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Berlins Kino-Experiment SİNEMA TRANSTOPIA droht das »AUS«

Berlins Kultursenator Joe Chialo hat mit neuen Plänen für die Landesbibliothek ein positives Echo bewirkt, doch nun fehlt Geld für Berlins Projekträume.



Mehr als eine Million Euro fehlen im Haushaltsentwurf des Berliner Kultursenators Joe Chialo, um die freie Berliner Kulturszene weiterhin unterstützen zu können. Für einige Einrichtungen ist der Verlust der Förderung eine existenzielle Bedrohung. So auch für das Kino-Experiment SİNEMA TRANSTOPIA im Wedding, welches sich mit einem Offenen Brief an den Senat wendet und dafür zahlreiche Unterschriften gesammelt hat.

Im Kulturausschuss erwähnt Senator Joe Chialo den Fall mit keinem Wort, sondern erläutert stattdessen seinen Plan, die Zentral- und Landesbibliothek ins bald leerstehende Quartier 207 an der Friedrichstraße umzusiedeln, was mindestens 589 Millionen Euro kosten würde, dafür aber den bereits geplanten und inzwischen mit 620 Millionen Euro noch teurer gewordenen Ergänzungsbau der Amerika Gedenkbibliothek am Blücherplatz obsolet machen würde. Das Echo für den Umzug ist auch im Kulturausschuss am gestrigen Montag weitgehend positiv aufgenommen worden, denn das im Quartier 207 ansässige Kaufhaus Galeries Lafayette will tatsächlich alle Dependancen in Deutschland schließen, sodass das imposante Gebäude bald leer stehen dürfte, womit die Friedrichstraße einen wichtigen Ankermieter verliert.

2020 hat der seit 2014 bestehende Projektraum bi’bak das Kino-Experiment SİNEMA TRANSTOPIA im damals weitgehend leerstehenden Haus der Statistik am Alexanderplatz mit Fördergeldern des ehemaligen Linken Kultursenators Klaus Lederer initiiert.

Mit diesem Projekt sollte das Kino neu gedacht und Zukunftsszenarien der Filmkultur und Filmkunst erprobt werden. Darunter auch die auf der Berlinale im Forum gezeigte Reihe “Fiktionsbescheinigung”, die postmigrantische Perspektiven im Kino in den Blick nimmt. Wegen fortschreitender Umbaumaßnahmen des Hauses der Statistik zu einem gemein­wohl­orientierten Haus in öffentlicher Hand, fand SİNEMA TRANSTOPIA inzwischen einen neuen Unterschlupf im Wedding, doch die seinerzeit auf vier Jahre angelegten Fördergelder von über 800.000 Euro blieben jetzt ohne Begründung aus, sodass das Projekt vor dem Ruin steht.

In Berlin gibt es gegenwärtig 150 Projekträume. Einige davon existieren schon seit 20 Jahren und werden zur Sparte Bildende Kunst gezählt, sind aber im Gegensatz zu Galerien keine reinen Präsentations-, sondern auch Produktionsorte, in denen vor allem junge Künstler*innen sich ausprobieren können.

Das SİNEMA TRANSTOPIA, mit ihren Gründer*innen Malve Lippmann und Can Sungu ist ein gutes Beispiel dafür. Ihr Fokus lag von Beginn an darauf, Erinnerungskultur zu diversifizieren, zum Beispiel mit einer Publikation zur deutsch-türkischen Film- und Videokunst im Berlin der 1960er und 1970er Jahre. Wichtige Archivarbeit also, die viel Zuspruch gefunden hat, schrieb der Tagesspiegel.

Offener Brief von SİNEMA TRANSTOPIA:

Im Januar 2023 hat SİNEMA TRANSTOPIA neue Räumlichkeiten im Berliner Wedding unweit vom Silent Green Kulturquartier in der Lindower Str. 20/22 bezogen, die mit der finanziellen Unterstützung der öffentlichen Hand umgebaut und ausgestattet wurden.

So konnte die Vision des Kinos als Ort des solidarischen Austauschs und der kulturellen Begegnung professionalisiert und verstetigt werden. Inzwischen hat sich SİNEMA TRANSTOPIA in der Nachbarschaft fest etabliert und weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt. Durch Programmarbeit mit internationalen Kurator*innen und einer gelungenen Anbindung im Kiez, etwa durch die Kooperation mit Schulen, hat das SİNEMA lokale und transnationale Communities zusammengebracht.

Außerdem ist es zu einem wichtigen Präsentationsort für die Berliner Szene geworden: ein Identifikationsraum und Zuhause für transnationale Communities der Stadt, ein Safe Space für künstlerische und politische Experimente, schließlich auch ein Labor für Filmvermittlung und Archivpraxis mit internationaler Vernetzung. Seit der Wiedereröffnung haben zahlreiche Filmreihen, Veranstaltungen, Seminare, Symposien, Festivals, Parties und Workshops mit um die 10.000 Besucher*innen stattgefunden haben. Dabei wurden nachhaltige Kooperationen mit Berliner und internationalen Partner*innen etabliert. Weitere Kooperationen sind für die nächsten Jahre bereits geplant.

Nun aber ist die Zukunft des SİNEMA TRANSTOPIA ungewiss. Die Aussicht auf die Ausschreibung einer vierjährigen Konzeptförderung durch den Berliner Senat ermutigte uns, die neuen Räume im Wedding anzumieten. Erst durch diese Verstetigung ist es möglich, das Programm stetig auszuweiten, die Infrastruktur zu professionalisieren und zahlreichen Akteuren und Projekten der freien Szene die Spielstätte zur Verfügung zu stellen. Der Bedarf für Mietkosten, Struktur sowie Personal in den kommenden Jahren lässt sich keinesfalls ausschließlich über Projektmittel decken.

Nun wurde diese Ausschreibung ersatzlos gestrichen. Die eingeplanten Mittel sind damit verloren und unsere Existenz maßgeblich gefährdet.

DAS KANN NICHT SEIN!

Die neue Berliner Regierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag unter anderem dazu verpflichtet, auf die “Schaffung, Sicherung, Sanierung und Modernisierung von Räumen zur künstlerischen Produktion und Präsentation” hinzuwirken. Mit der Streichung der in Aussicht gestellten Mittel erreicht sie gerade das Gegenteil und sendet ein fatales Zeichen: Ein Präsentationsraum, der mit Geldern der öffentlichen Hand gerade aufgebaut, modernisiert und gesichert wurde, muss schließen!

Mit SİNEMA TRANSTOPIA würde der freien Berliner Kulturszene und Kinolandschaft ein zentraler Ort verloren gehen: ein Ort mit internationaler Strahlkraft, der urbane und transnationale Selbstverständlichkeit lebt, der Zugänge schafft, zur Diskussion anregt, weiterbildet, bewegt, provoziert und ermutigt; ein Ort, an dem ernsthaft Diversität gelebt wird, vom Team über das Programm bis zum Publikum; schließlich ein Ort, der sich zugleich einer lokalen und einer internationalen Gemeinschaft verpflichtet sieht und sich für die Vielfalt der Filmkultur und Filmkunst einsetzt.

Wir wollen die Regierung beim Wort nehmen!

Wir wollen, dass die ohnehin viel zu wenigen Präsentationsräume der freien Szene erhalten bleiben!

Wir wollen ins SİNEMA!


Link: sinematranstopia.com

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