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Neue Filmtitel im Kino - leider noch nicht in den Berliner Freilufttheatern

Drei neue Filmbesprechungen von uns zu aktuellen Kinostarts in Deutschland.



Bei den schönen, trocken und warmen Abenden in Berlin waren die Freilufttheater und Freilichtkinos vom Publikum gefragt. In der Berliner Waldbühne gaben die Berliner Philharmoniker vor 22.000 Besuchern ihr Saison-Abschlusskonzert und auch die Berlinale ging Open Air und zeigte 15 Tage lang an der frischen Luft, Filme aus den Sektionen der 72. Berlinale 2022.

Anlässlich eines Open-Air-Empfangs in den Berliner Ministergärten bei der Landesvertretung Brandenburgs zur Preisverleihung des JFBB - Jüdischen Filmfestivals am 18. Juni 2022, konnten wir die Berlinale Geschäftsführerin Mariette Rissenbeck ansprechen, ob für die Berlinale evtl. die Berliner Waldbühne eine Option zur Vorführung von Filmen wäre, falls im nächsten Sommer 2023 die 73. Internationalen Berliner Filmfestspiele erneut ein Sommer-Nachlese-Special in den Berliner Freiluftkinos veranstalten würde.

Immerhin hatte in der Waldbühne die allererste Berlinale in den 1950er Jahren vor 25.000 Zuschauern stattgefunden. Frau Rissenbeck zeigte sich an dem Vorschlag vom BAF e.V. durchaus interessiert und gab zu erkennen, dass ihr die Waldbühne nicht fremd sei und die Berlinale diesen Vorschlag prüfen werde. In den letzten beiden Jahren hatte allerdings die Corona-Pandemie Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Zuschauern nicht ermöglicht.

Auch ganz aktuelle Kinofilme laufen fast nie in den Open-Air-Kinos. Doch in den nächsten Tagen könnte Abkühlung und Regen die Kinogänger auch wieder in die Innenräume der Filmtheater drängen. Unsere aktuellen Filmtipps nachfolgend.

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"AXIOM" Dramödie von Jöns Jönsson aus der Berlinale-Reihe »Encounters« (Deutschland, 2022). Mit Moritz von Treuenfels, Ricarda Seifried, Thomas Schubert u.a. seit 30. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(über einen Selbstdarsteller par excellence)

Ein Axiom ist eine unbeweisbare aber in sich schlüssige Wahrheit, die daher nicht bewiesen werden muss und allgemein als gültig und richtig anerkannt wird.

Im Mittelpunkt steht der etwa 30-jährige weltgewandte Museumswärter Julius (Moritz von Treuenfels) in seiner ersten Kinohauptrolle. Gerne hört er den Geschichten von fremden Leuten zu und wenn sie ihm gefallen, dann gibt er sie als eigene wieder.. Mit der Wahrheit nimmt er es nicht so genau. Gerne steht er im Mittelpunkt und liebt es, seine Freunde und Kollegen zu unterhalten.

Sein neuer Kollege Erik und einige Freunde lädt er zu einem Segeltörn auf dem Boot seiner wohlhabenden Eltern ein. Die jungen Leute freuen sich auf einen schönen Tag. Der Weg zum See ist mehr als beschwerlich. Und dann fällt ihm ein, dass ja auch noch die vorgeschriebenen Schwimmwesten gekauft werden müssen. Als er merkt, dass sein Lügengebäude einzustürzen droht und er nicht weiß, wie er jetzt aus der Nummer rauskommt, täuscht er einen epileptischen Anfall vor.

Es stellt sich heraus, dass er weder adliger Abstammung ist, noch gibt es das luxuriöse Segelboot. Es ist nicht das erste Mal, dass der versprochene Segelausflug nicht stattfindet. Seine Freundin Marie, Opernsängerin, (Ricarda Seifried) weiß auch nicht wer er genau ist und wo er überhaupt herkommt.

