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Kinobesucherzahlen erholen sich nur langsam - Unsere Filmkritiken

Die Kinobesucherzahlen sind noch lange nicht so hoch wie vor der Corona-Pandemie. Vier neue Film-Besprechungen von Kinostarts und Empfehlungen für Open-Air-Veranstaltungen.



Zum Pfingstsonntag gab es in Berlin so herrlich warmes Badewetter, dass davon offensichtlich nur die Freilichttheater davon profitieren konnten, denn nicht einmal Blockbuster wie "Top Gun 2: Maverick" können die Besucherzahlen auf das Niveau von vor der Pandemie heben.

Im übrigen Bundesgebiet war es teilweise regnerisch, was eher zu Kinobesuchen animieren dürfte. Dafür haben aber die Open-Air-Kinos dann meist etwas geringere Umsätze. Angesichts des Klimawandels fürchten die Freiluftkinos den Sommerregen aber weniger, als erneut steigende Corona-Inzidenz-Zahlen, die nur in Innenräumen wieder zu mehr Abstandspflicht und damit zu weniger Besuchern führen könnten. An der frischen Luft rücken die Besucher dagegen mit wetterfester Kleidung im Gepäck, wieder enger zusammen und lassen sich vom beirren.

In Berlin-Charlottenburg startet die Open-Air-Saison am Kulturforum in diesem Jahr sogar mit Specials zum Jüdischen Filmfestival (JFBB) und einer Berlinale-Open-Air-Nachlese rund zwei Wochen früher als in den Vorjahren.

Höhepunkte für filmhistorisch Interessierte werden aber sicher wieder die UFA-Filmnächte auf der Museumsinsel im August sein. Dann sind die Nächte auch wieder etwas länger und die Freilichtveranstaltungen müssen nicht mehr so spät beginnen.

Hier ein paar Links:
freiluft-kino-berlin.de | sommerkino.berlin | ufa-filmnächte.de



"GLÜCK AUF EINER SKALA VON 1 BIS 10" Tragikomödie von Bernard Campan & Alexandre Jollien (Frankreich / Schweiz). Mit Bernard Campan, Alexandre Jollien und Tiphaine Daviot u.a. seit 02. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Ein Roadmovie über zwei ungewöhnliche Reisegefährten.)

Das Genre „Roadmovie“ ist nicht totzukriegen. In der warmherzigen französischen Komödie „Glück auf einer Skala von 1 bis 10“ treffen wir auf ein schräges Gespann, das unverhofft gemeinsam eine Reise unternimmt. Alles fing mit einem Unfall an.

Louis, gespielt von Bernhard Campan, ist Bestattungsunternehmer, der Tag und Nacht für seine Kunden da ist, kaum ein Privatleben hat und ziemlich einsam ist, schafft es gerade noch auszuweichen, bevor er Igor (Alexandre Jollien), der mit seinem Lastenfahrrad unterwegs ist, leicht anfährt. Igor, der täglich frisches Biogemüse ausfährt stürzt. Passiert ist Gott sei dank nichts schlimmes. Louis hilft dem behinderten Igor, der unter zerebraler Kinderlähmung leidet, wieder auf die Beine und bringt ihn vorsichtshalber in ein Krankenhaus. Igor bedankt sich am nächsten Tag für die Hilfe und bringt dem Bestatter eine Bio-Ananas als Dank. Kein Vorwurf kommt über seine Lippen, ganz im Gegenteil: Er ist kontaktfreudig und lebenslustig. Noch ahnt Louis nicht, dass er einen neuen Freund gefunden hat. Abschütteln lässt er sich nicht mehr.

Zu gerne zitiert Igor philosophische Lebensweisheiten, von Nietzsche bis Platon, Spinosa oder Diogenes. die er sich zu „Freunden“ gemacht hat und ohne die er sehr einsam wäre, denn durch seine Behinderung ist er ein Aussenseiter. Er hat noch seine Mutter aber die nervt, denn Maman will ihn ständig verkuppeln.

