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Aktuelle Kinotipps im neuen Jahr 2023

Die 73. Berlinale beginnt zwar erst Mitte Februar, doch erste Pressevorführungen der Nebensektionen starten bereits in 14 Tagen, sodass wir uns mit Besprechungen regulärer Kinostarts beeilen müssen, um nicht in Verzug zu geraten.



Alles wird teuer, auch die Preise von Kinotickets sind gestiegen, weshalb die Filmtheater deutlich weniger Besucher als vor der Pandemie verzeichnen.

Beim IMAX Besuch von "AVATAR" im UCI Kino am Mercedes Platz fallen beispielsweise 25,- € pro Person an, um in den Genuss von 3D mit Higher Frame Rate zu kommen. Hinzu kommen Parkplatzgebühren von 15,- € pro Auto für die mehr als drei Stunden lange Filmversion. Eine Filmkritik hatten wir am 24. Dezember 2022 veröffentlicht.

Sogar die Internationalen Filmfestspiele von Berlin haben nicht nur die Gebühren der Akkreditierungen für die Fachbesucher erhöht, sondern müssen diesmal auf weniger Spielstätten mit höheren Ticketpreisen ausweichen. Einzelheiten werden wir in den folgenden Tagen dazu vermelden.

Zurückblickend auf die 71. Berlinale vor zwei Jahren, deren Filme wir wegen der Pandemie erst im Sommer 2021 im Open-Air-Kino sehen konnten, erinnern wir uns an das romantische Liebesdrama im Wettbewerb des georgischen Filmemachers Alexandre Koberidze mit dem seltsamen Titel: "Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?". Die merkwürdige Handlung über ein Liebespaar, das am nächsten Morgen in neuen Körpern aufwacht und sich deshalb am verabredeten Ort nicht mehr wiedererkennt, war erst im Frühjahr dieses Jahres regulär im Kino angelaufen.

Jetzt folgte eine Woche früher als ursprünglich geplant im Kino ein Film von Aron Lehmann mit dem ähnlich komischem Titel "Was man von hier aus sehen kann" und ebenfalls recht eigenartiger Handlung, über den uns Ulrike Schirm nachfolgend berichtet.

"WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN" Drama von Aron Lehmann über eine skurrile Dorfgemeinschaft. (Deutschland 2022; 109Min.) Mit Corinna Harfouch, Luna Wedler, Karl Markovics, Ava Petsch, Cosmo Taut, Rosalie Thomass, Benjamin Radjaipour, Peter Schneider u.a. seit 29. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Wir befinden uns in einem abgelegenen Dorf im Westerwald mit skurrilen und eigenwilligen Bewohnern. Jeder kennt hier jeden. Die 22-jährige Luise (Luna Wedler) ist bei ihrer Oma Selma (Corinna Harfouch) aufgewachsen, die eine außergewöhnliche Gabe besitzt: Immer dann, wenn ihr im Traum ein Okapi erscheint, stirbt in den nächsten 24 Stunden jemand im Dorf. Es weiß aber niemand, wer das sein wird, also hält sich jeder im Dorf bereit und trifft Vorbereitungen. Denn bevor man stirbt, sollte man wenigstens Wahrhaftigkeit in sein Leben bringen.

Jeder in diesem Dorf versteckt irgend etwas, außer Selma. Ihr Heinrich starb, als sie das erste Mal von einem Okapi träumte. Bis zum nächsten Traum verging eine längere Zeit. Nun ist es wieder so weit. Ihr Traum spricht sich in Windeseile im Dorf herum. Alle sind aufgeregt und schreiben Briefe, in denen sie das aussprechen, was sie immer für sich behalten haben. Im Angesicht des Todes, wollen alle ehrlich sein. Auch der von Selbstzweifeln geplagte Optiker (Karl Markovics) überlegt sich, ob es nicht endlich an der Zeit wäre, Selma endlich seine Liebe zu gestehen. Er hat schon ganz viele Briefe angefangen zu schreiben, sie aber nie beendet. Nach der eingetretenen Vorhersage, entsteht eine lange Schlange am Briefkasten, denn die, die nicht gestorben sind, holen ihre Briefe zurück. Eigentlich lebt es sich sehr angenehm in diesem Ort. Jeder kann sein, wie er ist , ob schrullig oder nicht. Auch Luise passiert etwas Merkwürdiges. Immer dann, wenn sie nicht aufrichtig ist, fällt etwas von oben herunter, auch dann, wenn sie aus Höflichkeit schwindelt.

