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KOMM MIT MIR IN DAS CINEMA - DIE GREGORS und mehr, jetzt im Kino

Nach unseren Besuchen der IFA und der Berlin Photo Week widmen wir uns heute wieder den aktuellen Kinostarts in zwei Besprechungen.



Bereits im Februar 2022 konnte man erstmals auf der Berlinale den Porträtfilm über die Gründer der Sektion Forum sehen, das damals im Jahre 1971 noch Forum des jungen Films hieß und von Erika (87 Jahre) und ihrem Mann Ulrich Gregor (91 Jahre) 1971 als Gegenpol zum etablierten Film ins Leben gerufen worden war.

Sie nannten sich Freunde der deutschen Kinemathek und gehörten in den Anfangsjahren unseres 1974 gegründeten BAF e.V. ebenfalls viele Jahre zu deren Mitgliedern. Der inhaltliche Schwerpunkt des Forums liegt bis heute im Bereich des politisch engagierten Kinos. Die ersten Vorführungen des Kinos »Arsenal« fanden allerdings noch in einem kleinen, nicht mehr existierenden Kino, in der Welserstraße / Fuggerstraße unweit vom KaDeWe statt.


"Komm mit mir in das Cinema - DIE GREGORS" Dokumentarfilm von Alice Agneskirchner. (Deutschland 2022, 154 Minuten). Mitwirkende: Erika Gregor, Ulrich Gregor, Wim Wenders, Jutta Brückner, Jim Jarmusch, Doris Dörrie, Aleander Kluge, Volker Schlöndorff, Edgar Reitz, Hans Helmut Prinzler, Helke Sander, Gerd Conradt, Michael Verhoeven, István Szabó, Rudolf Thome, Uschi Seifried, Gabriele Wegener, Karl Winter, Dorothee Wenner, Sylvia Andresen, Rosa von Praunheim, Barbara Junge, Winfried Junge, Jeanine Meerapfel, Anke Leweke, Martin Koerber, Johannes Hampel, Margarethe von Trotta, David Gräber, Damla Telkök, Sprecherin: Senta Berger. Seit 1. September 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

"Menschen am Sonntag", ein Klassiker des frühen deutschen Filmes. Regie Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer, Curt Siodmak und Billy Wilder haben am Drehbuch geschrieben. 1930 kam der Film ins Kino. Erika Steinhoff besuchte in den 50ern eine Vorführung im studentischen Filmclub der Freien Universität Berlin. Im Anschluss gab es eine Diskussion, geleitet von Ulrich Gregor, der nach einem Studium in Paris nach Berlin gewechselt war.

Nach Paris führte ihn die Liebe zum Film. In Deutschland verharrte man derweil auf den Nachkriegsheimatfilm. Die junge Studentin Steinhoff erhob in der Runde ihre Stimme. Sie störte sich an dem Frauenbild. Ulrich Gregor wünschte sich damals vor allem eines, dass sie wieder vorbeischauen möge. Die Regisseurin Alice Agneskirchner ("Lampenfieber", "Herr, Frau, Hund") stellt uns die Gregors im Saal des Berliner Kinos Arsenal vor. Da sitzen die Beiden zusammen und der Vorhang geht auf und eine Vorführung eben jenes "Menschen am Sonntag" beginnt. Erika, die Ulrich Gregor Jahre später heiratete, stört sich immer noch an dem Film. Nicht einer Meinung zu sein über einen Film, schärft die Argumente. Über Film streiten zu können, zeugt von der Liebe zu der Kunst.

Die Gregors haben das Berliner Filmgeschehen über die Jahre, nein Jahrzehnte mitgeprägt. Man kennt sie als die Begründer der "Freunde der deutschen Kinemathek", das war 1963. Zum Beispiel. Warum es "die Freunde" der "deutschen Kinemathek" heißt, ist eine der zahlreichen Anekdoten, die für viele im Publikum sicherlich bekannt, für viele eventuell weniger bekannt ist. Verstand sich die "Deutsche Kinemathek" als Sammler und Verwahrer, wollten die "Freunde" Filme auch zeigen. Der Bedarf war da, die Vorführungen, damals noch zum Beispiel in der Akademie der Künste wurden angenommen. Bis den Freunden ein Kino in der Welser Straße in Berlin in den Schoß fiel und man fortan, ab 1970 als Kino Arsenal auch Kinoprogramm machte.

