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Nach der Ehrung von Nan Goldin kommt ein Film über die Fotografin bald ins Kino

Die Doku "ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED" von Laura Poitras beleuchtet das Leben der Künstlerin Nan Goldin.



Nan Goldin mit Kollwitz-Preis geehrt!

Die US-amerikanische Fotografin und Filmemacherin Nan Goldin wurde letzte Woche, den 3. März 2023, mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2022 der Akademie der Künste ausgezeichnet. Die 69-Jährige nahm den mit 12.000 Euro dotierten Preis persönlich in Berlin entgegen.

Goldin wurde für ihre zentrale Position in der zeitgenössischen Fotografie gewürdigt. Ihr zu Ehren findet bis zum 19. März 2023 eine umfassende Ausstellung mit Fotografien aus fünf Jahrzehnten im Tiergarten-Gebäude am Hanseatenweg statt.

Die US-amerikanische Künstlerin nimmt weltweit eine zentrale Position in der zeitgenössischen Fotografie ein. Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel verwies auf die Gemeinsamkeiten von Kollwitz und Goldin. Beide setzten ihre Kunst ein, um das Leben sozialer zu gestalten. Goldin gebe seit den 60er-Jahren Randgruppen eine Stimme.

Die Ausstellung zeigte Fotografien aus frühen Bostoner Jahren, New York, Berlin und Asien sowie aktuelle großformatige Werke wie Landschaften und Grids. Zwei Tage nach der Verleihung wurde zudem der Dokumentarfilm "All the Beauty and the Bloodshed" von Laura Poitras in einer Preview im Studio der Akademie vor ausverkauftem Haus aufgeführt.

"ALL THE BEAUTY AND THE BLOODSHED" Dokumentation mit Video und Fotoaufnahmen von Laura Poitras über einen der größten Pharma-Skandale, der erst 2020 nach 70 Jahren mit einer Milliardenstrafe gegen die Oxycodon-Produktion der Familie Sackler endete. Der Film kommt leider erst ab 25. Mai 2023, also nach Ende der Ausstellung, bundesweit ins Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Die Regisseurin Laura Poitras beleuchtet in ihrem Dokumentarfilm, der den Goldenen Löwen der 79. Internationalen Filmfestspiele von Venedig 2022 gewann, das Leben der Foto-Künstlerin Nan Goldin und den Untergang der Pharmadynastie Sackler, die maßgeblich für die unfassbaren Todesfälle der Opioid-Epidemie verantwortlich war.

Die Fotografin Nan Goldin setzte sich mit weltweiten Aktionen persönlich für ein Verbot des Schmerzmittels Oxycontin des Pharmaunternehmens Sackler ein, nachdem bei ihr 2014 eine Medikamentenabhängigkeit von dem Schmerzmittel auftrat, das ihr nach einer Operation verschrieben worden war. Hohe Dosen davon, die sie sich illegal verschaffte, brachten sie nahezu in Lebensgefahr.

Die Mitglieder der Sackler-Familie waren als Mäzene mit hohen Spenden an mehrere Museen, wie dem New Yorker Guggenheim, dem Metropolitan Museum of Art (MET), der National Gallery in London und dem Louvre in Paris bekannt geworden. Die Gefahren des von ihnen vertriebenen Medikaments hatten die Sacklers aber bewusst verharmlost und zunächst sogar abgestritten.

Mit schrillen und manchmal auch gewaltsamen Aktionen, die in gewisser Weise an die heutigen Fridays for Future Demos erinnern, machte Nan Goldin schon damals auf die Missstände um die Sackler-Sponsoren immer wieder aufmerksam. Ihre Bilder zwischen Ekstase und Verzweiflung, gefolgt von Liebe und Tod zeugen davon. Aufgenommene Schnappschüsse in der New Yorker Subkultur, aus der Drogen- und Schwulenszene im Kampf gegen Aids, heulend vor Elend und Aussichtslosigkeit, unterstreichen ihr Anliegen sich für soziale Belange der Randgruppen einzusetzen.

Der Film zeigt die Bilder alle noch einmal, wie die tödliche Krankheit Ende der achtziger Jahre in New Yorks Künstlerszene einschlug. Sie hat alle Stufen vom Genuss zur Agonie fotografiert. So rebellierte sie gegen den Tod und das Vergessen. Sie dachte wohl damals, sie könnte keinen ihrer erkrankten Freunde und Freundinnen verlieren, wenn sie diese nur häufig genug fotografieren würde.

Auch ihre engste Freundin Cookie Mueller verstarb. Und dennoch lebt sie weiter in diesen Abbildungen und in diesem Film. Nan Goldin zeigt besser als jede*r andere Fotokünstler*in unserer Zeit, dass Schönheit und Hässlichkeit Geschwister sind.

W.F.


