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Ein Oscar-Kandidat und eine Mubi-Premiere mit Daniel Craig im Kino

Unsere Filmkritiken zu "The Seed of the Sacred Fig" ('Die Saat des heiligen Feigenbaums') von Mohammad Rasoulof und "Queer" von Luca Guadagnino nach dem gleichnamigen Roman von William S. Burroughs.



Der in London ansässige Streamingdienst »MUBI«, der 2007 von einem türkischen Unternehmer gegründet wurde und sich im Laufe der Jahre ausschließlich auf besondere Filmkunst und einige Klassiker spezialisiert hat, bringt zunehmend seine Werke, noch vor der Online-Vermarktung, für kurze Zeit ins Kino.

Mehr noch, zusammen mit dem französischen TV-Sender »ARTE« hat »MUBI« in diesem Jahr gleich mehrere Werke des Berliner Weltfilmfestivals »Around the World in 14 Films« gesponsert und noch vor der offiziellen Kinoauswertung exklusiv auf dem Festival als deutsche Erstaufführung präsentiert.

Dazu gehörte in der Closing-Night des Festivals Luca Guadagninos neuester Film "QUEER" mit dem britischen ehemaligen Bond-Darsteller Daniel Craig in der Hauptrolle als Alter Ego des schwulen US-amerikanischen Autors William S. Burroughs.

Bekannt wurde Luca Guadagnino vor allem 2017 durch "Call me by Your Name" mit dem jungen kanadischen Darsteller Timothy Chalamet und zuletzt durch die Amazon-MGM Produktion "Challengers – Rivalen" mit der attraktiven amerikanischen Schauspielerin Zendaya, die kurz zuvor auch an der Seite von Timothy Chalamet in "DUNE: Part II" auftrat.

"QUEER" schwules Drama des italienischen Regisseurs Luca Guadagnino, das auf dem gleichnamigen, halbautobiografischen Roman von William S. Burroughs basiert und bei den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde. (Italien / USA, 2024; 137 Min.) Mit Drew Starkey, Jason Schwartzman u.a. sowie Hauptdarsteller Daniel Craig als William Lee, der nach einer Drogenrazzia aus New Orleans fliehen musste und sich nun in Mexico-City, trotz seiner Opiumsucht, zu einem jüngeren Mann hingezogen fühlt. Seit 25. Dezember 2024 vereinzelt, bundesweit ab 02. Januar 2025 im Kino. Hier der Trailer:



Axels Filmkritik:

William Lee driftet durch Mexico City. Es sind die frühen fünfziger Jahre und er ist einer der vielen US-Amerikaner, die dort leben und Freiheiten genießen, die sie in ihrer Heimat nicht haben. In seinem Fall sind das Alkohol, andere Drogen und Sex. Bevorzugt mit Männern. Das neueste Objekt seiner Begierde ist Eugene Allerton, ein gutaussehender junger Mann.

Nach seinem 1953 unter dem Pseudonym Willliam Lee erschienenem Debüt „Junkie“ erzählt William S. Burroughs in seinem als zweiten Roman geplantem Roman „Queer“, literarisch kaum vermäntelt, seine Erlebnisse in Mexiko. Burroughs stellte den Roman nie fertig. Aber die Arbeit bahnte, in jeder Beziehung, den Weg zu seinem nächsten Roman. „Naked Lunch“ erschien 1959 und wurde ein Klassiker. David Cronenberg verfilmte den Roman 1991. „Naked Lunch“ ist auch der einzige Roman von Burroughs, der aktuell auf Deutsch erhältlich ist.

In den Jahren nach der Veröffentlichung von „Naked Lunch“ wurde Burroughs immer wieder auf den nicht publizierten Roman angesprochen. Er nannte das nie fertig geschriebene Buch ‚artist’s poor art school sketches‘ und wollte es lange nicht veröffentlichen. 1985 veröffentlichte er das Romanfragment dann doch. Dieses Fragment wurde bislang nicht ins Deutsche übersetzt.

