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»DAHOMEY«, der Gewinner des Goldenen Berlinale Bären

Bereits zweimal hintereinander wurde auf der Berlinale ein Dokumentarfilm mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet, obwohl vom Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian ein eigener sektionsübergreifender Dokumentarfilmpreis geschaffen wurde.



Kaum sind die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2024 zu Ende, die letzte Ausgabe der Berlinale unter dem künstlerischen Leiter Carlo Chatrian, gibt es Streit über die Preisverleihungen.

Die in der Sektion Panorama gezeigte Dokumentation "No Other Land" über einen jungen palästinensischen Aktivisten aus Masafer Yatta im Westjordanland, der seit seiner Kindheit gegen die Vertreibung seiner Gemeinschaft durch die israelische Besatzung kämpft, wurde mit dem relativ neuen »Dokumentarfilmpreis« ausgezeichnet und auch von der Kulturstaatsministerin Claudia Roth beklatscht, obwohl der Film die schrittweise Auslöschung der Dörfer seiner Heimatregion durch die Israelis dokumentiert.

Stellungnahmen der Filmemacher auf der Bühne wurden unkommentiert hingenommen, am nächsten Tag aber unisono von Politikern und Medien als antisemitische Schande hingestellt, wie wir gestern schrieben.

Jury und Berlinale Leitung lehnen eine Verantwortung ab, denn die aktivistischen Äußerungen von Preisträger*innen waren Ausdruck individueller persönlicher Meinungen, deren Meinungen und Statements man als offenen kultur- und länderübergreifenden Dialog aushalten müsse, solange diese Stellungnahmen nicht Menschen oder Menschengruppen rassistisch oder anderweitig diskriminieren oder gesetzliche Grenzen überschreiten.

Der Film eines palästinensisch-israelischen Kollektivs vierer junger Aktivist*innen entstand als Akt des kreativen Widerstands auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit und wurde von den Jury-Mitgliedern Abbas Fahdel (Irak / Frankreich), Thomas Heise (Deutschland) und Véréna Paravel (Frankreich) ausgezeichnet.

Forderungen von Berlins Kultursenator Joe Chialo, die Zusammensetzung der Jurys nachdem Antisemitismus-Eklat zu überdenken, klingt nach Zensur und würde vor allem bei dem authentischen Dokumentarfilm nicht nur die kulturelle Vielfalt beschränken, sondern absurd sein.

Tatsächlich wurde in den letzten Tagen die Preisgala auf eine so heftige Weise angegangen, dass einige Menschen nun ihr Leben bedroht sähen, was inakzeptabel ist. Die Filmschaffende hatten bei der Preisverleihung von einem "Genozid im Gazastreifen" gesprochen und Israel "Apartheid" vorgeworfen hatten, während der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2024 auf Israel mit 1200 Toten dagegen von Ihnen unerwähnt blieb.

Der scheidende künstlerische Berlinale-Chef Carlo Chatrian hat sich nach der umstrittenen Abschlussgala hinter die kritisierten Filmschaffenden gestellt:

"Unabhängig von unseren eigenen politischen Ansichten und Überzeugungen sollten wir alle bedenken, dass die Meinungsfreiheit ein entscheidender Teil davon ist, was Demokratie ausmacht", schrieben Chatrian und Berlinale-Programmchef Mark Peranson auf Instagram.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die zunächst die Preisverleihung beklatschte, kritisierte einen Tag später die Berlinale-Leitung nach dem Eklat um die israelfeindlichen Vorfälle und warf der Festivalleitung Versäumnisse vor.

"Da hätte es eine ganz andere und bessere Vorbereitung geben müssen", sagte Roth gegenüber "Spiegel online". Das betreffe den Umgang mit entsprechenden Aussagen der Filmschaffenden.

Allerdings ist es nicht üblich die Dankesreden der Filmschaffenden vorher abzusprechen. Zudem ging deren Haltung bereits eindeutig aus dem Film hervor, der zurecht den Hauptpreis des Dokumentarfilmwettbewerbes gewonnen hat.

Im kommenden Jahr verliert die Berlinale das Filmhaus, auch der Berlinale-Palast steht im darauffolgenden Jahr als Spielort auf der Kippe. Anstatt sich endlich um den Bau eines neuen Filmhauses zu kümmern, mischt sich die Kulturstaatsministerin in die Entscheidungsfreiheit der Leitung ein. Offensichtlich soll die Berlinale in Zukunft nur noch Filme einladen oder Jurys benennen, die in ihrer Zusammensetzung auf einer Linie mit deutscher Politik stehen. Vielleicht sollte sich die Berlinale in "deutsche", statt Internationale Filmfestspiele Berlin umbenennen, heißt es sarkastisch in den sozialen Medien.

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Dass die Jury des großen Berlinale Wettbewerbs unter der Leitung der afrikanischen Jurypräsidentin Lupita Nyong'o (Kenia / Mexiko) sich ebenfalls für einen Dokumentarfilm und nicht wie zumeist erwartet, für einen Spielfilm entschied, ist wahrscheinlich ihrer Herkunft geschuldet, wurde aber von Presse und Medien am nächsten Tag als unverständlich hingestellt.

Allerdings war die Spielfilmauswahl der diesjährigen Berlinale im Gegensatz zum letzten Jahr - oder zu Cannes und Venedig - vielleicht auch nicht so sonderlich überzeugend gewesen. Nach weltweiter Pandemie sowie Autoren- und Schauspielerstreiks in den USA, waren 2023 etliche Projekte auf der Stecke geblieben, sodass die Branche sich erst wieder berappeln muss.

