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Zwei Filme über Alzheimer bzw. Demenz zum Jahresende 2023

Die letzten neuen Filme im Kino in diesem Jahr, darunter zwei Werke über Alzheimer. Ein Spielfilm und ein Dokumentarfilm.



Im Mai 2023, zum DOK.fest München, hatten wir bereits mit "The Eternal Memory" einen der beiden Alzheimer Filme kurz vorgestellt. Die Uraufführung feierte die Dokumentation im Januar 2023 auf dem US-Filmfestival in Sundance, wo der Film in seiner Kategorie den World Cinema Grand Jury Prize gewann. Kurz darauf zeigte die 73. Berlinale die Doku von der chilenischen Regisseurin Maite Alberdi im Programm des Panoramas.

Unter dem deutschen Titel "Die unendliche Erinnerung" wurde "The Eternal Memory" in unserer Region als Preview Ende August beim 11. internationalen Festival FILM OHNE GRENZEN in Bad Saarow erstmals vorgestellt. In einem Tag startet die collagenartige Montage aus alten Fernsehaufnahmen kombiniert mit Bildern einer erfüllten Liebe, die nunmehr zu einem Leben am Rande des Vergessens geworden ist, regulär im Kino.

Drei Jahre zuvor hatte Maite Alberdi mit "The Mole Agent" einen Doku-Thriller über ein Altersheim veröffentlicht. Dazu war ein 83-Jähriger als verdeckter Ermittler angeheuert worden, um Missbrauchsvorwürfe im Altersheim aufzuklären. Anstelle vermeintlicher Verstöße des Heimpersonals legen die Recherchen unfreiwillig offen, wie wenig sich viele Angehörige um ihre Verwandten im Heim kümmern. Der Film wirkte wie eine Mischung aus Kriminalgeschichte und Film Noir, ist aber eine exakte Dokumentation über den realen Alltag in einem chilenischen Altersheim.

Im Anschluss an die nachfolgende Filmkritik von Elisabeth Nagy über "Die unendliche Erinnerung" folgt eine Besprechung von Ulrike Schirm über den kanadischen Spielfilm "Du wirst mich in Erinnerung behalten" von Éric Tessier, ebenfalls zum Thema Alzheimer, der bereits vor 14 Tagen im Kino gestartet war, aber aufgrund des ähnlichen, fast zu verwechselnden Titels, jetzt passenderweise doch noch von uns berücksichtigt wird.

"DIE UNENDLICHE ERINNERUNG" Dokumentation von Maite Alberdi (Chile, 2023; 85 Min.) Mit Paulina Urrutia, Augusto Góngora. Ab 28. Dezember 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Augusto Góngora ist ein bekannter chilenischer Journalist. Seine Frau Paulina Urrutia ist Schauspielerin (z.B. in "Fuga" von Pablo Larraín) und war sogar ein paar Jahre lang im ersten Kabinett der Präsidentin Michelle Bachelet Ministerin für Kultur und Medien des Landes. Vor einigen Jahren wurde bei Góngora die Alzheimer-Krankheit diagnostiziert, seitdem kümmert sie sich um ihn. Alzheimer ist nicht nur eine perfide und grausame Krankheit. Góngora kämpfte seit Jahrzehnten gegen das Vergessen der Untaten des Pinochet-Systems. Nun droht ihm seine Biografie zu entgleiten. Die Regisseurin Maite Alberdi vermittelt auch mit dem Material, das Urrutia von ihrem Mann aufgenommen hat, in einer Langzeitstudie die Stationen dieser Krankheit. Sie bringt uns den schwierigen Zusammenhalt eines Paares nahe, und sie zeigt uns, wie wichtig Erinnerungen im Privaten als auch in der Gesellschaft sind.

Für Góngora war Erinnerung alles, es war seine Lebensaufgabe. Sein Motto "Erinnerung ist Identität" bezog er auf die Erinnerung eines Landes. Er wirkte zum Beispiel bei dem Sammelband "Chile, die verbotene Erinnerung" mit. Nichts, was dieses mörderische Regime verbrochen hatte, sollte verdrängt und vergessen werden. Ein grausamer Scherz, dass er nun kaum noch weiß, wer die Frau ist, die ins Zimmer kommt, der sich vor dem Hochzeitsbild an der Wand fürchtet und nicht mehr weiß, wer er selbst ist. Die Diagnose, 2014 gestellt, hat die Beiden, die über 20 Jahre zusammen waren, sicherlich auch zusammengeschweißt. Bereits damals griff sie zur Kamera und man kann davon ausgehen, dass er damals auch seine Einwilligung gab. Sicherlich berühren einige Momente auch schamhaft, die kurze Lauflänge weist aber darauf hin, dass das Material, das über so lange Zeit entstanden ist, mit Bedacht ausgewählt wurde.

Viele Dokumentarfilme widmen sich Biografien oder behandeln das Schicksal von bekannten Persönlichkeiten. "Die unendliche Erinnerung" der Regisseurin Maite Alberdi vermittelt uns das Schicksal zweier Persönlichkeiten, die in ihrem Heimatland Chile sehr, bei uns vielleicht eher nicht so bekannt sind. Gleichzeitig behandelt es auch das Schicksal eines ganzen Landes und darüber hinaus berichtet es von den Tücken einer Krankheit. Es ist sicherlich nicht einfach, diese schweren Themen so zu verknüpfen, dass Würde, Liebe und auch die Erinnerung, auf die der Titel anspielt, zugänglich, wenn nicht gar mit Leichtigkeit verknüpft werden.

