Drei Filmbesprechungen zu aktuellen Kinostarts der 20. & 21. KW 2024
Bereits Ende letzten Jahres konnten wir auf dem Berliner Weltkinofestival 14films.de das Meisterwerk "About Dry Grasses" des türkischen Filmemachers Nuri Bilge Ceylan sehen, das mit seinem aktuellen Kinostart zu den besten Arthouse-Werken des Kinojahres 2024 zählt.
"AUF TROCKENEN GRÄSERN – About Dry Grasses" komplexes Drama von Nuri Bilge Ceylan über die Suche nach dem Sinn und Wert der Wahrheit nach Belästigungsvorwürfen von Schülerinnen gegen ihren Kunstlehrer. (Türkei, Frankreich, Deutschland, Schweden, 2023; 198 Min.) Mit Deniz Celiloğlu, Merve Dizdar, Musab Ekici, Ece Bağcı u.a. seit 16. Mai 2024 im Kino. Hier ein Teaser:
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"MIT EINEM TIGER SCHLAFEN" Biopic über die österreichische Medienkünstlerin Maria Lassnig von Anja Salomonowitz mit Birgit Minichmayr in einer auf der 74. Berlinale gefeierten Rolle als Malerin. (Österreich, 2024; 107 Min.) Mit Birgit Minichmayr, Johanna Orsini-Rosenberg, Oskar Haag u.a. seit 23. Mai 2024 in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:
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"DAS LEERE GRAB" Dokumentation von Agnes-Lisa Wegner & Cece Mlay über zwei tansanische Familien, die sich in deutschen Museen auf die Suche nach ihren in der Kolonialzeit gestohlenen Vorfahren begeben. (Deutschland / Tansania, 2024; 97 Min.) Im Verleih von Salzgeber seit 23. Mai 2024 in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:
"AUF TROCKENEN GRÄSERN – About Dry Grasses" komplexes Drama von Nuri Bilge Ceylan über die Suche nach dem Sinn und Wert der Wahrheit nach Belästigungsvorwürfen von Schülerinnen gegen ihren Kunstlehrer. (Türkei, Frankreich, Deutschland, Schweden, 2023; 198 Min.) Mit Deniz Celiloğlu, Merve Dizdar, Musab Ekici, Ece Bağcı u.a. seit 16. Mai 2024 im Kino. Hier ein Teaser:
Elisabeths Filmkritik:
Schnee bedeckt die karge Landschaft im anatolischen Hinterland. Schnee bedeckt die "trockenen Gräser". Hier gibt es nur zwei Jahreszeiten, heißt es. Den bitteren Winter und den sengenden Sommer. In diese Ödnis kehrt Samet (Deni̇z Celi̇loğlu) nach den Ferien zurück. Er ist Kunstlehrer und reißt in diesem Exil sein Pflichtjahr, das Teil der Ausbildung ist, ab. Sein Streben, wenn ihn seine Lethargie überhaupt nach etwas streben lässt, dann ist es eine Versetzung an eine Schule in der Großstadt. Vermeintlich unter seinesgleichen.
Das Publikum kehrt mit ihm in diese Aufstellung von wenigen Figuren und den Haupthandlungsort, seine Schule, zurück. Seine Schülerinnen und Schüler scheinen ihn zu mögen. Doch Nuri Bilge Ceylan entzaubert ihn schnell. Nicht nur, dass er seine Eleven das Meer zeichnen lässt, etwas, das sie selbst noch nie gesehen haben und wahrscheinlich auch nicht zu sehen bekommen werden. Er sagt ihnen unumwunden ein in seinen Augen tristes Dasein voraus.
Nuri Bilge Ceylan arbeitet mit statischen Bildern, nimmt sich drei Stunden Zeit, um einen Mann mit all seinen Schwächen vorzustellen. Samet ist ein Mann, der sich aufrecht wähnt, aber das Falsche tut. Der sein Ego allem voran stellt und der seine Zöglinge, seine Freunde und auch sich selbst hintergeht. Immer wieder sind es Begegnungen, Dialoge, die den Film takten und vertiefen. Bis auf eine Szene, die auch den Zuschauenden herausreißt, aus dem Set, aus der Statik, aber nicht aus der Handlung. "Auf trockenen Gräsern" ist immer noch ein Film, das macht uns diese Szene deutlich, und es ist der Moment der Entzauberung eines Settings, der einen noch näher an die Figuren und ihre Motivationen bringt.
