Cannes Gewinner "ANORA" seit der 44 KW bundesweit im Kino
Kinostart von "ANORA", der atemlosen Odyssee einer jungen Sexarbeiterin aus dem New Yorker Stadtbezirk Brooklyn, mit einem verwöhnten, reichen, russischen Oligarchensohn. Außerdem eine Doku über Leni "RIEFENSTAHL".
"ANORA" Sean Bakers Tragikomödie und Gewinner der Goldenen Palme 2024 in Cannes. (USA, 2024; 139 Min.) Mit Mikey Madison, Mark Eydelshteyn, Yura Borisov u.a. seit 31. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:
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"RIEFENSTAHL" Dokumentation von Andres Veiel über Leni Riefenstahl; Produktion: Sandra Maischberger; Schnitt: Stephan Krumbiegel. (Deutschland, 2024; 116 Min.) Mit Ulrich Noethen als Sprecher. Seit 31. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:
Für die Dokumentation über Leni Riefenstahl hat ein Team um TV-Moderatorin Sandra Maischberger den Nachlass der Regisseurin ausgewertet und Andreas Veiel um die Verfilmung gebeten.
Bis zu ihrem Tod im Alter von 101 Jahren im September 2003 galt Leni Riefenstahl als große Künstlerin. Trotz ihrer Nähe zu Hitler und Goebbels wurde die einzige weibliche Filmemacherin im Dritten Reich als entnazifiziert freigesprochen und behauptete bis zuletzt, nichts von Konzentrationslagern und Holocaust gewusst zu haben.
Zu ihren Fans gehören Mick Jagger, Madonna und Jodie Foster sowie der Regisseur Quentin Tarantino, der sie für eine der größten visionären Filmemacherinnen hält, die je gelebt haben. Tatsächlich waren ihr Wagemut, sowie ihre ästhetischen Fähigkeiten und vor allem die Kameraeinstellungen für die damalige Zeit sensationell, die oft kopiert aber selten so eindrucksvoll erreicht wurden.
Andreas Veiel untersucht anhand von neuem Material aus den Archiven und dem Nachlass Leni Riefenstahls ein differenzierteres Bild der umstrittenen Künstlerin, das gewaltig an ihrem Image kratzt.
"ANORA" Sean Bakers Tragikomödie und Gewinner der Goldenen Palme 2024 in Cannes. (USA, 2024; 139 Min.) Mit Mikey Madison, Mark Eydelshteyn, Yura Borisov u.a. seit 31. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Es ist die klassische "Pretty Woman"-Nummer. Ein reicher Mann und eine Stripperin. Doch dann auch wieder nicht. Immerhin erzählt diese Geschichte von einem ungleichen Paar. Sean Baker erzählte zuletzt in "Red Rocket" von den Nöten eines alternden Porno-Stars.
In "Tangerine L.A." war es die Geschichte einer Transgender-Sexarbeiterin. Sean Baker liebt die Figuren am Rande der normativen Gesellschaft. Er wertet grundsätzlich nicht. Er erzählt Geschichten von Figuren, die meist nur über ihr Klischee in den Mainstream-Filmen abgehandelt werden. Baker handelt nichts ab und die Klischees weiß er aufzulösen, wenn nicht gar ganz zu umschiffen. Dabei sind die Themen von Klasse, Herkunft und Besitz durchaus verknüpft mit den Fragen zu Moral und Integrität.
"Anora" gewann dieses Jahr die Goldene Palme, den Hauptpreis in Cannes. Auch im Rennen um die Academy Awards liegt der Titel inzwischen gut im Rennen. Sean Bakers Film ist eine Komödie, eine nicht ungefährliche Komödie. Das heißt, es ist nicht ungefährlich für die Figuren in dem Stück. Ani, wunderbar gespielt von Mikey Madison, die man gerade mal in der letzten "Scream"-Verfilmung gesehen hatte und die man sonst noch aus der Serie "Better Things" kennen könnte, also Ani steht mit beiden Füßen in ihrem Alltag. Sie arbeitet in einem Stripclub und bekommt eines Abends einen jungen Russen aufs Auge gedrückt, der sicherlich nicht wegen seinem verdammt guten Aussehen als schwieriger Kunde gelten könnte.
