Weitere vier aktuelle Filmbesprechungen von November 2021, Teil 2
2G-Regel und noch mehr Sicherheitsabstand in den Kinos ab Montag, 15. November 2021, fast überall in Deutschland!
Man kann von Glück reden, dass bei aktuellen Inzidenzzahlen von über 300, den Kinos ein Lockdown bisher erspart blieb. Die erforderlichen Sicherheitsabstände verringern aber das Sitzplatzangebot und führen nicht nur zu geringerer Auslastung, sondern auch zu deutlich geringeren Umsätzen bei steigenden Nebenkosten.
Wie lange das Szenario Bestand hat, lässt sich kaum vorhersagen. Wenn Besucher von überfüllten Weihnachtsmärkten - auf denen oftmals bisher nur die 3G-Regel gilt - sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt haben und anschließend zum Aufwärmen gleich ins Kino strömen, kann es ohne Lockdown für alle Besucher in den Kinos durchaus kritisch werden.
Vor allem für noch vor Weihnachten bei uns in Berlin startende Filmfestivals wie für das »Interfilm Kurzfilmfestival« oder das anschließende Weltkinofestival »Around the World in 14 Films«, das gerade sein großartiges Programm veröffentlicht hat, wären noch strengere Regeln mit Impfnachweis und täglichem Testnachweis wahrscheinlich ein Horrorszenario. Schon jetzt sind sich die Veranstalter unschlüssig wie sie mit Akkreditierungen, die deutlich weniger Geld als Kaufkarten einbringen, umgehen sollen.
Bleibt wohl nur eine Preisanpassung als Option. Allerdings könnten solche Maßnahmen, denen wir prinzipiell nicht ablehnend gegenüberstehen, andere verprellen, sodass die Kinos dann vielleicht fast leer bleiben. Schon jetzt hören wir in Gesprächen, dass viele Verbandsmitglieder sowie Kollegen und andere Cineasten über die Adventstage nur noch zu Hause verweilen wollen. Restaurantbesuche und Kinoveranstaltungen sind auch bei Geimpften aus Angst vor der Ansteckung zunehmend wieder verpönt.
Doch bevor die Kinos evtl. wieder schließen müssen, und Gerüchten zufolge könnte dies auch die 72. Berlinale betreffen, empfehlen wir dringend von nachfolgend besprochenen Filmen, mindestens die ersten beiden herausragenden Werke im Kino anzusehen.
"LIEBER THOMAS" berührendes SW-Drama von Andreas Kleinert über den Dichter Thomas Brasch, der sich weder in der DDR noch im Westen anpassen wollte (Deutschland). Mit Albrecht Schuch, Jella Haase, Jörg Schüttauf, Ioana Iacob, Anja Schneidert u.a. seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
Thomas Brasch wurde als Sohn jüdischer Emigranten 1945 im englischen Exil geboren. 1947 siedelte die Familie in die sowjetische Besatzungszone über. Hier begann die politische Karriere seines Vaters Horst Brasch (1922-1989), die ihn bis ins Amt des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR beförderte. Seine Mutter, Gerda Brasch (1921- 1975) stammte aus Österreich. Sie war Journalistin und veröffentlichte in einer Cottbusser Lokalzeitung das erste Gedicht ihres Sohnes Thomas. (Quelle: Wikipedia)
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"SPEER GOES TO HOLLYWOOD" Dokumentation von Vanessa Lapa (Israel) über einen von und mit Albert Speer geplanten, aber nie gedrehten Hollywoodfilm. Mit Albert Speer seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
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"WHO'S AFRAID OF ALICE MILLER?" Dokumentation von Daniel Howald (Schweiz), über eine engagierte Kinderpsychologin. Seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
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"LAST NIGHT IN SOHO" Horrorthriller von Edgar Wright (Großbritannien), der aufwändig im Stil und ein wenig im Sinne von Alfred Hitchcock gestaltet ist. Mit Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith (XI) u.a. seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
Man kann von Glück reden, dass bei aktuellen Inzidenzzahlen von über 300, den Kinos ein Lockdown bisher erspart blieb. Die erforderlichen Sicherheitsabstände verringern aber das Sitzplatzangebot und führen nicht nur zu geringerer Auslastung, sondern auch zu deutlich geringeren Umsätzen bei steigenden Nebenkosten.
Wie lange das Szenario Bestand hat, lässt sich kaum vorhersagen. Wenn Besucher von überfüllten Weihnachtsmärkten - auf denen oftmals bisher nur die 3G-Regel gilt - sich mit dem COVID-19-Virus angesteckt haben und anschließend zum Aufwärmen gleich ins Kino strömen, kann es ohne Lockdown für alle Besucher in den Kinos durchaus kritisch werden.