Doch noch einmal an den Anfang. Samet hat eine Lieblingsschülerin. Sevim, gespielt von Ece Bağcı, ist vielleicht 13-14 Jahre alt. Sie genießt die Aufmerksamkeiten des Lehrers. Die Begegnungen der Beiden haben durchaus etwas Unschuldiges. Bis zu einer Wende, die seine Figur in eine eindeutig andere Richtung, als vermutet, weisen wird. Haben die Kinder auch kaum eine Zukunft, so haben sie doch Hoffnungen und Träume. Vielleicht ist es gerade dieses Vertrauen auf Zukünftiges, was Samet besonders an Sevim reizt. Sie kann sich über einen kleinen Handspiegel freuen, den er ihr schenkt, der allerdings im Schulalltag verboten ist.
In dieser rigiden Gesellschaft gibt es so einige Regeln, die das reine Dasein schwer machen, so dass man nicht nur sich selbst in Frage stellt. Sevim wird bei einer Schultaschenuntersuchung, nennen wir es ruhig Razzia, ein geheimer Brief konfisziert, dessen Inhalt wahrscheinlich peinlich ist. Samet hat ihn an sich genommen und der erste offensichtliche Vertrauensbruch ist wohl, dass er den Brief zu lesen gedenkt. Sevim gegenüber behauptet er jedoch, er hätte den Brief vernichtet. Für seine Herzlosigkeit bekommt er prompt die Quittung. Plötzlich stehen er und sein Kollege und Mitbewohner Kenan (Musab Ekici) im Mittelpunkt einer Anschuldigung. Zumindest einer der Beiden habe sich unsittlich einer Schülerin genähert.
Nuri Bilge Ceylan schwenkt nun die Begegnungen auf ein anderes Terrain. Man könnte sagen, er lässt einen Konflikt offen und geht einen anderen an, der die Figuren nun aus einem anderen Blickwinkel zeigt. Nicht unbedingt einen Schmeichelhafteren. Samet und Kenan lernen eine Lehrerin an einer Schule in der nächstgelegenen Stadt kennen. Nuray, gespielt von Merve Di̇zdar, hat ein wesentlich schwereres Schicksal als die beiden Kollegen, doch anders als zum Beispiel Samet, nimmt sie ihr Schicksal an.
Es geht in Nuri Bilge Ceylans Film nicht unbedingt um die Beziehung der drei Figuren zueinander und untereinander. Aber hier fließen Gespräche in den Filmfluss, den es im Setting der Schule und den Kindern nicht geben kann. Während die Kinder, anonym oder vermutlich nicht so anonym, sich profan rächen können, entlarvt sich zumindest die Hauptfigur, Samet, in den Gesprächen mit Kenan und besonders mit Nuray selbst. Und auch das ist nur eine Facette aus dem, was das Publikum aus dem Film von Nuri Bilge Ceylan mitnehmen kann. Die Fragestellung drängt sich auf: mit welchem moralischen Kompass gehen wir durchs Leben und wie packen wir unser Schicksal an.
Nuri Bilge Ceylan, bekannt für "Winterschlaf" (2014) oder "Es war einmal in Anatolien" (2011), ist ein Vertreter des "Slow-Cinema". Mit Samet schafft er einen Menschen, dem man seine Sympathien nicht schenkt. Auch die anderen Figuren werden mit einer gewissen Distanz bedacht. Sie sind vom Buch her verwurzelt mit dieser kalten unwirtlichen Landschaft, die kaum Handlung bietet. Es sind die präzisen Dialoge, die dem Film die Substanz geben. Dabei schafft es Nuri Bilge Ceylan, der mit seinen Filmen immer wieder nach Cannes eingeladen wurde und zumindest Merve Dizdar gewann für "Auf trockenen Gräsern" den Preis der besten Darstellerin, sodass seine Filme, so sperrig sie auch erst einmal daherkommen, nachwirken.
