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Berauschende Kinostarts im Juli 2021 mit Musik, Tanz und etwas zu viel Alkohol

Drei Filmkritiken und Empfehlungen zu Kinopremieren seit 22. Juli 2021.



"DER RAUSCH - Another Round" Tragikomödie von Thomas Vinterberg (Dänemark). Mit Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Magnus Millang u.a. seit 22. Juli 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere spoilerfreie Kurzkritik:

Nach einer verpatzten Open-Air-Premiere (wegen Projektor-Ausfall) am Berliner Schloss Charlottenburg zum Sommer Special der 71. Berlinale, ist Thomas Winterbergs Oscar gekröntes Werk "Der Rausch", über vier befreundete Lehrer, die zur Aufmunterung ihres eintönigen Jobs ein wenig zu tief in die Flasche blicken, jetzt endlich auch regulär im Kino zu sehen.

In der Sozialsatire über ein „Trinkexperiment“, brilliert vor allem der anfänglich noch sehr zurückhaltend agierende dänische Schauspieler Mads Mikkelsen, der erst zum Schluss richtig auftrumpft. Ein kleines Schlückchen am Morgen hilft ihm endlich neuen Schwung in den Geschichtsunterricht zu bringen. Ein kleines, sehr gewagtes Experiment, lässt nicht nur die Schüler erstaunen, sondern auch den Zuschauer. Doch dann wird's böse.

Regisseur Thomas Vinterberg wurde bei der Oscar-Verleihung 2021 für den Besten Internationalen Film ausgezeichnet. In seiner Dankesrede widmete Vinterberg seinen Preis seiner verstorbenen Tochter Ida, die kurz nach Drehbeginn bei einem Autounfall verstarb. Sein Film wirft nicht nur einen berauschenden Blick auf die Midlife-Crisis, sondern steht auch für Frustration im Zeichen der Corona-Pandemie, wo manche Ehe kriselte und im Rausch ertränkt worden ist.

In einer Aussage erinnert "Der Rausch" an den 20 Minuten lagen französischen Kurzfilm "Dustin" von Naïla Guiguet, der bei dem aktuell in Potsdam-Babelsberg laufenden »sehsüchte« - International Student Festival im Wettbewerb läuft und ein drogengesättigtes Techno-Event junger Leute in einer Wohnung beschreibt, die mit den Spuren einer After-Hour-Party der letzten Nacht übersät ist. Beängstigend.

W.F.


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"IN THE HEIGHTS" mitreißendes, verfilmtes Broadway-Musical von Jon M. Chu (USA) mit Anthony Ramos, Melissa Barrera, Leslie Grace u.a. seit 22. Juli 2021 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

2008 feierte „In the Heights“ des Schauspielers und Komponisten Lin-Manuel Miranda seine Premiere am Broadway. Darin schildert der Sohn puerto-ricanischer Eltern den Alltag der hispanischen Gemeinde im New Yorker Einwanderungsviertel Washington Heights.

Unter der Regie von Jon M. Chu kommt das gleichnamige, knallbunte Musical jetzt in unsere Kinos. Es führt uns für zweieinhalb Stunden in die Straßen von Washington Heights, einem Viertel nördlich von Harlem an der 155. Straße in New York.

Es ist ein heißer Sommer und die Bewohner müssen sich mit der fortschreitenden Gentrifizierung herumschlagen. Das tut der überschwänglichen Lebensfreude der Latinos, die überwiegend aus der Dominikanischen Republik und anderen Gegenden der Karibik eingewandert sind, keinen Abbruch.

Sie haben einen Ort gefunden, den sie zu ihrer Heimat gemacht haben. Für die Bewohner zählt nur das Heute.

Im Mittelpunkt des bunten Treibens steht der Bodega-Besitzer Usnavi de la Vega (Anthony Ramos). Als Erzähler führt er den Zuschauer durch sein Viertel. Wir lernen die Kubanerin Abuela Claudia, bei der Usnavi aufgewachsen ist, kennen. Erleben die Friseurin Daniela (Daphne Rubin Vega), die wegen einer horrenden Mieterhöhung mit ihrem Schönheitssalon in die Bronx umziehen muss und den Taxiunternehmer Kevin Rosario (Jimmy Smits), dessen Tochter Nina (Leslie Grace), die ihr Studium in Stanford abgebrochen hat, weil man sie für eine Diebin hielt.

Usnavi träumt davon in seine Heimat die Dominikanische Republik, die er mit acht Jahren verlassen hat, zurückzukehren um dort eine Strandbar zu eröffnen. Er ist in die Nageldesignerin Vanessa (Melissa Barrera) verliebt und steht vor einem Konflikt. Trotz Sommerhitze und Stromausfall sind die Straßen belebt mit singenden und tanzenden Menschen, die in ihren Songs ihren Sorgen und Sehnsüchten Ausdruck verleihen. Melodien sind, wie eine andere Sprache.

Je beschwerlicher ihr Alltag ist, desto grösser ist die Solidarität in der bunten Community. Eine der mitreißenden Szenen ist, wie 85 Tänzer und 500 Statisten in einem Pool nach dem Song „96.000“ beschwingt tanzen und davon träumen, was sie mit so viel Geld anfangen würden. Usnavi hat in seinem Laden ein Los verkauft mit dem Gewinn von 96.000 Dollar. Keiner weiß, wer der glückliche Gewinner ist. Es könnte jeder von ihnen sein. Die Spannung ist groß.