Ihr erzählt er, dass er kurz vor einem interessanten Auftrag als Architekt in Frage kommt. Bei einem Abendessen mit ihren Eltern, faselt er was von drogensüchtigen Eltern, die verhindert haben, dass er ein kulturell interessierter Mensch geworden ist. Wer viel lügt, muss ein ausgezeichnetes Gedächtnis haben. Wehe er verhaspelt sich. Hält er sich unter fremden Leuten auf hat er die besondere Gabe, sich in Gespräche auf intelligente Weise einzuklinken und sich interessant zu machen. Allerdings kann er seinen Freundeskreis längst nicht mehr beeindrucken und die Frage wer Julius denn nun wirklich ist, interessiert immer weniger.

Jöns Jönsson (“Lamento“) zeichnet ein Portrait eines pathologischen Lügners, der seine Identitäten wechselt wie andere ihre Unterhemden, er versäumt es aber, hinter die Fassade zu schauen und man sich nach geraumer Zeit fragt, warum erzählt er uns das. Ist die Lügerei seines Protagonisten zwanghaft oder bereitet sie ihm ein diebisches Vergnügen, Leute hinters Licht zu führen und ihnen Rätsel aufzugeben? Einmal Hochstapler, immer Hochstapler? Auf jeden Fall gelingt es Julius glaubhaft, in die Verwandlung eines Chamäleons zu schlüpfen.

Ulrike Schirm


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"WIE IM ECHTEN LEBEN" Drama von Emmanuel Carrère (Frankreich, 2021), das in der Cannes Sektion »Quinzaine des réalisateurs« lief. Mit Juliette Binoche, Hélène Lambert, Léa Carne u.a. seit 30. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:
(über eine erschreckende Wirklichkeit)

Marianne Winckler ist eine Schriftstellerin. Für ihr neues Buch erfindet sie für sich eine neue Biografie und schmuggelt sich getarnt als Putzfrau in ein für sie unbekanntes Milieu, um so beweiskräftig wie möglich, die prekären Zustände und die harten Arbeitsbedingungen, denen das Heer von Putzfrauen ausgesetzt ist, aufzuzeigen.

Sie gibt den Komfort der Pariser Kulturelite auf und reist nach Caen, wo das Wetter ziemlich rau ist und das Leben nicht einfach. In der nordfranzösischen Hafenstadt kennt sie niemand und so läuft sie nicht Gefahr, erkannt zu werden. Im Jobcenter von Caen erzählt sie ihren erfundenen Lebenslauf und macht der Frau hinter dem Schreibtisch klar, dass sie jetzt mit 50 irgendeinen festen Job annehmen muss, egal, was es ist. Und da sie keine Referenzen hat, betört sie, dass sie kräftig zupacken kann. Man schlägt ihr den Job einer Reinigungskraft vor. Für das, was sie vorhat, ein Glücksfall.

Vom ersten Tag an, ist sie einem unglaublichen Druck ausgesetzt. Mariannes Streben ist es, die Unsichtbaren, sichtbar zu machen. Als sie sich nach kurzer Zeit eine Kündigung einhandelt, unterstützen sie die stahlharten Putzprofis und nehmen sie in ihrer Putzkolonne des Fährhafens auf. Inzwischen sind auch echte Freundschaften entstanden, besonders mit der taffen Christéle, die sich allein mit ihren drei Kindern durchs Leben schlägt. Die Arbeit auf der Fähre ist knallhart: 12 Arbeiterinnen, 230 Kabinen, 1,5 Stunden. In 90 Minuten müssen sämtliche Kabinen des Schiffes gereinigt werden. Es ist eine Schande mit anzusehen, wie die Frauen den Dreck anderer Leute wegmachen müssen und selbst davon nicht Leben können und das Dasein einer Randgruppe führen und im schlimmsten Fall Sanktionen zu befürchten haben.

