Aktuelle Filmkritiken zu Kinostarts in der 46. KW 2024 mit zwei Werken von der 74. Berlinale
Unter den heutigen Kinostarts vom 14. November 2024 befinden sich zwei Werke, die bereits auf der 74. Berlinale im Februar ihre Weltpremiere feierten.
"NO OTHER LAND" Dokumentarfilm von Yuval Abraham, einem Israeli, und Basel Adra, einem Palästinenser, der auf der 74. Berlinale den Panorama-Publikumspreis gewann und auch als Bester Dokumentarfilm mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. (Palästina / Norwegen, 2024; 92 min.) Ab 14. November 2024 regulär im Kino. Hier der Trailer:
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"DES TEUFELS BAD" grauenvolles Historien-Drama von Severin Fiala & Veronika Franz, das auf der 74. Berlinale im Wettbewerb den Silbernen Bären gewann und von Österreich für den sogenannten Auslands-OSCAR nominiert wurde. (Österreich / Deutschland, 2024; 121 Min.) Mit Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter ab 14. November 2024 im Kino. Hier der Trailer:
"NO OTHER LAND" Dokumentarfilm von Yuval Abraham, einem Israeli, und Basel Adra, einem Palästinenser, der auf der 74. Berlinale den Panorama-Publikumspreis gewann und auch als Bester Dokumentarfilm mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. (Palästina / Norwegen, 2024; 92 min.) Ab 14. November 2024 regulär im Kino. Hier der Trailer:
Angelikas Filmkritik:
Der Dokumentarfilm „No Other Land“ entstand unter der Regie des norwegisch-israelischen Journalisten Yuval Abraham und des Palästinensers Basel Adra. Die beiden lernten sich kennen und wurden Freunde. Im Mittelpunkt steht das Leben der Palästinenser im Westjordanland und ihr Leiden unter der israelischen Vorherrschaft.
Endlich kommt dieser Dokumentarfilm ins Kino, nachdem er im vergangenen Februar bei der „Berlinale“ in der Sektion „Panorama“ gezeigt wurde und heftige und lang andauernde Zerwürfnisse provozierte und dann auch den Berliner Bürgermeister Kai Peter Wegner ausrufen ließ: „Die Berlinale ist kein Platz für Hass und Hetze!“
Was war geschehen? Bei der Bären-Gala der Berlinale häuften sich einseitige propalästinensische Statements, worauf eine heftige Diskussion um Antisemitismus im Kulturbetrieb folgte. Sogar auf dem offiziellen Hauptstadtportal Berlin.de war unter den Beschreibungen aktueller Filme zu lesen, dass der Film „antisemitische Tendenzen“ aufweise. Erst nach Protesten des israelischen Regisseurs gab es eine Entschuldigung und der Halbsatz verschwand wieder.
Der Film befasst sich mit der Vertreibung von Palästinensern in den Dörfern von Masafer Yatta, einer Ansammlung von 19 Ortschaften in Palästina. Es ist ein jüdisch–arabisches Gemeinschaftsprojekt und zeigt die totale Zerstörung der Ortschaften im südlichen Westjordanland durch Soldaten im Auftrag der israelischen Regierung.
Zwischen dem palästinensischen Aktivisten Basel Andra und dem israelischen Journalisten Yuval Abraham entwickelte sich ein Bündnis, das die beiden dazu brachte, einen Film über die Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern in den Dörfern von Masafer Yatta, südlich von Hebron im Westjordanland zu drehen.
Der Film dokumentiert, wie der Palästinenser Basel Adra den schrittweisen Abriss der Dörfer seiner Heimat-Region kaum ertragen kann. Dennoch zeigt er ganz genau wie stur und konsequent die Soldaten im Auftrag der israelischen Regierung gegen die Gebirgssiedlungen vorgehen, die 1967 von Israel illegal besetzt und angeblich zum Militärübungsplatz erklärt wurde.