Hemmungslos setzt er sich einfach in den Leichenwagen des humorlosen Bestatters und erklärt ihm, dass er ein metaphysisches Experiment machen will und zusammen mit der Leiche im Sarg, ihn jetzt bei der Überführung nach Südfrankreich begleitet. Philosophieren bedeutet laut Platon, sich im Sterben zu üben, erklärt er dem verdutzten Louis. Hartnäckig bleibt Igor sitzen und denkt gar nicht daran, auszusteigen, zumal sie schon einige Zeit unterwegs sind. Dass der konservative Louis während der Reise nach und nach Gefallen an dem munteren Geplaudere und den zielgerichteten Zitaten, die Igor so zum Besten gibt, Gefallen findet, und selbst immer lockerer wird, ist jetzt keine Überraschung.

Aber das Besondere an der Komödie ist, dass der Philosoph Alexandre Jollin, der den Igor spielt wirklich diese Krankheit hat und mit Bernard Campan, der den Louis spielt auch im wahren Leben befreundet ist. Sie haben zusammen das Drehbuch geschrieben und den Film gedreht, was dem Film eine wunderbare Authentizität verleiht. Diese Männerfreundschaftskomödie enthält ganz viel Charme und viel Humor. Und dass man dem Tod nicht davon kommt, ist auch ganz klar. Beschwingt lächelnd verlässt man den Kinosaal und das kommt nun wirklich nicht all zu oft vor. Ein Film mit ganz viel Herz.

Ulrike Schirm


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"ERWARTUNG - Der Marco-Effekt" Thriller von Martin Zandvliet (Dänemark / Tschechien / Deutschland). Mit Ulrich Thomsen, Zaki Youssef, Sofie Torp u.a. seit 02. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Die fünfte Verfilmung des Krimiautors Jussi Adler Olsen.)

Der dänische Autor Jussi Adler- Olsen ist bekannt für seine knallharten Krimis, in denen Kommissar Morck und sein mysteriöser Assistent Assad, unaufgeklärte Kriminalfälle, sogenannte Cold Cases, bearbeiten. Wir erinnern uns an „Erbarmen“, „Schändung“, „Erlösung“ und „Verachtung“.

Nun ist das Sonderdezernat Q mit „Erwartung - Der Marco-Effekt“ beschäftigt. Allerdings mit einem neuen Team. Morck, ehemals verkörpert von Nikolaj Lie Kaas wurde ausgetauscht mit Ulrich Thomsen und statt Fares Fares als Assad, begegnet uns jetzt Zaki Youssef.

Als der 14-jährige, obdachlose Roma-Junge Marco in einem Zug nach Dänemark festgenommen wird, findet man bei ihm eine Seite aus dem Reisepass von William Stark, einem Familienvater, der seit vier Jahren spurlos verschwunden ist, nachdem man ihn der Pädophilie bezichtigt hat. Davor war er ein Mitarbeiter einer Entwicklungshilfe – Organisation. Morck und Assad müssen nun die Spur wieder aufnehmen.

Stark hatte jede Menge Dreck auf seinem Computer und soll auch eine 13-jährige Schwimmerin vergewaltigt haben.

Der stets missgelaunte und wortkarge Morck ist jetzt noch schlechter drauf. Wenigstens hocken sie nicht mehr im Keller. Weil er psychisch stark mitgenommen ist, will sein Chef ihn für sechs Wochen beurlauben, damit er sich in Behandlung begeben kann. Nach zwei Wochen ist er zurück, hat die Sitzungen beim Psychologen nicht wahr genommen und ist noch mürrischer, weil er auch noch das Rauchen aufgegeben hat. Dass Morck jetzt noch mürrischer daherkommt, war jetzt nicht unbedingt eine glorreiche Idee.

