Skip to content

AG DOK will mit verkürzten Sperrfristen experimentieren

AG Dok wünscht sich: "Mehr Mut zur Innovation"



Um neuen Schwung in die Diskussion um Kino-Sperrfristen zu bringen, und dennoch den im Kino oft vernachlässigten Dokumentarfilm als Teil der Kinokultur weiter erhalten zu können, schlagen Thomas Frickel, Vorsitzender und Geschäftsführer der AG DOK, und Martin Hagemann, Vorstandsmitglied der AG DOK, vor, den Dokumentarfilmbereich zu einem "Versuchslabor" für neue Verwertungsszenarien zu machen.

Im Gegensatz zum Spielfilm, der meist zeitlos ist und seine Wirkung beim Zuschauer auch Monate oder Jahre nach seiner Uraufführung noch entfalten kann, lebt der Dokumentarfilm oft von der Brisanz seiner Aktualität. Vergleichbar in etwa mit Nachrichtensendungen - nur wesentlich ausführlicher und mit Hintergrundinformationen gespickt, die das Fernsehen normalerweise nicht bietet, zeigt der Dokumentarfilm Dinge, bei denen einem der Atem stocken kann. Natürlich gibt es Ausnahmen. Natur- und Tierfilme, deren Entstehungsgeschichte sich oft über Jahre erstreckt, begeistern meist auch später noch im Fernsehen.

Dokus, die aber etwas aufdecken, wie Laura Poitras Dokumentarfilm "Citizenfour" über den Whistleblower Edward Snowden, sollten jedoch schnellstmöglich auf vielen Kanälen verbreitet werden, um ihre Wirkung entfalten zu können. Zur Erinnerung nochmals der Trailer:



Mit der Forderung Kino-Sperrfristen für Dokumentarfilme zu verkürzen, positioniert sich die AG DOK deutlich gegen die teils überholten Ansichten der AG Kino-Gilde, die ihre bisherige Position im Ringen um das neue Filmförderungsgesetz nicht preisgeben will. Während im letzten Jahr die Kinobetreiber angesichts steigender Besucherzahlen noch frohlocken konnten, sieht die Bilanz in diesem Jahr bisher deutlich schlechter aus.

Dabei wäre ein Einstieg in eine Flexibilisierung, die längst existiert, wenn wir ehrlich sind, manchmal dringend notwendig. Schon jetzt werden Sperrfristen deutlich verkürzt, laufen Filme oder gar TV-Programme erfolgreich nur einen Tag oder ein Wochenende und sogar nach ihrem VoD-Start. Richtig wäre es, zum Besten jedes Films über die jeweilige Auswertungsfolge zu befinden und dem Ergebnis in einem modernisierten Vermietsystem Rechnung zu tragen. Wir leben längst nicht mehr in einer Welt, in der sich Verbraucher ihr Konsumverhalten vorschreiben lassen. Virulente digitale Bedürfnisse brauchen flexible Antworten, um junge Zuschauer wieder in die Kinos zu locken. Nur so können Verleiher, Kinobetreiber und Produzenten das volle Potenzial ausloten.

Die Filmtheaterseite pocht auf das eine existenzsichernde Prinzip, und die Dokumentarfilmer schlagen ein Versuchslabor vor, um die Auswirkungen kürzerer Sperrfristen in einem Bereich zu testen, der im Kino immer wieder Achtungserfolge erringt, aber sonst trotz großen Angebots nur marginal disponiert wird.

Dabei droht bis auf den Wunsch, flexiblere Auswertungsmodelle in Betracht zu ziehen, keine akute Gefahr. Die Verleiher sehen in ihren Daten längst, wie lange ihre Filme in den Kinos ausgewertet werden, und in welchen Wochen ab Start die entscheidenden Zahlen erzielt wurden. Keiner von ihnen möchte den Partnern die exklusive Erstauswertung von Kinofilmen absprechen. Schließlich spielen die Kinos eine unersetzliche Rolle in der Markenbildung und bei der Refinanzierung, schreibt Ulrich Höcherl, Ltd. Chefredakteur von Blickpunkt:Film. Der Streit wird leider mit einer gewissen Erbitterung geführt, obwohl die meisten Filme schon nach sehr kurzer Zeit wieder aus den Kinos verschwunden sind. Die Zeiten als Filme wie "Dr. Schiwago" monatelang im Europa Center am Kurfürstendamm vor ausverkauftem Haus liefen, sind längst vorbei.