Vor allem für noch vor Weihnachten bei uns in Berlin startende Filmfestivals wie für das »Interfilm Kurzfilmfestival« oder das anschließende Weltkinofestival »Around the World in 14 Films«, das gerade sein großartiges Programm veröffentlicht hat, wären noch strengere Regeln mit Impfnachweis und täglichem Testnachweis wahrscheinlich ein Horrorszenario. Schon jetzt sind sich die Veranstalter unschlüssig wie sie mit Akkreditierungen, die deutlich weniger Geld als Kaufkarten einbringen, umgehen sollen.
Bleibt wohl nur eine Preisanpassung als Option. Allerdings könnten solche Maßnahmen, denen wir prinzipiell nicht ablehnend gegenüberstehen, andere verprellen, sodass die Kinos dann vielleicht fast leer bleiben. Schon jetzt hören wir in Gesprächen, dass viele Verbandsmitglieder sowie Kollegen und andere Cineasten über die Adventstage nur noch zu Hause verweilen wollen. Restaurantbesuche und Kinoveranstaltungen sind auch bei Geimpften aus Angst vor der Ansteckung zunehmend wieder verpönt.
Doch bevor die Kinos evtl. wieder schließen müssen, und Gerüchten zufolge könnte dies auch die 72. Berlinale betreffen, empfehlen wir dringend von nachfolgend besprochenen Filmen, mindestens die ersten beiden herausragenden Werke im Kino anzusehen.
"LIEBER THOMAS" berührendes SW-Drama von Andreas Kleinert über den Dichter Thomas Brasch, der sich weder in der DDR noch im Westen anpassen wollte (Deutschland). Mit Albrecht Schuch, Jella Haase, Jörg Schüttauf, Ioana Iacob, Anja Schneidert u.a. seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
Thomas Brasch wurde als Sohn jüdischer Emigranten 1945 im englischen Exil geboren. 1947 siedelte die Familie in die sowjetische Besatzungszone über. Hier begann die politische Karriere seines Vaters Horst Brasch (1922-1989), die ihn bis ins Amt des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR beförderte. Seine Mutter, Gerda Brasch (1921- 1975) stammte aus Österreich. Sie war Journalistin und veröffentlichte in einer Cottbusser Lokalzeitung das erste Gedicht ihres Sohnes Thomas. (Quelle: Wikipedia)
Ulrike Filmkritik:
In seinem schwarz-weißen und in Cinemascope, dem Lieblingsformat von Thomas Brasch gedrehten Film "LIEBER THOMAS", erinnert Andreas Kleinert an den 2001 in Berlin verstorbenen Ausnahmekünstler, gespielt von Albrecht Schuch, mit einer bravourösen Besessenheit.
Schon als Kind war sein größter Wunsch Schriftsteller zu werden. Sein Vater (Jörg Schüttauf), einer der höheren Funktionäre der DDR, schickt den sensiblen Jungen auf die Kadettenschule, wo er totunglücklich ist.
Sein ganzes Leben lang, war er ein Getriebener. Seine innere Zerrissenheit ist das Hauptthema in Kleinerts Annäherung an den in Vergessenheit geratenen Schriftsteller, Poet, Schauspieler und Filmemacher. Seine Zerrissenheit kommt aus der Zerrissenheit seiner gesamten Familie, aus dem Konflikt mit seinem Vater. Das zieht sich wie ein roter Faden durch sein Leben und findet keinen Abschluss. Kurz und bündig erklärt ihm der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker, dass das Volk der DDR „noch nicht reif sei für seine Prosa und sei sie noch so brillant“.
Gleich sein erstes Stück wird verboten und so fand er in der DDR einfach nicht statt. Es gab nur ein kleines Gedicht-Bändchen von ihm und das war's. 1968 flog er von der Filmhochschule in Babelsberg, nachdem er gegen den Prag-Einmarsch Flugblätter verteilt hatte. Vom eigenen Vater wird er denunziert, kommt in den Knast, bekommt Bewährung und muss zur Resozialisierung in die Fabrik.
Bevor er selbst einen Ausreiseantrag stellt, unterschreibt er noch eine Resolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Mit seiner Freundin Katarina (Jella Hase) haut er ab in den Westen.
In der BRD findet er Anerkennung. Sein Erzählband „Vor den Vätern sterben die Söhne“ erscheint kurze Zeit später. Seine Schreibweise ist geprägt von Intellekt und kühler Melancholie. Komplex erzählt er von Liebe, Revolte und Tod. Er wird zum Star der 80er-Jahre-Kulturszene. Seine Filme "ENGEL AUS EISEN" und "DER PASSAGIER - WELCOME TO GERMANY" liefen in Cannes.