Alice Agneskirchner hat den beiden unermüdlichen Filmliebenden, die sich über diese Liebe gefunden hatten, eine Hommage gewidmet. Natürlich ist der Film auch biographisch. In Kapiteln folgen wir ihnen in ihrer Laufbahn, die sich ganz organisch aufbaute, zuerst akquirierte man Filme für den Filmclub, dann machte man Kinoprogramm, dann sogar ein Festival.

Wegbegleiter und Nachkommende, die von ihrer Arbeit als Filmemachende geprägt worden sind, kommen folglich auch zu Wort. Darunter Wim Wenders, Jim Jarmusch und Doris Dörrie. Barbara Junge und Winfried Junge ebenso wie Rosa von Praunheim, Helke Sander und Jeanine Meerapfel. Ein Stück weit ist "Komm mit mir in das Cinema - Die Gregors" deutsche Filmgeschichte bzw. Berliner Stadtgeschichte. Was fehlt, ist sicherlich die Einordnung der Anfänge der unzähligen Filmclubs, nicht nur in Berlin, mitaufzuzeigen, oder einer breiteren Ebene von Mitstreiter und Mitstreiterinnen ebenfalls einen Raum zu geben.

Was beeindruckt, ist die Energie, mit der die beiden sich auf die Suche nach Filmen machten, die nicht in den Kinos liefen. Sie suchten auch aktiv nach dem Kino im Ostblock, in Asien, aber auch in den USA. Viele Filme, die heute in unserem Kanon als wichtige Filme gelten, kamen einst durch die, nicht immer unumstrittene, Vermittlung der Gregors nach Deutschland. Und wenn sie dann die Filmschätze zeigten, haben sie die Vorführungen immer mit einem kuratierten Lesestoff ergänzt. Ihnen waren nicht nur die Stabangaben wichtig, sondern sie fügten Filmanalysen und Filmgeschichtliches über die Herkunftsländer hinzu. Wer das nicht kennt, möge doch bitte mal an die Kasse des Arsenal Kinos gehen, das heute natürlich nicht mehr in der Welser Straße, sondern im Filmhaus am Potsdamer Platz im Untergeschoss ist, und in die Auslage schauen.

Solange die Berlinale und damit ihre Sektion des "Internationalen Forum des jungen Filmes" Kataloge auf Papier druckte, war der Katalog des "Forums" immer ein Muss. Und selbst wenn man für Kataloge kein Geld hatte, zu den einzelnen Filmen gab es diese inhaltsreichen Informationsblätter auch einzeln zur Vorführung und man konnte sie sammeln. Die Sektion Forum hatte auch stets auf Pressekonferenzen verzichtet und sich im Anschluss der Vorführung in das, was man heute gemeinhin Q&A nennt, auf den Dialog zwischen Publikum und Filmschaffenden konzentriert. All das, was man heute fast für selbstverständlich hält, hatte mal einen Anfang und auch davon erzählt dieser Film.

Bei dem Titel handelt es sich übrigens um ein Gedicht von Else Lasker-Schüler. Die Autorin muss genannt werden, gemahnt Erika Gregor Ulrich Gregor, während der das Gedicht gerade aufschreibt. An anderer Stelle liest Ulrich Gregor, während sie einen Film schauen, die Untertitel leise vor, weil Erika nicht mehr ganz so gut sehen kann. Die Beiden verbindet die Liebe zum Film und das ein Leben lang. Alice Agneskirchners Dokumentarfilm ist vielleicht nicht kritisch und auch nicht allumfassend, aber sie möchte genau diese Liebe zum Film vermitteln und wie sich diese Liebe auf all jene ausgewirkt hat, die heute Filme machen oder darüber schreiben oder auch einfach nur ebenfalls Filme jenseits des Startplans suchen. Jung sind die beiden Gregors nicht mehr, aber immer noch sieht man sie gemeinsam im Kino. Unermüdlich, da mag sich zwischen den "The End"-Tafeln am Ende des Filmes verschmitzt eine Texttafel zur Intermission einschleichen.