Elisabeth Nagy
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"MIT EINEM TIGER SCHLAFEN" Biopic über die österreichische Medienkünstlerin Maria Lassnig von Anja Salomonowitz mit Birgit Minichmayr in einer auf der 74. Berlinale gefeierten Rolle als Malerin. (Österreich, 2024; 107 Min.) Mit Birgit Minichmayr, Johanna Orsini-Rosenberg, Oskar Haag u.a. seit 23. Mai 2024 in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
Maria Lassnig (1919 – 2014) war eine herausragende österreichische Malerin. Ihre Leidenschaft gehörte der Körperbewusstseinsmalerei. Zu Ruhm und Ehren kam sie ziemlich spät. “Mit einem Tiger schlafen“ lautet der Titel eines ihrer vielen Gemälde.
Danach hat die Regisseurin Anja Salomonowitz auch ihr Biopic und Portrait über Maria Lassnig, großartig von Birgit Minchimayr gespielt, genannt.
Als Vorbereitung für ihre außergewöhnliche Rolle hat sie sich in Bilder, Tagebücher und Videos der in Kärnten geborenen Künstlerin vertieft, die 1980 die erste Professur für Malerei im deutschsprachigen Raum innehatte. Akribisch hat sie alles von der von Lassnig beschriebenen oder gemalten Körperlichkeit für sich abgeleitet.
„Meinen Farbsinn habe ich mir selbst erarbeiten müssen. Das hat mir später sehr geholfen“.
Zu ihrer Arbeitsweise gehörte es, eine Leinwand vorzubereiten, sich davor zu setzen und auf Inspiration zu warten. Sie war kompromisslos und kämpferisch. Sie wehrte sich gegen die männliche Dominanz, besonders die im Kunstbetrieb.
Als Frau muss man dreimal so viel schuften wie ein Mann, erklärt sie ihrem Künstlerkollegen Rainer. Auch die österreichische Geschichtsvergessenheit war ihr ein Dorn im Auge. Sie verzichtete total auf die Farbe braun. Es gibt Szenen, da sitzt sie in ihrem Atelierraum, nur in Unterwäsche, mal auf bequemen Stühlen, mal auf unbequemen Stühlen, konzentriert auf ihr Körperbewusstsein, denn das, was sie versuchte, war etwas total Neues.
Nicht das Sichtbare interessierte sie, sondern das Erspüren des eigenen Körpers, die inneren Empfindungen nach außen kehren und ihnen dann bestimmte Farben und Formen zu geben. Ihre Akte sollen nicht unbedingt schön, sondern durchaus merkwürdig verrenkt sein. Ihre Bilder haben eine ganz persönliche Handschrift, die nicht jeder versteht.
Es erinnert an eine Performance, denn sie sitzt nicht immer still, sondern führt mit dem Körper verschiedene Stellungen aus. Erst ein In-sich-hineinhorchen und dann ein Aus-sich-herausmalen. Es kann Stunden dauern. Lassnig hat sich für ein entbehrungsreiches, einsames Leben entschieden, pflegt keine reichhaltigen sozialen Kontakte. Für sie zählt nur ihre Malerei und ihr junger Künstlerkollege und Liebhaber Arnulf Rainer (gespielt von dem jungen österreichischen Sänger Oskar Haag).
Was wir hier sehen, ist kein gewöhnliches Portrait oder Biopic, wie man es sonst kennt. Hier werden fiktionale Episoden mit dokumentarischen Sequenzen vermischt.
Sie kann sehr harsch reagieren. “Nein, nein, so geht das nicht. Ihr habt meine Bilder viel zu tief aufgehängt“.
Sie ist total unzufrieden. Sie will genau wissen, wer die Bilder kauft und wo sie hinkommen. Es gibt ein Bild von ihr, ein nackter Mann mit einem roten Penis. Nackte Körper werden vom Galeriepersonal als Dreck bezeichnet und zugehängt. Reglos schaut sich Maria die Besucher an und beobachtet die unterschiedlichen Reaktionen.
Sie will gehen. Sie fühlt sich von lauter reaktionären Menschen umgeben, die nichts von moderner Kunst verstehen. Ihr Freund Rainer unterstützt sie, steigt auf eine Leiter und beschimpft das Publikum als Kunstbanausen. Damit macht man sich natürlich keine Freunde. Bei einer Galeristin, die französisch spricht, gibt sie ihre Bilder als die von Rainer aus, denn sie wird immer als Künstlerin niedriger eingeschätzt als Rainer, obwohl sie 10 Jahre älter ist. Das wurmt sie.