Es kommt der Tag, an dem Marianne genug Material beisammen hat und sie langsam daran denkt, Abschied zu nehmen. Trotz aller Schinderei, haben die Frauen zusammen gefeiert, sind sich näher gekommen und niemand ahnt wer Marinne wirklich ist.

Emmanuel Carrère hat seinen Film fast ausschließlich mit Laien besetzt und für die Hauptrolle Juliette Binoche besetzt, die sich sehr zurückgenommen dem Ensemble anpasst.

Der Film basiert auf den Erlebnissen der Journalistin Florence Aubenas, die sie in ihrem Buch „Le Quai de Ouistreham“ aufgeschrieben hat. Jahrelang hat Binoche für eine Verfilmung gekämpft. Der Schriftsteller Emmanuel Carrère hat versprochen das Drehbuch zu schreiben und auch die Regie zu übernehmen. Daraufhin hat Ouistreham eingewilligt.

Als das Versteckspiel auffliegt, sind die Frauen bitter enttäuscht und fühlen sich verraten. Doch wahre Freundschaft hält ne Menge aus und nach der ersten Enttäuschung kommen einige von ihnen zur Vorstellung und Signieren des aufklärerischen Buches. Auf jeden Fall bringen die Laiendarsteller*innen sehr viel Herz und auch Humor in ihre Rollen mit ein. Und hoffentlich begegnet man ihnen von nun an mit Respekt und Wohlwollen. Ein sehr wichtiger, aufschlussreicher Film.

Ulrike Schirm


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"DER BESTE FILM ALLER ZEITEN" Sozialkritische Gesellschaftssatire von Mariano Cohn & Gastón Duprat (Spanien / Argentinien, 2021). Mit Penélope Cruz, Antonio Banderas, Oscar Martinez u.a. seit 30. Juni 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

An seinem achtzigsten Geburtstag beschließt ein millionenschwerer Unternehmer, dass es an der Zeit wäre, etwas Bleibendes zu schaffen. Und da Geld keine Rolle spielt, kommt er auf die Idee einen Film zu produzieren, den die Nachwelt mit seinem Namen verbindet: Humberto Suárez,

"DER BESTE FILM ALLER ZEITEN", so stellt er sich das vor.

Die preisgekrönte exzentrische Filmemacherin Lola Cuevas (Penélope Cruz) soll die Regie bei der Adaption des Bestsellers „Rivalen“ übernehmen. Die Rechte daran haben ihn ein Heidengeld gekostet. Es geht um zwei ungleiche Brüder, die sich jahrelang bekämpfen.

Lola hat auch schon zwei Stars im Auge, von denen man weiß, dass sie sich nicht ausstehen können. Da wäre der Frauenschwarm Félix Rivero (Antonio Banderas) und das dünkelhafte Enfant Terrible der Theaterwelt Iván Torres (Oscar Martinez), der sich für etwas Besseres hält. Jeder von ihnen ist eine Hollywood-Legende. Felix, der Blockbuster-Star und Iván der Literaturkünstler.

Die Selbstverliebtheit der beiden Männer ist für Lola das gefundene Fressen. Die angesetzten neun Probentage in der futuristischen Prunkvilla werden für die drei Exzentriker zur Groteske. Mit wahrer Lust setzt Lola die beiden unter Druck und quält sie regelrecht, natürlich unter der Prämisse, schauspielerisch das Beste aus ihnen herauszuholen. Als Lola die beiden auffordert, alle Preise, die sie gewonnen haben mitzubringen, klingt das erst einmal harmlos. Doch die Freude, mit der sie die Trophäen dann zerstört, ist nicht mehr lustig.

Die beiden Argentinier Mariano Cohn und Gastón Duprat haben sich nicht gescheut, einen einfallsreichen amüsanten Film über die Hintergründe des Filmemachens zu drehen. Die Selbstironie, mit der die drei Hauptprotagonisten ihre Rolle angehen ist genial verrückt.

Gegen Ende geht dem absurden Spiel dann doch die Puste aus.

Ulrike Schirm


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