Seit über zwei Jahrzehnten wird stets geräumt und abgerissen. Die palästinensischen Bewohner müssen deshalb zum Teil in Höhlen leben, obwohl ihre Dörfer schon seit 1900 auf Landkarten verzeichnet sind. Bei einem Gerangel zwischen rabiaten israelischen Siedlern und den Palästinensern, die vertrieben werden sollen, wird einer der Protestierenden tödlich getroffen.
Danach beginnt der israelische Journalist Yuval Abraham den Palästinenser Basel Adra noch mehr in seinen Bemühungen zu unterstützen. "No other Land" wurde im Oktober 2023 abgedreht. Doch das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegen Israel wird im Film ( bewusst? ) nur am Rande erwähnt.
Im Kino-Saal während der „Berlinale“ herrschte zum Ende des Films zunächst eine beklemmende Stille. Doch dann wurden von einzelnen Zuschauerinnen Parolen wie "Free Palestine" gerufen. Aber es wurden auch zwei Männer, die Frieden für Israel und Palästina forderten, niedergeschrien und beleidigt.
Das Führungsduo der Berlinale hatte das Filmfestival Mitte Januar als Plattform für friedlichen Dialog in Bezug auf den Nahostkonflikt bezeichnet. Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian betonten, dass ihr Mitgefühl allen Opfern der Krisen in Nahost gelte. Sie unterstrichen in ihren Reden:
„Wir möchten, dass das Leid aller wahrgenommen wird und wir hoffen, dass wir mit unseren Programmen verschiedene Perspektiven auf die Komplexität der Welt eröffnen." Filmfestivals – so meinten sie – seien "Orte der Begegnung und des Austauschs und leisteten einen wichtigen Beitrag zur internationalen Verständigung“…
Zum vierköpfigen Film-Produktions-Kollektiv, gehörte auch die israelische Kamerafrau Rachel Szor und der palästinensische Fotograf Hamdan Ballal.
Yuval Abraham schrieb in seinem Post, es schmerze ihn zu sehen, „wie nach der Ermordung eines Großteils meiner Familie im Holocaust das Wort Antisemitismus seiner Bedeutung beraubt wird, um Kritiker der israelischen Besatzung im Westjordanland (das Thema unseres Films) zum Schweigen zu bringen und Gewalt gegen Palästinenser zu legitimieren. Als linker Israeli fühle er sich in Berlin nicht mehr sicher und nicht willkommen.“
Ähnliche Ansichten äusserte bereits 1981 der israelische Filmemacher Amos Gitai anläßlich des Film-Festivals von Nantes in der Bretagne und auch beim „12. internationalen forum des jungen films“ 1982 in Berlin. Aber erst jetzt fand er bei der 74. Berlinale durch seinen Film „Shikun“ Gehör, sodass nun auch seine Filme „Bait“ („Das Haus“) und „Wadi“ („Das Tal“) endlich wahrgenommen werden.
Im dokumentarischen Film „Wadi“ ging es auch schon damals darum, dass den landlosen Palästinensern nichts anderes übrig blieb als ihre Hütten in den Hängen von ausgetrockneten Flussläufen zusammen zu schustern…
Der neue Film „No Other Land“ selbst kritisiert nun wiederum die Besatzungspolitik und ständigen Zerstörungen palästinensischer Häuser im südlichen Westjordanland, er schildert auch die Sisyphusarbeit des immer wiederholten Wiederaufbaus zerstörter Häuser und Hütten durch die Dorfbewohner. — „No Other Land“ ist aktivistisch, israelkritisch, aber nicht antisemitisch.
Inzwischen werden die offiziellen Film-Bewertungen in ihren früheren Textversion als „falsch und unzulässig“ eingeschätzt. Sie wurden deshalb entfernt nachdem Berlin.de inzwischen dafür sorgte die allgemeinen Standart-Formulierungen als Fehler zu entschuldigen.
Die Bulldozer aber kommen wahrscheinlich weiterhin regelmäßig nach Masafer Yatta und zerstören palästinensische Häuser. Und das nicht nur dort…
Basel Adra, einer der Regisseure und Protagonisten des Films, dokumentiert weiterhin Zwangsräumungen und zeigt Bilder, die man sonst nicht herkömmlichen im Fernsehen sieht.
