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Dritter Teil unserer Filmbesprechungen zur 73. Berlinale 2023

Noch bevor die 73. Berlinale am 26.03.2023 endete, ist ein Beitrag aus der Sektion Generation 14plus bereits im Kino gestartet.



"WANN WIRD ES ENDLICH WIEDER SO, WIE ES NIE WAR" Dramödie von Sonja Heiss nach einer wahren Geschichte über Kindheitserinnerungen eines Jungen, der in den 1970er Jahren in einer psychiatrischen Klinik als Sohn des Direktors aufwuchs. (Deutschland, 2023; 116 Min. / Berlinale Sektion Generation 14plus) Mit Devid Striesow, Laura Tonke, Arsseni Bultmann, Camille Loup Moltzen u.a. seit 23. Februar 2023 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Wenn Josse, der Jüngste der Brüder mal wieder als Wasserkopf tituliert wird, solange bis er einen Wutanfall kriegt, setzen ihn seine Eltern auf die Waschmaschine und schalten den Schleudergang ein, bis sich der sensible Junge beruhigt hat. Seine Eltern machen sich keine großen Sorgen um ihn.

Sein Vater (Devid Striesow) ist Direktor einer Klinik in Schleswig Holstein für Kinder-und Jugendpsychiatrie und ist besonderes Verhalten gewohnt. 1500 Patienten und Patientinnen wimmeln um den Jungen herum. Auch einige Erwachsene sind dabei. Josse kommt gut mit allen aus, anstrengender ist seine Familie, in der es ziemlich oft kriselt. Sein bester Freund ist der Glöckner, ein bärtiger Hüne, der ihn, wenn er unglücklich ist auf seine Schultern packt und mit ihm über das Gelände trabt und ihn zum Lachen bringt. (für mich eine der schönsten Szenen). Sein Vater Richard Meyerhoff verfolgt bei der Behandlung moderne Heilansätze, indem er seinen Patienten viel Freiraum gestattet und sie quasi in seiner Familie aufnimmt und alle duzt.

„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ basiert auf den Jugenderinnerungen des Theaterschauspielers Joachim Meyerhoff und wurde von der Regisseurin Sonja Heiss („Hedi Schneider steckt fest“) auf sehr einfühlsame Weise verfilmt.

In einem Zeitraum von 1974 – 1996 erzählt sie vom Erwachsenwerden des kleinen Josse unter nicht unbedingt alltäglichen Umständen. Josses erste große Liebe ist ein suizidgefährdetes Mädchen Marlene (Pola Geiger), welches vorübergehend in der Klinik aufgenommen wurde. Eine Art von Wahnsinn herrscht auch in der Familie. Zu seinem vierzigsten Geburtstag lädt sein Vater einige seiner Patienten zum Kaffee ein, obwohl seine Frau Iris (Laura Tonke) lieber mit normalen Gästen feiern würde.

So richtig wohl fühlt sich seine Mutter hinter den hohen Anstaltsmauern nicht. Sie würde lieber im sonnigen Italien leben, wo sie schon mal glücklicher war. Die Situation eskaliert, als Iris von ihrem Mann ein liebloses Weihnachtsgeschenk bekommt. Rasend vor Enttäuschung zerkleinert sie mit dem Elektromesser die Geschenke. Außerdem betrügt ihr Mann sie ziemlich offensichtlich mit einer anderen Frau.

Laura Tonke und Devid Striesow als entfremdete Eltern sind in Hochform. Josse ist zwischendrin in den USA zum Schüleraustausch. Nach seiner Rückkehr häufen sich die tragischen Ereignisse. Josse, der jetzt als Erwachsener doch lieber Joachim genannt werden will, fährt mit seinem Vater noch einmal ans Meer. Eine Zeit zwischen Lachen und Weinen. Es ist nicht immer leicht, eine Familie zu sein.

Ja, und irgendwann kommt ein neuer Direktor.

Eine Coming-of-Age-Geschichte, anrührend, komisch und traurig erzählt.

