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Filmkritiken zu Kinostarts KW 39/40 - September / Oktober 2022

Besprechungen von drei neuen Kinostarts in dieser und einem weiteren Kinostart aus letzter Woche.



Der Herbst naht mit aller Macht. Von einem golden Oktober mit angenehm warmen Temperaturen kann in diesem Jahr kaum die Rede sein. Dennoch hilft das frühe Einsetzen der Dunkelheit den Kinobetreibern nur wenig, seitdem die Teuerungsrate den Bürgern das Leben vermiest und immer weniger Zuschauer sich abends in den Kinos einfinden. Dabei gibt es jede Woche genügend neue Filme, die sich lohnen, gesehen zu werden.


"DA KOMMT NOCH WAS" Arthaus-Dramödie von Mareille Klein. (Deutschland, 98 Min.) Mit Ulrike Willenbacher, Zbigniew Zamachowski, Imogen Kogge u.a. seit 29. September 2022 Im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Es gibt sie noch vereinzelt in Berlin: Die Litfaßsäule. Von dort blickte mich mit erschrockener Miene eine Frau von einem Plakat an, die feststeckte im wahrsten Sinne des Wortes.

Im besagten Filmdrama war sie zuvor auf einen Hocker gestiegen, um eine Spinne von der Decke zu wischen und dabei übel gestürzt. Beim Fallen hatte sie einen Lüftungskanal ihrer Heizung durchbrochen, aus dem sie sich nicht mehr alleine befreien konnte.

Ähnliches ist mir einst beim Umkippen einer Leiter wiederfahren, sodass Belehrungen, niemals auf einen wackligen Hocker zu steigen, nicht wirklich zielführend sind, denn ein Unglück kommt selten allein.

Das Feststecken und nicht wieder alleine herauskommen zu können, sind natürlich nur symbolträchtige Bilder von Helga, deren Leben in dem Film "Da kommt noch was" festgefahren ist, seit ihr Mann sie verlassen hat.

Mit einem Gipsbein kann die 70-Jährige nach dem Unfall natürlich nicht alleine den Haushalt besorgen. Helga (Ulrike Willenbacher) sucht um Hilfe, die ihr - zu ihrer eigenen Überraschung - in Form einer männlichen Putzhilfe aus Polen zu Teil wird. Aus der anfänglichen Distanz baut sich langsam eine intimere Nähe zwischen den Beiden auf, die in der bürgerlichen, von Vorurteilen behafteten Gesellschaft, auf Dauer aber kaum gut gehen kann.

Regisseurin Mareille Klein hat in Ihrer Regie mit der treffenden Auswahl der Protagonisten ein gutes, durchaus nachvollziehbares Händchen bewiesen, sodass niemals der Eindruck eines irrationalen Plots mit unrealistischer Überzeichnung auftritt.

W.F.


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"THE WOMAN KING" auf wahren Begebenheiten basierendes, actionlastiges Historienepos von Gina Prince-Bythewood. (USA / Kanada, 134 Min.) Mit OSCAR-Preisträgerin Viola Davis, Thuso Mbedu, Lashana Lynch u.a. seit 6. Oktober 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Westafrika 1823.

Das Actiondrama handelt von einem afrikanischen Königreich des 19. Jahrhunderts in dem die Agojie, eine weibliche Eliteeinheit, gegen Sklaverei und Patriarchat kämpferisch antreten.

Ihre Anführerin, gespielt von OSCAR-Preisträgerin Viola Davis, hat für ihre Rolle als Elite-Kriegerin, Generalin Nanisca, drei Monate lang, fünf Stunden am Tag, hart trainiert.

Die Hauptaufgabe des afrikanischen Frauenstammes, den es wirklich gegeben hat, war, das Königreich Dahomey zu verteidigen.

„Wir kämpfen oder wir sterben. Wir heiraten nicht und kriegen auch keine Kinder“, schärft sie der 19-jährigen Nawi ein, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollte und zu den Frauen gebracht wurde, die sie nun zur Kriegerin ausbilden. Mit Samthandschuhen wird sie nicht angefasst.

Nawi, die wie sich später herausstellt eine Waise ist, ist kämpferisch total ambitioniert, widersetzt sich aber gerne gegen Regeln.

Nawi lernt schnell, sich in einer von Männern dominierten Welt durchzusetzen und der Generalin zur Seite zu stehen, deren Hauptaufgabe es ist den König und sein Volk vor bevorstehenden Angriffen der Nachbarn und den Sklavenhändlern zu warnen. Es geht bei dem bevorstehenden Krieg nicht nur um den Schutz des Volkes, sondern auch um eine tiefe seelische Wunde, die Nancisca mit sich rumträgt. Einer der Nachbarkrieger hat sie vor langer Zeit vergewaltigt. Ihre Racheglüste sind noch nicht verstummt.

„The Woman King“ ist ein Beispiel für „Black Women Empowerment“. Sehr viel Power auf der Leinwand, ausgelöst von starken, charismatischen, farbigen Frauen in beindruckend choreographierten Kampfszenen, in- und außerhalb eines kultivierten, afrikanischem Königreichs.

Eine berührende Mutter-Tochter Geschichte sorgt für emotionale Abwechslung.

Neben Viola Davis als gnadenlose Kämpferin, die den Menschenhandel stoppen will und statt dessen für den Handel mit Palmöl ist, besticht die junge Schauspielerin Thuso Mbedu in der Rolle des Waisenkindes Nawi, das seine empfindsame Seele hinter fast akrobatischen Kampfszenen versteckt.

