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Drei Filmkritiken von der Berlinale aus den Sektionen

Rezensionen zu WHITE RIOT, FUTURE DREI und VICTORIA.



"WHITE RIOT" (Internationale Premiere)
Dokumentarfilm - Generation 14plus

Es begann alles mit Eric Clapton. Wer hat das heute noch auf dem Schirm? Er unterstützte in den 70ern den konservativen Politiker Enoch Powell, der als "rechts-außen" galt, besonders er propagierte, England hätte eine zu große schwarze Bevölkerung. Junge Leute wie der Fotograf Red Saunders, die für eine gleichberechtigten Gesellschaft standen, gründeten eine Bewegung um, zuerst in ihrem Musikkonsum, für ihre Werte einzustehen. Daraus entstand "Rock Against Racism". Die junge Regisseurin Rubika Shah interessierte sich für die Erstarkung der extremen Rechten in den 70ern und der Jugendkultur, die sich dagegen stellte, und drehte zuerst einen Kurzfilm. Das war "White Riot: London", ein Kurzfilm der 2017 auf der Berlinale ebenfalls im Generation 14plus-Programm lief. "White Riot", ihr Langdokumentardebüt, ist eine Erweiterung, in der nicht nur die Bewegung von damals in Archivmaterial vermittelt wird, sondern in der die Protagonisten von damals selbst zu Wort kommen.
Es gab noch keine sozialen Medien. Es gab keine Blogs und Apps. Es gab jedoch Fanzines. "Rock Against Racism", kurz RAR, hatte seine eigene Publikation, "Temporary Hoarding", die man, wie damals üblich als Kollage anfertigte und verteilte. Buttons an der Kleidung gehörten dazu. Shah greift diesen Stil auf und setzt Archivmaterial aneinander, die die Entwicklung der Bewegung vermittelt. Zuerst zeigte man Haltung gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nazi-Gesinnung, schließlich agierte man aktiv und immer mehr Jugendliche schloßen sich an. Benefizkonzerte wurden organisiert. Der Film setzt seinen Schlußpunkt mit dem öffentlichen Konzert Carnival Against the Nazis 1978, der Schwester-Organisation Anti-Nazi-League. Ein Event, umsonst und draußen, zu dem rund 40.000 Leute kamen.

In einem schnell geschnittenen und umfassenden Bogen wirft Rubika Shah und ihr Co-Autor und Produzent Ed Gibbs einen Blick zurück in die 70er Jahre und zeigt dabei auch auf, wo wir heute stehen. Der Dokumentarfilm lief bereits auf dem BFI London Filmfestival und gewann dort den Grierson-Award.

Elisabeth Nagy


"White Riot"
Dokumentarfilm.
Großbritannien 2019
Regie Rubika Shah
Drehbuch Ed Gibbs, Rubika Shah
Bildgestaltung Susanne Salavati
Montage Rubika Shah
Musik Aisling Brouwer
Ton Dave Sohanpal

Termine:
So 23.02. 15:30 Zoo Palast 1
Di 25.02. 20:00 Cubix 8
Mi 26.02. 13:00 Urania
So 01.03. 15:30 Filmtheater am Friedrichshain

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"FUTURE DREI" (Weltpremiere)
Panorama - Feature Film

Parvis (Benjamin Radjaipour) ist schwul und hat kein Problem damit. Was er allerdings mit seinem Leben anstellen will, weiß er noch nicht. Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen steht erst einmal nicht auf seiner Dringlichkeitsliste. Umso härter trifft es ihn, als er tatsächlich einmal mit der Konsequenz seines Handelns konfrontiert wird. Dabei ist gar nicht so sehr der Umstand gemeint, dass er in einem Flüchtlingsheim Sozialstunden abreißen muss. Am ersten Tag kommt er noch zu spät und soll die Anhörung einer jungen iranischen Frau gegenüber einem Komitee dolmetschen, das über ihren Aufenthalt oder ihre Abschiebung entscheidet. Dass er, als in Deutschland geborener junger Mann mit iranischen Migrationshintergrund, ihren Dialekt nicht versteht, spielt für die Behörden keine Rolle.

In dem Flüchtlingsheim lernt er Amon (Eidin Seyed Jalali) und seine Schwester Banafshe (Banafshe Hourmazdi) kennen. Die beiden kommen auch aus dem Iran und Amon kann sein Schwulsein nicht so offen ausleben. Faraz Shariat zeigt in seinem Spielfilmdebüt einen jungen Mann, der kaum mit Problemen konfrontiert, sich mehr und mehr seiner Privilegien bewusst wird. Nicht nur das, er erkennt, dass das Leben seiner Eltern, die ihm diese Privilegien ermöglicht haben, voller Entbehrungen war. Je mehr er sich bewusst wird, wer er ist und wie sein Leben verläuft, desto mehr ist er sich auch bewusst, dass seine Freunde ihre Zukunft nicht frei wählen können.

