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28. Sarajevo Film Festival mit umfangreicher Preisvergabe beendet

Das Sarajevo Film Festival ist das wichtigste und größte Filmfestival Südosteuropas und eines der größten Filmfestivals Europas.



Das 28.‎‎ Sarajevo Film Festival‎‎, das vom 12. - 19. August 2022 stattfand, endete mit der Weltpremiere des Films "MAY LABOUR DAY" von Pjer Žalica, der im Open Air Programm gezeigt wurde.

Das Sarajevo Film Festival ist seit 1996 als internationales Wettbewerbsfestival mit regionalem Focus beim internationalen Filmproduzentenverband FIAPF akkreditiert und zeigte in diesem Jahr ein vielfältiges Programm sowie Solidarität mit der Ukraine, obwohl ukrainische Flaggen im Stadtbild von Sarajevo nur vereinzelt zu sehen waren.

Der Beginn der vierjährigen Belagerung Sarajevos durch bosnische Serben ist zwar 30 Jahre her, doch viele Bewohner*innen erinnern sich noch wie täglich Granaten und Sniper-Projektile auf sie abgefeuert wurden. Die aktuellen Bilder aus der Ukraine von zerbombten Hochhäusern und Toten auf den Straßen wirken auf das Balkanland im heutigen Bosnien und Herzegowina wie eine grauenvolle Wiederholung des damaligen Genozid an der moslemischen Bevölkerung, wovon eindrucksvoll das preisgekrönte historische Kriegsdrama "QUO VADIS, AIDA?" von Jasmila Žbanić schildert, das wir hier vor einem Jahr besprochen hatten.

Das Filmfestival von Sarajevo wurde 1994 noch während der Belagerung gegründet und zeigte seit 2003 ausschließlich Filme aus Südosteuropa. Der Wettbewerb wurden aber diesmal auch für Werke aus der Ukraine geöffnet, um auf die Parallelität der bosnischen und der ukrainischen Geschichte hinzuweisen.

Das ermöglichte auch Regisseur Maksym Nakonechnyi aus Kiew die Bühne des Nationaltheaters von Sarajevo zu erklimmen, um über sein Spielfilmdebüt „Butterfly Vision“ zu sprechen, der im internationalen Wettbewerb lief. Seine Uraufführung feierte der Film 2022 beim Festival de Cannes in der Nebensektion »Un Certain Regard«.

Hier der Trailer:



Synopsis:
Der Film handelt von Lilia (Rita Burkovska), die als Drohnenpilotin im Donbass gedient hat und nach Monaten in russischer Gefangenschaft zurück nach Hause kommt. Neben den großen Narben auf ihrem Körper zeugen auch kurze Erinnerungssequenzen, Traumbilder und Drohnenaufnahmen davon, dass sie Schreckliches erlebt hat. Der Regisseur verwebt die verschiedenen Medien auf äußerst suggestive Weise und erschafft durch das intensive Spiel der Hauptdarstellerin eine beeindruckende Annäherung an die Innenwelt einer von ihren Kriegserlebnissen überwältigten Frau.


Ebenfalls im Wettbewerb wurde Maryna Er Gorbachs Donbass-Drama „Klondike“ gezeigt, das schon im Februar im Panorama-Programm der 72. Berlinale zu sehen war, wie wir hier in unserer Kritik berichteten. Der Film wurde in Sarajevo mit dem Regiepreis ausgezeichnet.

Der Hauptpreis des Festivals ist das »Herz von Sarajevo« (Srce Sarajeva) für den besten Film. Dieser ging an Juraj Lerotić aus Kroatien für sein „Sigurno Mjesto“ ("Safe Place") im Spielfilmprogramm. Der Film, der von der persönlichen Erfahrung des Regisseurs inspiriert ist, wurde kürzlich auch beim Locarno Filmfestival gezeigt. Hier ein Clip daraus.



Synopsis:
‎Ein traumatisches Ereignis, ein plötzlicher Selbstmordversuch, zerreißt das Gewebe einer dreiköpfigen Familie. Ihr Leben wird auf den Kopf gestellt, als wären sie in einen Krieg getrieben worden, der für niemanden außer ihnen wahrnehmbar ist. Die Zeitleiste des Films ist sehr kurz und reduziert sich auf das Wichtigste - die Rettung desjenigen, den Sie lieben.


Der Dokumentarfilmpreis ging an "Museum of the Revolution" von Srđan Keča (Serbien, Kroatien, Tschechien), der bei uns bereits am 1. September 2022 ins Kino kommt.

Von beiden Gewinner-Filmen können wir heute schon Filmkritiken veröffentlichen.

„SIGURNO MJESTO | Safe Place" Spielfilm von Juraj Lerotić (Kroatien / Serbien, 2022, 102 Min.). Mit Snježana Sinovčić Šiškov, Goran Marković, Juraj Lerotić, Damir Klemenić, Biljana Torić, Neven Aljinović Tot, Jasmin Mekić, Sunčana Zelenika Konjević, Mario Knezović, Katarina Bistrović Darvaš, Darko Plovanić, Blanka Bart, Tanja Smoje, Ivan Pašalić, Ivana Bakarić, Daria Lorenci, Igor Samobor, Peda Gvozdić, Oriana Kuncić, Mirjana Ševo, Jolanda Tudor, Donat Zeko, Marinko Prga, Mate Gulin.