Ulrike Schirm

Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Ulrike Schirms eigenem Blog. Link: Ulrike tratscht Kino

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Einer der für uns beeindruckendsten Filme in der Berlinale Sektion Generation 14plus war die Dokumentation "We will not fade away" ('My ne zgasnemo') der ukrainischen Filmemacherin Alisa Kovalenko über Jugendliche im Donbass Kriegsgebiet des Jahres 2014, als bereits erste Scharmützel der Separatisten beängstigende Stimmung in der Ukraine aufkommen ließen. Zum Ende des Films ist das Dorf zerstört. Fast alle Bewohner, die überlebt hatten, wurden vertrieben oder von den Russen verschleppt. Zwei der mit der Kamera begleiteten Jugendlichen, blieben traurigerweise bis heute spurlos verschollen. Bei den Auszeichnungen wurde der Film leider übergangen. Er hätte mehr Beachtung verdient.

"WE WILL NOT FADE AWAY" Dokumentation von Alisa Kovalenko über fünf Jugendliche im Kriegsgebiet des Donbass, die 2022 durch internationale Hilfe an einer Expedition in den Himalaja teilzunehmen können, um ihre Traumata zu verarbeiten. Welturaufführung 73. Berlinale 2023, Sektion Generation 14plus. (Ukraine / Frankreich / Polen 2023). Hier der Trailer:



Reginas Filmkritik:

Sie sind Teenager und wie Jugendliche auf der ganzen Welt versuchen sie herauszufinden, wer sie sind und wie das Leben weiter gehen soll. Doch da beginnt das Problem: diese fünf Jugendlichen leben im Donbass, in einer Welt, die kaum Perspektiven zu bieten hat. „We are living in the asshole of the world“, hört man sie im Film sagen. Seit 2014 tobt hier der Krieg im Hintergrund. Für die Jugendlichen sind Bombardements und Gewehrsalven alltäglich, Andriy, Illia, Lera, Liza und Ruslan können nur von einem besseren Leben träumen.

WE WILL NOT FADE AWAY – so heißt der Dokumentarfilm der ukrainischen Regisseurin Alisa Kovalenko. Sie hat die fünf Jugendlichen in den Jahren 2019 bis 2021 in der Region Luhansk an der Kriegsfront zum Donbass portraitiert. Die Bevölkerung lebt dort seit 8 Jahren im Ausnahmezustand, für die Menschen hat der Krieg nicht 2022, sondern bereits 2014 begonnen.

Mit einfühlsamer, unaufdringlich beobachtender Kamera ist Alisa Kovalenko nah bei den jungen Menschen. Einige wollen “irgendwann zur Polizei”, berufliche Zukunftsperspektiven gibt es kaum. Andere träumen davon, im Ausland zu studieren, aber wie? Es gibt auch zuversichtliche Momente, ein Mädchen findet sie beim Zeichnen, ein Junge fotografiert, man macht Musik, um dann wieder in Minenfeldern und zerstörten Häusern zu streunen. Eindringliche Bilder belegen die Trostlosigkeit der Region, einst ein wichtiges Kohlerevier, jetzt wirkt die Landschaft verlassen, zerstörte Infrastruktur, Häuserruinen, Armut, einfachste Verhältnisse.

In ihren Dokumentarfilmen hat sich die preisgekrönte Regisseurin Alisa Kovalenko immer wieder mit den Konflikten und dem Krieg in der Ukraine auseinandergesetzt. Ihren ersten abendfüllenden Dokumentarfilm ALISA IN WARLAND feierte 2016 auf dem International Documentary Filmfestival in Amsterdam Premiere. Ihre 10eilige Dokuserie HOME GAMES (2018), über die Träume einer jungen ukrainischen Profifußballerin, zerrissen zwischen den Konflikten in ihrer Familie und einer Fußballkarriere, wurde auf über 100 Festivals gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. 2021 übernahm Netflix die Serie.