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TikTok Popcorn Randale
nun auch in einem Berliner Kinopalast


Skandale und Randale waren letzte Woche die Schlagzeilen in einigen größeren Kinos der Bundesrepublik. In den Multiplex-Kinos war am 2. März 2023 die Box-Saga "CREED 3: ROCKY'S LEGACY" von Michael B. Jordan gestartet, die als Fortsetzung der bekannten Rocky-Reihe mit Sylvester Stallone gilt. Hier der Trailer:



Unser Interesse an den sogenannten Blockbuster Filmen mit zahlreichen Kämpfen im Ring und viel Action geht gegen null, während die großen Major-Filmfirmen sich immer noch reges Interesse beim Publikum und hohe Einnahmen versprechen.

Offensichtlich haben sie dabei aber die aktuellen Trends von Jugendlichen verschlafen, die körperlichen Einsatz lieber selbst provozieren, als still im Kinosessel den altbackenen Geschichten auf der Leinwand zu folgen.

Nach den Silvesterunruhen durch Jugendliche in Berlin erreichte der TikTok Trend, bei dem Jugendliche ihre gewalttätigen Aktionen mit Handys aufnehmen und ins Netz stellen, nun auch einen Cineplex-Kinopalast im Berliner Bezirk Neukölln.

Es geht den Jugendlichen darum, sich übers Internet zu verabreden, gemeinsam jede Menge Tickets für eine bestimmte Vorstellung zu kaufen bzw. Jugendfreitickets dafür eizusetzen, um diese Vorstellung dann zu sabotieren. Anstelle den Film sich anzuschauen, klettert man über die Sitzreihen, beleidigt andere Gäste, bewirft sich mit Popcorn und Nachos während der Vorstellung oder beschmutzt die Leinwand. Die Stimmung war aufgeheizt und die Vorstellung musste abgebrochen werden, während die Teenager sich einen Spaß daraus machen, den Inhalt des Films vor der Leinwand in Reality-Manier nachzuspielen oder sogenannte Moshpits zu starten, ein Mix aus Tanzkreis und Slamdance, bei dem man sich selber filmt.

In Bremen wurden laut Polizei zwischen streitenden Gruppen von Jugendlichen sogar Messer gezogen und Pfefferspray eingesetzt. Ähnliche Szenen spielten sich am Wochenende in anderen deutschen Städten wie in Essen und in Hamburg ab.

Natürlich erinnern wir uns an Zeiten, als wir in den 1970er Jahren bei der Aufführung der "Rocky Horror Picture Show" früher selbst grölten und Konfetti warfen. Zu einem Abbruch des Films und Zerstörung des Mobiliars kam es dabei jedoch nie.

Von anderen Besuchern war nun zu hören, dass sie die Lust, ins Kino zu gehen, verloren haben. Seit der Pandemie sind die Filme meist schnell auf den Streaming Portalen zu sehen, was zu Hause sogar preiswerter und geruhsamer abläuft, als derzeit in den Kinos, obwohl einige Theaterbetreiber in letzter Zeit viel Geld in die komfortable Neubestuhlung der Kinos investiert haben.

Es sollte gemütlicher und bequemer werden. Dafür wurden neue verstellbare Ledersessel angeschafft und ganze Sitzreihen entfernt, um den Zuschauern mehr Beinfreiheit zu geben. Genutzt hat es wenig. Von jungen, randalierenden Zuschauern wird dies nicht honoriert. Man ärgert sich vielmehr über die gestiegenen Eintrittspreise, ohne dass das Filmangebot dafür merklich in Qualität und Umfang stieg, denn Innovationen findet man eher bei den Streamingdiensten.

Das geringere Sitzplatzangebot führte auch bei der 73. Berlinale nur dazu, dass die Auslastung stieg, und die Möglichkeit Karten noch im letzten Moment zu ergattern, jedoch deutlich sank. In unserem Umkreis stieg demzufolge die Verärgerung unter den Akkreditierten, die in diesem Jahr für ihr Geld viel weniger Filme zu sehen bekamen, als in Zeiten vor der Pandemie.



Die Gilde Kinos mit ihrem kleineren Arthouse-Filmangebot sind vorsichtiger bei den Investitionen. Auf Bequemlichkeit wird für den rund zweistündigen Kinoaufenthalt weniger geachtet. Dafür stehen beliebte Filmreihen und außergewöhnliche Neuvorstellungen für reifere und meist ältere Kinozuschauer auf der Tagesordnung.

Dazu gehört auch der nachfolgend vorgestellte Film "Saint Omer", der im letzten Dezember bei einer Preview auf dem Festival »Around the World in 14 Films« hohe Begeisterung im Kino der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg vornehmlich unter jungen Filmstudenten*innen auslöste.

