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Preise des 70. San Sebastian Film Festivals, Weltpremieren auch beim Zurich Filmfestival

Goldene Muschel von San Sebastián geht nach Kolumbien. Das Zurich Filmfestival präsentiert am dritten Tag fünf Weltpremieren und der LITFILMPREIS von Münster geht an Kanada.



Das Road Movie "Los reyes del mundo" ("Die Könige der Welt") der kolumbianischen Regisseurin Laura Mora hat zum 70 Jubiläum die Goldene Muschel vom Donostia Zinemaldia - Festival de San Sebastián gewonnen. Das Festival fand vom 16. - 24. September 2022 statt.

Hier der Trailer:



Der Film erzählt von der Suche einer Gruppe von Jugendlichen aus den Straßen der Großstadt Medellin nach dem verlorenen Paradies, darunter ein verwaistes Mädchen aus dem Mittleren Westen, das die Beerdigung ihres Vaters vor einer unversöhnlichen ländlichen Landschaft durchschaut. "Es ist ein Film von ansteckender Vitalität, vor dem politischen Hintergrund der Vertriebenen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien", so die Zeitung "El Pais".

Regisseurin Mora war bereits mit ihrem Debüt von 2017, dem harten, moralisch dornigen Jugendrachedrama "Killing Jesus", das ihr in diesem Jahr eine besondere Erwähnung im New Directors-Wettbewerb von San Sebastian einbrachte, als Talent markiert worden, bevor sie eine Auswahl an internationaler Festival-Hardware gewann. Produziert von der kolumbianischen Schwergewichtlerin Cristina Gallego ("Birds of Passage", "Embrace of the Serpent") ist die Golden Shell ein Traumstart für "Kings of the World", auch wenn der Film kein einfacher Arthouse-Verkauf ist.

Moras Film wurde in den letzten Tagen des Festivals uraufgeführt und erwies sich bei Kritikern zwar als beliebt, stellt aber dennoch einen Underdog-Sieger in einem Wettbewerb dar, zu dem so etablierte Namen wie Sebastian Lelio, Hong Sangsoo und Christophe Honoré gehörten, so Variety.

Stattdessen dominierten jugendliche Darsteller die Liste der Gewinner in den nicht geschlechtsspezifischen Schauspielpreisen des Festivals.

Den Preis für die beste Hauptdarstellerleistung ging ex aequo an den französischen Aufsteiger Paul Kircher als trauernder Highschooler in Honorés Toronto-Premiere "Winter Boy" sowie an die spanische Newcomerin Carla Quílez für ihren erstaunlichen Durchbruch als schwangere 14-Jährige in Pilar Palomeros intimer Charakterstudie "La Maternal".

Hier der Trailer:



Den Spezial Sonderpreis der Jury erhielt die amerikanische Filmemacherin Marian Mathias für ihr Spielfilmdebüt "Runner", eine amerikanisch-deutsch-französische Koproduktion, die von deutscher Seite von der 2014 in New York gegründeten und 2016 nach Berlin umgezogenen Killjoy Films betreut wird.

Hier ein kurzer Clip



Elisabeths Filmkritik zu "RUNNER"
von Marian Mathias:

Hannah heißt sie. Ihr Spitzname ist Haas. Das bedeutet Hase oder eben auch Runner. Die Langspielfilmdebütantin Marian Mathias, Master-Absolventin an der »Tisch School of the Arts« eine Fakultät New York University, gab der Figur den Namen ihrer Großmutter.

Haas lebt mit ihrem Vater im ländlichen Mittelwesten der USA. Bereits wenn sich das einsam stehende Haus hinter den Feldern erhebt und es außer den Feldern noch die Eisenbahn und eine unwirtliche Kirche gibt, erinnert man sich an die frühen Filme von Terrence Malick, seine poetischen Filme, die noch nicht ins Esoterische abdrifteten. Marian Mathias hat mit "Runner" einen kleinen, poetischen Film gedreht, der keine weltbewegende Handlung erzählt, dafür aber eine Stimmung aufbaut, die einen durch all die mit viel Dunkelheit und mit erdigen Farbtönen komponierten Bilder an sich bindet und dann nach und nach etwas mehr Raum gibt.

Ihr Debüt schafft eine klaustrophobische Enge und wechselt dann immer wieder in die Weite der Felder. Wobei sich ein Ort wie der andere anfühlt und sich die Figuren aus sich selbst heraus bewegen müssen. Haas tut das nur zögerlich. "Runner" ist ein kleiner und ein kurzer Film. Marian Mathias übernahm auch die Montage. In der kurzen Lauflänge von unter 80 Minuten weiß sie jede Einstellung zu nutzen. Ihre Figuren und die Handlung bewegen sich fast gar nicht, umso mehr kann man die kleinen Gesten wahrnehmen.

