikipedia-Artikel, sondern ein Dylan-Biopic, das ein Gefühl von Dylans Aura vermitteln will und ihn als jungen, von Erfolg zu Erfolg eilenden Künstler zeigt, während Timothée Chalamet die unkaputtbaren Songs von Bob Dylan spielt.
„Like a complete unknown“ kann daher gut als Startpunkt für weitere Dylan-Studien verwendet werden. Außerdem hat Bob Dylan, geboren 1941 als Robert Allen Zimmerman in Duluth, Minnesota, schon am Beginn seiner Karriere einer guten Geschichte immer den Vorzug gegenüber der historischen Wahrheit gegeben.
Der Film selbst wirkt dabei immer wie der Besuch in einem Museum. Es ist informativ und kurzweilig in seiner Mischung aus Information und Musik. Vieles wird angesprochen, aber nie aus einer bestimmten Perspektive, sondern nüchtern-objektiv wie ein Text in einer Ausstellung, in dem dann steht, dass Dylan 1965 in Newport nicht mit der im Folk akzeptierten Akustikgitarre, sondern mit einer E-Gitarre auftrat und er von einer Rockband begleitet wurde. Teile des Publikums buhten über diesen Verrat an der Folkmusik. Dieser Auftritt bildet den Höhepunkt und das krachende Finale des Biopics. Die Songs funktionieren, das um den Auftritt ausbrechende Chaos verfolgt man eher ungerührt, weil einerseits an der Mythenbildung weitergearbeitet wird und andererseits nicht wirklich erfahrbar gemacht wird, wie groß der Bruch mit damaligen Folk-Szene war.
„Like a complete unkown“ bleibt in diesem Moment, wie während des gesamten Films, an der glänzenden Oberfläche, die nichts von den Leiden und Selbstzweifeln eines Künstlers verrät. Dylan tut, was Dylan tun muss. Die Folk-Szene und seine Beziehungen bleiben der folkloristische Hintergrund für ikonische Bilder. Das ist nie wirklich schlecht und immer gut gemacht, aber auch nie wirklich befriedigend.
Wer mehr über die damalige Folk-Szene und deren Innenleben erfahren möchte, sollte sich „Inside Llewlyn Davis“ ansehen. Der Film der Coen-Brüder endet mit der Ankunft von Dylan in Greenwich Village. Trotzdem ist es der bessere Film über Bob Dylan, die damalige Folk-Szene und die inneren und äußeren Kämpfe eines Musikers. Und dann gibt es noch Martin Scorseses bereits erwähnten Dokumentarfilm „No Direction Home“ über diese erste Schaffensphase in dem an Irrungen, Wirrungen, Ab- und Umwegen reichen Werk von Bob Dylan und seinen Erforschungen der amerikanischen Seele.
Axel Bussmer (kriminalakte.org)
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Ebenfalls im Berlinale Special lief mit der Erstaufführung des Films "Heldin" von Petra Biondina Volpe einer der besten deutschen Koproduktionen, die wir seit langem gesehen haben. Leonie Benesch hat die Abläufe als Krankenschwester in einem Krankenhaus genau studiert und absolut verinnerlicht, sodass bei ihr nicht nur alles natürlich, sondern auch schnell und korrekt von der Hand läuft.
Das Drehbuch ist stimmig und zeigt den alltäglichen Wahnsinn, den das Pflegepersonal auf der Chirurgie eines Schweizer Krankenhauses erlebt und trotz Stress mit Ruhe bewältigen muss.
