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AN EINEM SCHÖNEN MORGEN - ein Film über das Altwerden

Mit einem französischen Film über das Altwerden eröffnete das Berliner Weltkinofestival AROUND THE WORLD IN 14 FILMS.



In Kooperation mit der FRANZÖSISCHEN FILMWOCHE und dem Kino ARSENAL in Berlin zeigte die 17. Ausgabe des Weltkinofestivals AROUND THE WORLD IN 14 FILMS bereits vergangene Woche das senegalesische Gerichtsdrama "SAINT OMER" der französische Filmregisseurin Alice Diop.

Mit dem Film "UN BEAU MATIN" der französischen Regisseurin Mia Hansen-Løve über das Altwerden, in dem die französische Schauspielerin und Publikumsliebling, Léa Seydoux, die Hauptrolle übernahm, wurde sogar das 14 Films Festival, das noch bis Samstag im Delphi Lux und im CineStar Kino in der Kulturbrauerei stattfindet, eröffnet. Nun ist das Werk unter dem deutschen Titel "AN EINEM SCHÖNEN MORGEN" seit gestern auch regulär in den Kinos bundesweit zu sehen.

"AN EINEM SCHÖNEN MORGEN" Spielfilmdrama von Mia Hansen-Løve über das Altwerden. (Frankreich, Großbritannien, Deutschland, 2022; 114 Min.) Mit Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud u.a. seit 8. Dezember 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Eine Filmbesprechung von Angelika Kettelhack:

„An einem schönen Morgen“ ist ein Film über das Altwerden. Mit dieser unvermeidlichen Tatsache wird natürlich niemand so gern konfrontiert. Aber mit ein bisschen Geduld und mit der heiteren Gelassenheit, mit der zwei der bekanntesten französischen Filmschauspielerinnen, nämlich Lea Seydoux als Tochter und Nicole Garcia als Ehefrau, dieses Erschrecken meistern, dass nämlich der Vater und der Ehemann plötzlich die selbstverständlichsten Alltags-Situationen nicht mehr beherrscht, schafft es die französische Regisseurin des Spielfilms „Bergman Island“ (2021) Mia Hansen-Løve dann letztendlich doch die Zuschauer hoffentlich zu einer mehr oder weniger gelassenen Grundstimmung zu bringen.

An einem sonnigen Morgen schlendert eine etwa 35-jährige Frau mit einem schmalen Rucksack und einer Plastiktüte in der Hand durch eine ganz alltägliche Wohnstrasse in Paris. Wenn man bedenkt, dass diese durchschnittlich wirkende junge Frau von Léa Seydoux gespielt wird, die kürzlich noch als Bond-Girl eine große Portion Erotik auf die Leinwand brachte und die in „Die Geschichte meiner Frau“ der ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi eine überaus verführerische Schönheit spielt, die ihren Ehemann, einen meist abwesenden Kapitän zum Wahnsinn treibt, dann wundert man sich wie die 36-Jährige in diesem Film ihre verblüffende Natürlichkeit gekonnt einsetzt. Dann bringt diese Art der Darstellung einem so bedrückendem Film-Thema wie „Alzheimer“ dann hoffentlich doch noch langsam einen Erfolg.

Schon 2013 verhalf Léa Seydoux ihre Rolle in dem Erotik-Drama "Blau ist eine warme Farbe" in dem sie ein junges Mädchen spielt, das mit einer von Adèle Exarchopoulos gespielten Schülerin eine lesbische Beziehung eingeht, endgültig zum Durchbruch in die erste Liga der Filmschauspieler. Der Film enthielt einige saftige Sexszenen und wurde bei den Festspielen in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet - die explizit auch an die beiden Hauptdarstellerinnen verliehen wird. Privat ist Léa Seydoux trotz aller Filmerfolge mit einem Mann liiert, über den sie nur so viel verrät: Er sei kein Schauspieler – und auch nicht berühmt.

Die Produktion eines solchen Films wie „An einem schönen Morgen“ ist ein Wagnis. Wahrscheinlich haben sich deshalb so viele Produzenten, französische und deutsche, für dieses heikle Thema zusammengetan. Und so ist es kein Wunder, dass dieser zu Herzen gehende Film in diesem Jahr in Cannes in der Festival-Sparte der beliebten „Quinzaine des Réalisateur“ (Die 14 Tage der Regisseure) viel Anklang fand. — In einer Sparte, die in etwa mit der Berlinale-Sektion „PANORAMA“ verglichen werden kann, in der man auch auf ungewöhnliche Film-Themen stößt.

Sicherlich kam der bisherige Erfolg des Films „An einem schönen Morgen“ in Frankreich auch daher, dass die Hauptrollen von zwei der weiblichen Lieblingsstars des französischen Kinos gespielt wurden. Vor allem dieser Léa Seydoux, die als Französin ihr perfektes Englisch in Sommerlagern in den USA gelernt hat, macht niemand etwas vor: Zu ihrem kürzlich gefeierten 36. Geburtstag hatte sie folgende Lieblingsgäste auf die Einladungsliste gesetzt: Michael Jackson, Charlie Chaplin, Maria Callas, Serge Gainsbourg und Friedrich Nitsche. Diese Liste der längst verstorbenen Idole ist sicher nicht ironisch gemeint und hat vielleicht entfernt etwas mit ihren neuesten Film „An einem schönen Morgen“ zu tun.

Sie zeigt die Souveränität dieser Schauspielerin, wenn es darum geht seinem eigenen Urteil zu vertrauen und sich von der Eigendynamik einer Situation nicht gefangen nehmen zu lassen, sondern immer gelassen zu bleiben. Symbolisch für diese Einstellung ist die erste sehr alltägliche Szene mit ihren Vater in diesem Film „An einem schönen Morgen“: Sie steht außen vor seiner Wohnungstür. Er hat vergessen wie er die Türe von Innen her öffnen muss. Sie regt sich nicht darüber auf, sondern instruiert ihn ganz geduldig Schritt für Schritt — etwa so wie sie einem kleinen Kind etwas beibringen würde. Vielleicht gelingt ihr das so gut weil sie selbst schon ein Kind hat und daher weiß, dass nur Geduld weiterhelfen kann.

Und das macht den Film für sensible Zuschauer so wertvoll – auch wenn viele vielleicht sagen: Ich will so intime Filme, so aus dem echten Leben entstandene Filme nicht sehen. Das zieht mich zu sehr runter. Ich will das langsame Versagen alternder Menschen nicht auch noch im Kino sehen weil ich selbst Angst habe vor dem Vergessen selbstverständlicher Dinge oder dem Verlust erlernten Wissens aus Büchern.

So wie es bei der Figur des Vater passiert, der als Wissenschaftler gearbeitet hat und der sich jetzt eingestehen muss, dass ihm nicht nur dieses Wissen entgleitet, sondern dass er auch total selbstverständliche Handhabungen nicht mehr zu leisten vermag. Natürlich vertuscht er seine zunehmende Unfähigkeit. Und natürlich gibt es dafür in Mia Hansen-Løves Arbeit auch anrührende Bilder wie etwa dieses: Die Tochter fragt ihren Vater: „Siehst du mich?“ – „Ja, aber natürlich sehe ich dich.“ – „Wie sind meine Haare? - Sind sie kurz oder lang?“ – Zögerliche Antwort: „Vielleicht sind sie lang.“ — Die Enttäuschung steht der Tochter mit ihrem sehr kurzen Haarschnitt ins Gesicht geschrieben. — Aber sie sagt nichts.

Angelika Kettelhack, 9.12.2022


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