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Kommentar zur Lola-Verleihung des Deutschen Filmpreises 2023

Großer Favorit des Deutschen Filmpreises 2023 ist Edward Bergers Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“ mit 12 Nominierungen, während die Programmkinos die Deutsche Filmakademie jedoch orientierungslos sehen.



Die jährliche Gala zur Verleihung des Deutschen Filmpreises durch die Deutsche Filmakademie findet am heutigen Freitagabend, den 12. Mai 2023, diesmal nicht wie früher im Palais am Funkturm, sondern im Theater am Potsdamer Platz statt.

Die Veranstaltung wird ab 19:00 Uhr live in der ZDF-Mediathek sowie ab 23:30 Uhr in einer Zusammenfassung im ZDF übertragen. Bereits ab 16:00 Uhr gibt es im Internet einen 360-Grad Live-Mitschnitt vom roten Teppich auf Regio1.Live versus YouTube.


Für die Goldene Lola des Besten Films gehen sechs Produktionen ins Rennen. Dazu gehören neben „Im Westen nichts Neues“ Fatih Akins im letzten Jahr an der Kinokasse erfolgreiche Rapper-Biografie „Rheingold“ und Ali Abbasis Thriller „Holy Spider“, der von einem Serienmord an Prostituierten im Iran erzählt.

Drei weitere Filme feierten auf der 73. Berlinale 2023 ihre Premiere: Ilker Çataks Drama „Das Lehrerzimmer“ mit der in der Hauptrolle nominierten Leonie Benesch, die Tragikomödie „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ von Sonja Heiss nach dem Roman von Joachim Meyerhoff und David Wnendts Neukölln-Drama „Sonne und Beton“ nach dem Roman von Felix Lobrecht.

Christian Petzolds Film „Roter Himmel“, der als Großer Preis der Jury mit einem Silbernen Bären bei der 73. Berlinale im Februar 2023 ausgezeichnet worden war, hat es dagegen nicht einmal auf die Filmpreis-Longlist geschafft, was ziemlich unverständlich ist. Angeblich war er für die Nominierungen, die erst am 24. März 2023 verkündet worden waren, nicht rechtzeitig fertig geworden. Das betrifft womöglich dann auch die vielen anderen deutschen Beiträge der Berlinale im Wettbewerb und in den Nebensektionen. Böse Zungen behaupten allerdings, dass Petzold ein gespaltenes Verhältnis zur Deutschen Filmakademie hat und deshalb dort gemieden wird.

Der Filmpreis ist mit drei Millionen Euro dotiert. Unter den Nominierten sind immerhin 14 vom Medienboard Berlin-Brandenburg geförderte Filme vertreten.

Fest steht bereits, dass der Regisseur, Autor und Produzent Volker Schlöndorff einen Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den Deutschen Film erhalten wird.

Links: www.deutscher-filmpreis.de | www.deutsche-filmakademie.de

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KOMMENTAR von Katharina Dockhorn:

Lädierte Lola:
Noch nie sorgten die Nominierungen für derartigen Zünd- und Gesprächsstoff.

Schon jetzt steht fest, dass einer der höchstdekorierten Filme des Jahres bei der Verleihung der Lola am Freitagabend im Berlinale-Palast fehlen wird: Christian Petzolds „Roter Himmel“. Und seit dem Oscar-Gewinn von Florian Henckel von Donnersmarck für „Das Leben der Anderen“ gab es nie wieder einen solch klaren Favoriten wie „Im Westen nichts Neues“ mit zwölf Nominierungen. Es scheint nur die Frage zu sein, ob er alle Lolas abräumt und wer die Silberne und Bronzene Lola für den Besten film gewinnt.

Dänischer Thriller mit deutschem Geld statt deutscher Inhalte.

