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Streik der US-Schauspieler sowie unsere Filmkritiken der 27. & 28. KW 2023

Wegen zahlreicher anderer Themen wie Auszeichnungen, Filmfestivals, Kinoeröffnung und Open-Air-Vorführung folgen Filmkritiken erst wieder heute.



Bevor wir zur ersten Filmbesprechung kommen, müssen wir leider mitteilen, dass - wie von uns am 1. Juli 2023 berichtet - die Verhandlungen der Schauspieler Hollywoods mit den großen US-Filmstudios nun doch gescheitert sind und diese nach einstimmiger Abstimmung in der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild (SAG-AFTRA) deshalb ab Freitag, den 14.07.2023, die Arbeit niederlegen und in den unbefristeten Streik treten, um höhere Gagen für die rund 160.000 organisierten Schauspieler zu fordern.

Weil seit Wochen auch die US-Drehbuchautoren streiken, erlebt Hollywood damit erstmals seit mehr als 60 Jahren einen Doppelstreik, der die US-Film- und Fernsehindustrie zum Stillstand bringen dürfte.

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"MISSION: IMPOSSIBLE 7 - Dead Reckoning - Teil 1" Action-Spionage-Abenteuer-Thriller von Christopher McQuarrie (USA, 2023; 163 Min.) Mit Tom Cruise, Hayley Atwell, Ving Rhames u.a. seit 13. Juli 2023 im Kino.

Hier ein Supercut Trailer mit einem Zusammenschnitt aller bisheriger Folgen.



Unsere Filmkritik:

Nachdem wir vor 14 Tagen über den letzten Teil des Indiana-Jones-Action-Thriller mit dem 80-Jährigen Harrison Ford berichteten, wurden wir natürlich neugierig, wie wacker sich der inzwischen 60-jährige Tom Cruise auf seiner unmöglichen Mission, die Welt vor Unheil zu retten, hält.

Auch Tom Cruise zählt zu den Actionhelden der alten Schule, die alle Stunts noch selbst ausführen wollen. Doch wenn man ihn vor einem Abgrund hängen sieht, wissen Eingeweihte, dass diese Szenen natürlich nicht unter Lebensgefahr in freier Natur entstanden sind, sondern vor Green-Screen im Studio mit lauter Pappmaché gefilmt wurden.

Die heutige digitale Technik ermöglicht es dennoch sehr realistische hochauflösende Bilder daraus zu generieren. Für die wenigen Uneingeweihten dürfte diese Erkenntnis enttäuschend oder zumindest ernüchternd sein.

Eigentlich wollten wir schon seit Längerem keine Filme mehr mit Tom Cruise sehen, da er als aktives Mitglied der Scientology Bewegung unser demokratisches Rechtssystem ablehnt. Mit zunehmendem Alter soll er aber weiser und weniger herrschsüchtig geworden sein, sodass wir versuchsweise diesen Kinobesuch dann doch starteten. Immerhin genießt die Church of Scientology in en Vereinigten Staaten nach jahrelangem Rechtsstreit den Status einer steuerbefreiten Religionsgemeinschaft. Das trifft zwar nicht auf Deutschland zu, aber die schauspielerischen Qualitäten und Tom Cruise persönliche Überzeugung sind zweierlei Dinge, die wir wohl besser außen vor lassen.

Allerdings ist die Story des Filmes, so abstrus wie hanebüchen und damit keinen Deut intelligenter als die letzte Mission von Harrison Ford im Kampf gegen längst verstorben geglaubte Alt-Nazis, welche die Zeit mittels eines altertümlichen Zeitrades zurückdrehen wollen.

In "Mission: Impossible 7" soll Tom Cruise alias Ethan Hunt nach einem Schlüssel jagen, dessen Verwendungszweck er nicht einmal kennt. Nur der Zuschauer ist auf Grund der langatmigen Anfangsszene bereits eingeweiht – kann sich aber aus dem abgespielten Unsinn zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich noch kaum einen Reim machen.

