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Blockbuster versus Arthouse - unsere Filmkritiken Ende Mai 2022

Vier aktuelle Filmkritiken von Kinostarts am 26. Mai 2022 inklusive "Top Gun: Maverick" mit Tom Cruise.



Letzte Woche versprachen wir, unsere Filmbesprechung von "Top Gun: Maverick" mit Tom Cruise nachzuholen, da wir selbst keine Lust und keine Zeit hatten, die Pressvorführung zu besuchen.

Festivalchef Thierry Frémaux hatte zwar angekündigt den kleinen Arthouse Filmen auf dem 75. Festival de Cannes wieder mehr Bedeutung beizumessen. Dennoch wurde mit viel Tamtam der Blockbuster "Top Gun: Maverick" angekündigt und Tom Cruise auf dem roten Teppich präsentiert. Im Nachhinein maß man dem Film allerdings keine so große Bedeutung mehr zu.

Dass aber mit der eher ekligen Satire "Triangle of Sadness" von Ruben Östlund dennoch kein kleines feines Arthouse Werk die Goldene Palme gewann, sondern eher ein derber sozialkritischer Film, hatte wohl ein wenig mit Jurychef Vincent Lindon zu tun, der in dem Horror-Film "Titane", dem letztjährigen Gewinner von Cannes, eine Hauptrolle spielte. Dass dieser auch diesmal wieder laute, statt leise Töne bei der Preisverleihung anschlägt und dementsprechend dazu einen passenden Film protegieren würde, war beinahe zu erwarten gewesen, auch wenn die Meinungen über Östlunds Film sehr zwiespältig im Publikum ausfielen.

Dass auch die Neuauflage von "Top Gun" im Angesicht der aktuellen Kriegsberichterstattung nicht jedermanns Sache sein würde, dürfte ebenso verständlich sein. Als der Film vor zwei Jahren bereits fertig war, aber wegen der Corona-Pandemie nicht gezeigt werden konnte, gab es noch keine absehbar größere kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine.

"TOP GUN: MAVERICK" Action-Blockbuster unter der Regie von Joseph Kosinski, produziert von Jerry Bruckheimer (USA, 2020). Mit Tom Cruise, Miles Teller, Jennifer Connelly u.a. seit 26. Mai 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Das mit den Codenamen auf den Helmen, die unheimlich hilfreich sind, um die Piloten hinter den Scharnieren den Protagonisten zuzuordnen, hatte sich Regisseur Tony Scott ausgedacht. Üblich war das nicht, aber fortan wurde das ganz und gäbe. Tony Scott hatte 1986 einen der ersten Klassiker der High Concept-Filme gedreht. Einen veritablen Blockbuster mit weitgehend unbekannten Darstellern. Was sich ändern sollte. Maverick, der Codename für Pete Mitchell, katapultierte Tom Cruise zum Superstar. Natürlich war der Film Kriegspropaganda und die Weltlage, die kaum weniger verworren war als heute, konnte frische Rekruten allemal gebrauchen. Von jeher arbeitete das US-Militär Hand in Hand mit Hollywood, segnete jede Drehbuchseite ab im Austausch von Know-how und Zugang zu Maschinen und Manöver. Ursprünglich sollte Bryan Adams eine Song für den Soundtrack beisteuern, dem war das alles zu viel Kriegspropaganda und er winkte ab. Kenny Loggins "Welcome to the Dangerzone" wurde einer der Hits, denn Soundtrack-Alben zu Filmen verkauften sich in den 80ern wie warme Semmeln.

Mit eben jenem Hit beginnt 36 Jahre später eine Fortsetzung, die sich ganz auf die Figur des Maverick, sprich auf Tom Cruise, konzentriert und praktisch alle weiteren Darsteller in die zweite Reihe verweist und die jungen Kadetten, die in der Top Gun-Schmiede gedrillt werden, ohne irgendeine individuelle Note belässt. Bis auf eine Ausnahme und auch die Figur des Kadetten "Rooster" (Miles Teller) besitzt nur eine Funktion. "Rooster", der Sohn von "Goose", der einst Maverick rettete und das mit dem Leben bezahlte, weckt in Tom Cruise einen Beschützerinstinkt und löst Erinnerungen an die Vergangenheit aus.