Mit dem Hauptpreis der Berlinale, dem Goldenen Bären, an den Dokumentarfilm "Dahomey" der afro-französischen Regisseurin Mati Diop, der die Restitution von 26 einst von französischen Kolonialtruppen geraubten Kunstschätze des gleichnamigen Königreichs mit der Kamera begleitet, ist ein zwar kurzer, aber hochinteressanter Film ausgezeichnet worden. Die vielen Objekte verlassen darin nun Paris, um nach 130 Jahren in ihr Herkunftsland, dem heutige Benin, zurückzukehren.

"DAHOMEY"
Dokumentarfilm, Regie & Buch: Mati Diop, Kamera: Josephine Drouin Viallard, Montage: Gabriel Gonzalez, Produktion: Paris, Frankreich, Ngor, Senegal.

Angelikas Filmkritik:

Ungewöhnlich: Der »Goldene Bär« ging in diesem Jahr erneut an einen Dokumentarfilm, nachdem bereits im letzten Jahr mit „Sur l’Adamant“ ('Auf der Adamant') von Nicolas Philibert eine französische Dokumentation über eine schwimmende Tagesklinik für Erwachsene mit psychischen Störungen als bester Film ausgezeichnet worden war.

Als am letzten Sonnabend, den 24. Februar 2024, die „Berliner Bären“ im Berlinale Palast verliehen wurden, ging der »Goldene Bär« erstaunlicherweise an den nur 67 Minuten langen Dokumentarfilm mit dem Titel „Dahomey“, ein Film, der allerdings Hoffnungen macht.

Dieser relativ kurze Film, den die 41-jährige afro-französische Regisseurin Mati Diop gedreht hat, handelt von einem bedeutsamen Problem, das in Berlin auch schon jahrelang diskutiert wird. Es geht nämlich um die Rückgabe von Benin-Bronzen: Um sogenannte „Beutekunst“, die im Zeitalter der Kolonisation Afrikas damals nach Europa und in die USA verkauft wurde. — Allein in Deutschland gibt es mehr als 1000 Objekte in diversen Museen. Und die meisten davon in Berlin.

Die Benin-Bronzen sind eine Ansammlung von mehreren tausend Kunstwerken, überwiegend Reliefs und Skulpturen aus Bronze oder Messing, aber auch Werke aus Elfenbein, Koralle und Holz, die seit dem 16. Jahrhundert den Königspalast des Königreichs Benin schmückten und zeitweise, beziehungsweise teilweise, auch eine wichtige zeremonielle Bedeutung hatten. Sie gelten als einer der bedeutendsten Kunstschätze Afrikas und beeinflussten in Europa auch die Malerei der klassischen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Neben ihrer großen kunsthistorischen Bedeutung spielen die Benin-Bronzen aber auch eine wichtige Rolle in der internationalen Diskussion…

Die Artefakte, darunter Statuen, Schmuck, Zepter und ein Thron, hat die französische Armee nach den blutigen Kämpfen im Jahr 1892 in Zuge der Eroberung des westafrikanischen Landes nach Frankreich gebracht.

Der westafrikanische Staat, der 1960 unabhängig wurde, kämpft seit Jahren für die Rückgabe der Werke. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron löste jüngst ein Versprechen aus dem Jahr 2018 ein, die geraubten Objekte zurückzugeben.

In Mati Diops Film, der dieses Versprechen illustriert, sind es 26 übermenschlich groß wirkenden königliche Statuen des Königreichs DAHOMEY aus den Jahren 1890 — 1892, die den Zuschauer verblüffen, weil sie erstaunlicherweise weitaus größer erscheinen als der Durchschnitt der Menschen.

Sie wurden vor der Rückkehr in ihr Herkunftsland Benin durch das Pariser Museum für außereuropäische Kunst „Quai Branly — Jacques Chirac“ noch ein letztes Mal ausgestellt.

Danach werden sie im Film für die Rückreise von Paris nach Afrika sehr sorgfältig in mehrere durchsichtige luftgefüllte Plastik-Hüllen verpackt und dann übervorsichtig mit Hilfe von Kränen in Flugzeuge verladen. Die von der künstlichen Beleuchtung angestrahlten Verhüllungen geben den Figuren seltsamerweise den Anschein von noch mehr übermenschlicher Kraft und Großmächtigkeit.

Laut Schätzungen befinden sich aber immer noch 85% bis 90% des afrikanischen Kultur-Erbes weiterhin in Europa. Auch wenn schon im Dezember 2022 weitere Bronzen, ebenfalls in einem feierlichen Staatsakt von Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth in der nigerianischen Hauptstadt Abuja an Nigeria übergeben wurden.

Im Mai 2023 wurde bekannt, dass (leider ?) das Eigentumsrecht an den bereits von Präsident Buhari übergebenen Bronzen genau an das jetzige Oberhaupt der damals für Sklavenjagd verantwortlichen königlichen Familie übereignet worden war.

Dennoch macht „Dahomey“, dieser relativ kurze Film, der 41-jährigen französischen Regisseurin Mati Diop dennoch die Hoffnung, dass die Vorherrschaft von Europa sich dem Ende zuneigt.

Angelika Kettelhack


Link: www.berlinale.de

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