Zwei Filmkritiken zu Kinostarts in der zweiten Januarwoche 2025
Ein Medienthriller um eine wahre Begebenheit zur Sommerolympiade 1972 in München und dänisches Historiendrama in entbehrungsreichen Zeiten nach Ende des Ersten Weltkriegs.
"SEPTEMBER 5 - The Day Terror Went Live" Drama von Tim Fehlbaum um die Geiselnahme der israelischen Olympiamannschaft 1972 durch palästinensische Terroristen aus Sicht US-Senders ABC. (Deutschland, 2024; 95 Min.) Mit Peter Sarsgaard, John Magaro, Ben Chaplin u.a. seit 09. Januar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
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"DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL" Historiendrama von Magnus von Horn, das in Kopenhagen in den entbehrungsreichen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg spielt. (Dänemark / Polen / Schweden, 2024; 123 Min.) Mit Victoria Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri u.a. seit 09. Januar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
"SEPTEMBER 5 - The Day Terror Went Live" Drama von Tim Fehlbaum um die Geiselnahme der israelischen Olympiamannschaft 1972 durch palästinensische Terroristen aus Sicht US-Senders ABC. (Deutschland, 2024; 95 Min.) Mit Peter Sarsgaard, John Magaro, Ben Chaplin u.a. seit 09. Januar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Es gibt ikonische Bilder, die nicht nur fast jeder Mensch kennt und zuordnen kann, sondern an die man sich auch sofort erinnert, wenn man sie nicht direkt sieht. Sie haben sich in unsere kulturelle und gesellschaftliche DNA eingebrannt. Was machen Bilder mit einem? Bilder können mehr als Worte transportieren. Sie können, inzwischen, aber auch das ist keine Erfindung der Neuzeit mit ihren Influencern und sogenannten Sozialen Medien, auch lügen und sie können missbraucht werden.
Das Drama "September 5" zeigt zwar auch das eine Bild von dem vermummten Mann auf dem Balkon, das man mit einem Geschehnis verbindet, ohne dass man vielleicht das genaue Datum noch abrufen könnte, aber es behandelt nicht das Bild an sich. Das ist insofern wichtig, als dass man dem Film eine Tendenz vorwerfen könnte, die nicht intendiert ist.
Der deutsche Verleihtitel lautet: "September 5 - The Day Terror Went Live". Das beinhaltet quasi die Kurzfassung einer Inhaltsangabe. Der Terror, die Geiselnahme von Mitgliedern der israelischen Mannschaft durch die palästinensischen Terrorformation "Schwarzer September" auf dem Olympischen Dorf auf den Spielen in München 1972, ist der Auslöser.
Der Schweizer Regisseur Tim Fehlbaum ("Hell", "Tides") beleuchtet die Ereignisse aus der Perspektive der Berichterstattenden. Präzise gesagt verbringt er die bangen Stunden in den Kontrollräumen des amerikanischen Senders ABC. Es waren SportjournalistInnen, die schalteten, ihre noch starren schweren Kamerageräte in Position brachten, und taten, was gute Journalisten tun. Sie berichten. "September 5" ist im Kern ein Drama über die Rolle des Journalismus, über die Arbeit von Berichterstattenden.
Man kann kaum nachvollziehen, wie diese Bilder wirken mussten, als man sie noch nicht kannte. Die Geiselnahme von München 1972 veränderte die Mediengeschichte. Nachhaltig. Was machen Bilder mit einem? Welche Verantwortung hat man, wenn man diese Bilder "teilt"? Davon handelt "September 5". Wo ist da eine Linie und wann überschreitet man diese? Wohin hat sich der Journalismus und die Medien hinbewegt?
Dabei ist es gerade ein Schweizer, der übrigens in München Film studiert hat, der auf sehr amerikanischer Art von einem Ereignis, das sich in Deutschland abgespielt hat, erzählt. Deutschland wollte sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele, einem internationalen Event, das sich dem friedlichen Messen von athletischen Kräften verschrieben hat, von seiner besten Seite zeigen. Auch um das martialische Bild, das man mit den Spielen 1936 transportiert hatte, aufzuwiegen. Ein Millionenpublikum folgte den Spielen über die Fernsehkanäle. Und dann ging der "Terror live über den Bildschirm". Das hatte es so noch nie gegeben.
Erst ist es der Beginn eines normalen Arbeitstages in den Produktionsräumen der akkreditierten Sender. Etwas stimmt aber nicht. Es sind Schüsse gefallen. Mitarbeitende des Senders ABC Sport entscheiden sich von jetzt auf sofort über diesen politischen Gewaltakt zu berichten. Auch wenn sie nur improvisieren können. Vom Muttersender in den Staaten lassen sie sich die Berichterstattung, obwohl sie nur für Sport und nicht für Politik zuständig sind, nicht aus der Hand nehmen. Schließlich sei man nur 100 Meter und nicht einen Ozean weit entfernt.