Das Fragment umfasst in der „25th Anniversary Edition“ knapp Hundertzwanzig großzügig gelayoutete Seiten. Der Anfang ist ein gelungener Einblick in das damalige Leben der Expats (Auswanderer). Später verliert die Geschichte sich in längliche Monologe. Sie wird kurzatmiger. Die einzelnen Szenen sind zunehmend nur skizziert. Plötzlich interessiert sie sich nicht mehr für die Liebesgeschichte zwischen Lee und Allerton, sondern für die Suche nach der legendären Yage-Wunderdroge. Außerdem hat die Geschichte kein befriedigendes Ende. Sie hört einfach mit einem zwei Jahr später spielendem Epilog auf.

Dieses Ende hat Luca Guadagnino in seiner kongenialen Verfilmung des Romans jetzt im Geist von Burroughs erfunden. Daniel Craig übernahm die Hauptrolle und ein radikalerer Bruch mit seiner vorherigen Rolle als James Bond ist kaum vorstellbar. William Lee ist in der Beziehung ein Anti-Bond – und wie James Bond ein Kind des Kalten Krieges. Seinen ersten Auftritt hatte Bond 1953 in Ian Flemings Roman „Casino Royale“.

Drew Starkey spielt das Objekt seiner Begierde. Jason Schwartzman, Henrique Zaga, Drew Droege, Ariel Schulman und David Lowery spielen weitere in Mexico ziellos vor sich hinlebende Expats, die alle auch als exzellente Verkörperungen des sprichwörtlichen hässlichen Amerikaners sind. Mit ihnen zeichnet Guadagnino in der ersten Hälfte ein bestechendes Porträt der damaligen Expat-Szene. Sie treffen sich in Bars, hängen ab, reden miteinander, trinken viel Alkohol, probieren Drogen aus und durchstreifen die Straßen nach dem nächsten Sexabenteuer. Für die Einheimischen und deren Leben interessieren sie sich nicht.

„Queer“ ist ein Sittengemälde, weitgehend ohne eine erkennbare Geschichte. Anfangs, wenn Lee seine neue Liebe verfolgt und sie ins Bett bringen will, hat die Geschichte noch einen dramatischen Fokus. Später nicht mehr. Lee überzeugt Allerton von einer gemeinsamen Reise nach Südamerika. Im Dschungel hofft Lee, die sagenumwobene Wunderdroge Yage zu finden. Hier verliert der Film, wie die Vorlage, ihren Plot zugunsten einer beliebigen Abfolge von nicht sonderlich interessanten Episoden, die in einer Begegnung mit Doctor Cotter und dem Genuss der Droge münden.

Guadagninos nah an der Vorlage mäandernde und damit zu lang geratene Burroughs-Verfilmung erinnert mehr als einmal an David Cronenbergs „Naked Lunch“. Das liegt daran, dass Burroughs Romanfragment rückblickend als Vorstudie für seinen zweiten veröffentlichten Roman angesehen werden kann und dass Cronenberg in seinem Film ikonische Bilder schuf.

Und so bleibt am Ende ein zwiespältiger Eindruck: „Queer“ ist von Guadagnino-Stammkameramann Sayombhu Mukdeeprom vorzüglich gefilmt, gut gespielt, wobei vor allem Daniel Craig überrascht, und überzeugend in seinem Porträt der damaligen Expat-Szene. Aber bei einer Laufzeit von deutlich über zwei Stunden fällt auch die nicht vorhandene Geschichte auf. Und keine der mehr oder weniger unsympathischen, ziellos vor sich hinlebenden Figuren weckt nachhaltiges Interesse. Guadagninos Verfilmung hat, trotz des etwas anderen Endes, die gleichen Probleme wie das Romanfragment.


Axel Bussmer (kriminalakte.org)


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Im Jahr 2020 bekam der iranische Filmemacher Mohammad Rasoulof für sein Werk "There is no Evil", einen Film über die Todesstrafe, den goldenen Bären der Berlinale. Persönlich entgegennehmen konnte er den Preis leider nicht.