Für Mark Eydelshteyn ist die Rolle des Ivan, genannt Wanja, die erste Filmrolle. Wanja ist ein Hallodri. Ein anstrengendes Kind, was rund um die Uhr Aufmerksamkeit braucht. Das sich nimmt, was es begehrt und vor den Konsequenzen flieht. Ani hat auch russische Wurzeln, darum soll sie mal mit dem Kunden reden. Irgendwas funkt zwischen den Beiden. Das soll ja vorkommen. Ein Funke und dann schlägt der Blitz ein. Während man noch den Kopf schüttelt, dass das nicht gut ausgehen kann, genießt man gleichzeitig die Achterbahnfahrt ihrer gemeinsamen Zeit. Nicht dass Wanja es nötig hätte, sich einen Escort zuzulegen, aber er kann es und er genießt es, dass er Ani für eine Woche mieten kann.
Baker rollt diese Begegnung in einer Zeitlänge aus, die vermittelt, wie zögerlich Ani reagiert und ab welchem Punkt sie emotional auf die Vernunft pfeift. Und dann heiraten die beiden in Las Vegas. Ab diesem Zeitpunkt wird es kompliziert. Mit Wanja kann man Spaß haben, doch Spaß allein ist keine Lebensgrundlage. Denkt Ani wirklich, dass sich Wanja ändern könnte? Dass sie ihm nicht nur ein paar Dinge beibringen, sondern dass sie ihn verändern kann? Die Frage ist hier aber auch: gibt es die Liebe? Kann Liebe funktionieren?
Natürlich hat Ani diesen Kindskopf gegoogelt. Er ist ein Sohn von russischen Oligarchen. Mit der Mutter ist dann auch nicht zu spaßen. Ohne Segen der Eltern keine Ehe. Punkt. Die Ehe muss annulliert werden. Es folgt ein zweiter Teil, ein urkomischer bis herzzerreißender Part, der schließlich alle Figuren in ihre jeweilige Realität zurückbringt, die dann auch gut ist. Denn Wanja hat in den Staaten einen von den Eltern bestellten Aufpasser und der schickt erst mal die Jungs fürs Grobe. Fürs Grobe heißt aber auch, dass die Handlanger so ihre eigene Agenda haben und den Zwängen ihrer Realität gehorchen müssen. In dem Sinne haben Ani und diese Handlanger mehr gemeinsam, als das sie trennt, und schließlich machen sie sich gemeinsam auf den Weg, um den flüchtigen Wanja zu finden.
In all dem Trubel fängt Sean Baker immer wieder Gesichter ein, die Zweifel, Furcht und auch Wut zeigen. Gesichter, die so viel erzählen und dabei bei allen Emotionen von der Würde ihrer Figuren zeugen. Mehr soll gar nicht verraten werden.
Elisabeth Nagy
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"RIEFENSTAHL" Dokumentation von Andres Veiel über Leni Riefenstahl; Produktion: Sandra Maischberger; Schnitt: Stephan Krumbiegel. (Deutschland, 2024; 116 Min.) Mit Ulrich Noethen als Sprecher. Seit 31. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:
Für die Dokumentation über Leni Riefenstahl hat ein Team um TV-Moderatorin Sandra Maischberger den Nachlass der Regisseurin ausgewertet und Andreas Veiel um die Verfilmung gebeten.
Bis zu ihrem Tod im Alter von 101 Jahren im September 2003 galt Leni Riefenstahl als große Künstlerin. Trotz ihrer Nähe zu Hitler und Goebbels wurde die einzige weibliche Filmemacherin im Dritten Reich als entnazifiziert freigesprochen und behauptete bis zuletzt, nichts von Konzentrationslagern und Holocaust gewusst zu haben.
Zu ihren Fans gehören Mick Jagger, Madonna und Jodie Foster sowie der Regisseur Quentin Tarantino, der sie für eine der größten visionären Filmemacherinnen hält, die je gelebt haben. Tatsächlich waren ihr Wagemut, sowie ihre ästhetischen Fähigkeiten und vor allem die Kameraeinstellungen für die damalige Zeit sensationell, die oft kopiert aber selten so eindrucksvoll erreicht wurden.