Egal wo er sich aufhielt, ob Ost-oder West-Berlin oder gar New York, nirgends entwickelte er ein Gefühl von Heimat. Sein Zuhause ist und war seine Sprache. „Meine Worte sind mein Leben“. Seine Tragik: Der Hang zur Selbstzerstörung. „Wo ich lebe, da will ich nicht sterben. Aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin: Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“.
Kleinerts Film ist kein klassisches Biopic, sondern eine auf Tatsachen beruhende Fiktion, mit dem Mut zu Fragmenten, surrealen Elementen und Traumsequenzen. Figuren tauchen auf und verschwinden.
Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen verleihen dem Film eine unverkennbare Eigenheit und nehmen den Zuschauer mit in die grüblerische und poetische Gedankenwelt eines Dichters und Autors.
Ulrike Schirm
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"SPEER GOES TO HOLLYWOOD" Dokumentation von Vanessa Lapa (Israel) über einen von und mit Albert Speer geplanten, aber nie gedrehten Hollywoodfilm. Mit Albert Speer seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
(Der perfide Versuch einer Nazigröße, seinen Ruf reinzuwaschen)
Am 19.März 1905 wird Albert Speer als Sohn des Architekten Albert Speer und dessen Frau in Mannheim geboren. 1923 nimmt er auf Geheiß seines Vaters ein Architekturstudium in Karlsruhe auf.
Im Januar 1931 tritt er in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) sowie in deren Sturmabteilung (SA) ein.
Im März 1933, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Speer von Joseph Goebbels mit dem Umbau des Propagandaministeriums beauftragt. Auch Hitler ist von seinem Organisationstalent beeindruckt.
1934 wird Speer zu Hitlers wichtigstem Architekten. Speer entwickelt den Generalplan für den Umbau Berlins zur „Reichshauptstadt Germania“.
Durch den Tod des Rüstungsministers Fritz Todt, wird Speer zum verantwortlichen Leiter der gesamten Kriegswirtschaft ernannt. Sein Einsatz beruht wesentlich auf dem Einsatz von Zwangsarbeitern und Häftlingen aus den KZ's. Circa 12 Millionen Zwangsarbeiter mussten unter brutalsten Bedingungen in den Rüstungsfabriken arbeiten. Speer arbeitete eng mit Heinrich Himmler und der SS zusammen. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens ein Drittel der Zwangsarbeiter starb.
23. Mai 1945 Nach Kriegsende wird Speer verhaftet und in das alliierte Kriegsgefängnis in Nürnberg überführt. Es wird Anklage gegen ihn erhoben.
Am 1.Oktober 1946 wird er vom internationalen Gerichtshof Nürnberg wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt. Mit sechs weiteren „Hauptkriegsverbrechern“ wird er in das ehemalige Militärgefängnis Berlin-Spandau überführt.
Zahlreiche Gnadengesuche von der Familie und etlichen Politikern scheiterten am Einspruch der Sowjetunion. 1959 begann Speer im Gefängnis seine Kriegserinnerungen aufzuschreiben. Gefängniswärter schmuggelten die Aufzeichnungen nach draußen.
Am 30. September 1966 wurde Speer aus der Haft entlassen. 1969 wurde sein Buch unter dem Titel „Erinnerungen“ veröffentlicht und sofort zum Bestseller.
Innerhalb von zwei Jahren verkaufte es sich über eine Million Mal und wurde in 14 Sprachen übersetzt. Für Speer - der von sich selbst sagte: „Hätte Hitler einen besten Freund gehabt, so wäre ich es gewesen“ beginnt eine unglaublich perfide Rehabilitation.
Mit seiner Autobiografie verdiente er Millionen, war ein beliebter Gast in Talkshows und auf Empfängen, gehörte zur „Elite der Bundesrepublik“ und schaffte es sogar fast bis nach Hollywood.
Hier beginnt die Dokumentation von Vanessa Lapas "SPEER GOES TO HOLLYWOOD", denn Paramount Pictures plante 1971 Speers Weltbestseller „Erinnerungen“ zu verfilmen.
Drehbuchautor Andrew Birkin („Salz auf unserer Haut“) wurde beauftragt, ein Drehbuch über Speer zu schreiben und interviewte den „guten Freund Hitlers“ 40 Stunden lang.