Elisabeths Filmkritik:

Eine kleine Straße zwischen Panelhäusern, die Kamera bleibt fest und auf Distanz. Vereinzelt beobachtet man eine Person. Eine Texttafel am Anfang stimmte auf das Folgende ein: "Das ist dein Haus. Zähle bis 20 und dann werde ich angerannt kommen." Aus der Ferne beobachten wir, wie ein junger Mann quer durch das Bild rennt, auf einen Hauseingang zu und dagegen tritt, bis er sich Zugang geschafft hat.

Die Distanz wechselt nun von der Totalen in die Nahaufnahme. Der junge Mann trommelt gegen die Tür. Hinter der Tür ist sein Bruder, den er dann geradezu umhaut, als er die Tür aufbekommt. Da ist Blut, viel Blut. Der junge Mann ruft den Rettungsdienst. Was ist passiert? Was folgt? Sicher ist, der Bruder hat versucht, sich das Leben zu nehmen. Der kroatische Regisseur Juraj Lerotić beleuchtet ein sehr intimes Verhältnis zwischen Brüdern. Dabei gelingt es ihm, sowohl den einen als auch den anderen Bruder als komplexe Persönlichkeit darzustellen.

12 Jahre ist es her, als Juraj Lerotić, der übrigens in Deutschland geboren wurde, mit seinem Kurzfilm "Then I See Tanja" debütierte. Der Sender arte hatte den Film damals ausgestrahlt.

Jetzt erst gibt Lerotić sein Langspielfilmdebüt und spielt nicht nur selbst die eine, die aktivere Hauptrolle. Er bringt auch einen autobiographischen Vorfall auf die Leinwand. Leicht hätte er das schwere Thema überfrachten oder gar das Publikum mit allzu Persönlichem verlieren können. Aber seine Erzählung ist so persönlich wie universell. Die Umstände mögen immer wieder andere sein, die Wellen, die Nahestehende zu spüren bekommen und mit denen sie umgehen müssen, werden sich ähneln. Juraj Lerotić, wählt einen Regiestil, der dem jüngeren rumänischen Film ähnelt. Und er zieht den Zuschauenden erst den Boden unter den Füßen weg, um ihn dann behutsam durch die Handlung zu tragen. So weit das überhaupt möglich ist. Wie sehr die Geschichte auch die seine ist, versteckt er nicht, er spricht es sogar an.

Juraj Lerotić spielt Bruno, den Bruder, der angerannt kommt. Goran Marković spielt Damir, der sich das Leben nehmen wollte. Die Sanitäter bringen ihn ins Krankenhaus, zur Beobachtung soll er dort bleiben. Kein "sicherer Ort", kein Gefühl der Geborgenheit. Für niemanden. Bruno trifft auf ein empathieloses Personal, auf eine entmenschlichte Bürokratie. Dabei fordert der Schutz von Lebenswillen Fürsorge und einen "sicheren Ort". Damit man die äußeren Begebenheiten überhaupt erträgt, kommt eine Spur Humor hinzu, der einem bald im Halse stecken bleibt. Zu absurd wirkt das Drumherum, womit sich Bruno herumschlagen muss, um seinen Bruder zu retten.

Juraj Lerotić wählt einen riskanten dramaturgischen Trick, der ihn für die fortlaufende Handlung fast zum unzuverlässigen Erzähler macht. Denn ja, alles, was da passiert, ist ein Dialog zwischen zwei Brüdern, die sich so gut kennen, dass der eine weiß, was der andere sagen würde. Die Mutter der beiden, gespielt von Snježana Sinovčić Šiškov, muss erst anreisen. Ihre Rolle erdet sowohl den einen Bruder als auch den anderen.

Aus der Dunkelheit der Wohnung, die allerdings fern der Heimat und nur als Wohnstätte zur Arbeit verwendet wird, geht es in die Kälte des Krankenhausbetriebes. Immer wieder sind es Scheiben, durch die man einen oder beide sieht, und die keinen näheren Zugang erlauben. Damir will nach Hause und damit ist nicht das düstere Zagreb, sondern das sonnige Split gemeint. Wie rettet man jemanden vor sich selbst? Diese Frage steht ja auch im Raum. Einfach macht es sich Juraj Lerotić in seiner Funktion des Regisseurs und Drehbuchautors nicht.

In Locarno lief "Safe Place" im Nebenwettbewerb »Cineasti del presente« und gewann den Nachwuchsregiepreis. Als bester Darsteller wurde Goran Marković ausgezeichnet, der mit minimalistischen Mitteln die Zerrissenheit und die Qualen des lebensmüden Bruders spielt. Derart leise und zurückhaltend, dass man seine Verlorenheit körperlich spürt und man den Schmerz den sein Bedauern um die Qual, die er wohl bereitet, fast weinen lässt.