Andreas Veiel untersucht anhand von neuem Material aus den Archiven und dem Nachlass Leni Riefenstahls ein differenzierteres Bild der umstrittenen Künstlerin, das gewaltig an ihrem Image kratzt.
Ulrikes Filmkritik:
Der preisgekrönte Regisseur Andres Veiel („Blackbox BRD“, „Beuys“) hat für seine Dokumentation 700 Kisten archiviertes Material aus dem Nachlass von Leni Riefenstahl ausgewertet. Notizhefte, mitgeschnittene Telefonate, Presse-Clips und 200 Stunden Fernsehmaterial. Ihr Nachlass ging nach dem Tod ihres Lebenspartners Horst Kettner 2016 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Sie selbst war eine der umstrittensten Persönlichkeiten der Filmgeschichte, aber nicht nur das. Sie war Drehbuchautorin, Cutterin, Fotografin, Schauspielerin, Tänzerin und hervorragende Sportlerin. Was für eine Aufgabe, sich durch den immensen Nachlass dieser obersten NS-Propagandafilmerin durchzuarbeiten. Sie war zudem Hitlers Lieblingsregisseurin. Das ist das Erste, was einigen bei ihrem Namen einfällt.
Bis zu ihrem Tod behauptete sie jedoch eisern immer nur unpolitische Kunst gemacht zu haben. Doch gibt es überhaupt Jemanden, der dieser Frau ihre ständigen beleidigten Beteuerungen eine unpolitische Künstlerin gewesen zu sein, abgenommen hat? Interessant sind die vielen Leerstellen, die Veiel gefunden hat. Entfernte Notizen, gelöschte Telefonate.
Als Leni Riefenstahl Adolf Hitler 1932 zum ersten Mal hörte, war sie von einem Magnetismus eingefangen. Ihr Film „Das blaue Licht“ war der Schlüssel zu ihrem Leben.
In einer Talkshow behauptet sie zig Dankesnachrichten bekommen zu haben. Sie sei nach dem Krieg auch Drehbuchautorin für „Tatorte“ im Fernsehen gewesen. Total beleidigt war sie über die Meinung der Presse, die ihre Filme als Rattenfänger-Filme bezeichnet haben. Bei einem der Interviews rastet sie total aus, weil man herausfand, dass sie bei Hitler und Goebbels ein- und ausgegangen sei. Besonders Goebbels sei in sie vernarrt gewesen.
Sie bedankte sich bei Hitler für seine Geburtstagsblumen: „Ich bin immer in Gedanken, ihre treue Leni Riefenstahl“.
Polen 1939. Es ist der Beginn des Krieges. Riefenstahl bekommt den Auftrag, darüber einen Film zu drehen. Sie drehte den Film „Tiefland“, in dem sie auch die Hauptrolle spielt. In diesem Film gibt es zahlreiche Komparsen, besonders Kinder von Sinti und Roma. Viele wurden nach Auschwitz transportiert und getötet. Madame Riefenstahl will davon nichts gewusst haben. Nach dem verlorenen Krieg wurde sie in Kitzbühl verhaftet. Sie erreicht eine Art Freispruch, doch einige Zeit später holt ihre Vergangenheit sie wieder ein. Von dem Nationalsozialisten Peter Jakob ist sie inzwischen wieder geschieden. Über 50 Prozesse hat sie wegen Rufmordes geführt.
Die Dokumentation von Veiel und der Produzentin Sandra Maischberger enthält viele aktuelle Bezüge und wartet mit entlarvenden Einblicken auf, indem sie den krankhaften Narzissmus einer Person zeigt, die Zeit ihres Lebens darauf bedacht war, sich selbst zu inszenieren.
„Das Gegenteil von Politik ist Kunst, das ist meine Leidenschaft“, so Riefenstahl.
Es gibt Momente, da lacht man im Stillen hellauf. Ein Film, in dem viel Fleiß steckt und somit einige Lügen aufdeckt.
Ulrike Schirm