Alberdis letzter Film war eine deutsche Co-Produktion: "Der Maulwurf – Ein Detektiv im Altersheim" sollte eine Mischung aus Dokumentar- und Spionagefilm sein. Ein verdeckter Ermittler sollte von der Einsamkeit in einem chilenischen Altersheim berichten. Alberdis aktueller Film debütierte in Sundance am Anfang des Jahres 2023 und gewann in seiner Kategorie den Hauptpreis. Darauf folgte die Festivalvorstellung auf der Berlinale in der Sektion Panorama, später lief der Film unter anderem auf dem DOK.Fest München.

Es ist natürlich schwierig. Die Aufnahmen, die Paulina Urrutia von ihrem Mann macht und mit der sie gemeinsame Momente, sozusagen für die Erinnerung, einfängt, sind derart intim, dass man sich als Publikum stark berührt fühlt und vielleicht den Einblick als zu persönlich deutet. Überwiegt hier der Wille des Dokumentierens der Regisseurin oder der des Paares, das auch auf Grund der Pandemie, sich am Ende nur in seiner Zweisamkeit darstellen kann? Überwiegt das Festhalten des Gedächtnisses eines Einzelnen, das mehr und mehr verfällt, die Dringlichkeit, ein nationales Gedächtnis zu bewahren? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Der Film existiert und seine Hauptfigur, Augusto Góngora, ist im Mai diesen Jahres verstorben. Vielleicht ist "Die unendliche Erinnerung" auch einfach nur ein Film über die Liebe.

Elisabeth Nagy


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"DU WIRST MICH IN ERINNERUNG BEHALTEN" ein französischsprachiges Generationsdrama aus Kanada von Eric Tessier, in dem Demenz eine große Rolle spielt. (Kanada, 2020; Originaltitel "Tu te souviendras de moi", 108 Min.) Mit Rémy Girard, France Castel, Julie LeBreton u.a. seit 7. Dezember 2023 im Kino.

Hier der deutsche Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ein pensionierter Geschichtsprofessor, Édouard Beauchemin (Rémy Girard), kommt immer weniger damit zurecht, dass er durch eine Alzheimer Erkrankung immer mehr sein Kurzzeitgedächtnis verliert. Nur an den Stoff seiner früheren Vorlesungen kann er sich noch genau erinnern.

„Bald werde ich komplett im Nebel leben. Warum den Augenblick leben, wenn fünf Minuten später nichts mehr davon da ist“. Er hat immer sein kleines Notizbuch dabei, in das er alles notiert, was ihm wichtig ist, bevor er es wieder vergisst.

Madeleine (France Castel) kann die Launen ihres Mannes nicht länger ertragen und gibt ihn in die Obhut ihrer Tochter Isabelle (Julie Le Breton). Aber auch ihr fehlt die Zeit, sich um ihn zu kümmern. Ihr Lebensgefährte Patrick (David Boutin) springt ein und kümmert sich um Édouard. Als er die Chance bekommt einen neuen Job anzutreten, bittet Patrick seine Tochter Bérénice auf den unberechenbaren Édouard aufzupassen. Selbstverständlich für Bezahlung. Seine Tochter willigt ein. Zigmal muss sie sich die Frage: „Kennen wir uns?“ anhören. Sie nimmt es gelassen.

Der mit sich hadernde Mann vertraut dem jungen Mädchen an, dass er noch eine Tochter hatte, Nathalie, die sich mit 19 Jahren das Leben nahm. Die ziemlich coole Bérénice fängt an ihn besser zu verstehen. Als er verzweifelt nach seiner Ehefrau sucht, rennt sie ihm hinterher und versucht ihn zu trösten. Dass die einen neuen Mann hat, verschweigt sie ihm.

Dann hat Bérénice (Karelle Tremblay) eine schöne Idee. Sie schlüpft in die Rolle von Nathalie, sie spürt, dass sie ihm damit eine Freude machen kann. Geld nimmt sie auch nicht mehr von ihrem Vater.

Der kanadische Regisseur Eric Tessier hat sich ernsthaft mit dem Thema Alzheimer befasst, geholfen hat ihm dabei, dass sein Vater auch daran erkrankt ist.

Ansonsten beruht der Stoff des Dramas auf einem Theaterstück des Dramatikers Francois Archambault. Anrührend die Empathie und das Einfühlungsvermögen was das vorher coole Mädchen im Lauf der Zeit entwickelt, besonders wenn der kranke Mann sie wirklich für seine Tochter hält und sie diese Rolle mit emotionaler Intelligenz spielt.

„Du wirst mich in Erinnerung behalten“ lebt vor allem von den schauspielerischen Leistungen seiner Protagonisten, besonders Rémy Girard, der sich zwischen unterschiedlichen Emotionen bewegt, wobei sogar der Humor nicht zu kurz kommt. Überwiegend jedoch setzt sich der Film mit wichtigen philosophischen Fragen auseinander, die nicht unbedingt bequem sind. Traurig, die Rückblenden des einstmals glücklichen Paares zu sehen.

Kleiner Tipp: Wir sollten Fotoalben und Erinnerungen gut aufheben. Später werden wir dafür dankbar sein.

Ulrike Schirm


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