Ulrike Schirm


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"ME, WE" Tragikomödie von David Clay Diaz (Österreich, 118 Min.) zu Flucht, Migration und unserem alltäglichen Umgang damit in Europa. Mit Lukas Miko, Verena Altenberger, Barbara Romaner u.a. seit 6. Oktober 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

„Me, We“ erzählt vier verwobene Geschichten aus vier verschiedenen Perspektiven, die sich mit dem Helfersyndrom in der Flüchtlingskrise befassen.

Ein Wohnheim für Flüchtlinge: WALL OF WELCOME heißt Flüchtlinge willkommen. Die Männer treiben Sport. Es kommt zu Rangeleien. Der Leiter zeigt Verständnis für ihre Lage und beteuert, daß er für sie da ist.

Eine junge Frau reist ans Mittelmeer auf die Insel Lesbos, um Leben zu retten.

Eine TV-Redakteurin hat einen 17-jährigen Syrer bei sich aufgenommen, den sie bei seiner Suche nach einem neuen Leben unterstützen will und mit der österreichischen Kultur vertraut machen.

Zu Beginn des Films geht im Schwimmbad eine Horde Jugendlicher auf einen Ausländer los. Einfach so. „Wir bieten einen kostenlosen Geleitschutz für junge Frauen an. Wir sorgen für ein sicheres Österreich, in dem wir die jungen Frauen in der Dunkelheit nach Hause fahren, um sie vor Überfällen von Migranten zu schützen“, sagen die Jungen aus dem Schwimmbad. „Wir gründen eine Schutz-Engel-AG“. Mit ihren frisierten Mopeds fahren sie durch die Gegend und bieten jungen Frauen Schutz an.

So verschieden die Helfer, so verschieden ihre Motivation. Es kann durchaus verraten werden: Scheitern tun sie alle, schon alleine wegen der unterschiedlichen Mentalität der Heimbewohner, die, nicht nur aus Schutz einen gewissen Stolz mitbringen und es nicht gewohnt sind, sich etwas sagen zu lassen. Oder Petra die Redakteurin, die aus allen Wolken fällt als sie erfährt , dass der Syrer Mansur heißt und nicht Mohammed, 23 ist, aus Marokko kommt, ein Kind hat und dass er drei Jahre lang seine Frau nicht mehr gesehen hat. Das kürzeste Gedicht von Mohammed Ali lautet: „Me, We“ ruft sie Masur hinterher, als er letztendlich das Land verlässt.

Marie, die Menschen in Seenot retten will, erfährt nur Schwierigkeiten. Die türkische Küstenwache hat den Seenotrettern die Flagge entzogen.

Marcel, von den "Schutzengeln", kann nicht zwischen Schutz und Zudringlichkeit bei den Frauen unterscheiden. Der engagierte Heimleiter Gerald will alles tun, um aus seinem Heim keine Erziehungsanstalt zu machen. Dabei wird er von einem seiner Schützlinge auf eine harte Probe gestellt.

Und eins darf man nicht vergessen: Hinter jeder Hilfe steckt auch ein wenig Selbstaufwertung und Eitelkeit, wenn auch unbewusst.

Regisseur David Clay Diaz hat es verstanden, seinem Film tragikomische und kluge Momente zu verpassen und niemanden bloßzustellen. Sein Fazit, denke ich lautet: Es ist nicht einfach Gutes tun zu wollen aber es auch wirklich zu erreichen ist nicht vorhersehbar. Er schildert die Situation von vier Menschen, begleitet von Vorurteilen, besten Vorsätzen und Ernüchterung und dem alltäglichen Umgang damit in Europa. Fokussiert werden dabei die feinen Zwischentöne, die dieses vielfältige Zusammenleben für alle bedeutet. Wieder mal eine sehenswerte Filmperle.

Ulrike Schirm


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"VESPER CHRONICLES" Science-Fiction-Drama von Kristina Buozyte & Bruno Samper (Litauen / Frankreich / Belgien, 114 Min.) Mit Raffiella Chapman, Eddie Marsan, Rosy McEwen u.a. seit 6. Oktober 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Unsere Kurzkritik:

Als wir uns den Trailer ansahen, glaubten wir Ähnlichkeiten mit James Camerons Märchenwelt aus seinem "Avatar" Film zu erkennen. In der Pressevorführung mussten wir jedoch feststellen, dass das Science-Fiction-Drama um ein junges, ein wenig eigensinniges und auch renitentes Mädchen, mehr Gemeinsamkeiten mit dem dystopischen und mit zum Teil tödlichen Kämpfen behafteten US-Film "Die Tribute von Panem – The Hunger Games" aufweist.

Das soll jedoch nicht abwertend klingen, denn in dem sozialkritischen Drama kämpft ein 13-jähriges Mädchen nicht nur mit einer Handvoll Samen für eine bessere Zukunft, als das Ökosystem des Planeten längst zusammengebrochen ist, sondern auch gegen ihren bösen, tyrannischen Onkel, der sich als Outlaw gegen eine Welt mit wenigen Privilegierten verschanzt hat und jeden tötet, der sich seinen Befehlen widersetzt.

Ihr schwerkranker Vater, ein ehemaliger Wissenschaftler, liegt siechend im Bett und kommuniziert mit seiner jungen Tochter nur mit Hilfe einer Art Drohne telepathisch. Doch das junge, intelligente Mädchen hat seine Gene geerbt und Fähigkeiten entwickelt, die sich von anderen Überlebenden abheben, wodurch die Menschheit gerettet werden könnte.

Auch wenn nicht jeder dramaturgische Richtungswechsel logisch erscheint, überzeugt zumindest die schauspielerische Leistung und erweckt zudem überzeugend einen Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft in einer durch Kriege verwüstenden Welt.

W.F.


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