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Berlins Stadtmagazin ZITTY gibt auf - Filmkritiker*innen verlieren ihre Arbeit

Sag zum Abschied leise Servus. Ein persönlicher Nachruf im Zorn von Katharina Dockhorn.



Von Hobo zu zitty.

Berlin 1971, noch vor dem nahezu zeitgleich gegründeten tip Berlin, war das Magazin HOBO (US-Bezeichnung für Wanderarbeiter), das aus einer Kreuzberger Stadtteilzeitschrift hervorging, das erste deutsche Stadtmagazin, das in West-Berlin erschien.

Anfangs noch kostenlos in Szenekneipen und Kinos im kleinen DIN A5-Format ausgelegt, wurde daraus bald ein lukrativer wöchentlicher Verkauf zu 50 Pfennig im größeren DIN A4 Format. Es folgten Höhen und Tiefen sowie die Einrichtung einer Stechuhr, bis die Redaktion meuterte und mit dem "ZITTY" im Jahre 1977 ihr eigenes Magazin gründete.

Nach wechselvollen Jahren und zahlreichen Übernahmen erschienen am 7. Mai 2020 erstmals "zitty" und "tip" Berlin als gemeinsame monatliche Corona-Ausgabe. Nun einen Monat später wurde die Print-Ausgabe des geliebten Magazins "zitty" für immer eingestellt.

Links: www.zitty.de | www.tip-berlin.de

Dazu ein Kommentar von Katharina Dockhorn:

Nach 43 Jahren ist Schluss. In dieser Woche zogen die Eigner des GCM-Verlags die Notbremse und verkündeten den Mitarbeitern das Aus des Berliner Stadtmagazins „zitty“, das konstant die Berlin-Brandenburger Filmszene beleuchtete. Der DJV der Region spricht vom ersten Opfer der Corona-Krise auf dem Printmarkt. Er fürchtet um die Zukunft von Pauschalisten und Freien. Betroffen werden aber wohl vor allem die Freien sein. Die 58 festangestellten Mitarbeiter und Pauschalisten sollen gehalten werden, kündigte Robert Rischke, Geschäftsführer der GCM Go City Media GmbH gegenüber dem „Tagesspiegel“ an. Zusätzlich fürchten sie um noch ausstehende Honorarzahlungen für die vergangenen Monate.

Ich lernte „zitty“ nach dem Fall der Mauer kennen. Bei der Berlinale 1995, damals für uns noch in der Schwangeren Auster, half mit der damalige Filmredakteur Hans-Joachim Neumann mit einer Starthilfe für meine Autobatterie aus. Etliche Monate und Gespräche über den Film weiter, schrieb ich im Oktober 1995 meinen ersten Artikel für die „zitty“. Ich interviewte Josef Vilsmaier und André Eisermann zu „Schlafes Bruder“.

Seitdem bin ich dabei, habe die guten und die schlechten Jahre erlebt. Das Internet stellte das Geschäftsmodell in Frage. Zugleich begannen die Tageszeitungen, täglich eine Seite mit dem Berliner Kulturprogramm zu füllen. Anzeigen blieben zunehmend aus. Eine schwere Verletzung fügte der Holtzbrinck-Verlag dem Magazin in den Jahren zu, in der er dessen Geschicke verantwortete. Um Kosten zu sparen, erschienen die Filmkritiken für ein lächerliches Honorar auch in der Tagesspiegel-Beilage „ticket“ sowie im kostenlosen Stadtmagazin „030“. Eine fatale Entscheidung, denn die Rezensionen zu den Filmstarts waren für die meisten Leser der Hauptgrund, die „zitty“ zu kaufen. Wer zahlt schon für ein Produkt, dass er kostenlos in der gesamten Stadt erhält.

Vor einigen Jahren dann die Zusammenlegung der Redaktionen von „zitty“ und „tip“, die Journalisten erhielten natürlich nur ein Gehalt oder Honorar. Der Berliner DJV sah damals schweigend zu. Für die freien Kollegen ist jetzt die größte Gefahr, dass die Arbeitsverdichtung bei Festen und Pauschalisten zunimmt und versucht wird, Honorare zu reduzieren.

Den letzten Todesstoß versetzte der „zitty“ die Corona-Pandemie. Mit dem Lockdown der Berliner Kulturszene verlor das Stadtmagazin den Gegenstand der Berichterstattung. Das Anzeigenaufkommen brach erneut ein. Aber im Gegensatz zu den Berliner privaten Dudelfunkwellen, die gerne über Hollywood-Premieren, aber niemals über den kleinen Arthouse-Film made in Berlin berichten, erhalten Printmedien keine Hilfe aus dem zweiten Hilfspaket von Monika Grütters. 20 Millionen Euro stellt sie den privaten Hörfunkanbietern fürs Überleben zu Verfügung. Printmedien kommen in ihrem Hilfspaket nicht vor.

Und auch beim Berliner Senat, wo Kultursenator Klaus Lederer ansonsten einen guten Job bei der Rettung der lebendigen Berliner Kulturszene macht, gerieten die Medien ins Abseits. Zuständig ist im Übrigen nicht Lederer, sondern Bürgermeister Michael Müller. In seiner Senatskanzlei wird die Medienpolitik direkt verantwortet.

Das Aus für die „zitty“ wirft ein Schlaglicht auf den falschen Denkansatz in der Bundesregierung, die die Folgen der Corona-Pandemie in alten Industrien mit Milliarden abfedert, aber den zukunftsträchtigen Kultursektor von Anfang an nur stiefmütterlich behandelte. Während sie das Kurzarbeitergeld für oft gut entlohnte Facharbeiter aufstockte, fallen Minijobber von der Kinokasse durch den sozialen Rost. Auch für die vorwiegend Soloselbständigen in der Kultur-und Kunstszene blieb nur Hartz IV, da sich nur wenige Länder wie Berlin entschlossen, ihnen auch Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Von Kulturstaatsministerin Monika Grütters durften sich die Betroffenen im Kulturausschuss des Bundestages bescheinigen lassen, dass sie mit er Grundsicherung oft besser wegkommen als mit ihren Einkünften.

Aber vor allem stört die Schieflage der gerade diskutierten Rettungspakete. Neun Milliarden für die alte Dame Lufthansa, die sofort nach der Kreditgewährung die Entlassung von 22.000 Mitarbeitern ankündigte. Eine Milliarde für die Kultur- und Kreativwirtschaft, ein in den vergangenen Jahren ständig wachsender Sektor, in der vor der Pandemie rund 1,6 Millionen Menschen beschäftigt waren.

So bleibt einmal mehr der Eindruck, die Bedeutung der Medien wird nur in Sonntagsreden beschworen. Mit dieser Erfahrung sind Journalistinnen und Journalisten nicht alleine. So formulierte in dieser Woche eine Altenpflegerin in der ARD, dass sie sich verarscht fühle, wenn die Abgeordneten im Bundestag für ihren Einsatz klatschen. Aber nichts folgt, um endlich ihre finanzielle Situation zu verbessern. Auch der Philosoph Richard David Precht ist mittlerweile pessimistisch, wie er in der Sendung „Lanz“ betonte, dass Corona zu einem Umdenken in der deutschen Gesellschaft führt. Insofern ist das Aus für ein linksalternatives Stadtmagazin wohl auch nur eine logische Folge.

Katharina Dockhorn


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