Morck und Assad finden heraus, dass der Ministerialbeamte Stark, Korruptionsverdächtigungen bei spendenfinanzierten Bauvorhaben in Namibia nachging und das es sich um eine Verschwörung handelt, bei der öffentliche Gelder veruntreut werden und hochrangige Persönlichkeiten daran beteiligt sind.

Ausgerechnet ein rumänischer Straßenjunge, der seinen Vater sucht, hat die üble Geschichte ins Rollen gebracht.

6oo spannende Romanseiten auf einen Film von 125 Minuten zu kürzen, geht nicht immer gut. Vieles muss gekürzt oder ganz weggelassen werden und das merkt man dem Film auch an. Besonders die Figur des Marco (Lobus Oláh) ist geschwächt. Stattdessen hat Regisseur Martin Zandvliet viel Wert auf das Gebaren von Morck gelegt, ihn mehr in den Vordergrund gerückt und die Figur von Assad blasser als bisher inszeniert.

Dennoch ist der Fall durchaus spannend und solide gemacht, erreicht aber nicht den besonderen Spannungsbogen seiner Vorgänger und ist im Fernsehen gut aufgehoben, zumal das ZDF ihn mit produziert hat. Besonders erwähnenswert: Der Titelsong „Traitors“ by Saveus.

Ulrike Schirm


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"ONODA – 10.000 Nächte im Dschungel" Kriegsfilmdrama von
Arthur Harari
(Japan / Italien / Frankreich / Kambodscha / Belgien / Deutschland). Mit Yûya Endô, Kanji Tsuda, Yûya Matsuura u.a. seit 02. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(Tragik-Posse um einen pflichtbewussten Soldaten.)

Der Traum des jungen Soldaten Onoda Hiro (Yuya Endo) ist es eigentlich Pilot zu werden. Wegen seiner Höhenangst muss er Abschied von seinem Traum nehmen.

Es ist das Jahr 1944, Dezember.

In einer Kneipe trifft Major Taniguchi (Issey Ogata) auf den betrunkenen Onoda. Er macht ihm das Angebot sich als Guerilla- Kämpfer auf der philippinischen Insel Lubang mit seinen Soldaten zu verschanzen und die Stellung dort so lange zu halten, bis er von oberster Stelle, damit meint er sich, zurückgerufen wird.

Das heißt, Onoda soll den Krieg fortführen auch wenn die Amerikaner die kleine Insel längst eingenommen haben. Die Sache läuft als besonderer geheimer Elite-Auftrag. Ein Selbstmord ist strengstens untersagt. Der Krieg ist für die Japaner so gut wie verloren. Der Angriff der Amerikaner ist derartig massiv, dass die Einheit von Onoda bis auf wenige vernichtet wird. Einige Soldaten haben den Kamikazetod gewählt und Japan kapituliert. Davon kriegen Onoda und der Rest seiner drei Kämpfer nichts mit. Einer von ihnen ist erst 20 Jahre alt. Sie haben sich immer mehr in den Dschungel zurückgezogen und kämpfen weiter, töten „Feinde“ die keine sind, setzen deren Felder in Brand, erleiden Hunger und bewegen sich am Rande des Wahnsinns.

Tatsächlich hat Onoda bis 1974 auf der Insel ausgeharrt, mit dem Schicksal gehadert, sich gestritten wieder versöhnt und blind vor der Realität Befehlsgehorsam geübt. Zeitungsberichte und Radionachrichten hält er für Fake-News. Irgendwann ist Onoda allein. Eines Tages taucht ein junger Tourist (Taiga Nakano) auf der Insel auf und die Geschichte nimmt ein bewegendes Ende.

Auch wenn der Film, nach einer wahren Geschichte, anfänglich etwas zäh daher kommt, entwickelt er einen eigenartigen Sog, der einen die Schwüle des Dschungels spüren lässt, den inneren Kampf den die Männer mit sich austragen und über allem steht die Frage, haben wir es hier mit einem Helden zu tun oder einem Wahnsinnigen, dessen fanatische Obrigkeitshörigkeit ihm das Recht auf eigene Entscheidungen raubt.