Doch in der Branche rumort es, selten gab es so viel Kritik am Auswahlverfahren. Inmitten des der öffentlichen Diskussion des Schlamassels geht noch völlig unter, was beim geneigten Publikum für das größte Fragezeichen sorgt. Warum ist „Holy Spider“ nominiert, ein im Iran spielender Thriller des in Dänemark lebenden iranischen Regisseurs Ali Abbasi. Seit der überraschenden Nominierung von „Paradise Now“ im ersten Jahr der Filmpreisvergabe durch die Filmvergabe schaffte es endlich wieder eine Koproduktion unter die besten Sechs Deutschlands. Doch wie verklickert die Branche nach außen, dass ein ausreichend gefüllter deutscher Geldbeutel dafür reicht. Und hier gedrehte und mit der Kultur und Geschichte dieses Landes verbundene Filme wie „Der Vorleser“, „Inglorious Basterds“ oder „Stauffenberg“ in den vergangenen Jahren der Stuhl vor die Nase gestellt wurde.

International werden unter den Nominierten all jene Filme vermisst, die neben „Im Westen nichts Neues“ in den Wettbewerben oder renommierten Nebenreihen der großen A-Festivals die deutschen Fahnen vertraten. „The Ordinairies“, „Aus meiner Haut“ oder „Corsage“. Besonders auffällig ist dies bei der Berlinale. Carlo Chatrian bereitete für fünf deutsche Film den Roten Teppich aus. Den Mitgliedern der Deutschen Filmakademie scheint deren künstlerische Qualität verborgen geblieben zu sein. Wobei durch das komplizierte Regelwerk der Filmakademie zur Einreichung nicht ganz klar ist, wer neben Christian Petzold vorstellig wurde.

Historisches als sichere Bank.

Dieses Durcheinander und die mangelnde Transparenz tragen zum Eindruck bei, die Mitglieder der Filmakademie entschieden sich für brave, gediegene Filme der Nebenreihen der Berlinale mit gesellschaftlichen Bestandsaufnahmen, die keinem weh tun: „Sonne und Beton" nach einem Roman von Felix Lobrecht spielt im Berlin der Nuller Jahre. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war" nach einem Buch von Joachim Meyerhoff führt gar in die Bundesrepublik des vergangenen Jahrhunderts.

Zumindest aktuell ist „Das Klassenzimmer“ von lker Çatak. Einzige Ausnahme in dem Einerlei ist die raue Gangster-Ballade „Rheingold“ von Fatih Akin, der inhaltlich und ästhetisch ein großes Wagnis einging. Für mich der Favorit auf Silber.

Viel Durchschnittliches also bei der Leistungsschau des deutschen Films. Die Auswahl spiegelt wohl den biederen Durchschnittsgeschmack einer Branche wider, die sich schon seit langem vom Markt abgekoppelt hat und von Steuergeldern nährt. International wird sie vor allem belächelt und für zu leicht befunden. So rettet einmal mehr Altmeister Wim Wenders die deutschen Ehren in Cannes.

Nichtnominierung für Petzold ein gutes Omen.

Christian Petzold nimmt es leicht. Er war nach der umjubelten Premiere von „Roter Himmel“ relaxt. Die Nichtnominierung des Films für die Vorauswahl des Deutschen Filmpreises, die im Vorfeld der Berlinale für Schlagzeilen gesorgt hatte, sah er sogar als gutes Omen. „Ich will mir durch die Entscheidung die Stimmung nicht vermiesen lassen, obwohl ich das Gefühl habe, kein Zuhause zu haben. Nur in den ersten zehn Minuten nach dem Bekanntwerden habe ich getobt“, gab er im Februar Einblick in seine Gemütslage. Er hoffte auf déjà vu. Trotz des Gewinnes des Silbernem Bären gingen Nina Hoss und Paula Beer bei der Verleihung der Lolas in den letzten Jahren jeweils leer aus.

Petzold behielt recht. Er wurde bei der 73. Berlinale mit dem Großen Preis der Jury für „Roter Himmel“ geehrt. Wer jetzt in den Kreisen der Deutschen Filmakademie dachte, den peinlichen Fehler der ersten der drei Krönungsrunden korrigieren zu können, wurde enttäuscht. Petzold, der die Vergabe der Deutschen Filmpreise durch die Filmakademie immer kritisch sah und nie ihr Mitglied wurde, fand sich in seiner Einschätzung bestätigt.