"HELDIN" Drama von Petra Biondina Volpe über eine Pflegekraft in der chirurgischen Abteilung eines Schweizer Krankenhauses. (Schweiz / Deutschland 2025; 92 Min.) Mit Leonie Benesch, Sonja Riesen, Selma Adin u.a. seit 27. Februar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Der Titel von Petra Volpes Spielfilm über den Pflegeberuf ist sicherlich provokant. Mit der sogenannten Systemrelevanz in der Pandemie-Anfangszeit standen Menschen auf Balkonen und klatschten und die, die sich täglich mit dem wahren Ausmaß von Pflegenotwendigkeit auseinandersetzen mussten, wurden zu "Helden" hochstilisiert. Bestenfalls naiv könnte man das nennen. Oder auch zynisch. Wer wollte nicht gerne ein Held, eine Heldin sein. Nun, die Pflegenden wollen vor allen Dingen Respekt und Anerkennung, gute Arbeitsbedingungen, gute Entlohnung. Davon sind wir meilenweit entfernt.
Das Thema Pflege ist aber keinesfalls durch. Immer mehr Pflegekräfte fehlen. Die, die in dem Beruf tätig sind, brennen aus. Dabei haben viele im Pflegeberuf diese Arbeit gewählt, weil sie Menschen helfen wollen. Vorlage für "Heldin" waren dann auch Erfahrungsberichte aus der Praxis. Petra Volpe ("Die Göttliche Ordnung") erzählt im Presseheft, dass sie lange Zeit mit einer Pflegefachkraft zusammengelebt, und dadurch vieles mitbekommen habe. Bei der Recherche zu dem Thema Pflege stieß sie schließlich auf das Sachbuch "Unser Beruf ist nicht das Problem - Es sind die Umstände" von Madeline Calvelage. Der Titel, wenn auch zu sperrig für einen Filmtitel, trifft das Problem im Kern. Madeline Calvelages Buch gab nicht nur ein Gerüst für das Drehbuch, sondern sie wurde als Fachberaterin bei der Erarbeitung hinzugezogen.
"Heldin" ist ein Publikumsfilm und dazu ein gelungener. Petra Volpe idealisiert ihre "Heldin" nicht, sie wirbt aber um Verständnis für den Beruf. Gleichzeitig schafft Volpe es, auch die Kranken, die diesem System ausgeliefert sind, so einzubinden, dass wir Mitgefühl spüren. Einen großen Anteil hat daran die Kamera von Judith Kaufmann, die immer nahe an Floria Lind, gespielt von Leonie Benesch ("Das Klassenzimmer", "September 5"), dranbleibt, als auch der Schnitt von Hansjörg Weißbrich, der die Abläufe so straff taktet, dass man als Zuschauende schnell außer Atem kommt und das Tempo zieht dann noch an.
Floria ist eine engagierte Pflegekraft. Sie trifft zur Nachtschicht ein, sie zieht sich ein neues Paar Arbeitsschuhe an, bequem und robust, lächelt und grüßt. Eine Mitarbeitende fehlt allerdings. Krankheitsbedingt. Auf der Station ist sie jetzt mit einer Studentin allein. Die Schicht ist kein Sprint, die Schicht ist ein Hürdenlauf. Jeder Handgriff muss sitzen. Jedem Patienten, jeder Patientin möchte Floria helfen. Allein, es ist nicht zu schaffen. Da gibt es die Genügsamen und die Ungeduldigen, die Furchtsamen und die Anspruchsvollen. Jene, die sich gleichzeitig um andere Sorgen machen und andere sind ausgesprochene Egoisten. Das Drehbuch erhebt hier aber keine Zeigefinger und wertet nicht. Jede Figur ist eine vollwertige Figur.
Floria lächelt, sie beginnt ihre Schicht voller Energie. Doch das Lächeln wird immer dünner, die Augen immer trauriger. Ein schleichender Prozess. Aus dem Lächeln wird Trotz, Trotz, es trotzdem zu schaffen, etwas zu bewirken, zu helfen. Es passiert ihr ein Fehler. Kein dramatischer, hier geht es nicht um eine Wende. Nur einen kleinen Fehler, den sie annimmt, der ihr zu schaffen macht. Jeder Handgriff, das wird hier deutlich, kann aber auch schief gehen. Unter diesem Druck müssen zwangsläufig Fehler passieren. Für Floria muss es weiter gehen, sie muss weiter funktionieren. Sie rennt gegen die Uhr an. Ein Moment lang hält sie inne, um einer Patientin in der Einsamkeit zu helfen. Dann geht es weiter. Immer weiter. Floria ist eine Gute. Sie schaut die Kranken an. Sie sieht sie. Ob die Kranken merken, dass sie sie sieht? Sicherlich, sie ist ein Ideal. "Heldin" zeigt uns nur eine einzige Schicht. Eine Nachtschicht.
