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Timothée Chalamet alias "WONKA" bringt das Musical zurück ins Kino

Unsere Filmkritik zu Roald Dahls Kinderbuchklassiker »Willy Wonka und die Schokoladenfabrik« im Dezember der 49. KW 2023 sowie eine weitere Filmempfehlung zum europäischen Kinojahr, mit UPDATE einer langen Filmkritik.



"WONKA" Fantasy-Musical-Abenteuer von Paul King zur vermeintlichen Vorgeschichte von Roald Dahls Kinderbuch "Willy Wonka und seiner Schokoladenfabrik" aus dem Jahre 1964. (USA / Großbritannien 2023; 117 Min.) Mit Timothée Chalamet, Calah Lane, Keegan-Michael Key u.a. seit 07.12.2023 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Filmkritik:

Es ist lang her, ich war wohl erst 14 Jahre alt und an meinen späteren Lebenslauf in der Filmbranche war damals noch nicht zu denken, als 1964 Roald Dahls Kinderbuch "Charlie und die Schokoladenfabrik" erschien und zeitgleich noch die Leuchtreklame von der Pracht alter Kinopaläste am Kurfürstendamm erzählte bei denen u.a. ein übergroßes handgemaltes Filmplakat an der längst vom Apple Konzern beseitigten Filmbühne Wien hing, welches das Musical "Mary Poppins" mit Julie Andrews als singendes und tanzendes Kindermädchen ankündigte und 1965 fünf Oscars gewann.

Mit großen Kulleraugen nahm ich wahrscheinlich damals noch zwischen meinen Eltern im Kino Platz und erinnere mich vage, wie ich gestaunt haben muss, als Mary Poppins mit einem Regenschirm die Treppe heruntergeschwebt kam und wie von Zauberhand immerfort neue große Einrichtungsgegenstände aus ihrer kleinen Tasche zog.


Hier der in 4K restaurierte Trailer:



Ja, der Schwebezustand, der zur Musik beschwingt alles Tragische erleichtert und mit Zauberhand bunte Schoko-Pralinen aus dem Hut ziehen kann, den macht sich auch Regisseur Paul King in seiner neuen Musical-Fantasyfilm-Interpretation mit Timothée Chalamet zu Roald Dahls Kinderbuchklassiker zu eigen, um Willy Wonkas Erzählung vom bösen Schokoladenfabrikanten etwas anders und freundlicher darzustellen als in Tim Burtons eher düsterer Oompah-Loompah-Fassung mit dem exzentrischen Johnny Depp als Willy Wonka aus dem Jahre 2005, bei dem verzogene Gören skurrile Tode sterben mussten.


Hier der Trailer von Charlie und die Schokoladenfabrik:



Eines hat das neue WONKA-Werk sogar mit der Barbie-Verfilmung aus diesem Jahr gemeinsam. Beide sind schrill und quietschbunt, womit sie vielleicht eine neue Ära im Setdesign der Filmgestaltung einläuten.

Etwas sozialkritisch möchten dennoch alle WONKA-Verfilmungen sein, auch jene dritte Fassung aus dem Jahre 1971 von Mel Stuart mit Gene Wilder, weil das Leben eben kein Schokoladentraum ist. So wird auch Timothée Chalamet als Willy Wonka schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt, als er plötzlich mittellos mit Übernachtungsschulden konfrontiert wird. Doch durch seinen überraschenden Einfallsreichtum kann er sich aber immer wieder aus der Affäre ziehen.

Als selbsterklärter Zauberer und Erfinder hat er die Welt bereist und nicht nur sein Handwerk als Schokoladenmacher perfektioniert, sondern ist geschickt genug, um mit Hilfe des armen Mädchen Noodle (Calah Lane) sogar aus düsteren Kellerverliesen zu entrinnen. Wieder freudestrahlend kann er schließlich sogar wunderbar singen und tanzen und damit ein paar völlig neue Seiten seiner Schauspielkunst dem Publikum präsentieren.

