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Aktuelle Filmbesprechungen im Oktober 2022, KW 41

Mit "Nachbarn" startete am gestrigen Donnerstag nicht nur das Kurdische Filmfestival in Berlin, der Film ist auch regulär bundesweit im Kino zu sehen.



Bereits vor drei Tagen machten wir auf das kurdische Filmfestival in Berlin hier aufmerksam. Nach der Berliner Premiere des autobiografischen Spiefilms "Nachbarn", folgt heute unsere Filmkritik zu dieser syrisch-kurdischen Kindheit, die auf über 170 Internationalen Filmfestivals mehr als 30 Auszeichnungen erhalten hat.

"NACHBARN" Drama vom syrisch-kurdischen Drehbuchautor, Regisseur, Produzenten Mano Khalil und dem französisch-schweizerischen Kameramann Stéphane Kuthy (Schweiz / Frankreich 2021, 124 Min.). Mit Serhed Khalil, Jay Abdo, Jalal Altawil u.a. seit 13. Oktober 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Sero (Serhed Khali) und sein Onkel Aram (Ismail Zagros) haben einen riesigen Spaß daran, bunte Luftballons in den Himmel steigen zu lassen, um die Soldaten zu ärgern. „Das wird sie wütend machen, weil es die kurdischen Farben sind“. Die Soldaten schießen die Ballons ab.

So beginnt Mano Khalils Film „Nachbarn“ , der seine Kindheit in einem kleinen Dorf an der syrisch-türkischen Grenze, Anfang der Achtziger Jahre erlebt hat. Damals war sein Dorf, die ganze Welt für ihn. Seine Eltern flohen in den späten 1990er Jahren aus Syrien, wie so viele andere Kurden auch nach Deutschland und Europa.

Für den sechsjährigen Sero ist sein Onkel ein großes Vorbild. Sie hatten ihre kleinen Geheimnisse und er nahm ihn überall mithin.Sero wächst in einer total liebevollen Familie auf, zwischen Onkeln und Tanten und den Großeltern, den Eltern seines Vaters (Heval Naif).

Sero wünscht sich nichts sehnlicher als Cartoons im Fernsehen zu schauen, solche, die die Stadtkinder sehen dürfen. Aber noch immer gibt es in seinem Dorf keinen Strom, obwohl schon seit fünf Jahren Strommasten im Ort stehen. Der Ernst des Lebens beginnt, als er in die Schule geht.

Ein neuer Lehrer (Jalal Al Tawil) kommt ins Dorf. Er wird von den jungen Pionieren auf arabisch begrüßt.

„Ihr nennt mich nicht Herr Lehrer, sondern Genosse. Mein Name ist Wahid Hanouf. Ab heute müßt ihr Arabisch lernen, eine andere Sprache existiert nicht. Welches Land grenzt im Süden an Syrien? Palästina, schon vergessen? Ich werde euch von der Dunkelheit der Unterentwicklung befreien“. Genosse Hanouf schreckt auch nicht davor zurück, mit einem Lineal auf die Handflächen der Kinder zu schlagen, wenn ihm etwas nicht passt.

Als Seros Vater noch ein Kind war, gab es keine Grenze, keine Zäune, keinen Stacheldraht. Es war alles Eins.

Besonders traurig wird es für Sero, als seine Mutter von feindlichen Soldaten erschossen wird. Seine Familie fängt ihn liebevoll in seiner Trauer auf. Auch bei den jüdischen Nachbarn ist er immer herzlich willkommen. Am Sabbat darf er bei ihnen die Lichter anzünden. Ihm ist unbegreiflich, warum der Lehrer so abfällig und böse über die Juden redet.

„Was passiert mit dem Soldaten, der Mama getötet hat?“, fragt er seinen Vater. „Ich glaube nichts“.

Auch Aram soll zum Militär. Das macht er nicht. Er schließt sich in den Bergen den kurdischen Kämpfern an. „Wenn schon sterben, dann aus Überzeugung. Wenn der Krieg vorbei ist, werden wir wieder bunte Ballons steigen lassen“.

Sero erlebt wie verbindend Freundschaft sein kann und gleichzeitig bekommt er mit, wie seine kurdische Familie und ihre jüdischen Nachbarn vom syrischen Geheimdienst drangsaliert werden.

Mit feinem Humor und Satire zeichnet Mano Khalil („Der Imker“, „Die Schwalbe“) in seinem neuen Film das Bild einer Kindheit, die unter der Assad-Diktatur auch leichte Momente findet, ohne den Ernst der Zustände zu verharmlosen.

Geht Seros Traum noch in Erfüllung? Ein Foto vom Führer wird angekarrt. Die Stromanschlüsse sollen eingeweiht werden. Die Kinder sitzen da und warten. Es gewittert. Niemand kommt. Doch dann, irgendwann ist Strom da. Seros Familie ersteht einen Fernseher. Kann er nun endlich seine geliebten Cartoons sehen?