"Top Gun 2" war lange in der Mache, die Arbeiten fingen 2018 an. Auch zu dem Zeitpunkt stand es nicht gut um die Weltgeschichte. Aber selbst wenn man diese Kampfverherrlichung ablehnt, kommt man nicht an dem Drive des Actioners herum. Tom Cruise, der zu Beginn an seiner eigenen Maschine rumschraubt, ja der Flieger gehört ihm, wird ein fetter Auftrag entzogen. Zwar lässt er sich partout nichts sagen und startet seinen Testflieger trotzdem, um gesetzte Superlative zu knacken, aber seine Zeit ist trotzdem vorbei. Wer braucht noch hochgezüchtete teure Maschinen, wenn die Drohnentechnik immer besser wird. Ab aufs Altenteil mit ihm.

Nicht ganz, denn ein Kumpel aus alten Tagen, ebenjener Widersacher im ersten Film, Tom "Iceman" Kazansky (Val Kilmer darf noch einmal vor die Kamera, angesichts seiner Erkrankung kein dankbarer Job), inzwischen Admiral wie sich das gehört, fordert ihn an, eine neue Generation Piloten und eine Pilotin, für einen unlösbaren Einsatz zu trainieren. Und so kehrt Maverick zurück in die Pilotenschmiede. Gab es im ersten Film noch die klar benannten Bösen, so ist diesmal der Feind hoch aufgerüstet, aber gesichtslos. Es geht eben nicht um den Feind an sich, sondern zu beweisen, dass die guten Amerikaner mit jeder noch so aussichtslosen Lage fertig werden. Koste es was es wolle. Dazu gehört nicht nur Mut und Draufgängertum, sondern etwas alte Schule und Gehorsamsverweigerung. Dann wiederum darf sich der Held auch von einem jüngeren Piloten retten lassen.

"Top Gun: Maverick" setzt dabei auf Wiedererkennungswerte. Eigentlich ist der ganze Film eine Kopie des ersten Erfolges. Teilweise sind ganze Szenen Wiederholungen. Und genau das liebt man daran. Dazu kommt noch eine Prise Nostalgie, wenn man auch ein Lebenswerk zurück schaut, so wie es die Figur des Maverick tun muss, der selbst nicht mehr fliegen soll. Der aus den Kids ein Truppe schweißen soll, und dabei eben das Lehrbuch gleich zu Beginn in die Tonne haut. Der erkennt, dass die "Jugend von heute" die gleichen Ambitionen und Fehler hat, wie die "alte Garde" und dass sich alles zu wiederholen droht. "Top Gun Maverick" hat seine Action-Szenen, die noch wie echte Action aussehen, ohne zu viel Computergedöns. Die Message kann man als Rekrutierungsaufruf verstehen, aber man muss nicht. Man kann auch herauslesen, zumal Kitsch und Flaggen hier spärlicher gesät sind, dass alles vergänglich ist und dass alle Helden auch ihre Schwächen haben.

Elisabeth Nagy


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"DIE BILDERKRIEGERIN - Anja Niedringhaus" Doku-Drama von Roman Kuhn & Sonya Winterberg über die Putlitzer-Preisträger-Fotografin (Deutschland 2021). Mit Antje Traue, Michele Cuciuffo, Dulcie Smart u.a. seit 26. Mai 2022 im Verleih von Salzgeber im Kino. Hier der Trailer:



Elisabeths Filmkritik:

Krieg. Nicht irgendwo weit weg, sondern hier in Europa. "Unvorstellbar." Unvorstellbar, wie aktuell ein Film, der bereits im letzten Jahr abgedreht worden ist, in diesem Jahr aktuell ist. Bilder aus der Ukraine, die eine getötete Familie auf einer Brücke zeigen, lenken unseren Blick, den Blick der Außenstehenden auf Kriegsverbrechen. Ein Wegschauen ist schwer möglich. Anja Niedringhaus dokumentierte die Kämpfe im Jugoslawien-Krieg und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ging sie nach Afghanistan. Sie verzweifelte schier daran, dass ihre Bilder scheinbar keine Änderungen bewirkten. Sie wollte mit ihren Bildern den Krieg beenden.

Sarajewo, das ist 30 Jahre her. Die Fotografin Anja Niedringhaus arbeitete im Bereich Sport und Gesellschaft, als sie in ihrer Agentur, der European Pressphoto Agency, darum bittet, nach Sarajewo geschickt zu werden. Dort ist der Krieg ausgebrochen. Die Berichterstattung sei etwas für Männer, bekommt sie zu hören. Sie lässt nicht locker.

