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Drei Filmkritiken zu Kinostarts von JOKER, MEMORY und CRANKO in der 40. KW 2024

Wegen des Feiertags am 3. Oktober und unseren Berichterstattungen zu diversen Filmfestivals, kommen unsere Kritiken diesmal etwas später als üblich.



"JOKER 2: Folie À Deux" Romanze von Todd Phillips über den mehrfachen Mörder Arthur Fleck alias Joker, der abgemergelt und geistesgestört im Gefängnis schmachten muss. (USA, 2024; 138 Min.) Mit Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Brendan Gleeson u.a. seit 3. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Zwei Jahre nach seinem Amoklauf in Gotham City hockt Arthur Fleck in einer psychiatrischen Anstalt und wartet auf seinen Gerichtsprozess wegen fünffachen Mordes. Eigentlich sechs, denn seine Mutter hat er ebenfalls umgebracht. Er ist nur noch Haut und Knochen, während draußen seine Anhänger herumlungern, gegen seine Verurteilung protestieren und seine Freilassung fordern. Zu lachen hat er im Arkham State Hospital, eine Anstalt für Geisteskranke, nichts mehr. Beim Freigang im Gefängnishof fragen die Wärter: "Hast du einen Witz für uns?" Wenn ja, bekommt er eine Zigarette. Sagt er nein, wird er von einigen Wärtern misshandelt.

Sie gönnen ihm nicht, dass in der Zwischenzeit sogar ein Fernsehfilm über seine Geschichte gedreht wurde, die ihn zu einem Medienstar machte. Seine Anwältin (Catherine Keener), endlich mal wieder auf der Leinwand zu sehen, versucht alles in ihrer Macht Stehende, um einen Freispruch zu erreichen. Sie macht dem Gericht klar, dass Arthur Fleck unter einer traumatisierten Schizophrenie leidet und für seine Taten als eingebildeter Joker nicht verantwortlich ist.

Bisher war die Person Arthur Fleck wie ein Niemand. Der Staatsanwalt fordert die Todesstrafe. Es gibt einen Wärter, Jackie, (Brendan Gleeson), der es gut mit ihm meint. Er schleust ihn in die Gesangsgruppe ein, wo er auf die Insassin Harleen „Lee“ Quinzel trifft. Ihre Blicke kreuzen sich.

Regisseur Todd Phillips hat seinen Joker von Anfang an als tragische Figur angelegt. Eine Figur, die sich nichts gefallen lässt und leider völlig unberechenbar reagiert. Eigentlich will Arthur nur geliebt werden. Lee, die auch ziemlich irre ist, versteht es ihn in dem Glauben zu lassen, ihn zu lieben. Das wäre das erste Mal, dass jemand so etwas zu ihm sagt. Das Fatale allerdings ist, sie meint damit nicht die reale Person Fleck, sondern liebt den Joker. Eine tragische Figur aus ihm zu machen, war damals, 2019 im ersten Teil ein gewisses Risiko, spielte aber weltweit mehr als eine Milliarde Dollar ein. Ich erinnere mich, dass ich am Ende mit Tränen in den Augen das Kino verließ.

Der neue Film ähnelt dagegen stark einem Musical. Lady Gaga, als Lee Quinzel, spielt eine Musiktherapeutin, in die sich Arthur verliebt und die davon ausgeht, dass in den einzelnen Songs die Protagonisten ihre Gefühle und Gedanken besser ausdrücken können, wenn es schwierig ist entsprechende Dialoge dafür zu finden. Es sind mehr als ein Dutzend Songs, die von den beiden performt werden. Das Phoenix singen kann, hat er ja schon in "WALK THE LINE" (2005) gezeigt.

Nimmt er nun wieder die Rolle ein, die Harleen Quinzel von ihm sehen will? Leider wird er durch ihre Liebesbeteuerungen zu einer Art Marionette. Dass er gut tanzen kann, weiß man auch. Nur der Anzug schlackert an seinem ausgemergelten Körper. Harleen Quinzel hat in der Anstalt einen Brand ausgelöst, nur damit sie beide fliehen können. Arthur ist mal wieder der Dumme. Er steht im Anstaltshof bei strömenden Regen und lässt sein irres Lachen hören. Dann kommt er in das Loch einer Einzelzelle.