Sie soll eine Professur annehmen. Sie willigt nur ein, wenn sie das gleiche Geld kriegen würde, wie Joseph Beys. Sie hadert mit vielem. Wenn Interessenten kommen, ist sie von einer entwaffneten Ehrlichkeit, die nicht zu ihrem Vorteil ist. Besonders dann, wenn sie sich selbst gemalt hat. Doch dann ist plötzlich der Ruhm da. Sie kann ihren Telefonhörer ruhig wieder auflegen. Die Anrufe, die sie nun bekommt, werden positiv sein. Endlich wird sie gesehen und gelobt. Sie schlurft durch ihr Atelier, das Telefon klingelt. Sie bekommt eine Anfrage für eine große Ausstellung. Sie lehnt ab. Ohne besonders geschminkt zu sein, gelingt es dieser großartigen Schauspielerin das Altern optisch und körperlich glaubhaft zu machen.
Am Ende dieses Filmes erleben wir die Künstlerin, dem Tode nahe, zusammen mit ihrem Künstlerkollegen, wie sie die Wolken am Himmel betrachten und dabei philosophieren über das richtige Blau für ein Bild. Ihre Stimme ist schleppender geworden.
Dieser Film ist ein wunderbares poetisches Portrait über eine begabte Künstlerin, die innerlich zerrissen ist, sich selbst im Wege steht und wenig Selbstbewusstsein hat, genau dann, wenn es verlangt wird. Dafür ist sie durch und durch ehrlich und hat einen guten Freund an ihrer Seite. Zwischendrin lässt die Regie Lassnigs außergewöhnliche, sehr persönliche Bilder für sich sprechen.
Ulrike Schirm
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"DAS LEERE GRAB" Dokumentation von Agnes-Lisa Wegner & Cece Mlay über zwei tansanische Familien, die sich in deutschen Museen auf die Suche nach ihren in der Kolonialzeit gestohlenen Vorfahren begeben. (Deutschland / Tansania, 2024; 97 Min.) Im Verleih von Salzgeber seit 23. Mai 2024 in den deutschen Kinos. Hier der Trailer:
Elisabeths Filmkritik:
Der Goldene Bär der Berlinale 2024 ging an "Dahomey" (Regie: Mati Diop), einen Film über die Rückgabe während der Kolonialzeit geraubter Gegenstände aus französischen Museen an die Republik Benin. Dahomey ist die ehemalige Bezeichnung des Königreiches, dessen Territorium heute die Republik Benin umfasst. "Dahomey", der im Laufe des Jahres auch in unsere Kinos kommen wird, beschäftigte sich nicht als einziger Beitrag mit den Themen Schuld und Wiedergutmachung der ehemaligen Kolonialstaaten. Die Sektion Berlinale Special, die dieses Jahr ein erstaunlich gutes Programm aufgestellt hatte, fügte diesem Themenkreis den Dokumentarfilm "Das leere Grab" der zwei Regisseurinnen Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay hinzu.
Auch in "Das leere Grab" geht es um den Kolonialismus in Afrika. Hier geht es aber nicht um Kunstgegenstände, nicht um wertvolle Schätze, sondern um geraubte Gebeine, die einen emotionalen Wert haben. Mehr noch, der Raub auf Geheiß von deutschen Institutionen der Kaiserzeit, beraubte nicht nur ein anderes Volk, sondern konkret Familien und das über mehrere Generationen hinweg.
In einer Szene in einer gut situierten Potsdamer Schule zeigen die Filmemacherinnen uns eine Klasse, die noch nie etwas von dem Maji-Maji-Aufstand (1905 - 1907) gehört hatte. Ihre mitfühlende und überzeugend betroffene Reaktion, ihr Erstaunen, dass dieser Teil unserer Zeitgeschichte nicht zum Lehrplan gehört, sollte vielleicht auch mal an betroffene Behörden und Institutionen durchgereicht werden. Im Maji-Maji-Krieg, denn es war ein Krieg, hatten sich mehrere ethnische Gruppen zusammengefunden, die sich gemeinsam gegen die deutsche Kolonialherrschaft aufgelehnt hatten. Mit verheerenden Folgen. In Tansania ist der Maji-Maji-Krieg ein wichtiger Teil der nationalen Geschichte. In Deutschland wurde der deutsche Vernichtungskrieg gegen eine Bevölkerungsgruppe schlicht ausgeblendet und vergessen.