Obwohl in "Wonka" auch gruselige Seiten zu Tage treten, überwiegen doch die amüsanten und magischen Momente im vielleicht schönsten und zauberhaftesten Film des Jahres, der damit zum perfekten Weihnachtsmusical für die ganze Familie wird.

W.F.


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"WIE WILDE TIERE" ein durch reale Ereignisse inspirierter Thriller von Rodrigo Sorogoyen (Spanien / Frankreich 2022; 137 Min.) Mit Denis Ménochet, Marina Foïs, Luis Zahera u.a. seit 07.12.2023 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

"As bestas - Die Bestien" heißt der Film im Original, der von einem französischen Bio-Bauern handelt, der fünf Jahre zuvor in die gering bevölkerte spanische Region Galicien gezogen ist, um sich dort im Bergdorf mit seiner Frau eine bessere Zukunft auf besonders fruchtbarem Boden in der Landwirtschaft aufbauen zu können.

Die spanischen Nachbarn sind gegenüber Fremden aber feindlich gesinnt. Das macht sich schon in der Dorfkneipe bemerkbar, in der zwei versoffene Brüder immer wieder mit Stänkereien anfangen. Zum Arbeiten sind die beiden Brüder wohl zu faul, sie wollen das Land, das von den Franzosen gepachtet wurde, lieber gewinnbringend an eine Firma verkaufen, die anstelle von Ackerbau Windkrafträder aufstellen möchte.

Um ihre Ziele zu erreichen, setzen sie alle möglichen faulen Tricks ein, um die beiden Fremdlinge zu verscheuchen. Als das nicht gelingt, schrecken sie wie Bestien auch vor härteren Maßnahmen nicht zurück. Ein brutal getötetes und vor die Tür geworfenes Lamm sowie die verstörende Eingangsszene beim Ringkampf mit einem Wildpferd, ein Symbol der Stärke, lassen das traurige Ende des Films bereits frühzeitig erahnen.

Ein wichtiger Film zum europäischen Kinojahr, der verdeutlicht, wie wenig friedlich es an europäischen Grenzen zugehen kann.

W.F.


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Elisabeths ausführliche Langkritik:

"As bestas" ("Wie wilde Tiere") protokolliert einen eskalierenden Nachbarschaftsstreit. Doch die Ereignisse sind komplizierter. Die Handlung, die sich wie eine Chronik eines angekündigten Mordes entwickelt, basiert auf wahren Ereignissen. Zumindest wurden sie davon inspiriert. Der spanische Regisseur Rodrigo Sorogoyen, sein vollständiger Name lautet Rodrigo Sorogoyen del Amo, sein Großvater war der Regisseur Antonio del Amo, griff die Geschichte eines flämischen Paares auf, das sich Anfang der 2010er Jahre in Galicien niedergelassen hatte.

Sorogoyen, bekannt für seinen Film "El reino" und "Madre", eröffnet die Handlung in einer Kneipe und stellt dem Publikum zuerst Xar (Luis Zahera) vor, der die Männermannschaft fest im Griff hat, die Unterhaltung dominiert und erst einmal eine erhitzte Rede schwingt, was er für gerecht und was für ungerecht hält. Das Publikum, das noch keine der Figuren kennt, hört ihm tatsächlich zu. Antoine (Denis Ménochet), gegen den sich die Rede richtet, kommt erst ins Bild, als wir eine der Positionen in diesem Gesellschaftsthriller kennen. Antoine, der Franzose, ist der Fremde, der sich mit seiner Frau Olga (Marina Foïs) in dem Gott verlassenen Ort niedergelassen hat.