Luises Mutter (Katja Studt) , die einen Blumenladen hat, ist in den Cafébesitzer Alberto verliebt, dessen köstliche Eisbecher „Flammende Versuchung“ oder „Brennendes Verlangen mit Sahne“ heißen. Die zurückgezogene Marlies (Rosalie Thomass) hat ständig schlechte Laune und keiner weiß warum. Dann gibt es noch die abergläubige Elsbeth (Hansi Jochmann), die buddhistische Mönche beherbergt.

Das Leben, so sagt Luise, ist so unglaubwürdig wie ein Okapi mit seinem giraffenhaften Leib und seinen Mausohren. In Rückblenden sieht man die junge Luise und ihren Schulfreund Martin, die beiden sind unzertrennlich. Martins Vater (Peter Schneider) ist ein brutaler Säufer, der im Dorf nicht so gern gesehen wird. Selma ist auch die Erzählerin dieser skurrilen, magischen und schicksalshaften Begebenheiten über Liebe und Tod, zwischen Komik und Tragik.

Aron Lehmann („Das schönste Mädchen der Welt“, „Jagdsaison“) ist es gelungen, Mariana Lekys gleichnamigen, märchenhaft erzählten Romanbestseller auf die Leinwand zu adaptieren. Auf skurrile und liebenswerte Weise behandelt sein Film die entscheidenden Themen wie Verlust, Tod und Liebe, ganz unkonventionell.

Ulrike Schirm


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In regelmäßigen Abständen schickt uns der sächsische Filmverband sein noch konventionell im DIN-A5-Format erstelltes Informationsblatt »AUSLÖSER«. Darin bemängelt er zu Recht, dass der deutsche Kinderfilm in Filmkritiken fast nie erwähnt wird. Und wen doch, dann nur recht kurz und zumeist ohne kritische Anmerkungen.

Dabei brauchen Jugendliche die Auseinandersetzung mit den Medien, um eine eigene Meinung besser herauskristallisieren zu können.

Auf Festivals wie dem »SCHLINGEL« (Chemnitz/Sachsen) oder »GOLDENER SPATZ« (Erfurt/Thüringen), bei denen jeweils eine eigene Kinder- und Jugend-Jury die Preise bestimmen, sind oft heiße, aber beliebte Diskussionen angesagt, ehe die Sieger*innen feststehen.

Unsere Kollegin Ulrike, hat sich mal einen dieser beliebten Kinder- und Jugendfilme etwas kritisch angesehen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

"DER GESTIEFELTE KATER 2: Der letzte Wunsch" Animationsfilm für Familien mit Kinder von Januel P. Mercado & Joel Crawford. (USA 2022; 100 Min.) Mit den deutschen Stimmen von Benno Führmann, Oliver Kalkofe, Riccardo Simonetti u.a. seit 22. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Ja, er ist wieder da, der großspurige und abenteuerlustige gestiefelte Kater mit seinen schicken Stiefeln, seinem Hut, seinem Mantel und seinem Degen, nach ca. 11 Jahren. Seinen ersten Leinwandauftritt feierte er 2004 im Oscar-nominierten „Shrek 2“. Der tollkühne Held wurde zum weltweiten Publikumsliebling. Nach den „Shrek“-Filmen folgte sein erfolgreiches Solodebüt. Nun kehrt er mit "Der gestiefelte Kater 2: Der letzte Wunsch" zurück auf die Leinwand.

Gleich zu Beginn des Films sieht man ihn, wie er es mit seinen Bewunderern im Gouverneurspalast so richtig krachen lässt. Doch diesmal ist alles anders. Er erfährt, dass er von seinen neun Leben, bereits acht verspielt hat und jetzt nur noch eins hat.