Hannah Schiller ("Fabian oder Der Gang vor die Hunde", "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo") spielt in der US-französisch-deutschen Koproduktion das Mädchen Haas. Gerade 18 Jahre alt, still und einsam, die von einem Moment zum anderen ihren Vater verliert. Der hinterlässt ihr nur Schulden und die Erkenntnis, dass all seine Versprechungen nur Hirngespinste waren. Er soll in seinem Heimatort beerdigt werden, wo auch schon Haas' Mutter bestattet worden ist.

Haas, die noch nie in ihrem Leben irgendwo war, begleitet den Sarg und harrt vor Ort - dem Wetter ausgeliefert - aus, so wie man es auf dem offenen Land gewohnt ist. Hier trifft sie auf einen jungen Mann, Will heißt er, Darren Houle spielt ihn, und er ist ebenfalls ein Fremder am Ort und ein Einzelgänger. Still und sensibel. Eine kurze Zeit verbringen die beiden zusammen auf den Feldern im Gespräch und im vorsichtigen Entdecken ihrer Ähnlichkeiten.

Die Kamera von Jomo Fray ("Port Authority") wahrt die Distanz. Das Land, die Erde und der Himmel nehmen fast die Hauptrolle ein. Die Zeit spielt dagegen gar keine Rolle. Haas Geschichte über ihre erste Begegnung mit einem Menschen, der sie versteht, ist auch eine Coming-of-Age-Geschichte. Fast vergisst man das, wenn die Umgebung sie so sehr einschnürt und es recht schon komisch wirkt, wenn die fast gesichtslosen Bürger des Ortes ins Bild treten uns vom Rand aus beurteilen. "Runner" ist eine Filmperle, die aus dem Schlamm und der Erde einen Blick auf ein junges Leben wirft. In Toronto lief "Runner" in der Sektion Discovery. Das Festival in San Sebastián holte den Film in den Wettbewerb, wo er jetzt den Special Preis der Jury gewonnen hat.

Elisabeth Nagy


Der Preis für die beste Nebenrolle ging an eine noch jüngere Darstellerin, nämlich an den ersten Auftritt der erst 12-jährigen argentinische Darstellerin Renata Lerman für ihre Rolle in "El Suplente" ('The Substitute'), als rebellische Tochter einer Lehrerin in Diegos Lermans Klassenzimmerdrama.

Die Silberne Muschel für die beste Regie erhielt der Japaner Genki Kawamura für "Kyakka" ("Hundert Blumen"), die Produktion einer heiklen, aber zärtliche Studie über eine Mutter und ihren Sohn, die sich in langsamer Erzählweise mit dem Themen Demenz und Alzheimer befasst.

Der chinesische Regisseur Wang Chao erhielt das beste Drehbuch für "A Woman", seine tief empfundene Darstellung einer Frau aus der Arbeiterklasse, die ihre kreative Stimme allmählich durch eine Reihe unglücklicher Beziehungen im maoistischen China freisetzt.

Der argentinische Regisseur und Kameramann Manuel Abramovich musste sich mit dem Kamerapreis für einen der umstrittensten Beiträge des Wettbewerbs begnügen, "Pornomelancolía" - ein faszinierendes Dokufiction-Porträt eines selbstgemachten mexikanischen schwulen Pornostars und Influencers Lalo Santos, das zuvor auf dem Festival von Santos' eigenen Twitter-Beschwerden über den Film erschüttert wurde, in dem behauptet worden war, dass seine Geschichte vom Regisseur ausgenutzt wurde.

Der umstrittenste Film im Line-up - der österreichische Provokateur Ulrich Seidls "Sparta", ein Pädophilie-Drama, das nach Vorwürfen des unzureichenden Schutzes von Kinderdarstellern aus Toronto zurückgezogen wurde, dafür am vergangenen Sonntag auf dem SSIFF seine laut beklatschte Weltpremiere gefeiert hatte, ging ebenso leer aus, wie der neue Film von Sebastian Lelio, "The Wonder" mit Florence Pugh. Beide Filme feiern in wenigen Tagen ihre deutschen Premieren auf dem Filmfest Hamburg.

Einer der Wettbewerbsjuroren, der isländische Filmemacher Hlynur Pálmason, ging auch als Gewinner der eher Arthouse-orientierten Zabaltegi-Tabakalera-Nebenreihe des Festivals hervor und erhielt den Preis für sein beeindruckend muskulöses, bereits in Cannes uraufgeführtes kirchliches Drama "Godland".