Auf die Ankündigung aus Frankreich, seinen neuen 2024 im Iran heimlich gedrehten Film "The Seed of the Sacred Fig" über einen staatlichen Untersuchungsrichter, in den Wettbewerb von Cannes aufzunehmen, reagierte Irans Regime mit Härte und verurteilte den Regisseur zu Gefängnis und Auspeitschungen. Wie erst später bekannt wurde, war Rasoulof zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Flucht nach Deutschland.

Sein Werk wurde mit deutschem Geld unter dem Titel "Die Saat des heiligen Feigenbaums" fertiggestellt und für den OSCAR® 2025 in der Kategorie »Bester Internationaler Film« eingereicht. In Berlin wurde der Film erstmals Anfang Dezember zur Eröffnung des Weltfilmfestivals »Around the World in 14 Films« vorab präsentiert.

"DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS" Drama von Mohammad Rasoulof um einen iranischen Ermittlungsrichter und den Streit mit seinen aufmüpfigen Töchtern, der in Cannes den Spezialpreis der Jury gewann. (Iran / Deutschland / Frankreich, 2024; 168 Min.) Mit Mahsa Rostami, Niousha Akhshi, Setareh Maleki u.a. seit 26. Dezember 2024 bundesweit im Kino. Hier der Trailer:



Reginas Filmkritik:

Es gibt Filme, die stehen für sich: meisterlich gestaltet, politisch relevant und mit einer Entstehungsgeschichte, die selbst schon eine Verfilmung wert wäre.

"DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS" ("THE SEED OF THE SACRED FIG") des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof ist so ein Meisterwerk. Zu Recht steht das Drama als bester internationaler Film auf der Shortlist für den Auslands-Oscar. Obwohl im Iran auf Farsi gedreht, kann der Film für Deutschland ins Oscar-Rennen gehen, weil er von einer deutschen Firma und zu großen Teilen mit deutschem Geld produziert wurde.

Mohammad Rasoulof prangert die Zustände im Iran an. Die Familie als Abbild des totalitären Gottesstaats Iran. Da sind der despotische Vater Iman, (Misagh Zareh), ein überzeugter Vertreter des Mullah-Regimes und die Mutter Najmeh, (Soheila Golestani), zerrissen zwischen der Solidarität mit ihrem Gatten und der Liebe zu ihren fast erwachsenen, kritischen Töchtern. Reza (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki) lehnen sich zunehmend gegen ihren Vater auf.

Iman ist Teil des totalitären Systems, ein Handlanger des Regimes. Er wird zum Ermittlungsrichter befördert, seine Aufgabe ist es fortan, Anklagen zu erstellen und Todesurteile zu unterschreiben, oft ohne Einsicht in die Akten.

Rasoulof zeichnet Iman nicht als Monster, sondern als gequälten, von Skrupeln gezeichneten Menschen, eine der großen Leistungen des Films. Doch letztendlich überzeugt ihn die Aussicht auf eine größere Wohnung und mehr Geld. Anschaulich schildert Rasoulof, wie Menschen durch Macht und Geld korrumpierbar werden.

Der Film entstand im Verborgenen. Rasoulof und sein Team arbeiteten immer mit dem Risiko, entdeckt und verhaftet zu werden. Deswegen drehte die Crew vorwiegend in Innenräumen. Trotzdem ist "DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS" großes Kino, das Drama überzeugt mit einer bis ins Detail stimmigen Geschichte, einer poetischen Filmsprache und großartigen Schauspielern.

"DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS" spielt 2022, zur Zeit der Jina-Proteste („Frau, Leben Freiheit“) Nach der brutalen Verhaftung und dem Tod der kurdisch-stämmigen Jina Mahsa Amini ging eine Welle der Empörung durch das Land. Massendemonstrationen gegen das Regime bewegten den Iran.

Die beiden Töchter im Film stehen stellvertretend für die junge Generation, die sich nicht mehr von Staatsnachrichten manipulieren lässt und über ihre eigenen Quellen im Internet die Verbrechen des Regimes verfolgt. Angesteckt von der Revolutionsstimmung im Land hinterfragen sie zunehmend das frauenfeindliche System und setzten sich zur Wehr.