Speer wirkte selbst am Drehbuch mit. Die bis dato unveröffentlichten Aufzeichnungen bilden die Tonebene von Lapas Film, ergänzt mit einzigartigen Archivaufnahme auf der Bildebene. Die erschütternden Tonaufnahmen zeigen wie perfide Speer versucht seinen Ruf reinzuwaschen.
Er genießt es im Mittelpunkt zu stehen erzählt mit unaufgeregten Plauderton über sein Leben, stilisiert sich als „guter Nazi“. Die Gespräche fanden in seinem Haus in Heidelberg statt. Auch wenn heute nicht mehr genau rekonstruiert werden kann welche Art von Film das Studio im Sinn hatte, liegt die Vermutung nahe, dass Paramount eher an einen Film im Stile von Stanley Kubricks „Clockwerk Orange“ (1971) dachte, während Speer sich selbst wahrscheinlich eher als Titelfigur im Stile von Oliver Reeds „Oliver“ (1968) sah.
Beide Regisseure waren laut Presseheft in der Entwicklung der Verfilmung „Erinnerungen“ involviert. Wieviel Speer tatsächlich über die Gräueltaten der Nazis wusste, kann Vanessa Lapa natürlich nicht genau beweisen. Die Mär vom „unbescholtenen Nazi“ ist aufgrund der Bildsprache eine Fiktion. Wir Zuschauer werden Zeugen wie skrupellos dieser 1981 in London verstorbene Mann an seinem Mythos arbeitete.
Ulrike Schirm
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"WHO'S AFRAID OF ALICE MILLER?" Dokumentation von Daniel Howald (Schweiz), über eine engagierte Kinderpsychologin. Seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
(Was bleibt vom Mythos der engagierten Kinderpsychologin?)
Alice Miller ist 1925 in Polen geboren und kam 1946 (mit 23 Jahren) in die Schweiz. Sie studierte in Basel Philosophie, Psychologie und Soziologie. Nach der Promotion machte sie in Zürich ihre Ausbildung zur Psychoanalyse (nach Freud) und übte 20 Jahre lang diesen Beruf aus. Sie verstarb am 14.04.1923 in Frankreich. Eines ihrer bekanntesten Bücher ist „Das Drama des begabten Kindes“.
Sie klärte darüber auf, dass Kindesmisshandlung dauerhafte Verletzungen zur Folge hat und behauptete, dass es auf der ganzen Welt keinen Menschen gibt, der sein Kind misshandelt, ohne das er selbst misshandelt wurde. Außerdem schuf sie in den achtziger Jahren ein Bewusstsein für den sexuellen Missbrauch an Kindern. Diese Frau hat sich nicht dafür interessiert, dass ihr Sohn Martin tagtäglich von seinem Vater geschlagen wurde.
A. Miller: „Wenn sie ein Kind bekommen, sind sie dafür verantwortlich es zu schützen, zu lieben, zu respektieren und zu achten. Wenn man das nicht tut, ist es ein Verbrechen“.
Wie kann man sich für die Rechte von Kindern einsetzen und vor den Misshandlungen des eigenen Sohnes, die Augen verschließen?
In der bewegenden Dokumentation "WHO IS AFRAID OF ALICE MILLER?" begleitet der Zuschauer den zutiefst verletzten Martin Miller, der auch Therapeut ist, bei seinem Versuch, die verdrängten Geheimnisse und die Lebenslügen seiner Mutter zu ergründen.
Er besucht die letzte Zeitzeugin seiner Familiengeschichte Irenka Taurek, eine Cousine seiner Mutter, die mit ihr aufgewachsen ist, auch Therapeutin ist und seit 1958 in den USA lebt. Dass er, während seine Mutter ihre Doktorarbeit schrieb, bei Irenka gewohnt hat, erfährt er erst mit 61 Jahren.
Mit ihr zusammen begibt er sich auf eine Rundreise nach Polen. Irenka, um ihre Erinnerungen aufzufrischen und Martin, um nach der Ursache für die psychische Grausamkeit seiner Mutter und seines Vaters zu suchen. Die Familie hat nie darüber gesprochen, dass sie Juden sind. Seine Spurensuche ist erschütternd und spannend zugleich. Er erfährt viel über die Flucht seiner Mutter und ihren Werdegang. Es sind Bruchstücke, die man nicht unbedingt wahrheitsgemäß deuten kann.