Ein weiterer früherer Festivalhit, das schmerzende Vater-Tochter-Porträt "I Have Electric Dreams" der costa-ricanischen Newcomerin Valentina Maurel, führte auch den Latin Horizons-Wettbewerb des Festivals an, nachdem er im vergangenen Monat im Hauptwettbewerb von Locarno mehrfach ausgezeichnet worden war.

Eine weitere jugendorientierte Geschichte, das französische Duo Jeanne Aslan und Paul Saintillans sommerliche, klassenbewusste Miniatur "Spare Keys", wurde im diesjährigen New Directors-Wettbewerb mit höchsten Auszeichnungen ausgezeichnet.

Der Publikumspreis des Festivals ging unterdessen an das mitreißende Gerichtsdrama "Argentina, 1985" des argentinischen Regisseurs Santiago Mitre. Die polierte Amazon-Produktion erwies sich bereits Anfang des Monats in Venedig, wo sie im Wettbewerb Premiere feierte, als Publikumsliebling; Sollte Argentinien es als seine internationale Oscar-Einreichung auswählen, wie allgemein erwartet wird, wird es ein beeindruckender Anwärter sein.

Der separate Publikumspreis für den besten europäischen Film blieb unterdessen in der Nähe seiner Heimat und ging an den galicischen Thriller "The Beasts" des lokalen Regisseurs Rodrigo Sorogoyen.

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DIE OFFIZIELLE LISTE DER PREISE:

Goldene Muschel für den besten Film: "Kings of the World", Laura Mora

Spezialpreis der Jury: "Runner", Marian Mathias

Silberne Muschel für die beste Regie: "Hundert Blumen", Genki Kawamura

Silberne Schale für beste Darstellerleistung: "La Maternal", Carla Quílez; "Winter Boy", Paul Kircher

Silberne Schale für die beste Nebendarstellerleistung: "Der Stellvertreter", Renata Lerman

Bestes Drehbuch: "Eine Frau", Wang Chao

Beste Kamera: "Pornomelancolía" von Manuel Abramovich

WEITERE OFFIZIELLE AUSZEICHNUNGEN:

New Directors Award: "Spare Keys", Jeanne Aslan und Paul Saintillan

New Directors Award (Lobende Erwähnung): "Auf beiden Seiten des Teiches", Parth Saurabh

Horizontes Latinos Award: "Ich habe elektrische Träume", Valentina Maurel

Zabaltegi-Tabakalera-Preis: "Godland", Hlynur Pálmason

Publikumspreis für den besten Film: "Argentinien, 1985", Santiago Mitre

Publikumspreis für den besten europäischen Film: "The Beasts", Rodrigo Sorogoyen

Spanischer Kooperationspreis: "Noise", Karla Moreno, María José Córdova

RTVE Another Look Award: "Das gelbe Dach", Isabel Coixet

RTVE Another Look Award (Lobende Erwähnung): "Corsage", Marie Kreutzer

Irizar Baskischer Filmpreis: "Suro", Mikel Gurrea

Irizar Basque Film Award (Lobende Erwähnung) & TCM Youth Award: "To Books and Women I Sing", Maria Elorza

WEITERE AUSZEICHNUNGEN:

Euskadi Basque Country 2030 Agenda Award: "Tori und Lokita", Jean-Pierre und Luc Dardenne

Dunio Asaya Award: "Tabakscheunen", Rocio Mesa

Dunio Asaya Award (Lobende Erwähnung): "Das gelbe Dach", Isabel Coixet

FIPRESCI Award: "Cork", Mikel Gurrea

Feroz Zinemaldia Award: "Die Könige der Welt", Laura Mora

Preis des Verbandes baskischer Drehbuchautoren: "Suro", Mikel Gurrea und Francisco Kosterlitz

Sebastiane Award: "Something You Said Last Night", Luis de Filippis

Lurra Greenpeace Award: "Alcarras", Carla Simon

SIGNIS Award: "Die Könige der Welt", Laura Mora

SIGNIS Award (Lobende Erwähnung): "Runner", Marian Mathias

Link: www.sansebastianfestival.com

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Am gestrigen dritten Tag des Zurich Film Festivals, das vom 22.09. - 02.10.2022 in der größten Stadt der Schweiz und Hauptort des gleichnamigen Kantons stattfindet, wurden gleich fünf Weltpremieren gezeigt!

Unter anderem feierte mit Christian Lollike’s "THE CAKE DYNASTY", eine bitterböse dänische Komödie aus dem Spielfilm Wettbewerb ihre Weltpremiere. Anhand der Geschichte eines frustrierten Bäckers, dessen Kuchenfabrik vor dem finanziellen Aus steht, nimmt Regisseur Christian Lollike Themen wie Familienkonstrukte, Gesundheitswahn und Culture-Clash regelrecht auseinander.