Die Freundschaft der drei ist das Herzstück des Filmes. Shariat inszeniert die Beziehung der drei unter- und zueinander mit einer Zärtlichkeit, die jedem der Figuren Raum gibt. Die Nähe zu einander entwickelt sich trotz der Unterschiede, die Intensität verschiebt sich dabei und man spürt als Zuschauer*In, wie fragil diese bleiben muss.

Faraz Shariat, geboren 1994 in Köln, hatte vor ein paar Jahren tatsächlich Sozialstunden als Dolmetscher in einer Flüchtlingsunterkunft ableisten müssen. Das Wissen um die ungleichen Voraussetzungen eines Lebensweges, die mitunter von einem Hauch von Glück bestimmt sein kann, wie in seinem Fall, gab zu der Geschichte den Anstoß. Auch wollte er seine Familiengeschichte in einen Kontext setzen. Die Filmeltern werden von seinem Eltern gespielt. Die Aufnahmen von Parvis als Kind sind altes VHS-Material aus seiner Kindheit. Gemeinsam mit Pauline Lorenz, die am Drehbuch mitwirkte, und Raquel Molt, hier für das Casting zuständig, gründete er das Kollektiv "Jünglinge". "Futur Drei", ursprünglich noch mit "Wir" betitelt, wurde auf dem First Step Award ausgezeichnet und seine drei Hauptdarsteller gewannen den Götz-George Nachwuchspreis.

Elisabeth Nagy


"Futur Drei"
Drama, Romanze.
Deutschland 2019
Regie Faraz Shariat
Drehbuch Faraz Shariat, Paulina Lorenz
Bildgestaltung Simon Vu
Montage Friederike Hohmuth
Musik Jakob Hüffell, Saye Skye, Jan Günther
Szenenbild Katja Deutschmann
Kostüm Klara Mohammadi
Make-Up Farhud Hamidi
Ton Jakob Hüffell
Casting Raquel Molt

Termine:
So 23.02. 21:00 CinemaxX 7
Mo 24.02. 16:15 Cubix 7
Sa 29.02. 19:30 Zoo Palast 2

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"VICTORIA" (Weltpremiere)
Forum - Dokumentarfilm

Drei Regisseurinnen, Sofie Benoot, Liesbeth De Ceulaer und Isabelle Tollenaere, überquerten den Ozean und zogen in die Ferne und kamen mit einem Film zurück. Drei Belgierinnen, Jahrgang 1984 und 1985, verschlug es in die Mojave Wüste. Genauer gesagt nach California City. Eine Stadt, die eigentlich keine ist. Eine Stadt, die eine werden wollte und nicht wurde. Vor etwa 60 Jahren hatte sich jemand einen Traum von einer Wüstenstadt ausgedacht. Es gibt Schlangen, eine Schildkröte, Steppenläufer werden vom Wind durchs Bild gerollt. Neugierde brachte das Trio in dieses Niemandsland und genauso hielten sie es visuell fest. Es gibt Straßen, jede Menge Straßen. Google Maps zeigt den Reißbrettcharakter gut auf. Es gibt sehr vereinzelt auch Häuser, hier leben auch Leute, Pioniere könnte man sagen, und doch wirkt es, als wäre dieser unvollendete Ort Fiktion.

Die drei, das Glück spielte ihnen in die Hände, trafen auch einen jungen Mann, Lashay Terrell Warren, mit dem sie sich auf Anhieb gut verstanden. Er wird zu ihrem und des Publikums Stadt- und Wüstenführer. Er, der Los Angeles und seine Vergangenheit eben dort hinter sich gelassen hatte, um in California City neu anzufangen, erzählt aus dem Off. Die Regisseurinnen dokumentieren zum einen und das über einen Zeitraum von einigen Jahren hinweg, aber lassen sich zum anderen auf ein Essay ein, den sie selbst angestoßen haben. Sie baten ihren Protagonisten darum Tagebuch zu führen. Aus diesem Tagebuch liest Lashay, dieser kluge, nachdenkliche und auch lebenslustige Beobachter, aus dem Off vor und entführt uns damit in seine Gegenwarts- und Zukunftsträume.

Elisabeth Nagy


Victoria
Dokumentarfilm.
Belgien 2019
Regie Sofie Benoot, Isabelle Tollenaere, Liesbeth De Ceulaer
Drehbuch Sofie Benoot, Isabelle Tollenaere, Liesbeth De Ceulaer
Bildgestaltung Isabelle Tollenaere
Montage Sofie Benoot, Isabelle Tollenaere, Liesbeth De Ceulaer
Musik Annelies Van Dinter, Lashay T. Warren
Ton Liesbeth De Ceulaer

Termine:
Fr 21.02. 17:30 Kino Arsenal 1
Sa 22.02. 14:00 Werkstattkino@silent green
So 23.02. 21:30 Cubix 9
Mo 24.02. 21:30 Filmrauschpalast (Berlinale Goes Kiez)
So 01.03. 18:30 Delphi Filmpalast

Link: www.berlinale.de

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Berliner Arbeitskreis Film e.V. am : Gewinner der 70. Berlinale und Verleihung des 35. Friedensfilmpreises

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