Geschickt bindet Rasoulof dokumentarische Handy-Videos aus der Zeit in die Handlung ein und zeigt die gewaltsame Niederschlagung und Verhaftung der Demonstrantinnen und Demonstranten.

Eine zentrale Rolle im Film spielt eine Dienstwaffe, die Iman vom Regime erhält, um sich und seine Familie zu „verteidigen“. Eines Tages verschwindet die Dienstwaffe aus der Schublade des Nachttischs, die Spannung in der Familie wird immer greifbarer und die Ereignisse nehmen einen explosionsartigen Lauf.

Mohammad Rasoulof:

„Das derzeitige Regime im Iran kann sich nur durch Gewalt gegen das eigene Volk an der Macht halten. In diesem Sinne ist die Schusswaffe in meiner Geschichte eine Metapher für Macht im weiteren Sinne….

In der Geschichte
(der Menschheit, Anm.d.A) gibt es viele Berichte über mächtige Menschen, die ihnen nahestehende Menschen töten, um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Im Iran gibt es nach der Revolution von 1979 in des seltsame Berichte von Fanatismus und das Beharren auf einer Ideologie, die Kindermord, Brudermord, das Streben nach Märtyrertum usw. zu quasireligiösen und politischen Wertem pervertiert. In den letzten vierzig Jahren hat die bedingungslose Unterwerfung unter die herrschenden religiösen und politischen Institutionen zu tiefen Spaltungen in den Familien geführt“.

Es braucht viel Mut um einen Film zu machen, der so deutlich die Missstände im Iran anprangert. Und es ist nicht der erste Film, in dem der iranische Regisseur das Unrechtssystem im Iran anklagt und sich für die Freiheit der Ideen, Meinungen und der Kunst ausspricht. 2020 gewann er bei den 70igsten Internationalen Filmfestspielen in Berlin für seinen Spielfilm "DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT" den goldenen Bären. In vier Geschichten warf Rasoulof die Fragen auf, wie integer ein Mensch in einem absoluten Regime bleiben kann, welche Schuld er ertragen kann, ohne zu zerbrechen und zu welchem Preis es gelingt, die individuelle Freiheit zu bewahren.

Mohammad Rasoulof konnte auf der Berlinale den Preis nicht persönlich entgegennehmen, weil er keine Reiseerlaubnis aus dem Iran erhielt. Kurze Zeit später wurde er zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt und mit einem zweijährigen Berufsverbot belegt, da er mit seinen Filmen „Propaganda gegen das System“ betreibe. Weitere Verhaftungen folgten, mehrere Monate saß er im Gefängnis. 2024 erging dann das Urteil einer achtjährigen Haftstrafe gegen ihn. Rasoulofs Pass war schon lange eingezogen worden, es blieb ihm nur die Flucht über die Berge. Nachdem er mehrere Monate (teilweise zu Fuß) unterwegs war, konnte er schließlich in Cannes persönlich seinen neuen Film "DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS" vorstellen und wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Seit Mai 2024 lebt der Regisseur in Deutschland.

Zu dem Titel seines Films sagt Mohammad Rasoulof:

„Ich habe lange Zeit auf einer der südlichen Inseln im Iran gelebt. Auf dieser Insel gibt es ein paar alte, heilige Feigenbäume. Der Lebenszyklus dieses Baumes erregte meine Aufmerrksamkeit.Seine Samen fallen durch Vogelkot auf die Äste anderer Bäume. Die Samen keinem dann und ihre Wurzeln wandern in Richtung Boden. Wenn die Wurzeln den Boden erreichen, steht der heilige Feigenbaum auf eigenen Füßen und seine Äste erdrosseln den Wirtsbaum.“

Mohammad Rasoulof hat trotz der widrigen Umstände einen hochaktuellen Film geschaffen, der durch seine Wucht und Intensität berührt: einen Politthriller, ein Familien-Kammerspiel. "DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS" spiegelt auf beeindruckende Weise die Verhältnisse des totalitären Mullah-Regimes am Beispiel einer Familie - ein Drama, das anklagt und aufrüttelt, spannend und fesselnd bis zur letzten Minute - ein Werk, das den Auslands-Oscar verdienen würde!


Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)



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