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Zwei lesenswerte Filmkritiken zu sehenswerten Kinostarts in der 39. KW 2024

Mit "MEGALOPOLIS" von Francis Ford Coppola startete am 25. September 2024 sein bombastisches Alterswerk im Kino, aber auch die Doku "DIE KINDER AUS KORNTAL", über einen Missbrauchsskandal in einem süddeutschen Kinderheim, ist aufschlussreich.



"MEGALOPOLIS" Sci-Fi-Drama von Francis Ford Coppola um Macht, Geld und Gier. (USA, 2024; 138 min.) Mit Adam Driver, Giancarlo Esposito, Nathalie Emmanuel u.a. seit 25. September 2024 auch im IMAX-Kino. Hier der Trailer:



Reginas Filmkritik:

Welche Wucht! Welch hohe Ambitionen! Ein philosophisches Meisterwerk sollte "MEGALOPOLIS" werden. Gleich im Vorspann erfahren wir, Francis Ford Coppola will nichts weniger erzählen, als eine Fabel über die Menschheitsgeschichte.

Der Film "MEGALOPOLIS" war schon in Cannes einer der heiß erwarteten Filme des Festivals, und er war nach seiner Premiere auch einer der umstrittensten und divers diskutiertesten Werke. Die Reaktionen reichten von Begeisterung und Faszination „ein formell und visuell kühnes Experiment“ schrieb Bilge Ebiri vom New York Magazine - über Irritation und Abneigung bis zum völligen Verriss: „ein Herzensprojekt ohne Herz, ein aufgeblasener, langweiliger, verblüffender, oberflächlicher Film voller Musterschüler-Wahrheiten über die Zukunft der Menschheit“ urteilte Peter Bradshaw vom Guardian.

Vielleicht wollte Coppola genau das: provozieren, es allen noch einmal zeigen, Grenzen übertreten. Sein Altersvermächtnis!
Schon seit 40 Jahren beschäftigt Francis Ford Coppola die Idee eines Science-Fiktion Epos über das Schicksal der Menschheit. Jetzt mit 85 Jahren hat er seinen Traum verwirklicht. Keine der großen Filmfirmen wollte das Projekt finanzieren, schließlich investierte er 120 Millionen Dollar aus eigener Tasche, um sein Opus Magnum zu realisieren.

Der Film spielt in „New Rome“, eindeutig als New York erkennbar, verwoben mit Bezügen zum römischen Reich. Eine Stadt, gebeutelt von Korruption, Exzessen und dem Verfall der Moral, eine dem Untergang geweihte Metropole - für Coppola ein Symbol für den Zustand unserer Welt.

Im Mittelpunkt zwei Antagonisten, die sich darüber streiten, wie die Stadt in Zukunft gestaltet werden soll: Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) will alles so belassen, wie es ist und hält an seinen konservativen Ideen fest. Der Nobelpreisträger, Architekt und Erfinder Cesar Catilina (Adam Driver) will seine visionären Pläne umsetzen und träumt von einer Metropole, die die Menschen durch ihre Schönheit und visionäre Kraft inspiriert. Er hat ein Baumaterial erfunden, Megalon, gelb schimmernd und durchsichtig, mit dem er seine Stadt der Zukunft gestalten will.

Es liegt nahe, dass Coppola auf Ereignisse und Machtkämpfe im Rom 63 vor Christus anspielt, auf die Verschwörung des Lucius Sergius Catilina gegen Cicero.

Neben Cicero und Cesar treten im Film weitere Figuren auf, die auch namentlich als Symbolcharaktere zu deuten sind, etwa Hamilton Crassus III, (Jon Voight) ein skrupelloser Finanzmogul, der nicht zufällig an Donald Trump erinnert, oder sein Enkel Clodio Pulcher (herrlich in seiner Widerlichkeit Shia LaBeouf), den es aus Macht- und Prestigegründen in die Politik zieht.

Natürlich muss auch eine Lovestory ihren Platz finden. So verliebt sich die Tochter des Bürgermeisters Julia (Shakespeare lässt grüßen) ausgerechnet in dessen Gegenspieler, den Architekten Cesar; stark in der Rolle der zerrissenen Frau zwischen Vater und Liebhaber Nathalie Emmanuel.