"Sie kennt die Regeln nicht, sie weiß nicht, was sie tut." Mit diesen Worten muss ein Kollege sie quasi retten, als sie gerade erst in Sarajewo angekommen ist. Anja Niedringhaus bleibt und sie wird den Job einer Kriegsfotografin mit Unterbrechungen bis zu ihrem gewaltsamen Tod 2014 in Afghanistan, fortführen. Der Blick auf den Krieg, auf das Kriegsgeschehen, wurde immer schon auch von Frauen ausgeübt. Ein paar Namen: Gerda Taro, Lee Miller, Christine Spengler, Anja Niedringhaus. Anja Niedringhaus wollte, mit ihren Worten, keine "Bäng-Bäng-Fotografin" sein. Ihr Blick wollte die Menschen im Krieg finden. Dabei haderte sie immer wieder, wenn sie das Leid in die Kapsel eines eingefangenen Momentes schloss. Sie wollte in ihren Bildern gar nicht unparteiisch sein, sie wollte die Konsequenzen der Kriegshandlungen aufzeigen und damit den Lauf des Krieges verändern.

"Die Bilderkriegerin - Anja Niedringhaus" von Roman Kuhn und Sonya Winterberg ist ein wichtiger Film, eine spannende Biografie. Aber leider kein gelungener. Es ist ein Spielfilm mit dokumentarischen Anteilen. Roman Kuhn (Die Schläfer), war Dozent an der Folkwangschule in Essen und an der Kunstakademie in München, er arbeitet als Produzent und entwirft Kampagnen. Die Geschichte der "Bilderkriegerin" wirkt wie ein Herzensprojekt. Er übernahm die Spielfilmszenen, die mit der Realität nicht wirklich mithalten können und die in Ermangelung von Mut, den Film international, und damit meine ich auch die Sprache, aufzustellen, sich nicht über das Niveau eines Fernsehfilms abheben kann. Kuhn sucht den Blick, mit dem die Fotografin ihren Blick findet. Wenn sie auf ihr Gefühl hört und damit die Bilder einzufangen vermag, die unsere Blicke fesseln. In den Spielfilmszenen spielt Antje Traue die Titelrolle. Dabei werden den Spielfilmszenen immer wieder eine Erzählstimme hinzugefügt, die uns erklären, was diese Frau bewegt.

Zu kurz kommen dabei die zwischengeschnittenen Interviewszenen mit ehemaligen Kollegen und Kolleginnen der Co-Regisseurin Sonya Winterberg, die nicht nur das Bild ergänzen, das das Publikum von der Fotojournalistin gewinnt, sozusagen einen Blick auf ihr Wesen und ihre Ambitionen gewähren, sondern auch auf den Beruf und den Konkurrenzkampf. Der Cutter Clemens Hübner (Das Verhör) verknüpfte schließlich die Stränge, die dem Publikum sowohl die Person, als auch ihre Profession nahe bringen soll. Anja Niedringhaus' innere Stimme und ihr Handeln als auch der Blick der Weggefährten und Kollegen und Kolleginnen fügen sich so zusammen.

Elisabeth Nagy


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"ALLES IN BESTER ORDNUNG" Komödie von Natja Brunkhorst (Deutschland, 2021). Mit Corinna Harfouch, Daniel Sträßer, Joachim Król, Felix Vörtler u.a. seit 26. Mai 2022 im Kino. Hier der Trailer:



Ulrikes Filmkritik:

Die Zahntechnikerin Marlen (Corinna Harfouch) lebt in einer Wohnung, die vollgestopft ist mit viel zu vielen Dingen, von denen sie sich nicht trennen kann. Ein Blick in ihre Wohnung erklärt, warum sie lieber zum Lesen im Treppenhaus auf der Fensterbank sitzt, als in ihrer Wohnung, die stark an einen Trödelmarkt erinnert. Sie kann einfach nichts wegwerfen, weil sie Mitleid mit den Dingen hat. Um sich auszuruhen geht sie öfter in ein Möbelhaus und probiert bequeme Doppelbetten aus. Privaten Kontakt mit ihren Arbeitskolleg*innen hat sie nicht, denn Einlass in ihre Wohnung gewährt sie niemandem.

Der über ihr wohnende Computerexperte Fynn (Daniel Sträßer) besitzt so wenig wie möglich. In Zahlen ausgedrückt: 89 Gegenstände. 94, wenn man seine fünf Sockenpaare als zwei Dinge ansieht.

Einziger Nachteil: Er muss viel öfter in den Waschsalon gehen. Alles was er zum Leben braucht, kann er in einen Rucksack packen.