Kaum ist Locarno abgeschlossen, wurde "Safe Place" in Sarajevo im Hauptwettbewerb aufgeführt und auch hier gab es Preise. Nicht nur den Preis für den besten Spielfilm, nein dieses Mal konnte der Regisseur auch den Preis als bester Darsteller entgegennehmen.

Elisabeth Nagy


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"MUSEUM of the REVOLUTION" Dokumentarfilm von Srđan Keča (Serbien / Kroatien / Tschechien, 2021, 91 Min.). Mit Marija Savić, Milica Novakov und Vera Novakov. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Sucht man im Internet nach dem Museum "Museum of the Revolution", dann findet man Einträge über die gleichnamige Institution im ehemaligen Präsidentenpalast von Kuba. Hier wird der Geschichte des Landes gedacht.

Etwas ganz Ähnliches hatte man wohl in Belgrad, ehemals Jugoslawien geplant. Srđan Keča stellt seiner beobachtenden Dokumentation Filmarchivmaterial von Miloš Bukumirović voran, aus einer Zeit des Aufbruchs und des Aufbaus. Ein Zitat des kroatischen Architekten Vjenceslav Richter erinnert an die Pläne Anfang der 60er Jahre ein Museum, wie kein anderes, zu errichten, das einer geschichtlichen und nationalen Wahrheit verpflichtet wäre. Es dauerte bis in die 70er, bis man tatsächlich den Bau in Angriff nahm. Ein Bau, der niemals beendet wurde. Nur einen Keller zeugt von den Bestrebungen eines Landes, dass es heute nicht mehr gibt. Heute ist der Bau nicht einmal ein Lost Place-Eintrag. Obdachlose und andere von der Gesellschaft an den Rand gedrückte Menschen kommen hier unter. Und hier verbindet der Regisseur, der nach einem Studium in Belgrad, ins Dokumentarfach nach Paris und später an der Filmhochschule in Großbritannien studierte, die Architektur mit denen, der die Architektur dient oder zumindest dienen sollte.

Seine Kamera fängt ein im Schnee spielendes Mädchen ein. Vielleicht zwischen 7 und 8 oder 9 Jahre alt. Der Keller gibt ihr und ihrer Mutter einen Rückzugsort. Manchmal scheint die Zeit hier still zu stehen, festgefroren zu sein. Gemeinsam streifen Mutter und Tochter durch die Straßen. Waschen für Kleingeld Windschutzscheiben von Belgrads Bewohnern, die einen festeren Anker in der Gesellschaft haben. Milica heißt das Mädchen und ihrem Auftreten, ihrer Lebensfreude, ihrer Energie verdankt der Dokumentarfilmer ein Gleichgewicht zwischen den gesellschaftlichen Polen. Milica hegt eine Freundschaft mit einer alten Frau, die ebenfalls in den Gemäuern Unterschlupf gefunden hat. Bei Kerzenschein zeigt die alte Frau dem Kind, wie man etwas häkelt und das Kind ist wissbegierig und will es ganz genau erklärt bekommen.

Drei Generationen folgt Srđan Keča über den Verlauf hin und es geht ihm nicht nur um ihre Armut und über ihre unterschiedlichen Lebenserfahrungen. Er zeigt, wie diese drei Frauen füreinander da sind und füreinander einstehen. Dabei hatte er ursprünglich eher die Architektur, den Bau dieses Museums, im Fokus. Für die 2014er Architektur-Biennale in Venedig hatte er für eine Installation das Gebäude und seine Geschichte aufgegriffen und dabei die Bewohner, zum Bespiel Marija, die ältere Frau, kennengelernt. Über die Jahre kehrte er immer wieder zurück. Auch weil er spürte, dass da noch eine Geschichte zu erzählen sei. Als er Milica mit Marija spielen sah, machte es Klick.

Keča stellt ein Sprichwort der Handlung voran. "In der Nacht hob der Wind an und wehte unsere Pläne fort". So wie der einst so ambitionierte Bau zuerst geplant und dann danieder lag. Wie er Ende der 70er doch aufgegriffen wurde, nur um kurz darauf doch abgebrochen zu werden, so verlief das Leben seiner heutigen Bewohner auch nicht geradlinig und ihre Pläne und Träume brachen immer wieder weg. Keča, der auch die Kamera führte, findet dafür ruhige und eindringliche Bilder. Indem er uns nicht alles erklärt, bewusst Lücken schafft, und viele Fragen, die vielleicht aufkommen könnten, unbeantwortet lässt, nähert er sich mehr einer inneren Wahrheit der Figuren.

Keča stellte seinen Film bisher auf dem niederländischen Dokumentarfilmfest IDFA vor. Zuletzt zeigte er "Museum of the Revolution" in Sarajevo, wo er den Hauptpreis, das Herz von Sarajevo für den besten Dokumentarfilm erhielt.

Elisabeth Nagy


SARAJEVO FILM FESTIVAL 2022
Link: www.sff.ba/en

Die komplette Liste aller Gewinner haben wir hier nachfolgend in der erweiterten Ansicht eingefügt.
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