Sein langjähriger Produzent Florian Koerner von Gustdorf und er verzichteten auf eine sogenannte Wild Card, das heißt eine nochmalige Bewerbung des Films nach der Bekanntgabe der Vornominierungen. „Wir wollen nicht jammern. Wir haben sogar überlegt, ob wir im Vorfeld der Berlinale Journalistenanfragen beantworten“, so Petzold. „Ich bin nicht eitel und es gibt kein Recht auf eine Nominierung. Wir haben uns geäußert, weil ich eine Jury nur aus Filmleuten und Politikern für einen Fehler halte. Staubsaugervertreter küren auch nicht selbst den Staubsauger des Jahres.“

Berger fordert Abschaffung der Vorauswahl-Jury und kritisiert ARD und ZDF.

Eine Wildcard wurde von Thomas Kufus für „Der vermessene Mensch“ gezogen, den die Vorauswahl-Jury nach einwöchiger Diskussion aussortiert hatte. Für ihre Abschaffung plädiert nun auch Edward Berger, Regisseur von „Im Westen nichts Neues“, gegenüber dem NDR. Denn es hat sich längst rumgesprochen, dass es so nicht weiter geht.

Doch gerade um die Nominierung den Oscar-Gewinner dieses Jahres gibt es viele Diskussionen. Bei Gesprächen mit vielen Filmschaffenden schimmert durch, dass sie nicht gerade glücklich sind, dass es diesen Überflieger aus der Netflix-Produktion gibt und sie durch den Preisregen für den Film unter Zugzwang stehen.

Berger stellte dazu in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ klar, dass er die Verfilmung zuvor ARD und ZDF angeboten hatte, die abwinkten. „Bei den Öffentlich-Rechtlichen besteht die Kinoförderung darin, Talente heranzuziehen, damit sie später für sie das Programm beliefern. Das ist das einzige Ziel“. Es gebe kein Interesse, innovative und radikale Filme zu unterstützen. Die Autorin nannte die gesamte Nachwuchsförderung hier bereits vor einigen Jahren als Masterclass für das Fernsehen.

Arthouse-Kinos fordern Ausschluss von Netflix und Co.

Noch deutlicher mit der Kritik an der Nominierung von „Im Westen nicht Neues“ wird die AG Kino - Gilde (siehe auch weiter unten). Sie will bei der Lola-Verleihung nur Filme sehen, die wochenlang im deutschen Arthouse-Kino laufen und die Sperrfristen laut Filmförderungsgesetz (FFG) einhalten. Netflix bringt sie meist für zwei Wochen vor der Premiere auf der Plattform ins Kino, bei Berger waren es vier Wochen. Doch Kinos wie das Filmkunst 66 in Berlin spielten die Literaturadaption erfolgreich weiter. Was beweist, dass hier wieder mal eine Henne-Ei-Diskussion geführt wird. Viele Kinos lehnen prinzipiell ab, Filme von Streaming-Anbietern zu spielen. Und beschweren sich dann, wenn sie nicht am Kassenerfolg teilhaben.

Unter dem Strich zeigt der Wirbel um den Filmpreis nur eins. Die Branche ist zutiefst verunsichert. In einer Filmwelt, die sich wandelt, weiß sie nicht, wie sie ihre Pfründe retten und sich neu aufstellen soll.

Katharina Dockhorn


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QUO VADIS Deutscher Filmpreis?
Programmkinos sehen die Deutsche Filmakademie orientierungslos.

Aus Sicht des Vorstands der AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater zeigt die diesjährige Vorauswahl -und Nominierungspraxis, dass es in der Deutschen Filmakademie eine zunehmende Richtungslosigkeit gibt, was den deutschen Kinofilm betrifft.