Angelika Kettelhack
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"DES TEUFELS BAD" grauenvolles Historien-Drama von Severin Fiala & Veronika Franz, das auf der 74. Berlinale im Wettbewerb den Silbernen Bären gewann und von Österreich für den sogenannten Auslands-OSCAR nominiert wurde. (Österreich / Deutschland, 2024; 121 Min.) Mit Anja Plaschg, David Scheid, Maria Hofstätter ab 14. November 2024 im Kino. Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
Oberösterreich im Jahr 1750. Das Leben in dieser Zeit ist eine Tortur. Dennoch ist Agnes (Anja Plaschg) gut gelaunt und voller Freude. Es ist ein großer Tag. Sie heiratet Wolf (David Scheid), bekommt eine Stoffpuppe in den Arm gelegt und er betet, dass sie ihm eine gute Frau sein wird und bald ein Kind erwartet. Beide sind stockkatholisch.
Eine andere Frau wirft ihr schreiendes Baby einen Wasserfall hinunter und bekreuzigt sich anschließend. Agnes und Wolf ziehen in ein Haus im Wald. In dem finsteren Haus in dem neuen Dorf fühlt sie sich unwohl. Was sie nicht ahnte, ihre strenge Schwiegermutter (Maria Hofstätter) kritisiert sie täglich und rät ihr jeden Tag 10 „Vater-Unser“ zu beten. Ihr Mann ist von seiner harten Arbeit todmüde und schläft sofort ein, zum Bedauern der jungen Frau, denn so kann sie nicht schwanger werden.
Von nun an lebt sie in einer gefühlskalten Welt voller Arbeit und Erwartungen, die sie von Tag zu Tag depressiver werden lässt. Als die tiefreligiöse und sensible Agnes auf einem Hügel eine zur Schau gestellte hingerichtet Frau sieht, ist sie voller Mitleid.
Es handelt sich um jene Person, die ihr Kind aus der Wiege nahm, durch den Wald lief, dem weinenden Kind eine Kette um den Hals legte und in den Abgrund hinunterwarf. Auf dem Rückweg läuft sie auf ein burgähnliches Haus zu. Klopft dort an die Tür, die sich öffnet und sagt: „Ich habe etwas zu gestehen“.
(Es ist der Prolog zu diesem düsteren Historienfilm auf Kathy Stuarts Buch „Suicide by Proxy – The Unintendet Consequenses of Public Executions in Eighteenth Century Germany“. Darin dokumentierte Stuart 400 Fälle von Selbstmord aus Angst vor der Justiz.)
Frauen und Männer begingen aus Angst vor der Verdammnis, die ihnen nach einem Selbstmord drohte, Verbrechen wie Morde, Blasphemie und „Sodomie“, die mit der Todesstrafe geahndet wurden. Vor der Hinrichtung transformierte die Buße die Täter*innen zu reuigen Sünder*innen, die somit auf Erlösung im Jenseits hoffen konnten.
Das direkte Vorbild für die Bauersfrau Agnes in "DES TEUFELS BAD" ist Eva Litzfeller, die sich 1762 nach einem Kindesmord der Justiz stellte.
Die Verzweiflung der jungen Frau wird immer stärker, bis eine Gewalttat zu einem erbarmungslosen Ausweg führt. Sie möchte wieder zurück in ihr altes Zuhause, doch ihr Mann holt sie mit Gewalt zurück.
Im 17. Jahrhundert ermordeten Menschen einen anderen Menschen, um nicht schuldig zu sein. Der Film basiert auf historischen Gerichtsprotokollen aus einem erschütternden, bisher unbeleuchteten Kapitel europäischer Geschichte.
Die schauspielerische Performance der Anja Plaschg, die auch die Filmmusik komponiert hat, zieht einen regelrecht in den Bann. Ein Film, der schwer zu ertragen ist und bestimmt wird von irrsinnigen religiösen Dogmen, die bis in die heutige Zeit reichen.
Ulrike Schirm
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