In Berlin trifft das Filmteam auf Mnyaka Sururu Mboro, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, und unter anderem mit dem 2007 gegründeten Verein »Berlin Postkolonial«, der sich einer kritischen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte verschrieben hat, und um Gehör und gegen die Verdrängung kämpft.
"Das leere Grab" hat es sich gar nicht so sehr zur Aufgabe gemacht, gegen dieses Vergessen anzugehen. Vielmehr haben sich zwei Regisseurinnen zusammengetan, um uns die Folgen nahe zu bringen, die wie Wellen immer noch nachwirken.
Damit ist die Begleitung einer persönlichen Suche nach dem Verbleib der Vorfahren, eine sensible und zurück genommene Dokumentation von gelebter Geschichte. Agnes Lisa Wegner (zuletzt "König Bansah und seine Tochter", 2020), die einst Amerikanistik und Filmwissenschaft bzw. African-American Studies in Berlin bzw. in Harvard studiert hatte, hat sich auch zuvor schon mit den Themen Rassismus, Diskriminierung und Menschenrechte beschäftigt. Aber um die Geschichte von Familien aus Tansania zu erzählen, die in einem Fall nach Berlin kommen, um hier nach dem Verbleib ihres Vorfahren zu suchen, brauchte es auch die Sicht und das Verständnis einer Filmemacherin aus Tansania. Cece Mlay ist eine Filmemacherin aus Daressalam. Auch wenn sie auch schon vorher bei nationalen als auch internationalen Filmprojekten mitgewirkt hat, ist "Das leere Grab" ihr Langfilmdebüt.
Was "Das leere Grab" auszeichnet, ist, dass diese Kooperation keine Brüche aufweist. Die Filmemacherinnen legen den Fokus auf die Familien und ihr Trauma, und nehmen sich selbst gänzlich zurück. Sie bleiben Beobachtende, während die ProtagonistInnen ihre Geschichte selbst erzählen dürfen. Das titelgebende leere Grab ist dabei Sinnbild und Wunde. Die deutschen Täter mordeten nicht nur, sie schändeten die Toten und verschifften Schädel und Gebeine, um angeblich an ihnen zu forschen und damit auch ihre dubiosen Pseudothesen zu untermauern.
Jetzt ist die Rückgabe der Gebeine ein Anliegen der Angehörigen, die Generation um Generation für dieses Unterfangen meist vergeblich kämpften. Es sollte uns als Täternation ein Anliegen sein, ihrem Anliegen ein Ohr zu öffnen.
Dass es so einfach nicht ist, und welch Hürden den Familien in diesen Weg gelegt werden, auch davon berichtet "Das leere Grab". Die Geschichte, die sich in unserer Stadt konkret in Straßennamen der Täter spiegelt, so sehr, dass man sich kaum mehr Gedanken darüber macht, welche Biografien hier verehrt werden, bekommt durch die Konzentration auf zwei Familien, die nach ihren Angehörigen forschen, ein konkretes Gesicht. Ihre Geschichten, ihr Schmerz, führt dem Publikum hoffentlich vor Augen, wie sich die Taten, die über 100 Jahre zurück liegen, auch heute noch fortschreiben. Die behutsame Art der Regie schafft es, den Schmerz und auch die Scham zu übertragen.
Die Straßennamen endlich zu bereinigen wäre ein Anfang. Die Keller der Archive, in der die Deutschen mit ihrem Wahn mehr und mehr zu horten, quellen über mit unangerührten Akten und Kisten. Nach über 100 Jahren kommt etwas Bewegung in die Annäherung an eine Heilung. Die letzten Aufnahmen des Dokumentarfilmes stammen aus dem November 2023 und zeigen den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der in Tansania öffentlich um Entschuldigung bittet. Im Oktober 2024 soll es eine Ausstellung im Humboldt-Forum geben, die im Anschluss auch nach Tansania gehen wird. Es bleibt hoffentlich nicht bei leeren Worten.
Elisabeth Nagy