Bald ist es so weit. Die Gerichtsverhandlungen haben begonnen. Und Arthur schaut sich um, in der Hoffnung, Lee sei auch im Publikum. Nach einigen Verhandlungstagen entschließt er sich, von seiner Anwältin zu trennen. Von nun an, will er sich selbst verteidigen, allerdings als Joker und nicht als Arthur. Es war die Idee von Lee, die er befolgt. Endlich fühlt er sich wie ein begnadeter Showstar, was die Stimmung in Gotham City total aufheizt.

Wie der Film und die dazugehörigen Gesangseinlagen enden, ist auf jeden Fall äußerst emotional. Es ist schon berührend, wenn sich Lee und Arthur gemeinsam in eine musikalische Welt träumen und zu singen anfangen. Man hat sich wohl bei den Comics so Einiges abgeguckt, aber es steckt viel Eigenes sowohl im Ersten als auch im zweiten Teil. Der Film beginnt als Comic, mit einer animierte Filmsequenz namens „Me and My Shadow“.

Ulrike Schirm


Ergänzungen und Erläuterungen:

Niemand anderes als der verstorbenen Heath Ledger hat zuvor den "Joker" als Widersacher von Batman im Film "The Dark Knight" mit so grotesk geschminktem Gesicht und brillantem Verstand gespielt, um das Revier von Gotham City ins Chaos zu stürzen. Dem nihilistischen Clown ging es nicht um Reichtümer oder Macht, er wollte Anarchie und erwartete, dass Gothams Bewohner tatkräftig dabei mithelfen.

Dann kam Joaquin Phoenix 2019 im Drama "Joker" und legte eine Performance auf der 131 Stufen hohen Treppe im Stadtteil Bronx hin, wie kein Zweiter zuvor. Das erwartete Chaos unter Gothams Bewohnern folgt aber erst zum Schluss des zweiten Teils. Eine Autobombe lässt die Mauern des Gerichts einstürzen, sodass der "Joker" fliehen kann.

Eine erstaunliche physische Leistung, trotz seines abgemergelten Körpers. Hier hat aber wohl die KI an der Maske etwas nachgeholfen, denn Joaquin Phoenix hat schon beim Stepptanz mit Lady Gaga im Gericht gezeigt, wie fit und sportlich er ist.

Dass er zum Schluss reumütig, sich erneut festnehmen lässt und dann von einem Mitgefangenen niedergestochen wird, muss nicht das Ende der Serie, oder seines bis dahin trostlosen Lebens bedeuten. Es gibt inzwischen viele mit Joker-Maske herumlaufende Gestalten in Gotham City, die das Erbe antreten könnten.

W.F.


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"MEMORY" Drama von Michel Franco über eine alleinerziehende Mutter, die sich auf eine Beziehung mit einem Fremden einlässt, der an Demenz erkrankt ist. (USA, 2023; 99 Min.) Mit Jessica Chastain, Peter Sarsgaard, Merritt Wever, Brooke Timber, Josh Charles u.a. seit 3. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Es fängt an wie ein Thriller. Sylvia (Jessica Chastain) die in einer Tageseinrichtung für Erwachsene, die an psychischen Krankheiten leiden in New York City arbeitet, wird von ihrer Schwester Olivia Merrit Wever) überredet, an einem Klassentreffen teilzunehmen. Auf dem Heimweg folgt ihr ein Mann, der bei strömendem Regen vor ihrer Haustür wacht und dabei einschläft.

Nach der Feier am nächsten Morgen spricht sie mit dem Unbekannten und stellt fest, dass er geistig verwirrt ist. Sein Name ist Saul und er leidet an Demenz. Gespielt wird er von Peter Sarsgaard, der für seine Rolle in Venedig als bester Darsteller ausgezeichnet wurde. Saul war auf der Woodbarry-Schule, wo auch die Party stattfand. Sylvia war auch auf dieser Schule.