Bis dahin lässt sich der Plot noch erahnen, wäre da nicht die sprunghafte Dramaturgie, das Fehlen einer stringenten Handlung und eines roten Fadens.

Coppola setzt sich bewusst über Sehgewohnheiten hinweg. Sein Film lebt von Assoziationen, Ideen, Anspielungen, Sprüngen, witzigen Slapstick-Einfällen, klassischen Zitaten (von Plato, Shakespeare über Voltaire, bis Emerson, u.a.) von Referenzen und Showeinlagen - das alles lose miteinander verwoben oder eben auch nicht. Das ist mal grandios, mal irritierend, bisweilen bedeutungsschwanger, dann wieder wenig subtil, ja banal. Und dennoch sind die 138 Minuten des Films packend genug, um dabei zu bleiben.

Visuell sorgt Coppolas Film immer wieder für Überraschungen. Gleich zu Beginn sinniert Cesar, der Architekt und Visionär, auf einem freischwebenden Cat Walk über der Skyline von New Rome über das Leben - anhand eines Shakespeares Monologs.
Altmeister Coppola bietet alles auf, was die digitale „Trickkiste“ zu bieten hat und wartet mit den verschiedensten Stilmitteln, Verfremdungselementen und visuellen Effekten auf. "MEGALOPOLIS" besticht durch eine Explosion von ungewöhnlichen, teils überraschenden, teils antiquarischen optischen Einfällen und futuristischen Visionen, wie zum Beispiel einem Wrestling-Kampf in einem riesigen Kolosseum, bestückt mit Neonreklamen.

Dass er Filme machen kann, muss der fünffache Oscargewinner Francis Ford Coppola nicht mehr beweisen. Er ist der Kult Regisseur, der Macher von "DER PATE"-Triologie, (1972, 1974,1990), das Mafia-Epos ist weltweit bekannt.

Sein Meisterwerk "APOCALYPSE NOW" ist bis heute Kult, gehört zu den wichtigsten Antikriegsfilmen. 1979 bekam er dafür die goldene Palme in Cannes, sein Film "DER DIALOG" ("THE COVERSATION") wurde bereits 1974 mit dem wichtigsten Preis des Festivals ausgezeichnet.

Und jetzt "MEGALOPOLIS". Hat sich Coppola mit seinem wahrscheinlich finalen Alterswerk zu viel vorgenommen, den Stoff zu lange hin und her bewegt und sich dabei verirrt?

Oder war es ihm mit seinen 85 Jahren am Ende gleichgültig, was die Kritik und die Filmwelt ihm entgegenbringen? Es scheint, als wolle er kompromisslos Grenzen überschreiten - ein Film wie ein Rausch, ein Trip.

Und: vielleicht sind wir ja auch nach nicht reif für einen Film, der die gängigen dramaturgischen und filmästhetischen Regeln sprengt und Francis Ford Coppola hat einen Film geschaffen, der in einigen Jahren als Meisterwerk gefeiert wird.

Anschauen sollte man sich "MEGALOPOLIS" unbedingt, der Film ist ein Feuerwerk aus Geschichten, Bildeinfällen, Farben und visuellen Möglichkeiten. Es ist das Werk eines Regisseurs, der längst alles erreicht hat und deswegen frei zu sein scheint, seine ureigenen Visionen und Träume auf die Leinwand zu projizieren.

Regina Roland (filmkritik-regina-roland.de)



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"DIE KINDER AUS KORNTAL" Dokumentation von Julia Charakter über einen Missbrauchsskandal in einem evangelischen Kinderheim in Baden-Württemberg. (Deutschland, 2023; 91 Min.) Mitwirkende: Detlev Zander, Angelika Bandle, Martina Pferl, Thomas Mockler, Andreas Schönberger, Brigitte Baums-Stammberger, Jochen Hägele, Klaus Andersen, Familie Schweizer. Seit 25. September 2024 vereinzelt im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Eine Kleinstadt Baden-Württemberg: Korntal. Das "heilige Korntal" nennen es die Bewohner. Das ist hoch gegriffen und darum muss sich eine Gemeinde auch sagen lassen, dass es mit "heilig" nicht weit her ist. Die pietistische Brüdergemeinde unterhält hier seit Generationen ein Kinderheim. Für Außenstehende wirkten die Häuser mit den Pferdekuppeln wie ein Paradies. 2013 ging eines der dort aufgewachsenen Kinder an die Öffentlichkeit und berichtete von Missbrauch seit den 1950er Jahren.