Fehlmann inszeniert weitgehend ein Kammerspiel der Akteure, die um Übertragungsfenster kämpfen und dem Moderator im Heimatland die Informationen liefern müssen, die sie sich selbst erst mal und unter Zeitdruck erarbeiten. In der Hinsicht ist "September 5" ein konzentrierter Ensemblefilm aus nur eben dieser Perspektive.
John Magaro spielt den Produzenten Geoffrey Mason, der auf keinerlei Erfahrung in so einer expliziten Situation zurückgreifen kann. Peter Sarsgaard gibt seinen Vorgesetzten Roone Arledge, der mit dem Heimatsender verhandelt und ihm den Rücken freihält. Ben Chaplin wiederum spielt den Produzenten Marvin Bader. Eine fiktive Figur spielt die deutsche Schauspielerin Leonie Benesch, die kurzerhand dolmetschen soll. Ihre Figur ist nicht nur als Frau im Cast angelegt, sondern zeigt auch die damals noch gängige Annahme, dass Frauen den Kaffee zu bringen hätten. Eine Szene übrigens, die ein schnelles Umdenken der Herren bewirkt. Fehlmann bindet Archivmaterial von damals mit ein.
Nicht zu unterschätzen ist dabei die Ausstattung. Hier war es wichtig zu zeigen, über welche Technik man damals verfügte und was damit möglich und nicht möglich war. Zum einen gab es Übertragungszeiten, die fair aufeinander abgestimmt waren, zum anderen waren die Kamera und Monitore und Regler noch ganz andere. Sorgfalt war hier wesentlich. Die Mittel und Möglichkeiten erzählen durchaus auch eine Geschichte. Die Rolle der Täter und der Opfer tritt daher zurück. Es gibt aber auch zahlreiche Filme, die genau deren Geschichte erzählen. Zuerst fällt einem da der Spielfilm "Munich" von Steven Spielberg oder der Dokumentarfilm "One Day in September" von Kevin Macdonald ein. "September 5" erzählt eine weitere Facette.
"September 5" ist, auch wenn Filme eine mehrjährige Produktionszeit haben, hochaktuell und wichtig. Bilder haben eine Macht. Das weiß man zwar, aber es muss einem immer wieder bewusst gemacht werden, welche Verantwortung man trägt. Als Vermittler dieser Bilder und als Weiterverbreitende. Sowohl als Medienschaffende, als auch als Rezipienten und Vervielfachende. Die Technik hat sich rasant entwickelt. Aber die moralischen Fragen sind ähnliche.
Tim Fehlman entscheidet sich für das Tempo der tickenden Uhr. Er zeigt, wie die Mitarbeitenden ihre Entscheidungen unter zeitlichem Druck fällen müssen. Es kommt zu Fehlentscheidungen. Fehlmann bewertet die Fehlentscheidungen nicht. Er vermeidet Pathos, er weicht einer Dramatisierung der Figuren aus. Wir, die Zuschauenden, stellen uns im besten Fall genau die moralischen Fragen, die auch die Beteiligten damals hatten.
Elisabeth Nagy
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"DAS MÄDCHEN MIT DER NADEL" Historiendrama von Magnus von Horn, das in Kopenhagen in den entbehrungsreichen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg spielt. (Dänemark / Polen / Schweden, 2024; 123 Min.) Mit Victoria Carmen Sonne, Trine Dyrholm, Besir Zeciri u.a. seit 09. Januar 2025 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Eine kurze Montage im Einspann des expressionistischen "Das Mädchen mit der Nadel" nimmt den Schmerz, den die Figuren kaum wirklich ausdrücken können, mit Verzerrungen zu grotesken Fratzen vorweg. Erst dann etabliert der schwedische Regisseur Magnus von Horn die Handlung, zu dem er das Drehbuch zusammen mit Line Langebek Knudsen geschrieben hat, in einer Zeit kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges.
Karoline, gespielt von Vic Carmen Sonne, arbeitet als Näherin. Ihr Mann ist seit langem verschollen. Ohne eine amtliche Bestätigung, dass er als Soldat gefallen ist, bekommt sie keine Witwenrente. Ihr Auskommen reicht vorne und hinten nicht. Ihr Vermieter setzt sie schließlich vor die Tür. Ihre neue Bleibe ist im Vergleich zu der kargen Armut zuvor das pure Elend.