Nur so viel ist klar, die Welt steht wieder einmal am Abgrund eines Atomkrieges, der verhindert werden muss.

Dabei gibt es bei der Wahl der Fortbewegungsmittel unserer Protagonisten sogar gewisse Ähnlichkeiten zwischen den anfangs genannten Filmen.

Um zahlreichen Schurken zu entfliehen, benutzt Harrison Ford alias Indiana Jones eine dreirädrige, motorisierte Rikscha, die unnatürlich schnell fahren kann und immer den Verfolgern entwischt.

Tom Cruise benutzt mit einen uralten kleinen knallgelben Fiat, ein kaum weniger gebrechlich aussehendes Fahrzeug, dass allerdings schon elektrifiziert zu sein scheint, obwohl für die Batterien in dem winzigen Gefährt kaum Platz sein dürfte. Dennoch geht das Fahrzeug durch die geschickte Schnittmontage ebenso ab wie die Post.

In beiden Fällen wurde natürlich unterdreht aufgenommen, um die Szenen später schneller abspielen zu können, was eine höhere Geschwindigkeit beim Zuschauer vortäuscht.

Mit Logik kann man solchen Filmen nicht kommen. Entweder man akzeptiert den Quatsch und erfreut sich an dem Spektakel, oder man bleibt besser zu Hause.

Für ein Fazit wäre es übrigens noch zu früh. Trotz des fast drei Stunden langen Films, folgt demnächst noch ein zweiter Teil, der das Geheimnis des Schlüssels und der Bedeutung von "Dead Reckoning" klären könnte.

W.F.


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"RODÉO" Drama von Lola Quivoron über eine junge, freiheitsliebende Frau, die Anschluß bei den französischen Stuntbikern sucht. (Frankreich, 2022; 106 Min. Festival de Cannes, Sektion: »Un Certain Regard«) Mit Julie Ledru, Yanis Lafki, Antonia Buresi u.a. seit 13. Juli 2023 im Kino.

Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ein wirkliches Freiheitsgefühl findet die impulsive Julia (Julie Ledru) nur auf zwei Rädern. Selbstbewusst behauptet sie, dass sie mit einem Motorrad zwischen den Beinen geboren wurde. Nur auf dem Motorrad fühlt sie sich glücklich.

Die kompromisslose Außenseiterin versucht Anschluss in der Testosterongesteuerten Szene von illegalen Motorrad-Stunts und Bandenkriminalität zu finden. Gerade noch hat sie ein Bike geklaut, schon will sie sich der nur aus Jungen bestehenden Clique anschließen, stößt aber erst einmal auf Ablehnung. Kais (Yannis Lavki) nimmt sie mit zu seiner Gang, die Motorräder klaut. Dann ist da noch Abra (Dove Nsaman) ein Mitglied der Biker-Gang „B-Mores“, der ihr auch Fahrtipps gibt, dann aber vor ihren Augen einen furchtbaren Unfall baut.

Julia braucht dringend Hilfe, denn sie plant einen großen Motorrad-Diebstahl, den sie nicht allein managen kann. Abra war für das Stehlen von Motorrädern zuständig.

Julia freundet sich mit Ophélie an, (gespielt von der Drehbuch-Koautorin Antonia Buresi) der Frau des im Gefängnis sitzenden Gang-Leaders Domino, der vom Knast aus seine Geschäfte weiterbetreibt und der Julias Talent des Motorrad– Diebstahls schnell erkannt hat. Das Umfrisieren und Ummontieren und der Verkauf der gestohlenen Bikes ist die „Haupteinnahmequelle“ der Gang.

Das Kinodebüt der französischen Regisseurin Lola Quivoron erzählt von dem harten Leben in den armen Banlieues, besetzt mit Laiendarstellern, die für eine authentische Atmosphäre sorgen. Das Gute an dem Film ist, dass Lola Quivoron eine Milieustudie gedreht hat, in der nicht mit erhobenem Zeigefinger moralisiert wird, sondern die ein Lebensgefühl schildert und eine Frau in den Mittelpunkt stellt, die angeblich aus Guadeloupe ist, obdachlos ist und sich durchschlägt in einem Milieu, das ausschließlich von Macho-Typen bestimmt ist. Wie sie das hinkriegt, macht sie mit einer Energie, die eine regelrechte Spannung beim Zuschauen bewirkt, was ziemlich selten ist. Eine Mischung aus Sozialdrama und Krimi, mit einer Hauptdarstellerin, der man am liebsten etwas Gutes tun würde.