Er bekommt auf einmal Todesangst, beginnt an sich selbst zu zweifeln und traut sich nichts mehr zu. Er weist sich selbst in „MAMALUNA`S CAT RESCUE“ ein, bei der Frau mit den 100 Katzen. Jetzt ist Schonung angesagt. Von einer Crazy Cat Lady wird er umsorgt, sie strickt ihm sogar rosafarbene Pfoten-Schoner.

Wohl fühlt sich der Tausendsassa in dem Katzenseniorenheim, der sich für eine furchtlose Legende hält, nicht. Als er von einem mythischen Wunschstern hört, der ihm wieder neue Vitalität und seine neun Leben zurückbringen kann, macht er sich gemeinsam mit der schlauen Kitty Samtpfote, die eigentlich noch enttäuscht von ihm ist, weil er sie nicht geheiratet hat und dem gutgelaunten, geschwätzigen aber auch klugen Hund Perro, auf den Weg in den Schwarzen Wald, um den verheißungsvollen Stern zu finden. Dass die drei nicht alleine auf der Suche nach dem Stern sind, hätte sich Kater eigentlich denken können. Ihre Suche wird durch so einige Halunken wie dem fiesen Kopfgeldjäger großer böser Wolf, dem gruseligen Gevatter Tod und dem Goldlöckchen mit ihren Bären, erschwert.

Für ganz junge Zuschauer*innen ist der Film ziemlich vollgepackt und teilweise auch etwas gruselig. Der kleine Hund Perro, der sich den beiden angeschlossen hat, weiß das Glück, was sich ihm eröffnet, wertzuschätzen, ganz im Gegensatz zum gestiefelten Kater, der es noch lernen muss, kleine Brötchen zu backen und dass, das Sprichwort: „Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser geht es ohne ihr“, nicht unbedingt immer der Wahrheit entspricht. Ein unterhaltsamer Familienfilm.

Ulrike Schirm


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Anlässlich der Weltpremiere von „Tod in Venedig“ 1971 erklärte der italienische Regisseur Luchino Visconti seinen Tadzio (gespielt von Björn Andrésen) zum schönsten Jungen der Welt. 50 Jahre später lastet dieser Schatten noch immer auf Björn Andrésens Leben und hätte ihn beinahe alles gekostet, was das Leben lebenswert macht. Aus dem damals 15-Jährigen ist ein gebrochener alter Mann geworden, der das Publikum in der Doku von Kristina Lindström und Kristian Petri mit auf eine Erinnerungsreise nimmt, die voller Tragik, Kinogeschichte und zweiter Chancen steckt.

"THE MOST BEAUTIFUL BOY IN THE WORLD" Biografischer Dokumentarfilm von Kristina Lindström & Kristian Petri über die tragische Geschichte des jungen Schauspielers aus Viscontis Film „Tod in Venedig“. (Schweden, Deutschland Frankreich; 2021, 93 Min.) seit 29. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

1970. Es ist bitterkalt in Schweden als sich der italienische Regisseur Luchino Visconti auf den Weg nach Stockholm macht, um den Darsteller für die Rolle des Todesengels Tadzio für seine Thomas-Mann-Verfilmung „Tod in Venedig“ zu finden. Nach endlosen Schauläufen mit Hunderten von jungen Darstellern fand er ihn: Den 15-jährigen blonden Schweden Björn Andrésen. Eine wichtige Voraussetzung, er muss nicht nur schön aussehen, sondern auch noch ein spezielles Charisma mitbringen. In dem Jüngling soll die Hauptfigur des Films, der Komponist von Aschenbach, dessen jugendliche Schönheit als Gedankenüberbringer entdecken und damit das Vorzeichen seines eigenen Todes erkennen.

Von nun an spricht Visconti nur noch „von dem schönsten Jungen der Welt“. Noch fühlt sich der junge Schauspieler geschmeichelt. Doch später zerbricht der blonde Junge an dem Schönheitsideal, das er verkörpern soll. Zum Casting hat ihn seine Großmutter angemeldet, die auch eine kleine Rolle im Film bekam.