Gibt es denn keinen Hoffnungsschimmer? Magnus von Horn, Jahrgang 1983, studierte in Łódź. Für "Das Mädchen mit der Nadel" hat er sich mit dem Kameramann Michał Dymek (Jahrgang 1990), ebenfalls Absolvent in Łódź und aktuell mit "A Real Pain" bald in unseren Kinos vertreten, zusammengetan.
Die dänisch-schwedisch-polnische Produktion vertritt zumindest im Rennen um die Internationalen Oscars Dänemark. Von Horn und Dymek haben sich für ein expressives Schwarz-Weiß entschieden. Gedreht wurden die Außenaufnahmen in Polen. Die Bilder sind klaustrophobisch, Dreck und Elend bestimmen die Atmosphäre. Diese wird düsterer, je tiefer die Hauptfigur der Karoline in ihr Elend gleitet. Hoffnung mag immer wieder kurz aufkommen, doch es wird nie gut. Es geht dem Filmteam auch nicht um die Vermittlung eines Märchens, soviel steht fest.
Der Eigentümer der Näherei wirft einen wohlwollenden Blick auf die junge Frau, die sich der Aufmerksamkeit zögerlich hingibt. Kurz sieht es aus, als würde der Mann vom Stand sich seiner Verantwortung stellen, als sie merkt, dass sie schwanger wurde. Die zarte Verbindung findet ein jähes Ende, als dem Mann die Wahl zwischen Enterbung und Standespflicht gestellt wird. Das Geld ist dann doch jedem näher als Hingabe oder Empathie. Das sollte sich Karolina merken. Doch sie schöpft erneut Hoffnung, als sie Dagmar kennenlernt, die ihr in dem entscheidenden Moment, in dem sie zur Nadel greift, um das Kind abzutreiben, dem sie diese Welt nicht antun möchte. Dagmar, gespielt von Trine Dyrholm, hilft ihr unvermittelt, scheinbar uneigennützig. Sie bietet sogar Hilfe an, sobald das Kind geboren sein wird. Sie wird es zu Pflegeeltern vermitteln. Natürlich gegen eine geringe Gebühr.
Die Geschichte basiert lose auf einer wahren Figur, die der Dagmar Overby, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts illegal eine Adoptionsagentur betrieb. Mehr möchte ich über diese reale Figur gar nicht berichten. In Dänemark ist ihre Geschichte weithin bekannt, doch sie erst einmal nicht zu kennen, ist für den Film von Vorteil. Karolina und Dagmar mögen zuerst nur Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin sein, doch zwischen ihnen entwickelt sich Zutrauen und Freundschaft. Vielleicht. Wahrscheinlich. Oder eher nicht. Die Hilfe ist trügerisch. Das Elend ist zu groß, als dass Mensch sich um mehr als das eigene nackte Überleben kümmern könnte.
Das Buch setzt doch einen Kontrapunkt. Karolinas Ehemann kehrt verspätet aber dennoch aus dem Krieg zurück. Er ist entsetzlich entstellt. Aber der Horror ist ein Äußerer. Sinnbild der Zeit, kaschiert optisch von einer Maske. Dabei ist es bezeichnend, dass ein aufs Äußerste entstellter Mann immer noch mehr Chancen in der Gesellschaft hat als eine Frau. Doch ist es ebendieser Peter, gespielt von Besir Zeciri, der zu Empathie und Hilfe fähig ist. Vielleicht ist doch nicht alles verloren.
Die Figur der Dagmar, die das Publikum erst einmal nur über Karolina kennenlernt, bleibt, um dieses düstere ans Horrorgenre erinnerndes Drama lange in der Schwebe halten zu können, eine rätselhafte Figur. Bis ihre Rolle in den Vordergrund gerät. Denn natürlich geht es um die Strukturen einer Gesellschaft, die sich ihrer Schwachen (die Frauen) und der Wehrlosen (die Kinder) nicht annimmt. Gnade ist hier eine böse Frucht.
In Cannes, wo "Das Mädchen mit der Nadel" seine Uraufführung hatte, verlor der Film gegen "Anora". Ganz anders in Polen, wo nicht nur der Kameramann, sondern auch Magnus von Holm lebt. Das Drama wurde auf dem sich der visuellen Kamerakunst verschriebenen Camerimage Festival im Wettbewerb gezeigt und gewann den Hauptpreis, den goldenen Frosch. Auch der Europäische Filmpreis zollte dem Film Aufmerksamkeit und honorierte sowohl die Product Designerin Jagna Dobesz als auch die Komponistin Frederikke Hoffmeier mit einem Preis.
Elisabeth Nagy