Während die Filmfestivals in Berlin und Cannes immer wieder Haltung zeigen und sich klar zum Kinofilm und den unabhängigen Filmschaffenden bekennen, fehlt der Deutschen Filmakademie bei der Vergabe des höchstdotierten deutschen Kulturpreises ein klarer Kompass. Und dies, obwohl die Förderung des deutschen Kinofilms als ein Ziel in ihrem Leitbild formuliert ist. Mit der Nominierung des Streaming-Films IM WESTEN NICHTS NEUES, bei dessen Herausbringung das gesetzlich geregelte Kinofenster nicht eingehalten wurde, und der Nicht-Berücksichtigung von Christian Petzolds "ROTER HIMMEL", der bei der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet und nun erfolgreich in den Arthousekinos gestartet ist, wird dies in diesem Jahr sowohl hinsichtlich des Reglements als auch in der inhaltlichen Ausrichtung deutlich:

Der Deutsche Filmpreis soll an filmkünstlerische Produktionen vergeben werden, die bestimmt sind für die öffentliche Vorführung in Kinos in Deutschland und die hier ihre reguläre Erstauswertung haben. Die Filmakademie hat mit "IM WESTEN NICHTS NEUES" einen Film nominiert, dessen vierwöchiger Kinoeinsatz nur eine Alibifunktion hatte und damit die Mechanismen aushebelte, die die Vielfalt des deutschen Kinofilms sowie den Kulturort Kino schützen sollen.


Auch die Ablehnung von Christian Petzolds Film bereits in der Vorauswahl stößt bei den Programmkinos auf absolutes Unverständnis, zählen doch seine Filme seit vielen Jahren zur kulturellen Spitze des deutschen Films und sind erfolgreicher Bestandteil des Programms der Arthouse-Kinos. Hier wird wieder einmal deutlich, dass der Filmakademie beim Auswahl- und Nominierungsprozess das erforderliche Feingefühl für künstlerische Qualität fehlt.

Angesichts des ohnehin schon schwierigen Wettbewerbsumfelds für den deutschen Kinofilm ist dies nach Überzeugung des Programmkinoverbands besonders dramatisch. Einmal mehr ist die diesjährige Verleihung der Deutschen Filmpreise eine vertane Chance. Das hat Christian Petzold, das hat der deutsche Kinofilm, das haben die Kinos nicht verdient. Der Reformbedarf ist überfällig!

Wer öffentliche Gelder vergibt, muss sich an Regeln halten.

Es reicht nicht aus, allein das Vorauswahlverfahren zu hinterfragen. Es bedarf der verbindlichen Einhaltung der gesetzlich verankerten Sperrfristen als Voraussetzung für die Filmeinreichung.

Zudem zeigt sich einmal mehr, wie überfällig es ist, auch das Nominierungs- und Vergabesystem zu reformieren. Gerade weil es um Steuermittel geht, muss es neben einem diskriminierungsfreien und fairen Vergabeprozess auch um die fachliche Expertise gehen. Darum sollten auch die Kompetenz von Verleih, Kino und Filmkritik berücksichtigt werden, da diese Gewerke Kraft ihrer Profession eine Vielzahl und Vielfalt an für das Kino gemachten Werken sehen und der deren kreativ-künstlerische Qualität und Wirkung einschätzen können.

Als Teil der kulturellen Filmförderung des Bundes müssen die hochdotierten Filmpreise die gesamte Branche und damit auch die Kinoauswertung mitdenken. Denn nur wenn wir die Unabhängigkeit des Filmschaffens bewahren und das Kino schützen, hat das deutsche Kino eine Zukunft!

Dass wir in Deutschland mehr innovative und qualitativ hochwertige Kinofilme brauchen, wird auch bei den aktuellen Gesprächen in der Branche zur Novelle des Filmförderungsgesetzes klar. Die Filmakademie darf sich davon nicht ausnehmen und muss ihren Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen. Ihre eigenen Regularien zu übergehen kann dabei keine Lösung sein.

Über die AG Kino:
Die AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V. vertritt die gemeinsamen politischen und wirtschaftlichen Interessen der deutschen Filmkunsttheater nach außen und unterstützt die Kinos bei ihrer täglichen Arbeit. Derzeit sind über 380 Kinobetreibende mit ca. 800 Leinwänden Mitglied in der AG Kino – Gilde e.V..


Link: www.agkino.de
Quelle: SteinbrennerMüller Kommunikation

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