Eigentlich angesichts der Inflation und steigender Gaspreise eine traurige Geschichte, die in vielen Fällen derzeit schon Wirklichkeit wurde, das Publikum aber dennoch zum herzhaften Lachen anregte.

Erwähnenswert ist das Zurich Film Festival aber auch, weil es seit etlichen Jahren mit dem Festival San Sebastián kooperiert und deren spanische und südamerikanischen Filme in der Reihe der Gastländer alljährlich in Zürich präsentiert. Zugleich spart die Kooperation Reisekosten, da die Stars und Regisseure aus Übersee (Südamerika) nur einmal nach Europa anreisen müssen.

Link: zff.com

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Am heutigen Sonntag geht nach insgesamt 16 Festivaltage der zweiten Ausgabe vom LITFILMS Literatur Film Festival Münster zu Ende: 37 Veranstaltungen mit Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen, Lesungen und Workshops fanden vom 10. – 25.9.2022 statt.

Spielorte des Festivals, das in seiner Ausrichtung in Deutschland einmalig ist, waren das Schloßtheater Münster als Festivalkino, das LWL-Museum für Kunst und Kultur, das Cinema & Kurbelkiste und die Studiobühne.

Um 21:00 Uhr wurden am Sonntagabend, den 25.09.2022, die Preise verkündet.

"SCARBOROUGH" von Shasha Nakhai und Rich Williamson nach dem Roman von Catherine Hernandez gewinnt den Preis als bester Film im Wettbewerb Internationale Literaturadaption.

Zudem ausgezeichnet mit acht Canadian Screen Awards, dem kanadischen Pendant zu den Oscars, unter anderem für den besten Film des Jahres, entwirft die Adaption des gleichnamigen Romans ein feinfühliges Kaleidoskop des Erwachsenwerdens in einer einkommensschwachen Nachbarschaft in Toronto.

Hier der Trailer:


Synopsis:
Das Spielfilmdebüt von Shasha Nakhai und Rich Williamson dreht sich um das Aufwachsen von Bing (Liam Diaz), Sylvie (Mekiya Essence Fox) und Laura (Anna Claire Beitel), drei jungen Kindern in einer sozial benachteiligten kulturell vielfältigen Community im Stadtteil Scarborough von Toronto, die im Laufe eines Schuljahres in einem von der Erzieherin Hina (Aliya Kanani) geleiteten Nachmittagsunterricht den Wert von Gemeinschaft, Leidenschaft und Widerstandsfähigkeit kennenlernen.

Die Jury Begründung:

"SCARBOROUGH" ist ein aufwühlender Film, der sich einbrennt und dessen Bilder einen noch lange begleiten. Der Film wirft einen liebe- und verständnisvollen Blick auf ein Milieu, indem die Innenperspektive gezeigt wird. So haben die Zuschauer*innen teil an den Entwicklungen, die sich aus Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Sucht ergeben, aber das Drama wird nicht Mittel zum Zweck, sondern ist Gegenstand der Betrachtung. Eine sehr genaue Kenntnis des Milieus ist offenbar, dabei wirkt der Blick nie arrogant oder distanziert.

Die Kamera ist erzählerisch eingesetzt, indem sie die Figuren begleitet und ihre Geschichten eher einfängt als Szenen abfilmt oder umsetzt. Dadurch entsteht eine besondere Unmittelbarkeit in der Erzählweise. Alle Darsteller*innen gehen nicht in ihrer bloßen Besetzung auf, sie stehen als soziale Personen für die Welt ein, die sie verkörpern. Ihre Soziolekte machen die unterschiedlichen Herkunftsmilieus deutlich, ohne dabei Sprache zur Sympathielenkung zu benutzen. Der Film vertraut seinen Figuren und dass sie für ihre Geschichte stehen.

Es muss nichts erklärt oder moralisch eingeordnet werden, es gibt keine einfache Aussage in diesem dokumentarisch erzählten Film. Die komplexe Problematik abgehängter Milieus in Kanadas pluraler Konsumgesellschaft spiegelt sich nicht nur in den Sprechweisen der Figuren, sondern auch in den gefilmten Waren und Objekten. Die Schnitt-Technik präsentiert die Dinge in ihrem alltäglichen Gebrauch, in ihrer An- und Abwesenheit. So entwirft der Film auf eindringliche Weise eine Milieustudie, die sich nicht nur vieler Erzählregister bedient, sondern auch der eigenen Produktionsbedingungen stets bewusst bleibt.

Link: litfilms.de

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