Ulrike Schirm


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"UNSER FLUSS … UNSER HIMMEL" Irakisches Kriegsdrama von Maysoon Pachachi (Vereinigte Arabische Emirate, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irak, Kuwait, Katar, 2021; 117 Min.) Mit Darina Al Joundi, Zainab Joda, Basim Hajar u.a. seit 06. Juli 2023 im Kino.

Hier der Trailer:



Nach erster Sichtung des Films vor längerer Zeit im Stream, wurden wir noch einmal zur Berliner Premiere im Kino fsk am Oranienplatz in Kreuzberg eingeladen. Zur Vorführung war auch die Regisseurin zugegen, die anschließend gern dem Publikum Fragen beantwortete, denn das Kino war zur Freude aller, fast ausverkauft. Insbesondere bei diesem Film fiel uns auf, dass der Unterschied zwischen der Betrachtung auf der größeren Kinoleinwand und dem Flachbildschirm zu Hause enorm sein kann und einen das Werk noch einmal mit anderen Augen sehen lässt. Dennoch gibt es Kritikpunkte von uns am Aufbau und am Schnitt, die sich aber nur auf wenige Stellen im Film beziehen, weil sie überzeugender hätten herausgearbeitet werden können.

Wir lassen hier aber Ulrike Schirm zu Worte kommen, die unvoreingenommen von der Reaktion des Publikums den Film gesehen hat.

Ulrikes Filmkritik:

Irak, Bagdad im Winter 2006, drei Jahre nach der US- Invasion: Gelebter Alltag im Inferno. Die Straßen sind überfüllt mit Leichen, man wirft sie mittlerweile in den Fluss. Junge Menschen haben ihre Familien verloren. Frauen werden angeschrien, weil sie kein Kopftuch tragen.

Der unter die Haut gehende Episodenfilm schildert den Alltag in Iraks Hauptstadt, der von Kriminalität, Korruption, Glaubenskonflikten und Bombenexplosionen bestimmt wird.

Die Schriftstellerin Sara (Darina Al Joundi) soll über das wahre Bagdad schreiben, bittet sie ein befreundeter Professor.

Wegen der vorherrschenden Gewaltaktionen kann sie nicht mehr schreiben. Über allem schwebt eine alltägliche Angst. Es käme ihr wie eine Lüge vor.

Die Regisseurin Maysoon Pachachi und die Drehbuchautorin Irada Al-Jubori haben Augen und Ohren geöffnet, Gesprächen zugehört, Menschen beobachtet und sich entschlossen einen fiktiven Film zu drehen. Pachachi stellt unterschiedliche Menschen aus einer Nachbarschaft vor, die im kriegerischen Chaos versuchen, ihre Gemeinschaft zu erhalten und mit dem Leben zurechtzukommen, in der Hoffnung ihre Normalität zurückzugewinnen.

Sara ist eine von ihnen. Auf die Frage, warum sie nicht geht, antwortet Sie: „Dieses Land ist wie ein kranker, geliebter Mensch. Das kann man nicht einfach verlassen“.

Der Sturz Saddam Husseins hat dafür gesorgt, dass sich militante Gruppen organisieren, die sich später Isis nennen, die Frauen entrechten, wenn sie ihre gewalttätigen Männer verlassen. Häusliche Gewalt und überholte Regeln wiederbeleben und die Parole rausgeben: „Polizisten sind zum Angst einjagen da“.