Filme und vor allem Dokumentarfilme in kleine Schachtelkinos mit schlechten Sichtverhältnissen und viel zu kleiner Leinwand zu verbannen, vergrault erst recht das Publikum. Die jungen Leute, auf die man noch vor ein paar Jahren gesetzt hat, bleiben heute lieber zu Hause und sehen sich vor dem manchmal kaum kleineren Ultra-HD-Flachbildschirm mit Dolby-Sourround-Ton die neuesten Serienknaller über Video on Demand (VoD-Plattformen) an. Nur wer sich diesen privaten Luxus nicht leisten kann, der geht ins Kino.

Deutschland ist keine Insel im internationalen Kino-Geschäft, und deshalb werden auch wir nicht um das herumkommen, was in den USA oder in Großbritannien schon heute gängige Praxis ist. Ganze Kinoketten erproben dort neue Herausbringungsstrukturen, und im Zentrum steht die zeitnahe Film-Verwertung auf digitalen Auswertungsschienen. Immerhin haben auch einige deutsche Programmkinos inzwischen mit On-Demand-Angeboten angefangen, und wenn die Zahlen dieser neuen Auswertungsform noch nicht überzeugen, so ist das zum einen die normale Begleiterscheinung eines neu lancierten Geschäftsmodells, zum anderen sicher auch die Selbstbeschränkung, aktuelle Filme von diesem Angebot auszunehmen. Doch der größte Teil der Kinobranche in unserem Land starrt auf solche Ideen immer noch wie das Kaninchen auf die Schlange.

Dabei ist es im Ringen um die immer begrenztere Aufmerksamkeit des Publikums der einzig ökonomisch sinnvolle Weg, im Publizitätsschub des Starttermins die anderen Verwertungsformen gleich mitzuziehen - und nicht erst ein halbes Jahr später, wenn der anfängliche Werbeeffekt längst verpufft und das schmale Herausbringungs-Budget erschöpft ist. Das trifft vor allem Filme aus dem Arthouse-Segment - und zwar diejenigen, die in den Kinos oft gar keine richtige Chance zu einer regulären Auswertung in attraktiven Programmschienen mehr bekommen und die sich deshalb von einer Sonderveranstaltung zur nächsten hangeln müssen. Mag sein, dass ein einzelner Titel über 27 Wochen hinweg immer mal wieder irgendwo auftaucht - aber genau so wahr ist es, dass fast alle in Deutschland gestarteten Filme (und zwar Arthouse wie Mainstream) 85 Prozent ihres Publikums in den ersten zwei Monaten erreichen.

Die AG Dokumentarfilm hat deshalb vorgeschlagen, das neue Filmförderungsgesetz (FFG) zu nutzen, um den Dokumentarfilmbereich in den kommenden fünf Jahren zu einem Versuchslabor für die Kinozukunft zu machen: mit einer Freigabe der Sperrfristen und dem Erproben neuer Geschäftsmodelle - in enger Zusammenarbeit mit der Kinobranche und mit empirisch-wissenschaftlicher Begleitung.

Den Dokumentarfilmbereich deshalb, weil er von den Veränderungen durch die Kinodigitalisierung als erstes betroffen ist und im letzten Jahr nur noch zwei Prozent zu den deutschen Kinoumsätzen beisteuern konnte. Den Dokumentarfilm aber auch, weil er als künstlerisches Genre seit jeher darauf angewiesen war, sich sein Publikum selbst zu suchen und schnell auf Änderungen des Interesses und der Sehgewohnheiten zu reagieren. Und weil ihm das reguläre Kino schon heute nur noch selten eine Chance gibt.

Sind unsere Filme wirklich so schlecht geworden, wie es uns die Kinobranche vorwirft? Oder bleibt das Publikum deshalb aus, weil die "klassischen" Präsentationsformen den Bedürfnissen des Zuschauers von heute nicht genügend entgegenkommen? Was kann, was muss man machen, um im Land und vor Ort ein Dokumentarfilm-Publikum aufzubauen und zu pflegen? Schadet die zeitnahe Herausbringung eines Films auf anderen Verwertungsschienen dem Kino oder führt es ihm vielleicht sogar neue Besucherschichten zu? Verlangt ein engagiertes Kinoprogrammangebot nicht eine systematische kuratorische Arbeit - und müsste das nicht ein neuer, zusätzlicher Förderbereich eines Gesetzes sein, das sich dem Kino in seiner gesamten inhaltlichen und formalen Vielfalt verpflichtet hat?

Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir die neuen Modelle ausprobieren. Es gibt jede Menge Vermutungen, aber keine belastbaren Zahlen. Wir wollen diese Zahlen liefern. Nicht gegen die Kino-Branche, sondern mit ihr, so die AG DOK, die ihren Wunsch nach Verkürzung von Sperrfristen als Ausnahmeregelung für Dokumentarfilme sieht und nicht als gemeingültige Forderung für alle in Deutschland geförderten Filme.

"Mehr Kino, weniger Film!?"
Eine Ausnahme, die nach Befürchtungen der Kinobetreiber nicht lange eine solche bleiben würde. So hatte sich Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino-Gilde, erwartungsgemäß schon im Rahmen einer Podiumsdiskussion in Leipzig zur diesjährigen 16. Filmkunstmesse vehement gegen eine Aufweichung der Kinofenster über die bereits im Entwurf des Filmförderungsgesetzes enthaltenen Flexibilisierungsmöglichkeiten (darunter neu der sogenannte "Freischuss") hinaus gewandt. Für ihn wäre eine Regelung, die für Dokumentarfilme ein Nullfenster vorsehe, ein Einfallstor für eine großflächige Erodierung der Kinoexklusivität. Eine Ansicht, die nicht nur sein von Kollege Thomas Negele vom HDF Kino e.V. geteilt wird. Tatsächlich vollziehe sich im Angesicht derartiger Herausforderungen ein Zusammenrücken der Kinoverbände auf nationaler wie internationaler Ebene.

Zudem versuchte Bräuer sich auf der Filmkunstmesse mit einem Appell an seine Mitglieder zu richten, der da hieß: "Mehr Kino, weniger Film". Aus Sicht der AG Kino-Gilde ist Förderung - und das neue Filmförderungsgesetz (FFG) schaffe in der derzeitigen Form nicht ausreichend Abhilfe - zu sehr auf (zu viele) Filme fokussiert. Der Plattform, die geförderte Filme zum Erfolg führen soll, werde hingegen deutlich zu wenig Beachtung geschenkt.

Als Absage an die Filmvielfalt ist diese Forderung selbstverständlich nicht zu verstehen, wie später erläutert wurde. Vielmehr lautet die Kernfrage aus Sicht des Verbandes: "Wie kommen Filme besser zum Publikum?" Eine Antwort darauf: Über attraktive Orte, die einen Film zu einem besonderen Erlebnis machen und ihm auch mittels ihrer eigenen Außenwirkung zu mehr Sichtbarkeit verhelfen.

Sich unabhängig von Förderfragen selbst zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, nahm die Arthouse-Branche auf Initiative der CICAE in diesem Jahr erstmals am "European Art Cinema Day" teil, der ein voller Erfolg war. Alleine in Deutschland beteiligten sich am 9. Oktober 2016 mehr als 150 Kinos in 81 Städten. Dass im Sinne eines breitenwirksamen Auftritts auch Konkurrenten zusammenrückten, demonstrierte das Beispiel Berlin: Dort standen 28 Kinos geschlossen hinter der Veranstaltung.

Das Fazit der Initiatoren dieses ersten Feiertags für die Filmkunsttheater fiel rundum positiv aus. "Von Malta bis Schweden und von der Bretagne bis Weißrussland haben europäische Arthouse-Kinos ihrem Publikum die großartige Vielfalt des europäischen Films präsentiert", freute sich CICAE-Präsident Detlef Roßmann. Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino-Gilde ergänzte: "Mit einer auf beeindruckenden Vielfalt an Programmen und Gästen haben die Kinos viel Neugier beim Publikum geweckt und diese am Sonntag in die Kinos gelockt. Das freut uns sehr und ist uns Ansporn für eine Fortsetzung des Tages."

Immerhin hatten viele Unternehmen ihre Filme für diesen besonderen Tag ohne Mindestgarantien zur Verfügung gestellt - nicht gerade eine Selbstverständlichkeit.

Quellen: AG DOK | Blickpunkt:Film

Anzeige

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Formular-Optionen

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!