Sein Trip nach Polen, lassen ihn so manche Gefühle seiner Mutter, die Treblinka entkommen ist und offensichtlich mit den Deutschen kooperiert hat, erklären. Ihre Eltern wurden ermordet. Bei seiner Recherche erfährt er, dass es zwei Andreas Miller gab. Aber welcher ist nun sein Vater? Der Judenerpresser und Bastard? Wie auch immer die Wahrheit ist, Martin Miller ist ein zutiefst verletzter Mensch, der in Briefen seiner Mutter, mit Hitler verglichen wurde und die in ihm einen Feind sah. In ihren Büchern hat sie eine Alice Miller kreiert, die sie sein wollte, aber nicht war.
Martin Miller hat eine Antwort auf das Buch seiner Mutter geschrieben: "DAS WAHRE DRAMA DES BEGABTEN KINDES. DIE TRAGÖDIE DER AILICE MILLER."
Ulrike Schirm
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"LAST NIGHT IN SOHO" Horrorthriller von Edgar Wright (Großbritannien), der aufwändig im Stil und ein wenig im Sinne von Alfred Hitchcock gestaltet ist. Mit Thomasin McKenzie, Anya Taylor-Joy, Matt Smith (XI) u.a. seit 11. November 2021 im Kino. Hier der Trailer:
Ulrikes Filmkritik:
Eloise (Thomasin McKenzie) will unbedingt Modedesign studieren, Um sich ihren Traum zu erfüllen, zieht sie aus dem beschaulichen Cornwall nach London. Sie verabschiedet sich von ihrer Großmutter (Rita Tushingham, „A Taste of Honey“ 1963), die sie sorgenvoll entlässt und sie vor der Metropole warnt. “London kann ganz schön überfordernd für ein Landei sein“. Es ist das erste Mal, dass die junge Frau auf sich allein gestellt ist. Ihre schizophrene Mutter beging Suizid.
Aber London ist ganz anders als sie sich die Stadt in ihren Träumen vorgestellt hat. Erst trifft sie auf einen schmierigen Taxifahrer, der sie süffisant vor der Stadt warnt und ihre Zimmergenossin und deren Clique machen sich über sie lustig. Wenn Eloise sich unbeobachtet fühlt, schnippelt sie sich aus Zeitungspapier Sechzigerjahre-Kleider, legt Musik von Dusty Springfield auf und posiert mit einer langen Zigarettenspitze vor dem Spiegel. Sie ist ein totaler Fan der Swinging Sixties. Sie flieht vor ihrer Mitbewohnerin, die nur Party im Kopf hat und findet ein Zimmer bei einer alten Dame, Miss Collins (Diana Rigg), in einem alten Haus. Auch die beschwört sie, gut auf sich aufzupassen.
Ein letzter Blick auf die blinkenden Lichter der Leuchtreklame vor ihrem Fenster und schon schläft sie in ihrem knarrenden Bett ein und reist im Traum zurück in ihre geliebten Sechzigerjahre. Sie träumt von der Mode, der Musik und von dem ausschweifenden Nachtleben im Café de Paris, dem angesagten Nachtclub im West End, wo die bunten Neonreklamen leuchten und wo sie in die Haut der platinblonden, verführerischen Sängerin Sandy (Anya Taylor-Joy) schlüpft und sich in einem Strudel aus Unterdrückung, Sex, Prostitution und Gewalt wiederfindet. Bis sie eines Nachts den Mord an Sandy miterlebt und den Bezug zur Realität zu verlieren droht. Zurück im heutigen London, versucht sie den Mörder zu finden. Eloise beginnt an ihrem Verstand zu zweifeln. Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Auch die etwas schrullige Miss Collins ist eine ganz andere als sie vorgibt zu sein.
Edgar Wrights („Baby Driver“, „Shaun of the Dead“) audiovisueller Horrorthriller beginnt wie eine harmlose Coming-of-Age-Geschichte einer jungen Frau und entwickelt sich zu einem berauschenden Mysterie-Thriller, London wie es swingt und blutet, ein Frauenmörder treibt sein Unwesen. Sein Film zeigt beide Seiten der 60er Jahre. Ein Genremix aus strahlend bunten Bildern mit psychodelischen Farbeffekten und mitreißendem Soundtack und düsteren, kunstvollen Bildern, die einem Film Noir gleichen.
Den Titel „Last Night in Soho“ ist ein Songtitel der britischen 1960er Jahre Band Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich.
Wright: „Die Musik der Sechziger ist wie meine Zeitmaschine, um in diese Zeit zu reisen“.
Allein Anya-Taylor-Joys gesungene Version von Petula Clarks Klassiker "DOWNTOWN" ist grandios. Auch die Besetzung mit Sechzigerjahreikonen wie Diana Rigg in ihrer letzten Rolle, Rita Tushingham in einer Nebenrolle und Terence Stamp als Dandy, sind eine Hommage an die Zeit.
Ulrike Schirm