Im Film tut sich für die Jugendlichen ein Hoffnungsschimmer auf: Sie haben die Möglichkeit, eine Reise nach Nepal zum Himalaya zu unternehmen, initiiert vom ukrainischen Sportjournalisten Valentyn Shcherbachev. „Eine Expedition“, so die Regisseurin, die zeigt „wie Träume immer noch das Leben verändern können..“

Kovalenko begleitet die Vorbereitungen der Jugendlichen. Sie fangen an, zu trainieren, um fit zu werden. Wir sehen, wie ein Junge mit einer Eisenstange seine Muskeln trainiert, ein anderer Ausdauertraining betreibt, Hoffnung keimt auf. Es ist berührend, die Energie dieser Heranwachsenden zu beobachten, die fest daran glauben, dass ihr Traum vom Himalaya Wirklichkeit wird. Ihre Trainingseinheiten dokumentieren sie eifrig in Videotagebüchern. Währenddessen rückt die Gefahr einer russischen Invasion immer näher. Am Ende werden die Teenager es schaffen und die Reise nach Nepal zum Himalaya antreten. Die Schönheit der Natur, die Freiheit, der Zusammenhalt der Gruppe, das sind Erfahrungen, die ihnen Kraft geben, neue Perspektiven aufzeigen und ihr Leben für eine kurze Zeit verändern.

Kovalenko hatte sich für WE WILL NOT FADE AWAY eine hoffnungsvollere Version gewünscht. Als im Februar 2022 der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, war sie bereits beim Schnitt des Films. Plötzlich schien ihr die Fertigstellung der Dokumentation nutzlos. Sie unterbrach ihre Arbeit im Schneideraum und schloss sich für vier Monate einer freiwilligen Kampeinheit der ukrainischen Streitkräfte an. „Ich hatte das Gefühl, dass wir jetzt wirklich kämpfen müssen“, sagt sie. Während ihres Einsatzes nahm Kovalenko viele Stunden Filmmaterial auf, zur Zeit bereitet sie aus dem Material einen neuen Dokumentarfilm vor.

Nach dem Fronteinsatz kehrte die Regisseurin zurück in den Schneideraum und stellte ihren Film fertig. WE WILL NOT FADE AWAY ist ein wichtiger, ein eindringlicher Film, trotz seiner schweren Thematik mit leichter Hand inszeniert. Eindrucksvoll gelingt es der Regisseurin das Bild einer Generation zu zeigen, die im Schatten des Krieges aufwächst.

Der Abspann des Films informiert über das weitere Schicksal der Teenager. Drei von ihnen konnten, auch dank der Bemühungen der Regisseurin, vor Kriegsausbruch ins Ausland fliehen. Sie haben den Weg ins Studium geschafft und halten weiter Kontakt zu Kovalenko. Zwei Jungen antworten nicht mehr.

2022, nach Beginn der Invasion der Ukraine, wurde die Region von den russischen Streitkräften eingenommen. Die meisten der Familien konnten nicht fliehen und befinden sich immer noch im besetzten Gebiet. Die Frage, wie es den beiden Jugendlichen heute geht, ob sie von russischen Streitkräften eingezogen oder gar in Arbeitslager verschleppt wurden, bleibt offen.

Regina Roland

Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus Regina Rolands eigenem Blog. Link: filmkritik-regina-roland.de

Infos der Berlinale:
Die Filmemacherin Alisa Kovalenko wurde 1987 in Saporischschja, Ukraine, geboren. Sie studierte Dokumentarfilm an der Universität Kyiv und an der Wajda School in Warschau. Ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm, "Alisa in Warland", feierte 2015 auf dem IDFA Dokumentarfilmfestival Premiere. 2018 folgte "Home Games" und wurde auf über 100 Festivals gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 unterbrach sie ihre Arbeit an dem Berlinale Beitrag "We will not fade away", um sich für vier Monate einer freiwilligen Kampfeinheit der ukrainischen Streitkräfte anzuschließen. 2024 soll "Frontline" folgen.

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