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Großartige Filme in Lübeck, Braunschweig und Cottbus sowie auch aktuell im Kino

Nach dem 2016 in Cannes ausgezeichneten Film WOLF & SHEEP von Shahrbanoo Sadat folgt mit THE ORPHANAGE die Fortsetzung ihrer geplanten fünfteiligen Folge über Afghanistan jetzt im Kino.



Der November 2021 beschert uns derzeit eine unglaublich große Auswahl an herausragenden internationalen Filmen im Stream von den Nordischen Filmtagen in Lübeck sowie den Filmfestivals in Braunschweig und Cottbus.

Während für manche die Einwahl zum VoD-Abruf der Wettbewerbsfilme von Hof aus technischen Gründen scheiterte, haben wir bei den Streaming-Angeboten von Lübeck und Braunschweig, außer dem Zeitproblem bis Sonntag, den 7. November 2021, nur ein Bruchteil des überwältigenden Angebotes sehen zu können, bisher keine Probleme gehabt, ein paar ganz überragende Filme sichten zu können.

Natürlich ist das Streaming für zu Hause - trotz großem Bildschirm - nur eine Notlösung gegenüber dem Besuch der Kinovorführungen. Weil aber mehrere Film-Festivals wegen der Corona-Pandemie verschoben wurden, gibt es durch starke Überschneidungen in diesem Jahr keine Möglichkeit persönlich überall vor Ort zu sein.

Allerdings sind viele Filme - genauso wie beim physischen Festival - auch im Stream nur für wenige Tage als VoD abrufbar. Im Gegensatz zu Lübeck und Braunschweig bietet das Festival des osteuropäischen Films in Cottbus allerdings seine Stream-Sichtungen auch nach dem Ende des Festivals, um einen verlängerten Zeitraum von sieben Tagen an. Wir werden danach davon berichten, denn bisher hatten wir keine Zeit, uns einzuwählen.



Mit "AMMONITE" und "KABUL KINDERHEIM" laufen derzeit aber auch zwei außergewöhnliche Arthouse-Werke fast überall im Kino.

Das romantische Filmdrama "AMMONITE" von Francis Lee, feierte im September 2020 beim Toronto International Film Festival seine Premiere und startete verspätet am 4. November 2021 in den deutschen Kinos.

Das Drama "KABUL KINDERHEIM", besser bekannt von Festivals unter dem Original-Titel "THE ORPHANAGE", ist quasi die Fortsetzung der im Rahmen der Reihe Quinzaine des réalisateurs bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 2016 vorgestellten und preisgekrönten Tragikomödie "WOLF and SHEEP" von Shahrbanoo Sadat. Der damals hübsche 12-jährige lockige Schafhirte Qodratollah Qadiri, der in einer faszinierenden afghanischen Berglandschaft aufwuchs, ist inzwischen zu einem stattlichen knapp 16-jährigen Jungen herangewachsen, der auf der Flucht vor den Taliban nun als Halbweise in einem Kabuler Kinderheim lebt.

"KABUL KINDERHEIM" Historien-Drama von Shahrbanoo Sadat (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Afghanistan, Katar, 2019). Mit Qodratollah Qadiri, Sediqa Rasuli, Anwar Hashimi u.a. seit 4. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Kabul 1989, zur Zeit der pro-sowjetischen Regierung.

Der Film „Kabul Kinderheim“ beginnt mit einer Szene in einem Kino. Gezeigt wird ein Bollywood-Film. Der Saal ist voller begeisterten Zuschauer. Unter ihnen auch der 15-jährige Qodrat (Qodratollah Qadiri), der auf der Strasse für 10 Rupien Schlüsselanhänger verkauft und nebenbei noch Kinokarten aufkauft, die er auf dem Schwarzmarkt für das Zehnfache weiter verkauft.

Zur Schule geht er nicht. Lieber taucht er im Kino unter, sieht sich Filme an und flüchtet so vor der bitteren Realität. Er wird beim Verkauf der illegalen Kinotickets erwischt und kommt in ein von den Russen betriebenes Waisenhaus. Im Schlafsaal herrschen raue Zustände. Qodrat und zwei weitere Neuzugänge müssen um die Hierarchie im Heim erst einmal kämpfen.

Sie bekommen Schuluniformen und müssen den Unterricht besuchen. Ihre Freizeit verbringen die Jugendlichen mit dem Tausch von Fußballstickern. Einer von ihnen trägt stolz ein Shirt von Maradonna. Die pubertierenden Jungen schwärmen von ihren Lehrerinnen und überlegen, welche von ihnen die Hübscheste ist. Als ein russischer Panzer von einer Anhöhe stürzt, suchen die Jungen nach Dingen, die sie vielleicht noch gebrauchen können. Qodrat findet Materialien aus denen er Schlüsselanhänger machen kann. Später geht Qodrat mit einem Jungen Äpfel klauen. Geweckt werden sie mit einem Trompetensolo und ihre Matratzen müssen sie in die Sonne hinaus tragen. Die Heimbewohner kommen aus unterschiedlichen Schichten. In den Schulklassen werden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet.