Leonie Benesch, die ein weiteres Mal einen Berufsalltag vermittelt, der nicht nur besonders anspruchsvoll ist, sondern derart, dass die Situationen, in der sie sich befindet, immer wichtiger sind als ihr eigenes Befinden, zeigt nicht nur, wie die Routine auch in anziehendem Tempo funktioniert. Es ist ihr Gesicht, dass so viele Schichten auf einmal zeigt. Wir sehen, was sie ausstrahlen will und sehen, wie schwer dieses Wollen ist. Wir spüren ihre Zweifel und Verzweiflung, ihre Ungeduld und auch ihre Wut und ihre Erleichterung. All die Kranken, denen sie bei einer Schicht begegnet, haben einen guten und zwingenden Grund, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Wie schafft man das? Wie setzt man Prioritäten? Die Frage kommt, unmerklich, immer wieder auf. Aber Petra Volpe begeht nicht den Fehler Teile der Arbeit und des Ablaufs zu dramatisieren. Dafür hat sie auch zu sorgfältig recherchiert. Im Gegenteil, fast dokumentarisch wird der Ablauf wie er ist gezeigt.
"Heldin" ist ein Publikumsfilm. Ein Drama, das uns mit auf eine Achterbahnfahrt nimmt, wir erleben eine breite Spanne an Bedürfnissen und Gefühlen. Selbst ein Quäntchen magischer Realismus wirkt hier nicht fehlplatziert. Wir sehen in Floria keine Heldin, wir sehen einen Menschen, der wir dankbar sein möchten.
Die Wirklichkeit sieht schlimm aus. Man weiß, wie die Umstände sind, man weiß, wie wenig Respekt Pflegende bekommen, wie weit unten, statt oben sie in der Gesellschaftshierarchie stehen. Sie fehlen. Sie fehlen zu Tausenden, Hunderttausenden. Das wird nicht besser werden. Wir wissen das. Sehenden Auges lassen wir es zu, dass die Umstände sich nicht verbessern werden. Zumindest nicht in naher Zukunft. "Heldin" ist eine Liebeserklärung an diesen Beruf. Werbung für den Beruf, das ist er allerdings nicht.
Elisabeth Nagy
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"BIRD" Coming-of-Age-Drama von Andrea Arnold, das letztes Jahr in Cannes seine Premiere feierte. Unter anderem mit dem irischen Darsteller Barry Keoghan, der schon in dem Thriller "Saltburn" überzeugte und dazu hier mit dem Lied "Murder on the Dance Floor" erneut einen musikalischen Bezug herstellt. (Großbritannien / USA / Frankreich / Deutschland, 2024; 119 Min.) Mit Barry Keoghan, Franz Rogowski, Nykiya Adams u.a. seit 20. Februar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Prekäre Lebenssituationen, schwierige Familienverhältnisse, das sind Andrea Arnolds wiederkehrende Motive in ihren Geschichten. Mit "Fish Tank" über ein 15-jähriges Mädchen mit alkoholkranker, alleinerziehender Mutter erhielt 2009 den Großen Preis der Jury in Cannes. Mit "American Honey" wechselte die Regisseurin zwar den Kontinent und erzählte die Geschichte einer jungen Frau in den Staaten, aber die Lebensumstände ähneln sich. Zuletzt arbeitete Arnold viel für das Fernsehen, drehte einen Dokumentarfilm, doch jetzt kehrt sie zu den Themen zurück, für die sie bewundert wird. Dabei ist "Bird", ihr aktueller Spielfilm, keine reine britische Produktion. Frankreich und Deutschland ist mit an Bord und mit Deutschland taucht auch Franz Rogowski in der Titelrolle auf.