Elisabeth Nagy


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"DIE ZEIT, DIE WIR TEILEN" Liebesdrama von Laurent Larivière (Frankreich, Deutschland, Irland 2022; 101 Min.) Mit Isabelle Huppert, Lars Eidinger, Freya Mavor u.a. seit 31. August 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
Eine Frau blickt zurück auf ihr Leben. Der Originaltitel des Films lautet „À propos de Joan“, Alles über Joan.

Gleich zu Beginn des Dramas von Laurent Larivière sitzt Isabelle Huppert in ihrem Auto und spricht direkt zum Publikum und bittet darum, ihren Namen Joan richtig auszusprechen.

Es ist ein bloßer Zufall, dass die Verlegerin und alleinerziehende Mutter Joan Verra nach Jahrzehnten ihre erste große Liebe wieder trifft. Total aufgewühlt durch das unerwartete Treffen verlässt sie Paris und zieht sich in ihr Landhaus zurück, um über ihr Leben nachzudenken.

Sie nimmt uns mit auf eine Reise in ihre Vergangenheit.

Als Au-pair-Mädchen in Dublin hat sie sich in den Taschendieb Doug (Èanna Hardwicke) verliebt, mit dem sie eine wilde Zeit verbrachte und ein eingespieltes Team im Klauen wurde. Doch dann wurde sie erwischt und festgenommen und war schwanger. Dass sie einen Sohn zur Welt brachte, hat Doug nie erfahren. Ein trauriges Erlebnis war für Joan, als ihre Mutter sie und den Vater verlässt und mit einem Karatelehrer nach Japan abhaut. Trotzdem entwickelt sie sich zu einer selbstbewussten aber unnahbaren Frau und wird in Frankreich, dem Heimatland ihrer Mutter, zu einer angesehenen Verlegerin, die ihren Sohn Nathan allein großzieht, zu dem sie ein liebevolles aber dennoch kompliziertes Verhältnis zu haben scheint. Dass sich in ihren Erinnerungen Wahn und Wirklichkeit vermischen und wir die Geschichte unseres Lebens zum größten Teil selbst erfinden, ist nichts Ungewöhnliches.

„Beim Hin- und Herwechseln zwischen den verschiedenen Zeiträumen werden Dinge dargestellt, die eher im Bereich der Gefühle als der Erklärungen liegen. Wir wechseln mit einem Blick oder der Erinnerung an etwas von einer Zeitperiode in die andere“, so der Regisseur.

Ganz real ist ein Telefonat, in dem sie von dem Tod ihrer Mutter erfährt, die bereits vor 15 Jahren unbemerkt nach Frankreich zurückkehrte, ohne ihre Familie zu informieren. Und das Verhältnis zu ihrem Verehrer Tim Ardenne (Lars Eidinger), ein exzentrischer, alkoholkranker Schriftsteller, ein Enfant Terrible, mit einer zerbrechlichen Verletzlichkeit, der nur in der Liebe zu der älteren Verlegerin Joan einen Halt findet. Doch sie kann ihn nicht nah an sich heran lassen.

Die besondere Faszination dieses melancholischen Films zeigt, was am Ende bleibt sind Erinnerungen und diese seziert Laurent in all seine Einzelteile, zwischen Realität und Illusion.

Isabelle Huppert verkörpert in ihrer reduzierten Darstellung und ihrer starken Leinwandpräsenz die Rolle der Joan auf faszinierende Weise und sorgt dafür, dass dieses Drama durch seine spröde Emotionalität, gemischt mit Melancholie, unter die Haut geht. Auch Lars Eidinger imponiert, in dem er übertreiben kann, ohne dabei in eine Karikatur zu verfallen.

Der Film hatte seine Weltpremiere auf den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin unter den Berlinale Specials.

Ulrike Schirm


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