Pachachi erzählt die verschiedenen kleinen Geschichten in unaufgeregter Weise. Sie lässt die Menschen weinen, trauern, lachen und miteinander hoffen und zeigt ihre tiefe Verbundenheit zu diesem Land, zeigt Menschen, die nicht aufhören ihr Land zu lieben. Sie hat das Private in die Öffentlichkeit gebracht. Die US-Besatzer sind nicht im Bild. In den Medien ist der Irak so gut wie verschwunden. Der Film ist der irakischen Jugend gewidmet.

Unberührt fließt der Tigris durch den kriegsversehrten Ort, indem junge Menschen lachend Handyfotos von aufgehängten Leichen machen und man im Hintergrund den Gesang des Muezzins hört. Sara unternimmt mit ihrer kleinen Tochter einen Bootsausflug auf dem Tigris. „Es ist unser Fluß“, sagt sie.

Ulrike Schirm


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"DIE PURPURSEGEL" in poetischen Bildern erzähltes Historiendrama von Pietro Marcello über die Geschichte eines Kriegsheimkehrers und seiner Tochter. (Frankreich, Italien, Deutschland 2022; 105 Min. Festival de Sevilla - Regiepreis) Mit Juliette Jouan, Raphaël Thiéry, Noémie Lvovsky u.a. seit 06. Juli 2023 im Kino.

Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Was als Heimkehrer-Drama beginnt entwickelt sich zu einem Musical mit magischem Realismus und einer Portion Fantasy.

Als Raphael (Raphael Thiérie) aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, erfährt er, dass seine Frau Marie gestorben ist und ihm ein Kind hinterlassen hat. Ob das kleine Mädchen Juliette tatsächlich von ihm ist, weiß man nicht, denn Marie starb nach einer Vergewaltigung.

Der grobschlächtige, humpelnde Tischler kümmert sich liebevoll um das Kind. Er schnitzt dem kleinen Mädchen ein Holzschiff mit einem roten Segel. Das Leben im Nachkriegsalltag in der Picardie ist hart und die Gegend ist rau. Das kleine Mädchen entwickelt eine Liebe zur Musik und Poesie und Gesang. Als sie größer wird, nun gespielt von Juliette Jouan, wird das geschnitzte Schiff so etwas wie ein Traumsymbol. Als sie durch die Natur streift, trifft sie auf eine halbblinde Alte, die wie eine Hexe an einem Bach hockt und ihr prophezeit, dass eines schönen Tages ein Schiff mit Purpursegeln sie davontragen wird. Die Alte wird gespielt von der wunderbaren Yolande Moreau.

Unterdessen schnitzt ihr Vater mit seinen auffälligen groben Händen wunderschöne Kunstwerke. Sie leben in einer Art Ersatzfamilie auf dem Hof von Adeline (Noémie Lvovsky) die sich früh um die kleine Juliette gekümmert hat. Seit dem der einzelgängerische, bärtige Tischler, ein Außenseiter dort lebt, meiden die Dörfler den Hof. Wenn Raphael die Dorfkneipe betritt, verstummen sofort die Gespräche. In Wirklichkeit ist er ganz anders. Spielt melancholische Lieder auf seinem Akkordeon, stimmt das Klavier in der Scheune und schnitzt wunderbares, fantasievolles Kinderspielzeug.

Der erste Teil ist auf Raphael zugeschnitten, während der zweite Teil sich mehr auf Juliette konzentriert, die wunderschöne selbstgeschriebene Chansons singt. Wenn sie draußen in der Natur ist, liest sie Gedichte der Anarchistin Louise Michel. Es wir heller und märchenhafter, besonders wenn der prophezeite Traumprinz (Louis Garell) buchstäblich vom Himmel fällt.

In poetischen Bildern erzählt der italienische Regisseur Pietro Marcello („Martin Eden“), frei nach dem Roman von Aleksandre Grin, in seinem wundersamen Film „Die Purpursegel“ die Geschichte von einem Kriegsheimkehrer und seiner Tochter in einem französischen Dorf. Ein Film, der wie aus der Zeit gefallen anmutet, Bilder voll schroffer Schönheit, eingewoben in einem magischen Kinomärchen. Er schafft eine Atmosphäre stiller Menschlichkeit.

Ulrike Schirm


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