Gedreht wurde ausschließlich in den Straßen von New York, mit einer Unmenge von Statisten, von jung und alt, dick und dünn, hell-und dunkelhäutig. Das macht das liebenswerte, optimistische Musikspektakel besonders authentisch. Usnavi, der seinen Laden aufgibt: „Wer vermisst schon seinen Laden, wenn die Hipster kommen“?

Ulrike Schirm


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"ANMAßUNG - Anamnesis" Dokumentation von Stefan Kolbe & Chris Wright (Deutschland). Protagonist: Ein Inhaftierter in der JVA Brandenburg. Kinostart seit 22. Juli 2021. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die beiden Regisseure Chris Wright und Stefan Kolbe sehen den Strafgefangenen Stefan S. zum ersten Mal In der JVA Brandenburg in einer Gesprächsgruppe mit 12 Männern, 8 davon Gewalt- und Sexualstraftäter. Stefan ist Teilnehmer der Verhaltenstherapeutischen Maßnahme: Männlichkeit und Identität. Auf die beiden Filmemacher wirkt Stefan S. Total nett. Ein Vollzugsbeamter antwortet: „Stefan S. ist ein eiskalter Frauenmörder“.

Die beiden Regisseure wollen keinen Film über Stefan machen, sondern, über was sehen wir, wenn wir, nichts sehen. Was machen wir uns für ein Bild von einem Menschen, der einen Mord begangen hat? Vier Jahre haben die beiden sich mit Stefan beschäftigt.

Da Stefan sich vor der Kamera unwohl fühlt und sein Gesicht nicht zeigen will, tritt an seine Stelle eine Puppe, die von zwei Puppenspielerinnen geführt wird. Eine stellt Fragen, die andere antwortet als Stefan. Das hat etwas befremdliches und gleichzeitig auch rührendes, wenn sich die kleine Figur in ihrem roten Pullover, den blauen Jeans und den hellgrauen Socken in kleinen blauen Sneaker bewegt. Wäre da nicht der babyähnliche Kopf mit den durchdringenden blauen Augen und dem bösen Gesichtsausdruck und dem Hauch von Unsicherheit und Tragik.

Nach über 12 Jahren Haft begleitet das Filmteam Stefan bei seinem zweiten Ausgang im Wald zum See. Er läuft so schnell, dass die beiden Justizbeamten kaum hinterherkommen. Danach erzählt er den Regisseuren seine Lebensgeschichte. Die einzelnen Stationen seines Lebens werden nachgestellt.

Stefan selbst, sieht man immer nur von hinten. Es hat viel Trauriges in seinem Leben stattgefunden. Es gibt nur wenige Momente, in denen er glücklich war. „Richtig wütend war ich nur einmal in meinem Leben und dann ist es schief gegangen“ erzählt er. Auch Sex hat er nie in seinem Leben gehabt, erzählt er. Als er nach fast 15 Jahren Haft im offenen Vollzug ist, will ihm sein Therapeut eine Sexarbeiterin besorgen, damit er Sexualität „lernt“. Das Angebot erfüllte ihn mit Stolz, doch dann hat er es abgelehnt. Und immer wieder die Puppe, die von den Puppenspielerin je nach Gefühlslage entsprechend bewegt wird und die einen mit diesem unbeweglichen Gesicht und den eiskalten, blauen Augen anschaut. Es ist schwierig hinter die Fassade dieses Menschen zu schauen und zu verstehen, mit wem man es zu tun hat und was in seinem Innern wirklich vor sich geht. Hinzu kommt, dass Stefan sich kurz vor seiner Entlassung befindet, über die seine Therapeuten entscheiden müssen. Hat er es in der langen Haftzeit gelernt, sich anzupassen und immer das Richtige zu sagen? Nicht mal Therapeuten können darauf eine eindeutige Antwort geben.

Stefan darf die Regisseure jetzt einmal im Monat in Berlin besuchen. Er möchte so viel Sehenswürdigkeiten wie möglich sehen. Am liebsten würde er bei ihnen übernachten. Spätestens jetzt wird es auch den beiden Filmemachern mulmig. Sie fragen sich, was er eigentlich in ihnen sieht und warum macht er überhaupt bei ihnen mit? Auch das Vertrauen, was er ihnen schenkt, überfordert sie. Und wer weiß, ob er nicht wieder einen Mord begehen wird? Das Wright und Kolbe das Gerichtsprotokoll erst am ende ihrer Dokumentation vorlesen und man als Zuschauer erst jetzt den ganzen Sachverhalt erfährt, macht es nicht einfacher. Seine Tat wird minutiös geschildert. Nach 16 Jahren wird er entlassen. Steht aber noch unter Bewährung. All seine Sachen überlässt er Wright und Kolbe. Das Bild, was man sich von ihm bis jetzt gemacht hat, bekommt einen Riss.

Die Doku, die man vielleicht auch als Experiment bezeichnen kann, führt uns vor Augen, wie schwierig es ist, einen Menschen wirklich zu begreifen. Auch wenn man ihn jahrelang kennt, weiß man nicht wirklich, was in ihm vorgeht.

"Anmaßung" regt auf jeden Fall zum Grübeln an.

Ulrike Schirm


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