In dem schwedischen Dokumentarfilm „The Most Beautiful Boy in the World“ porträtieren Kristina Lindström und Kristian Petri den inzwischen ausgemergelten 67jährigen Schauspieler und Musiker, der mit seinem zottligen grauen langen Haaren und seinem Bart an einen Heavy-Metal-Rocker erinnert.

Viscontis Film „Tod in Venedig“ wird ein Welterfolg und Björn zu einem Superstar. Der einsetzende Hype um seine Person wurde für ihn zu einem Fluch. Der Trubel um ihn zum Albtraum. Ganz besonders schlimm wird es für ihn in Japan. Es werden Werbeclips und sogar Platten mit ihm produziert. Er war einer der ersten Europäer, der auf japanisch sang. Vermarktet wird er als blondes Schönheitsideal. Manga-Zeichner*innen wurden von seinem Aussehen inspiriert, erzählt eine japanische Grafikerin.

1976 geht er für ein Filmprojekt nach Paris, das sich leider zerschlägt aber wenigstens zahlt man ihm eine Wohnung. Einige Zeit lässt er sich von reichen Männern aushalten.

Zurück in Schweden wird er abhängig nach Alkohol und Tabletten, seine Ehe scheitert, sein kleiner Sohn stirbt mit 9 Monaten am plötzlichen Kindstod, während er betrunken daneben liegt und schläft. „Mit ihm ist alles zerbrochen. Ich bin in eine Depression gefallen und fing an zu trinken und habe mich selbst zerstört“. Noch heute gibt er sich die Schuld an dessen Tod.

Das reichhaltige Archivmaterial kommt ihm heute wie ein surrealer Traum vor. Die Originalaufnahmen von seinem Casting zeigen wie irritiert der schüchterne Junge war, als Visconti ihn aufforderte sein Hemd auszuziehen. Es kam für ihn völlig unvorbereitet. Auch die lieblosen Befehle wie: „Geh, bleib stehen, jetzt dreh dich, lächle“ zeugten nicht gerade von stützenden Regieanweisungen. Hauptsache er sieht schön aus. Auch wenn das alles anfänglich aufregend für ihn war, war er dennoch überfordert. Warmherzig gekümmert, hat sich von der Crew niemand um ihn.

In den Alltagsbildern von heute kommt seine ganze Tragik zum Ausdruck. Schon vor dem Treffen mit Visconti und seinem Hype als schöner Star, war der Junge schwer traumatisiert. Seine Mutter verschwieg ihm, wer sein Vater war und dann war sie eines Tages plötzlich verschwunden. Später wurde sie in einem Waldstück tot aufgefunden. Bei der Suche nach seinem Vater, stößt Andrésen auf die Sterbeurkunde der Mutter und findet einen Abschiedsbrif, den er mit Tränen in den Augen vorliest. Er wuchs bei seiner Großmutter auf, die ihn gerne für alle möglichen Castings anmeldete. „Sie wollte einen Star als Enkel“ erzählt er in einer der zahlreichen Aufnahmen aus seiner Jugend.

Am Anfang des Films sieht man den 67jährigen Andrésen, wie er telefoniert. Er hat eine Räumungsklage erhalten, weil seine Dunstabzugshaube in der Küche Feuer gefangen hat. Eine Freundin steht ihm zur Seite und hilft ihm beim Saubermachen und Aufräumen der vollgemüllten Wohnung.

Ab und zu dreht er noch. Zuletzt sah man ihn in dem verstörenden, schwedischen Drama „Midsommar“, 2019.

Lindström und Petri zeigen in ihrem sehr persönlich gehaltenen Dokumentarfilm das Leben eines 67-jährigen Menschen, der schon ganz früh aus der Bahn geworfen wurde. Man hofft, dass ihm die filmische Aufarbeitung seiner Vergangenheit, besonders die Hintergründe seiner traurigen und einsamen Kindheit, gut getan haben.

Viscontis Film sieht man nach diesen aufwühlenden Einblicken bestimmt mit ganz anderen Augen als bisher.

Ulrike Schirm


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