Um den damals wohl größten Missbrauchsfall in der evangelischen Kirche ist es inzwischen wieder ruhig geworden. Gemeinhin sagt man, wenn man über Fälle mit Tätern und Opfern berichtet, dass man den Opfern eine Stimme geben will. Julia Charakters Dokumentarfilm gibt sechs Betroffenen von über 150, die sich damals und über die Zeit hinweg gemeldet haben, den Raum ihre Stimme noch einmal zu Gehör zu bringen. Denn mitnichten muss man Betroffenen eine Stimme geben, das stellt auch eine der ehemaligen Kinder unmissverständlich klar. Sie haben eine Stimme. Vielmehr muss man ihren Stimmen zuhören. Da hapert es ganz gewaltig.

"Die Kinder aus Korntal", der Dokumentarfilm, der letztes Jahr auf dem DOK Leipzig Festival mit dem Förderpreis der DEFA-Stiftung ausgezeichnet worden ist, ist kein einfacher Film. Es geht um Missbrauch, es geht um dessen Aufarbeitung, es geht um Entschädigungen, es geht um die Selbstdarstellung der Gemeinde. Den zahlreichen Missbrauchsfällen in Institutionen wie Kirchen und Heimen mag man kaum mehr folgen. Den Betroffenen zuzuhören kann unbequem sein. Julia Charakter hat zugehört und sie ermöglicht es in einer sehr direkten und in seiner Machart zurückgenommenen Darstellung, dass wir kaum weghören können. Durch eine geschickte Montage werden die Mitwirkenden zweier Seiten scheinbar in einen Dialog gesetzt, den es aber zu keinem Zeitpunkt wirklich gab. Was ja auch Teil der Problematik ist. Bis wir hoffentlich begreifen, was vorgefallen ist und was immer noch im Argen liegt.

Über Jahrzehnte wurden Heimkinder drangsaliert, gedemütigt, geschlagen, missbraucht, verletzt. An Leib und Seele. Das waren keine Ausrutscher, das war systematisch. Wohl kaum ein populäres Lied trifft den Schaden, den man an Kinderseelen anrichten kann, genauer als Bettina Wegners Lied "Kinder", ihr wohl bekanntestes Stück, das hier als Brücke zwischen dem, was man kennt und dem, was man hier erfährt, angespielt wird.

Das Erschreckendste an diesem Dokumentarfilm ist aber nicht einmal das Thema "Missbrauch an Heimkindern", sondern das Bild, dass sich nach und nach aus den Gesprächen mit wenigen Betroffenen und der heutigen Gemeindeleitung und exemplarischen Vertretern der Bevölkerung ergibt.

"Die Kinder aus Korntal", der bei diesem einen Fall bleibt und trotzdem ein Bild von der Geschichte der Bundesdeutschen Republik gewährt, ist die versuchte Aufdeckung des Missbrauchs nach dem Missbrauch.

Julia Charakter und ihr Kameramann Jonas Eckert, den Schnitt haben die Beiden gemeinsam erarbeitet, vermeiden Effekte. Sie setzen darauf, dass man ohne diese den Kern des Themas erfasst. Den Erzählungen der ehemaligen Heimkinder werden historische Aufnahmen und Animationen zur Seite gestellt. Auch die "Gegenseite", die sich der Aufarbeitung nicht entziehen konnte, kommt zu Wort. Scheinbar geht es um Geld. Natürlich geht es den Opfern nicht um Geld, aber das Thema Geld ist natürlich entlarvend. Es fallen Sätze, die in einer Besprechung nicht wiedergegeben werden müssen, die aber darauf hindeuten, dass die, die zuhören sollten, nichts verstanden haben. Bereits, dass die Täter die Art der Aufarbeitung bestimmen, ist ein Unding. Julia Charakters empathischer Dokumentarfilm gibt die Möglichkeit, zuzuhören. Wir sollten zuhören.

Elisabeth Nagy


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