Im starken Kontrast zu dem Alltag im Heim, stehen die Szenen, in denen Qodrat, wenn es besonders emotional wird, sich in die Filmwelt à la Bollywood flüchtet. Besonders stark die Szenenfolge als die Stimmung besonders bedrückend ist. Die Mujahedin (strenggläubige Widerstandskämpfer) stehen vor der Tür. Der Aufseher wird erschossen. Die Anspannung ist kaum auszuhalten. Um der Ausweglosigkeit zu entfliehen, träumt er sich in eine Kampfszene. Er und die anderen Jungen werden zu Helden und schlagen die Männer in die Flucht. Die letzte Einstellung des Films, ist wie eine Vorahnung dessen, was gerade in Afghanistan passiert.

Regisseurin Shahrbanoo Sadat hat ihren Film nach den Tagebuchaufzeichnungen eines Freundes, Anwar Hashimi, gedreht. Da die Aufzeichnungen besonders umfangreich sind, hat sie beschlossen, fünf Filme daraus zu machen. Der erste Teil „Wolf and Sheep“ gewinnt 2016 in Cannes einen Preis. Nun folgt „Kabul Kinderheim“, gedreht mit Laiendarsteller*innen, die dem Film eine starke Authentizität verleihen, nur der Aufseher wird von dem Schauspieler Anwar Hashimi gespielt.

Vor zwei Monaten musste Sadat gemeinsam mit neun Familienmitgliedern die Flucht ergreifen, da sie auf der Abschussliste der Taliban stehen. Sie lebt jetzt auch nicht mehr in Theran, sondern in Hamburg.

Ulrike Schirm


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"AMMONITE" Drama über eine außergewöhnliche Liebesgeschichte von Francis Lee (Großbritannien 2020 118 Min.). Mit Kate Winslet, Saoirse Ronan, Fiona Shaw u.a. seit 4. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ammoniten sind eine ausgestorbene Teilgruppe der ausschließlich marin lebenden Kopffüßer mit einer schneckenähnlichen Form.

England, Mitte des 19.Jahrhunderts. Mary Anning (Kate Winslet) lebt mit ihrer kranken Mutter in Dorset an der südenglischen Küste. Es ist eine raue Landschaft. Egal wie das Wetter ist, täglich geht sie an den Strand und sucht nach Ammoniten, die sie aus dem harten Felsgestein klopft und an Touristen verkauft. Sie ist eine der ersten Paläontologinnen. Schon die Anfangsszene zeigt, wie schwer es für eine Frau war, anerkannt zu werden. Ein Fossil wird in eine Museumsvitrine gelegt. Auf dem Schild steht ihr Name. Auf dem ausgewechselten Schild steht nun: „Ichthyosaurus, präsentiert vom hochwohlgeborenen Hoste Henley".

Mary ist von der Härte ihres Lebens gezeichnet. Wegen ihres Geschlechts und ihrer Herkunft wird ihr jegliche wissenschaftliche Anerkennung verwehrt. Sie ist wortkarg, immer schmutzig, hat raue rissige Hände und dreckige Fingernägel, da sie bei ihrer mühseligen Arbeit ständig im Dreck wühlt.

Wenn sie nach Hause kommt, muss sie erst einmal die kalte Behausung heizen. Dann ist da auch noch ihre kranke Mutter (Gemma Jones), die 10 Kinder geboren hat, von denen acht gestorben sind und die sich um acht kleine Porzellan-Hündchen, als Kindersatz für die Verstorbenen kümmert.

Eines Tages taucht Roderick Murchison (James McArdle), ein Hobby-Paläontologe aus London in ihrem kleinen Laden auf, mit der Bitte, ihn an ihrer täglichen Arbeit teilnehmen zu lassen. Da er in einigen Tagen auf eine Forschungsreise geht, bietet er ihr Geld, wenn sie sich in seiner Abwesenheit um seine Frau Charlotte, die an einer schweren Melancholie leidet kümmert, in der Hoffnung, dass sie nach seiner Rückkehr wieder lustig ist. Plumper geht es wohl kaum.

Charlotte (Saoirse Ronan) die das Gespräch mit anhört, ist wie versteinert. Mary, die das Geld dringend braucht, sagt widerwillig zu. Unterschicht stößt auf Oberschicht. Charlotte trägt elegante Roben, spielt Klavier und ihre Hände sind fein manikürt. Körperliche Arbeiten sind ihr fremd.

Als Charlotte an einer fieberhaften Erkältung leidet, kommen sich die beiden Frauen näher. Mary macht ihr kalte Umschläge umsorgt sie und löst sich langsam aus ihrer Versteinerung. Es entwickelt sich nach und nach eine Vertrautheit zwischen den beiden Frauen. Mary erkennt wie Charlotte unter der lieblosen Ehe leidet. Die beiden Frauen nähern sich einander an. Charlotte gewinnt langsam ihre Lebensfreude zurück. Schicht für Schicht legen beide Frauen ihr unterschiedliches Leid ab und beginnen sich hemmungslos zu lieben.

Mit ganz großer Behutsamkeit schildert der Film die zaghafte Annäherung der beiden Frauen, die in unterschiedlichen Welten gefangen sind. Die schroffe, karge Landschaft korrespondiert auf wundersame Weise mit einer zarten Liebesgeschichte, die von dem Regisseur Francis Lee (God's Own Country) einfach und mit leisen Tönen erzählt wird. Es gelingen ihm Szenen mit großer emotionaler Kraft, dank der großen Schauspielkunst von Kate Winslet und Saoirse Ronan.

Mary Anning hat es wirklich gegeben. Sie wurde nur 47 Jahre alt. Über ihr Liebesleben ist nichts bekannt.

Ulrike Schirm


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