Der Film basiert auf den Memoiren des Onoda Hiro und wurde zum Bestseller und damit wuchs seine Popularität.

Obwohl die Länge des Films fast drei Stunden beträgt, spürt man keine unnützen Längen. 10.000 Nächte und drei Jahrzehnte Krieg lassen sich nicht so einfach wegwischen. Entstanden ist ein ungewöhnlicher Film über ein ungewöhnliches Geschehen, von dem Franzosen Arthur Harari als ungemein dichtes Drama dargestellt.

„Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ lässt einen nicht unberührt und sorgt für Gesprächsstoff. Er wurde mit dem César für das Beste Originaldrehbuch ausgezeichnet.

Gedreht wurde mit japanischen Darstellern im Dschungel von Kambodscha. Onoda war 1944 gerademal 22 Jahre alt.

Ulrike Schirm


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"DER SCHLIMMSTE MENSCH DER WELT" Tragikomödie von Joachim Trier (Norwegen / Dänemark / Schweden / Frankreich). Mit Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum u.a. seit 02. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Während wir vom BAF den oben von unserer freien Kollegin Ulrike besprochenen Film "ONODA" ebenfalls erst kürzlich zu Hause als Presse-Screener im Stream sehen konnten, weil er immerhin im letzten Jahr als Eröffnungsfilm der Cannes-Sektion »Un Certain Regard" lief, liegt unsere Erinnerung an Joachim Triers "The Worst Person in the World" schon länger zurück. Wir sahen ihn im letzten November auf einem Berliner Filmfestival auf der großen Kinoleinwand, lange vor der Deutschlandpremiere in der engl. Originalfassung.

Der Film lief ebenfalls 2021 auf dem »Festival de Cannes«, konkurrierte dort sogar im offiziellen Wettbewerb um die »Goldene Palme« und war zudem der norwegische Beitrag für die Oscarverleihung 2022 in der Kategorie Bester Internationaler Film.

Grund genug die Satire um die Gender- und Me-Too-Bewegung auf dem Höhepunkt der Welle rechtzeitig anzusehen, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können, was Frauen bewegt, um mit Männern nicht nur gleichzuziehen, sondern sie übertrumpfen zu können. Dass letztendlich die Protagonisten an ihrem eigenen, übertriebenen Ego scheitert, soll natürlich nicht stellvertretend für alle ehrgeizigen Frauen gelten, sondern dürfte in diesem Fall eine filmische Aufarbeitung männlicher (Alb-)Träume sein.

Die Buchhändlerin und Autorin Julie (Renate Reinsve) ist zwar ganz bestimmt nicht die schlimmste Person der Welt, aber sie ist launisch und sprunghaft – womit sie ihr Umfeld merklich beeinflusst. Julie ist in einer Beziehung mit dem älteren, 44-jährigen Comic-Zeichner Aksel (Anders Danielsen Lie). Er möchte gerne eine Familie mit ihr gründen, für Julie kommt das hingegen nicht in Frage. Auf einer Party lernt sie Eivind (Herbert Nordrum) kennen, der jung ist und voller Energie. So wie Julie möchte er keine Kinder haben. Das ist der Beginn einer Romanze, die ganz anders verläuft, als sich die beiden das am Anfang vorgestellt haben...

Mitnichten wollen wir frauenfeindlich über den Film lästern, sondern uns wie Joachim Trier nur Gedanken machen, ob wirklich im übertragenen Sinne alles gendergerecht artikuliert werden muss, oder ob ein übertriebenes Handeln ebenso wie eine manchmal abstrus wirkende neumodisch Wortwahl nicht eventuell das genaue Gegenteil eines harmonischen Zusammenlebens bewirken könnte. Wir empfehlen den Weg zurück zu alten Klassikern, die nicht umgeschrieben oder modernisiert werden sollten, um mit der verrückten neuen Welle mithalten zu können.

In diesem Sinne viel Spaß beim Film.

W.F.


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