Ulrike Schirm


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"TRIANGLE OF SADNESS" Eine gnadenlose, bitterböse Sozialsatire des schwedischen Regisseurs Ruben Östlund, Gewinner der Goldenen Palme von Cannes 2022. (Schweden, Vereinigtes Königreich, USA, Frankreich, Griechenland, Türkei, 147 Min.) Mit Harris Dickinson, Charlbi Dean Kriek, Woody Harrelson u.a. seit 13. Oktober 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

In seiner bösen, überdrehten Gesellschaftssatire „Triangle of Sadness“ (Sorgenfalte) rechnet Ruben Östlund mit den Reichen, Schönen und Mächtigen auf einer Luxuskreuzfahrt auf herrlich absurde Weise mit ihrer Wohlstandsverwahrlosung ab. Bei den Filmfestspielen in Cannes, gewann er dafür die Goldene Palme. (2022)

Yaya (Charlbi Dean) und Carl (Harris Dickinson) sind Models. Bei einem Casting für Balenciaga üben sie, wie man am besten von oben herabschaut, wie man den Mund öffnet, um verfügbar auszuschauen und wie man lächelt, wenn man für H&M läuft. Anschließend diskutieren sie endlos, wer im Restaurant die Rechnung bezahlt. Eigentlich wäre sie dran. Sie findet diese Diskussion unsexy.

Später findet man beide auf einer Luxusyacht wieder, zwischen reichen und verwöhnten, gelangweilten Menschen. Da sie eine bekannte Influencerin ist und Carl, nicht ganz so berühmt aber gut aussieht, ist der Aufenthalt auf dem Luxusdampfer für beide kostenlos. Es gibt eh nur die Superreichen und die Bediensteten, deren Aufgabe es ist für ihr Klientel sämtliche Wünsche zu erfüllen und seien sie noch so absurd.

Um sie herum Dimitri (Zlatko Buric) ein russischer Oligarch der Düngemittel verkauft und es besonders witzig findet, sich als „König der Scheiße“ zu bezeichnen. Ein britisches Rentnerpaar, das sein Vermögen mit Handgranaten gemacht hat und sehr zurückgenommen auftritt, während die exaltierte Oligarchengattin (Sunnyi Melles) am Pool den Bediensteten zukreischt Ihre Badekleidung anzuziehen und im Pool schwimmen zu gehen, nach dem Motto, wir sind alle gleich, obwohl es für die Besatzung streng verboten ist. Es heißt an Bord nur: „Yes Sir“ und „Yes Madame“, egal was verlangt wird und sie sich noch so daneben benehmen.

Der trunksüchtige Kapitän (Woody Harrelson) verschanzt sich in seiner Kabine und hat weder sich noch sein Schiff im Griff. Als er sich endlich aufrafft, um zum Captain's Dinner mit einem 7 Gänge Menü zu erscheinen, ausgerechnet an einem sehr stürmischen Abend, kotzen alle Reisenden um die Wette.

Die Oligarchengattin hat es besonders arg getroffen. Sie rutscht im Negligé in ihrem Erbrochenen aus und versucht den Rest in die Kloschüssel zu zielen. Überall Erbrochenes. In Schalen, auf Kleidung und Hüten, auf Tischen und Teppichen. Es kommt noch schlimmer. Piraten übernehmen das Kommando und nur acht Passagiere retten sich auf eine einsame Insel. Die Oberchefin Paula (Vicki Berlin) die alle weiterhin gut versorgen will, die deutsche Frau (Iris Berben), die nach einem Schlaganfall nur noch einen Satz sprechen kann, die beiden Influencer, der Oligarch und die Putzfrau Abigail ( Dolly De Leon), die als Einzige einen Fisch mit bloßer Hand fangen kann und es versteht Feuer zu machen. Jetzt ist sie es, die das Kommando übernimmt und die Truppe nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Während der Kotz-Arie, streiten sich der Kapitän, der sich als Salonmarxist entpuppt mit dem betrunkenen Oligarchen lauthals über das Bordmikrofon über den Kapitalismus. Ein Wortduell mit bekannten Zitaten.

Carl wird zum Toyboy von Abigail wegen einiger belangloser Vorteile.

Mit offensichtlich großer Lust, hat Östlund eine deftige, gnadenlose Sozialsatire über die Schönen und die Reichen auf die Leinwand gebracht.

Was den Spaß allerdings auf traurige Weise mindert: Die Südafrikanerin Charlbi Dean feierte mit dem Film ihren Durchbruch, erlag aber am 29. August einer Viruserkrankung, die einen so dramatischen Verlauf nahm, weil sie bei einem Autounfall im Jahr 2009 bereits ihre Milz verloren hatte.

Ulrike Schirm


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