"SAINT OMER" Gerichtsdrama von Alice Diop, über eine Senegalesin, die ihr Baby in der nordfranzösischen Stadt ertränkt haben soll. Frankreichs offizieller Beitrag für den OSCAR 2023 mit Kayije Kagame, Guslagie Malanda, Valérie Dréville u.a. startet am 9. März 2023 bundesweit in den Kinos. Hier der Trailer zum 123 Min. langen Film des zeitgenössischen französischen Kinos:



Ulrikes Filmkritik:

Die Professorin und Schriftstellerin Rama (Kayije Kagame) reist nach Saint-Omer, einer französischen Kleinstadt am Meer, um dem Prozess gegen die junge Studentin Laurence Coly (Guslagie Malanda) beizuwohnen. Die Angeklagte soll ihre 15 Monate alte Tochter ermordet haben, indem sie nachts am Strand gewartet hat, bis die Flut am höchsten war und ihr Kind dann am Strand zurückließ.

Laurence streitet ihre Tat nicht ab, weiß aber selbst nicht wirklich, warum sie es getan hat. Als man sie danach fragte, antwortete sie, dass sie ja deshalb hier sei und auf Antworten seitens der Richterin und ihrer Anwältin hoffe.

Rama verfolgt den Geschworenen-Prozess, weil sie die traurige Geschichte dazu nutzen will, einen modernen Roman der Medea–Sage zu schreiben. Ihr journalistisches Projekt soll unter dem Titel „Schiffbrüchige Medea“ veröffentlicht werden.

Laurence wurde im Senegal geboren und ist als Studentin nach Paris gegangen. Stoisch und mit eiserner Miene steht sie im Gerichtssaal und wartet auf die Fragen der Vorsitzenden Richterin.

Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Nach und nach erfährt man, wie ihr Leben verlaufen ist. Ihre Aussagen decken sich in keiner Weise mit denen des Zeugen Monsieur Dumontet, bei dem sie einzog, als ihr Vater ihre Miete nicht mehr bezahlt hat, weil sie ihr Jurastudium aufgegeben hat. Dumontet ist auch der Vater ihrer Tochter und ihre erste Liebe. In ihrer Heimatstadt mochte man sie nicht mehr. Sie wurde als „toubab“ bezeichnet, weil ihr Benehmen, dass einer Weißen glich.

Fasziniert und auch mit Tränen in den Augen verfolgt Rama den Prozess, indem sich die Angeklagte den Fragen des Staatsanwalts, der Richterin und ihrer Anwältin stellen muss. Je mehr Rama erfährt, desto mehr wird ihre eigene, schmerzhafte Familienvergangenheit wieder lebendig.

Zwischendrin fallen so Äußerungen, wie es denn möglich sei, dass Laurence so ein gutes Französisch spricht. Bei der wiederholten Frage nach dem Warum ihrer Tat, antwortet sie immer dasselbe: „Es war für mich leichter“. Es gibt einen Moment, wo sie sich mitten in der Befragung erschöpft hinsetzt und sofort aufgefordert wurde, sich wieder hinzustellen. Sie kann ihre Tat letztendlich nur mit „Hexerei“ erklären. Auch ihre Mutter spricht von einem Fluch.

Nach ihrem Umzug nach Frankreich, war sie von ihrer Familie isoliert, erlebte Rassismus und wurde immer unsichtbarer und wird zu einer Geisterfrau. Ein Traumata. Im Laufe der Verhandlung entdeckt Rama immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen sich und der Angeklagten. Die Spiegelung der sich ähnelnden Biografien macht den Justizthriller interessant.

Traurig berichtet Laurence, dass es ihr Traum war, eine große Philosophin zu sein und in der Welt Spuren zu hinterlassen, doch dann habe ich mich in einem Netz von Lügen verfangen. Ihre strenge Mutter, die dem Prozess beigewohnt hat, kauft am nächsten Tag stolz sämtliche Zeitungen, die über die Ungeheuerlichkeit berichten. Im Gegensatz zu dem Staatsanwalt, fällt das Plädoyer ihrer Anwältin sehr klug und einfühlsam aus, mit dem Fazit, dass Laurence auf keinen Fall im Gefängnis landen darf. Schon während ihrer U-Haft wurde sie gemobbt. Mütter, die ihre Kinder umbringen, haben es besonders schwer im Gefängnis.

Regisseurin Alice Diop greift in ihrem Film auf eine wahre Geschichte zurück. Fabienne Kabou, aus dem Senegal stand 2013 wegen Kindstötung vor Gericht. Diop verfolgte die Verhandlung weil sie herausfinden wollte, was hinter der Beschuldigung steckt. 2016 reist sie nach Saint-Omer und begann mit den Dreharbeiten. Die gesellschaftlich unfassbare Tat wird von ihr auf verschieden Ebenen beleuchtet. Geschildert wird eine traurige Biografie, die sich zwischen dem prekären Kapitel, Migration und Kindeswohl abzeichnet.

Ulrike Schirm


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