Irgendetwas muss ihn an Silvia faszinieren. Immer wieder versucht er Kontakt mit ihr aufzunehmen. Ist er etwa derjenige, der sie damals missbraucht hat? Daran kann oder will er sich nicht erinnern. Ihre Schwester hat herausgefunden, dass sie Saul in der Schule nie begegnet ist und er eine solche Tat nicht getan haben kann. Er weiß selbst nicht, warum er ihr folgt.

Dass Sylvia sehr streng mit ihrer Tochter Anna (Brook Timber) umgeht, wird im Laufe der Handlung klar. Sie will sie vor bösen Dingen schützen, denn sie hat mit so einigen bösen Dämonen aus ihrer Kindheit zu kämpfen. Anna erfährt warum Sylvia keinen Kontakt zu ihrer Mutter hat. Je mehr der Film darüber preisgibt, je stärker entwickelt man ein Mitgefühl mit ihr und versteht, dass Saul im Laufe der Zeit eine immer größere Rolle in ihrem Leben spielt. Schließlich übernimmt sie seine Pflege, obwohl er sich an manchen Tagen nicht an sie erinnern kann.

Man staunt, dass diese unverhoffte Begegnung von beiden Seiten immer intensiver wird und von magischen Momenten begleitet wird. Eine eigentlich unmögliche Liebe verhilft den beiden zu einem gegönnten Glück. Eine berührende Liebesgeschichte, getragen von zwei wunderbaren Schauspielern. Bewundernswert: Ohne jeglichen Kitsch. Sehr berührend.

Ulrike Schirm


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"CRANKO" Biopic-Drama von Joachim Lang über den außergewöhnlichen, visionären Choreographen, John Cranko, der 1927 in Südafrika geboren wurde und 1973 auf dem Flug von New York nach Dublin plötzlich verstarb. (Deutschland, 2024, 128 Min.) Mit Sam Riley, Max Schimmelpfennig, Hanns Zischler u.a. des Stuttgarter Ballett-Ensembles. Seit 3. Oktober 2024 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

1960 kommt der gebeutelte Choreograph John Cranko (Sam Riley) ans Stuttgarter Ballett, um dort wieder Schwung in die Kompanie zu bringen. Jedoch ist er den Weg aus London nicht ganz freiwillig angetreten. Denn dort, in Großbritannien, wurde das Leben für ihn immer unerträglicher. Als homosexueller Mann war er gesellschaftlich gemieden und sah sich sogar mit einem Berufsverbot konfrontiert.

Aber in Stuttgart scheint all das keine sonderlich große Rolle zu spielen. Cranko gewinnt schnell die Gunst das Publikums, klettert auch an der Karriereleiter nach oben bis zum Ballettdirektor und wird so zum beachteten Star der Szene. Gastspiele an der Metropolitan Opera in New York machen ihn weltweit bekannt. Doch sein steiler Aufstieg fordert einen Tribut, denn Cranko muss sich seinen inneren Dämonen stellen. Leider nimmt alles ein jähes Ende, als Cranko auf dem Rückflug aus den USA 1973 überraschend stirbt – umringt von seinen Tänzer*innen.

Den Titelhelden verkörpert Sam Riley unglaublich berührend. Es gelingt ihm eine verstorbene Ikone glaubwürdig zum Leben zu erwecken. Das Stuttgarter Ballett hält zudem das Erbe seines Star-Choreographen auch gut 50 Jahre nach seinem Tod so lebendig zusammen, dass seine Inszenierungen auch noch heute immer wieder zum Repertoire gehören.

Es dürfte zudem ganz im Sinne von Cranko sein, dass die weltberühmten Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts und damit vor allem Elisa Badenes als Marcia Haydée, auch als Schauspielerin im Film auftritt.

W.F.


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