Als bei ihm ein Heizungsrohr platzt, steht er bei Marlen vor der Tür. Da die beiden nicht unterschiedlicher sein können, geraten sie anfänglich in Streitereien und humorige Sticheleien und raufen sich dann aber zusammen, denn sie brauchen einander. Wegen des Wasserschadens in seiner Wohnung, bittet er Marlen um eine Bleibe und Marlen braucht dringend seine Hilfe. Der Vermieter hat sich angekündigt, um die feuchte Decke zu inspizieren. Auf keinen Fall kann sie ihn in die Wohnung lassen, ohne vorher aufzuräumen. Er könnte ihr ja kündigen. Nicht ganz uneigennützig bietet Fynn ihr seine Hilfe an.

„Alles in bester Ordnung“ ist das Regiedebüt der Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Natja Brunkhorst („Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“), in dem sie uns einlädt die Sammlerin Maren und den Minimalisten Fynn auf melancholische und amüsante Weise beim Aufräumen zuzusehen. Er schmeißt heimlich Sachen weg, sie holt sie wieder aus dem Müll. Doch eins verbindet sie: Beide sind einsam. Am Ende findet das Chaos eine neue Ordnung.

Was für eine Mammutaufgabe für die Ausstatter*innen das Sammelsurium in der Wohnung drehgerecht zu platzieren. Schon alleine das lohnt, sich dieses “Drama“ anzuschauen.

Die Frage, warum Marlen während des gesamten Films die gleichen Klamotten trägt, beschäftigt mich noch immer.

Ulrike Schirm


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"THE UNITED STATES OF AMERICA" Experimentelle Dokumentation von James Benning. (USA 2021). Seit 26. Mai 2022 im Kino. Hier ein Teaser:



Elisabeths Filmkritik:

Brachland, Felder, ein ausgetrocknetes Flussbett, Hügel, Felsen, eine Brücke, Straßen, ein Haus, eine Kirche, Häuserschluchten, Industrie, Pferde auf der Koppel, Silos, ein Gefängnis. Oder nur die Flagge, übergroß. Statische Einstellungen. 52 an der Zahl. Einmal quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Gewissermaßen. Es gibt dabei einen Twist, mehr will ich gar nicht verraten. Eins nach dem anderen in alphabetischer Reihenfolge. James Benning steht eigentlich für ein entschleunigtes Sehen. "The United States of America", Ausgabe 2020/21, ist 102 Minuten lang. Das macht bei 52 Einstellungen knapp 2 Minuten für jede Sequenz zwischen Alabama und Washington. Alle Bundesstaaten plus Puerto Rico und das District of Columbia. Ohne Dialoge. Aus dem Off jedoch fast unterbewusst Stimmen, ein Song, eine Rede. "Lovin’ You" von Minnie Riperton, "Close to You" von Karen Carpenter. Ansprachen von Eisenhower oder Stokely Carmichael werden in die Kulisse von Natur- und Industriegeräuschen vermischt, die jedem Ort einen Kommentar hinzufügen.

Kaum glaubt man in ein Bild eingetaucht zu sein, wird man in das nächste geworfen. James Benning, inzwischen 80 Jahre jung, wollte das Land zeigen, wie es sich präsentiert, was es ausmacht, die Vielfalt, das Widersprüchliche, das Banale und das Natur behaftete. Vom Land bis zur Industrie, vom Wasser bis in die Wolken ist hier alles vertreten. Windräder drehen sich, Bäume blühen, Menschen fehlen fast gänzlich.

James Benning greift auf seinen eigenen Film zurück. 1975 drehte er zusammen mit Bette Gordon mit einer 16mm Kamera Aufnahmen von unterwegs, quer durch Amerika mit dem Auto und die Kamera filmt mit. Der Film war 27 Minuten lang und trug den Namen "The United States of America". Ist der aktuelle Film jetzt eine Fortsetzung? Ein Remake? Ein Kommentar? Benning hat sich Gedanken gemacht, welches Bild für welchen Ort steht. Er stellt die Frage nach der Abbildung eines Landes. Kann man ein Land, eine Landschaft, einen Ort so ablichten, wie er ist? Heute! Was ist das, was man dann zeigt? James Benning ist ein Schelm und hält für das aufmerksame Publikum eine Überraschung bereit.

"The United States of America" wurde, natürlich, zuerst im Forum-Programm der diesjährigen 72. Berlinale gezeigt. Arsenal Distribution bringt den Film jetzt ins Kino und es lohnt sich, sich ein Bild zu machen, das sich vielleicht oder vielleicht auch nur in Teilen mit dem Bild deckt, dass wir, auch wir als Außenstehende, über dieses große Land haben.

Elisabeth Nagy


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