Andrea Arnold stellt zwar die 12-jährige Bailey, gespielt von Nykiya Adams, in den Mittelpunkt, doch ihre Geschichte ist fest eingebunden in eine lockere Großfamilie, die man dysfunktional nennen könnte, die jedoch auch ihre zärtlichen Momente hat. Großfamilie trifft es vielleicht nicht ganz. Ihr Vater, Bug (Barry Keoghan), hängt mit seinen Freunden ab, feiert die Nächte durch. Ist immer auf den Sprung, das nächste ganz sichere Ding durchzuziehen. Ruhe kehrt da nicht ein. Die größte Spannung ist dann auch die zwischen Bailey und ihrem Vater, der selbst noch nicht erwachsen wirkt. Bug hat sich verliebt und möchte heiraten. Ohne wenn und ab und gleich am nächsten Samstag. Ihm ist wichtig, dass Bailey ihm ihren Segen gibt. Für ihn sieht das dann so aus, dass sie "mitspielt" und ein ganz gräßliches Brautjunger-Kostüm überzieht. Bailey will nicht. Wer würde ihr das verübeln? Das sind aber nur die äußeren Merkmale einer problematischen Eltern-Kind-Beziehung.
Andrea Arnold wirft das Publikum in eine chaotische Lebensführung, in der auch nicht alles erklärt wird. Muss es auch gar nicht, wenn man Arnolds frühere Filme kennt. Bailey lebt mit dem Vater in einer Art Wohngemeinschaft, bei der man sicher ist, alle sind noch berauscht von der letzten Nacht. Immer wieder streunt Bailey durch die Felder, die es zwischen den Siedlungen auch gibt, die ihr ein bißchen an Rückzug und Ruhe geben. Hier begegnet ihr Bird, ein etwas seltsamer Vogel mit komischem Akzent. Sein Outfit mit Faltenrock und Pullover spiegelt auch Baileys Offenheit und ihrem noch nicht sicher sein, welche Identität sie haben möchte. Bird sucht ein bestimmtes Haus, er sucht seinen Vater, seine Mutter wohnte die in einem Komplex, wo auch Baileys Mutter herkommt. Bailey möchte Bird helfen.
Das ist erst einmal ein Grundgerüst. Vielleicht erkennt man schnell, das vieles nicht so ist, wie es scheint. Andrea Arnold erzählt von einer Kitchen-Sink-Realität, einem Umfeld, das sie aus ihrer eigenen Biografie so gut kennt. Sie selbst kommt genau aus der Gegend in Kent, in der ihr Film spielt. Ihre Geschichte reichert sie jedoch mit einem Filter des Magischen Realismus an. Das funktioniert. Je mehr Arnold von Baileys Leben und den Figuren darin erzählt, zu der eine desinteressierte Mutter und ihr gewalttätiger Freund und ein paar Halbgeschwister gehören, desto mehr schwenkt sie den Fokus auf Baileys unsicherer und doch auch mitfühlender Beziehung zu Bird um. Immer wieder wird ihnen die Natur zum Rückzugsort. Bailey macht seine Suche zu ihrer Suche. Seine Geschichte könnte auch ihre Geschichte sein.
Somit erlebt das Publikum in diesem Coming-of-Age-Film von zwei Leben, die sich übereinanderlegen. Andrea Arnold liebt nicht nur ihre Hauptfiguren, sondern gibt auch den Nebenfiguren den Raum für Gefühle und eine Entwicklung. Die Entwicklung ist bei ihr auch eine allegorische. Mit Metaphern aus der Tierwelt geizt sie nicht. Die Wandlung vom Teenager zum jungen Menschen bedient sich folglich bei den Gesetzen der Natur. Vielleicht ist "Bird" aber auch nur ein Märchen.
Elisabeth Nagy
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