In dem Drehbuch von Isabel Peña und Sorogoyen prallen Lebenswelten aufeinander. Die verarmte bäuerliche Gemeinschaft nimmt das fremde Ehepaar, das sich einen Neuanfang leisten kann, welches ihnen nicht nur finanziell, sondern auch intellektuell voraus ist, nicht an. Antoine hat gute Absichten. Er nimmt sich der verlassenen und verfallenen Häuser an, richtet sie her, in der Hoffnung, Weggezogenen zur Rückkehr zu bewegen, auch um dem Ort eine Zukunft zu geben. Als Großstädter auf dem Land führt das Ehepaar eine biologische saubere Öko-Landwirtschaft. Die Produkte verkaufen sie auf dem städtischen Markt. Xar und seinem Bruder Lorenzo (Diego Anido), der nach einem Unfall mental zurückgeblieben ist, sind die Beiden jedoch ein Dorn im Auge. Zuerst sticheln sie nur, dann mobben sie die Nachbarn, dann bricht sich nach und nach eine Aggression Bahn, die durch rein gar nichts abgefedert wird. Antoine, von bulliger Statur, der sein Gemüt nicht nach außen kehrt und sicherlich innerlich brodelt, meldet die Bedrohungen, zeigt begangene Straftaten an, und findet bei der örtlichen Polizei doch kein Gehör.

Dabei steht die Figur des Fremden auch für den Eindringling. Der sich Land nimmt, es als seinen Besitz ansieht, sich intellektuell überlegen fühlt. Jedes hergerichtete Haus steht für eine Etappe der Gentrifizierung. Das Publikum kann die toxische Männlichkeit, die sich hier in einem Western artigen Konflikt ausbreitet, unmöglich ertragen. Das Drehbuch wirkt dem mit dem leisen, verhaltenen Auftreten der Frauen in der Handlung entgegen. Die Stärke der Frauen, die hier viel subtiler vermittelt wird, wird die Ereignisse überdauern. Doch die Positionen beider Seiten sind erfassbar und nachvollziehbar. Die Ausweglosigkeit muss das Publikum ebenso ertragen. Die Kluft zwischen den Fronten geht dabei sogar noch tiefer. Während Antoine eine Frau an seiner Seite hat, leben Xar und sein Bruder bei ihrer alten Mutter, ohne auch nur die Chance zu haben, vor Ort oder in der Umgebung eine Frau zu finden. Sich aufstauender Hass kann von noch so viel guten Willen nicht abgefedert werden. Die offene Bedrohung der Brüder gegen ihre Nachbarn, die sich zunehmend kriminell äußert, steht gegen den blinden Fleck der Zugezogenen, die allein mit ihrer Anwesenheit eine Bedrohung sind. Antoine und Olga sind keine reichen Leute, aber Geld bedeutet ihnen nicht viel. Ein Affront für denjenigen, der gar nichts hat. Der sich aber Hoffnung macht, als eine ausländische Firma Grundstücke kaufen will, um darauf Windkraftanlagen zu bauen. Für die Einheimischen würde das den vielleicht kurzfristigen Geldsegen bedeuten, mit dem sie von der Scholle flüchten könnten, in die Städte. Der Wunsch nach Verwirklichung zieht den einen in die Stadt, während es den anderen aus der Stadt aufs Land zieht. Ausgerechnet Antoine stellt sich gegen diesen Landausverkauf. Seine weitsichtigen Gründe behindern die kurzfristigen Begehren der Nachbarn.

In einer Metapher nimmt Sorogoyen die Essenz seines Thrillers vorweg. Der Originaltitel "As bestas" wird im deutschen Titel vielleicht abgeschwächt, aber auch präzisiert. "Wie wilde Tiere" zeigt in der Eröffnungssequenz ein Wildpferd, das brutal niedergerungen wird, um ihm so seine Freiheit zu geben. Ein verstörendes Ritual, das visuell fasziniert (Kamera Alejandro de Pablo) und seelisch verstört. "Wie wilde Tiere" zeichnet einen unüberbrückbaren Konflikt nach, dem keine Partei ausweichen kann. Vielleicht ist das stoische, pragmatische Ausharren der Frauen eine Lösung.

Sorogoyen zeigte seinen Film zuerst in Cannes, inzwischen hat er die wichtigsten spanischen Filmpreise, die Goyas, gewonnen und auch zahlreiche Top-10-Listen des diesjährigen Jahres führen "Wie wilde Pferde" auf. Sorogoyen etabliert sich mit diesem Werk endgültig als einer der wichtigen Regisseure seines Heimatlandes.

Elisabeth Nagy


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